Urteil des BVerwG vom 09.09.2004

Rückgabe, Entschädigung, Erfüllung, Verfahrensrecht

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 73.04
VGH 19 B 02.2277
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. September 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t und Dr. R o t h k e g e l
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs
vom 29. April 2004 wird zurückgewiesen.
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Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 8 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf Zulassung der Revision gerichtete Beschwerde der Kläger ist nicht begrün-
det.
Die Revision kann nicht nach §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfah-
rensmangels zugelassen werden.
Zu Unrecht rügen die Kläger einen Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Nach
dieser Vorschrift sind in dem Urteil die Gründe anzugeben, die für die richterliche
Überzeugung leitend gewesen sind. Das hat das Berufungsgericht getan. Die Be-
hauptungen der Kläger, der Verwaltungsgerichtshof sei in den Urteilsgründen auf die
Vernehmung des sachverständigen Zeugen nicht eingegangen, habe dessen Anga-
ben "in den Urteilsgründen nahezu in keiner Weise gewürdigt" und es könne "nicht
festgestellt werden, ob die Angaben des sachverständigen Zeugen für relevant
gehalten werden", widerlegen die Kläger selbst, indem sie zutreffend darauf hinwei-
sen, dass das Berufungsgericht sich für die von ihm dem Urteil zugrunde gelegten
Umstände in Bezug auf die Enteignungen nach 1945 und die später vorgesehenen
Möglichkeiten von Rückgabe oder Entschädigung auf deren Bestätigung durch den
angehörten sachverständigen Zeugen berufen hat. Mit und bei der Vernehmung des
sachverständigen Zeugen bestanden für das Berufungsgericht keine Zweifel am
Sachverstand und an der Glaubwürdigkeit des Herrn S. als sachverständigen Zeu-
gen, weshalb sich das Berufungsgericht auf seine Angaben stützt. Die Kläger ihrer-
seits haben dazu weder in der mündlichen Verhandlung noch später irgendwelche
Zweifel geltend gemacht. Für Ausführungen zu Sachverstand und Glaubwürdigkeit
im Urteil bestand kein Anlass.
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Ohne darzulegen, inwieweit das Berufungsgericht mit seinen Feststellungen im Urteil
über die Aussagen des sachverständigen Zeugen hinausgegangen sein soll, be-
haupten die Kläger: "Bei allen weiteren Darlegungen des Gerichts bzgl. der Enteig-
nung und Folgen ist nicht erkennbar, woher das Gericht sein Sachwissen bezieht".
Damit legen sie aber keinen Verfahrensfehler dar. Denn sie belegen nicht, dass das
Berufungsgericht Erkenntnisquellen genutzt habe, die ihnen, den Klägern, nicht be-
kannt gewesen seien. Die Anlagen, die der Beklagte mit Schriftsatz vom 30. Dezem-
ber 2002 ins Verfahren eingeführt hat, sind den Klägern zur Kenntnis gegeben wor-
den.
Den Vorhalt der Kläger, dass das Berufungsgericht "die Eilverordnung Nr. 102/2001
… nicht berücksichtigt bzw. nicht kennt", widerlegt die im Berufungsurteil in Bezug
genommene Niederschrift der mündlichen Berufungsverhandlung. Danach hat sich
der sachverständige Zeuge zur Eilverordnung von 2001 geäußert. Die Angaben, die
die Kläger zum Inhalt der Eilverordnung Nr. 102/2001 machen (Beschwerdebegrün-
dung S. 5), weichen von den Aussagen des sachverständigen Zeugen dazu nicht ab.
Zu weiteren diesbezüglichen Nachforschungen haben die Kläger in der Berufungs-
verhandlung keinen Beweisantrag gestellt. Auch haben die Kläger weder dargelegt,
dass sie vor Erlass der Eilverordnung Nr. 102/2001 einen Anspruch auf Rückgabe
beziehungsweise Entschädigung gehabt hätten, noch dass die Eilverordnung
Nr. 102/2001 bereits vor ihrer Ausreise im März 2001 Geltung hatte.
Zu Unrecht rügen die Kläger eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Abgesehen
davon, dass der Tenor des Urteils vom 29. April 2004 bereits am selben Tag der Ge-
schäftsstelle übergeben war, haben die Kläger nicht konkret dargelegt, welche der
vom sachverständigen Zeugen am 3. Mai 2004 vorgelegten Unterlagen neue für die
Kläger günstige Erkenntnisse enthalten sollten. Soweit sie auf "die Eilverordnung
2001" hingewiesen haben, hat sich dazu der sachverständige Zeuge bereits in seiner
Vernehmung in der Berufungsverhandlung geäußert: "aufgrund einer Eilverordnung
von 2001 wurde geregelt, dass Flächen aus Staatsfarmen nicht zur Disposition stan-
den, also dass früher dahingehend enteignete deutsche Volkszugehörige ausge-
schlossen waren" (Verhandlungsniederschrift S. 6).
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Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt nicht vor, wenn das Gericht, wie
hier, seiner Entscheidung den von ihm festgestellten Sachverhalt zugrunde legt.
Auch eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 86 VwGO) ist nicht gegeben. Auf Wi-
dersprüche im Sachvortrag eines Beteiligten muss das Gericht nicht vor seiner Ent-
scheidung hinweisen. Die Frage, ob Friedhofsschändungen und Anfeindungen sowie
Bedrohungen aus der Bevölkerung Benachteiligungen im Sinne des § 4 Abs. 2 BVFG
sein können, betrifft das materielle Recht, nicht das Verfahrensrecht. Das Be-
rufungsgericht hat das rechtliche Gehör der Kläger nicht verletzt. Vielmehr hat es
ihren Vortrag zu Anfeindungen und Bedrohungen aus der Bevölkerung gewürdigt,
darin aber materiellrechtlich keine Benachteiligung im Sinne des § 4 Abs. 2 BVFG
gesehen.
Die Revision kann auch nicht nach §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grund-
sätzlicher Bedeutung zugelassen werden.
Zu Unrecht behaupten die Kläger, zu den "von der höchstrichterlichen Rechtspre-
chung vorgegebenen Anforderungen an eine Erfüllung des § 4 Abs. 2 BVFG (habe)
der Bayerische Verwaltungsgerichtshof eine weitere Anforderung hinzu(gefügt),
nämlich dass bei Vorliegen von allgemeinen Kriegsfolgen eine individuelle Benach-
teiligung nicht mehr gegeben sein kann". Einen solchen Rechtssatz hat das Beru-
fungsgericht nicht aufgestellt. Es hat nicht ausgeschlossen, dass bei Vorliegen von
allgemeinen Kriegsfolgen spätere individuelle Benachteiligungen oder Nachwirkun-
gen früherer Benachteiligungen gegeben sein können. Vielmehr hat es zutreffend
klargestellt, dass allein mit dem Hinweis auf allgemeine Kriegsfolgen noch keine Be-
nachteiligungen oder Nachwirkungen im Sinne des § 4 Abs. 2 BVFG glaubhaft ge-
macht sind. Vielmehr kann nach § 4 Abs. 2 BVFG nur Spätaussiedler sein, wer
"glaubhaft macht, dass er am 31. Dezember 1992 oder danach Benachteiligungen
oder Nachwirkungen früherer Benachteiligungen auf Grund deutscher Volkszugehö-
rigkeit unterlag". Daran fehlt es nach den tatsächlichen Feststellungen des Beru-
fungsgerichts.
Die Frage: "Stellt es eine willkürliche und damit verfassungswidrige Anwendung des
§ 4 Abs. 2 BVFG dar, wenn ein erheblicher Verstoß gegen Freundschaftsverträge im
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Herkunftsgebiet festzustellen ist und gleichwohl eine Benachteiligung nach § 4 Abs. 2
BVFG beim von einem solchen Verstoß gegen die Freundschaftsverträge Be-
troffenen verneint wird?", ist entgegen der Auffassung der Kläger nicht rechtsgrund-
sätzlich. Zum einen hat das Berufungsgericht keinen Verstoß gegen Freundschafts-
verträge festgestellt. Zum anderen sind Tatbestandsmerkmal in § 4 Abs. 2 BVFG
nicht Verstöße gegen Freundschaftsverträge, sondern Benachteiligungen oder
Nachwirkungen von früheren Benachteiligungen. Solche aber sind nach den tatsäch-
lichen Feststellungen des Berufungsgerichts für die nach § 4 Abs. 2 BVFG maßgeb-
liche Zeit von den Klägern nicht glaubhaft gemacht.
Die Frage: "Sind nicht unerhebliche Benachteiligungen der Vorfahren auch nach § 4
Abs. 2 BVFG anzuerkennen, wenn sie auch nicht nur unerhebliche Auswirkungen auf
das Leben des Spätaussiedlerbewerbers haben?", hat ebenfalls keine grundsätzliche
Bedeutung. Denn ohne Klärungsbedarf in einem Revisionsverfahren ergibt sich
unmittelbar aus dem Gesetz, dass nur solche Benachteiligungen oder Nachwir-
kungen früherer Benachteiligungen relevant sind, denen "er", der Spätaussiedlerbe-
werber, unterlag. Solche waren nach den tatsächlichen Feststellungen des Beru-
fungsgerichts nicht glaubhaft gemacht.
Schließlich kommt der Frage: "Kann die Tatsache, dass der rumänische Staat keine
Rechtsgrundlage zur unmittelbaren Rückgabe oder anderweitigen Entschädigung
von den in den Jahren ab 1945 enteigneten landwirtschaftlichen Grundstücken deut-
scher Volkszugehöriger geschaffen hat bzw. eine praktische Durchsetzung der dies-
bezüglichen Ansprüche ermöglichte, eine Benachteiligung bzw. Nachwirkung frühe-
rer Benachteiligungen nach § 4 Abs. 2 BVFG darstellen?", keine grundsätzliche Be-
deutung zu. Zum einen hat das Berufungsgericht im Tatsächlichen festgestellt, dass
in Rumänien die Rückgabe- bzw. Entschädigungsvoraussetzungen in Bezug auf
enteignete Grundstücke danach differenzieren, ob die Grundstücke aufgrund des
Dekret-Gesetzes vom 23. März 1945 enteignet oder erst später in die landwirtschaft-
lichen Produktionsgenossenschaften (LPG) einverleibt worden sind. Dass die Rück-
gabe- bzw. Entschädigungsregelungen nach der Volkszugehörigkeit der jetzigen An-
spruchsteller differenzierten und deutsche Volkszugehörige benachteiligten, haben
die Kläger nicht geltend gemacht. Vielmehr hat das Berufungsgericht im Zusammen-
hang seiner Ausführungen zu Art. 16 des Bodenfondsgesetzes unwidersprochen
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festgestellt (BU S. 16), "dass auch Rumänen auf der Grundlage des Gesetzes noch
keinen Boden zurückerhalten hatten". Zum anderen hat das Bundesverwaltungsge-
richt bereits entschieden, dass eine Benachteiligung oder eine Nachwirkung einer
früheren Benachteiligung in eigener Person nicht vorliegt, wenn kein Anspruch auf
Rückgabe des früher enteigneten Grundbesitzes eines Vorfahren zusteht (BVerwGE
106, 191 <201>).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung
auf § 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 GKG a.F. in Verbindung mit § 72 Nr. 1 GKG in der Fas-
sung des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl I S. 718).
Dr. Säcker
Schmidt
Dr. Rothkegel