Urteil des BVerwG vom 15.09.2005

Aussiedlung, Gespräch, Beweislast, Beweisführungslast

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 74.05
OVG 2 A 300/97
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. September 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t und Dr. R o t h k e g e l
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das
Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Juni 2005 wird zurückge-
wiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 11 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf Zulassung der Revision gerichtete Beschwerde der Klägerin ist
nicht begründet.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Revision nicht wegen Ver-
stoßes "gegen Denkgesetze und gegen die allgemeinen Gesetze der juristischen
Logik" zuzulassen. Zum einen wäre ein solcher Verstoß kein Revisionszulassungs-
grund und zum anderen liegt ein solcher Verstoß nicht in der von der Klägerin als
widersprüchlich angegriffenen Schlussfolgerung des Berufungsgerichts zu ihrem
Sprachvermögen. Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass das
Bekenntnis zum deutschen Volkstum oder die rechtliche Zuordnung zur deutschen
Nationalität bestätigt werden muss durch die familiäre Vermittlung der deutschen
Sprache und diese nur festgestellt ist, wenn jemand im Zeitpunkt der Aussiedlung
aufgrund dieser Vermittlung zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen
kann (Berufungsurteil S. 8 Abs. 3 unter Hinweis auf § 6 Abs. 2 Satz 2 und 3 BVFG).
Die Überzeugung des Berufungsgerichts zu dem diesen Voraussetzungen nicht ge-
nügenden Sprachvermögen der Klägerin (Berufungsurteil S. 9 Abs. 1) beruht zum
einen auf seinen tatsächlichen Feststellungen zum Sprachtest der (damals 34-
jährigen) Klägerin im März 1995 dahin, dass sie damals nicht in der Lage gewesen
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sei, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen (Berufungsurteil S. 9 Abs. 2 ff.),
und zum anderen auf der nicht denkgesetzwidrigen Schlussfolgerung, dass, sollten
die Deutschkenntnisse der Klägerin bei ihrer Einreise nach Deutschland im Oktober
1999 besser gewesen sein, diese Besserung nicht auf die von § 6 Abs. 2 Satz 2
BVFG geforderte familiäre Vermittlung zurückzuführen sein könne (Berufungsurteil
S. 13 Abs. 2).
Die Revision kann nicht nach §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen
eines Verfahrensmangels zugelassen werden.
Zu Unrecht rügt die Klägerin das Berufungsurteil als "Überraschungsur-
teil". Für den Prozessbevollmächtigten der Klägerin war aus der mündlichen Ver-
handlung vor dem Berufungsgericht am 15. Juni 2005 erkennbar, dass der Erfolg
ihrer Klage davon abhing, dass sie im Zeitpunkt der Aussiedlung nicht nur ein einfa-
ches Gespräch auf Deutsch führen konnte, sondern auch davon, dass diese Fähig-
keit auf der familiären Vermittlung der deutschen Sprache beruhte. Der Vertreter der
Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung erklärt (Sitzungsniederschrift S. 3):
"Unsererseits wird unter Zurückstellung erheblicher Bedenken davon ausgegangen,
dass die Klägerin im Zeitpunkt der Aussiedlung ein einfaches Gespräch im Sinne des
§ 6 BVFG führen konnte. Wir möchten aber noch eine Befragung zur innerfamiliären
Vermittlung der Sprache, um die verschiedenen Angaben zu klären." Das Be-
rufungsgericht hat in der mündlichen Verhandlung einerseits einen Beweisantrag
dazu, dass die Klägerin bei ihrer Aussiedlung ein einfaches Gespräch auf Deutsch
führen konnte, als rechtlich unerheblich mit der Begründung, dies könne als wahr
unterstellt werden, abgelehnt (Sitzungsniederschrift S. 9 Abs. 1), andererseits aber
die Klägerin eingehend zu ihrem Sprachtest vom 15. März 1995 angehört (Sitzungs-
niederschrift S. 5 ff.). Damit hat es deutlich gemacht, entscheidend sei, ob die Fähig-
keit, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen, auf der familiären Vermittlung
der deutschen Sprache beruhe. Zudem wird von der Klägerin in der Beschwerdebe-
gründung (S. 10 Abs. 4) selbst vorgetragen, dass es in dem Verfahren "alleine auf
die 'familiäre Vermittlung'" angekommen sei.
Soweit die Klägerin in ihrem Beschwerdevorbringen zum vermeintlichen
Überraschungsurteil rügt, das Berufungsgericht habe ihr vorgehalten, ihre Darle-
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gungspflicht nicht erfüllt zu haben, ohne sie in der mündlichen Verhandlung darauf
hinzuweisen (Beschwerdebegründung S. 4 Abs. 5 f.), verkennt sie die Bedeutung der
Ausführungen des Berufungsgerichts zu ihrer Darlegungspflicht. Das Berufungsge-
richt hat der Klägerin nicht eine Darlegungspflicht im Sinne einer formellen Beweis-
last, einer Beweisführungslast zugewiesen, sondern hat in Reaktion auf die in der
mündlichen Verhandlung geäußerte Auffassung des Prozessbevollmächtigten der
Klägerin, es liege ein "non liquet" vor (Berufungsurteil S. 14 Abs. 1), mit dem Hinweis
auf die Darlegungspflicht der Klägerin ihre materielle Beweislast in Bezug auf das
Spracherfordernis nach § 6 Abs. 2 Satz 2 und 3 BVFG bezeichnet (zur Abgrenzung
zwischen formeller und materieller Beweislast vgl. Eyermann/Geiger, VwGO,
11. Aufl. 2000, § 86 Rn. 2a).
Auch der von der Klägerin gerügte (Beschwerdebegründung S. 9 ff.)
Verstoß gegen die Aufklärungspflicht nach § 86 VwGO liegt nicht vor. Denn nach der
Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, die, wie die Klägerin zu Recht einräumt
(Beschwerdebegründung S. 10 Abs. 8), nicht als verfahrensfehlerhaft angegriffen
werden kann, war die Klägerin zur Zeit des Sprachtests am 15. März 1995 nicht in
der Lage, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen, und haben deshalb nach
Auffassung des Berufungsgerichts bessere Sprachkenntnisse im Zeitpunkt der Aus-
siedlung nicht auf familiärer Vermittlung der deutschen Sprache beruhen können.
Von diesem materiellen Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts ausgehend, war
eine weitergehende Sachverhaltsaufklärung unter anderem zum Sprachverhalten der
Klägerin in ihrer Jugend nicht erforderlich.
Die Revision kann auch nicht nach §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO we-
gen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen werden.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist das Berufungsgericht nicht
unter Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon
ausgegangen, dass maßgeblich für den Erfolg ihres Antrags nicht die aktuelle Sach-
und Rechtslage, sondern eine frühere sei, und sind insoweit weder "neue Maßstäbe"
noch eine "neuartige Interpretation" des Berufungsgerichts höchstrichterlich zu über-
prüfen (Beschwerdebegründung S. 7 f.). Vielmehr hat das Berufungsgericht zum ak-
tuell geltenden § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG entschieden, dass die Klägerin im Zeitpunkt
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der Aussiedlung nicht in der Lage war, aufgrund familiärer Vermittlung ein einfaches
Gespräch in deutscher Sprache zu führen (Berufungsurteil S. 9 Abs. 2). Da eine fa-
miliäre Vermittlung der deutschen Sprache nur vor der Aussiedlung erfolgt sein kann,
ist es nicht zu beanstanden, bei ihrer Prüfung auch ein Sprachvermögen vor der
Aussiedlung zu berücksichtigen.
Die Revision kann schließlich nicht nach §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO
wegen Abweichung von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (Be-
schwerdebegründung S. 8 f.) zugelassen werden.
Mit seiner Entscheidung und Begründung, dass der Klägerin kein An-
spruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides zustehe, weicht das Berufungsge-
richt nicht, auch nicht mittelbar, von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-
richts, "dass der Anspruch auf Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung einheit-
lich nach dem im Zeitpunkt der Erteilung geltenden Recht zu beurteilen und nicht
nach Zeitabschnitten teilbar ist", ab. Denn das Berufungsgericht hat, wie bereits aus-
geführt, zum aktuell geltenden § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG entschieden. Es hat von der
Klägerin auch keinen Negativbeweis zum Nichterwerb von Sprachkenntnissen ab
1995 verlangt, sondern seine Entscheidung darauf gestützt, dass es unter Würdigung
des Sprachtests vom 15. März 1995 nicht habe festgestellt werden können, dass die
Klägerin im Zeitpunkt ihrer Aussiedlung aufgrund familiärer Vermittlung ein einfaches
Gespräch auf Deutsch habe führen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwert-
festsetzung auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG, wobei sich der Auffangwert in Höhe von
5 000 € für die Erteilung eines Aufnahmebescheides (Streitwertkatalog 49.2) mit
Rücksicht auf die begehrten Einbeziehungen um je 2 000 € erhöht.
Dr. Säcker Schmidt Dr. Rothkegel