Urteil des BVerwG vom 29.10.2013

Rechtliches Gehör, Aufteilung, Bemessungsgrundlage, Rückgriff

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 71.13
VG 6 K 550/11
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Oktober 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler und Dr. Fleuß
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dres-
den vom 17. Juli 2013 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auf 8 257,33 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen führt auf keinen
Revisionszulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO.
1. Der gerügte Verfahrensfehler (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.
Das angefochtene Urteil verletzt den Kläger nicht in seinem Anspruch auf Ge-
währung rechtlichen Gehörs. Das Gebot, gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108
Abs. 2 VwGO rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet das Gericht, die Aus-
führungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Ent-
scheidungsfindung in Erwägung zu ziehen (stRspr, vgl. BVerfG, Urteil vom
8. Juli 1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205 <216>). Das Gericht ist zwar
nicht gehalten, das gesamte Vorbringen in den Entscheidungsgründen wieder-
zugeben und zu jedem einzelnen Gesichtspunkt Stellung zu nehmen. Der An-
spruch auf rechtliches Gehör ist aber jedenfalls dann verletzt, wenn im Einzelfall
besondere Umstände deutlich machen, dass das Gericht nach seinem Rechts-
standpunkt zentrale Argumente eines Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen
oder sich mit ihnen nicht auseinandergesetzt hat (Urteil vom 13. Mai 1976
- BVerwG 2 C 26.74 - Buchholz 237.4 § 35 HmbBG Nr. 1 S. 15, Beschluss vom
14. Dezember 2012 - BVerwG 5 B 12.12 - juris Rn. 2).
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Das Verwaltungsgericht hat das Vor-
bringen des Klägers zur Kenntnis genommen, dass die Bemessungsgrundlage
für die zu entschädigende Teilfläche des Gesamtgrundstücks seines Erachtens
zu niedrig angesetzt sei. Die Aufteilung des Einheitswerts für das Gesamt-
grundstück dürfe nicht proportional nach den Flächenanteilen erfolgen, sondern
müsse die höhere Werthaltigkeit der zu entschädigenden bebauten Teilfläche
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berücksichtigen. Im Tatbestand des angefochtenen Urteils (UA S. 4) wird die
Argumentation des Klägers wiedergeben, dass es anderenfalls zu einer Un-
gleichbehandlung bei der Bewertung von Teilflächen käme. Fälle, in denen ein
Einheitswert bekannt sei, würden nach der Rechtsauffassung des Klägers will-
kürlich anders behandelt als Fälle, in denen kein Einheitswert bekannt sei. Das
Verwaltungsgericht referiert im Tatbestand seiner Entscheidung auch die An-
sicht des Klägers, dass die Aufteilung in entsprechender Anwendung des Erlas-
ses des Bundesfinanzministeriums vom 13. Juli 2000 erfolgen müsse. Es hat
diese zentralen Argumente des Klägers auch ersichtlich bei seiner Entschei-
dung in Erwägung gezogen. Zwar stützt es in den Entscheidungsgründen des
Urteils seine gegenteilige Rechtsauffassung in erster Linie darauf, dass das
Bundesverwaltungsgericht im Beschluss vom 31. Mai 2006 ( - BVerwG 3 B
148.05 - Buchholz 428.41 § 3 EntschG Nr. 2) eine flächenmäßig anteilige Auf-
teilung vorgegeben habe. Es setzt dann aber der Argumentation des Klägers
entgegen, der Umstand, dass bei den verschiedenen Bewertungsarten des § 3
EntschG unterschiedliche Kriterien angewandt würden, sei in Anbetracht der im
Vermögensrecht als grundsätzlich zulässig erachteten Pauschalierung hinzu-
nehmen. Dies sei auch mit dem vom Kläger angesprochenen materiellen Ge-
rechtigkeitsprinzip vereinbar (UA S. 6 f.). Darin liegt eine zwar knappe, aber
erkennbare Auseinandersetzung mit dem zentralen Vorbringen des Klägers.
2. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssa-
che (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Dies wäre nur dann zu bejahen,
wenn für die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch
fallübergreifende Rechtsfrage von Bedeutung war, die auch für die Entschei-
dung im Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht erheblich wäre
und deren höchstrichterliche Klärung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der
Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts ge-
boten erscheint (stRspr, vgl. Beschluss vom 2. Juni 2008 - BVerwG 5 B
188.07 - juris).
Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob bei der Ermittlung der Be-
messungsgrundlage gemäß § 3 Abs. 1 EntschG für die Teilfläche eines Grund-
stücks der Einheitswert des Gesamtgrundstücks flächenmäßig je Quadratmeter
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aufzuteilen ist oder ob er anteilig entsprechend den tatsächlichen Wertverhält-
nissen der Teilflächen zuzuordnen ist, hat keine grundsätzliche Bedeutung
mehr. Sie ist - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - im Be-
schluss vom 31. Mai 2006 (a.a.O. Rn. 6) dahingehend entschieden worden,
dass „für eine Teilflächenentschädigung der Einheitswert entsprechend dem
Anteil der zu entschädigenden Teilfläche an der Gesamtfläche heranzuziehen“
ist. Entgegen der Ansicht des Klägers ist diese flächenmäßige Aufteilung des
Gesamteinheitswertes im Beschluss vom 31. Mai 2006 auch nicht für eine
gleichmäßige, insgesamt unbebaute Grundstücksfläche vorgeschrieben wor-
den. Vielmehr ging es im damaligen Ausgangsfall - ebenso wie hier - um ein
zum Zeitpunkt der Schädigung bebautes Gesamtgrundstück (vgl. VG Potsdam,
Urteil vom 18. Juli 2005 - 9 K 3261/02 - juris Rn. 2).
Dem Beschluss vom 31. Mai 2006 liegt die Erwägung zu Grunde, dass der Ge-
setzgeber auch für die Teilflächenentschädigung durch deren ausdrückliche
Erwähnung in § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EntschG eine Orientierung am zuletzt
festgestellten Einheitswert vorgeschrieben und damit gerade keine Hilfswertbe-
rechnung im Sinne des § 3 Abs. 3 EntschG vorgesehen hat. Die vom Kläger
befürwortete Aufteilung „nach den tatsächlichen Wertverhältnissen“ würde aber
die Durchführung von Hilfsberechnungen zur Wertermittlung der unterschiedli-
chen Grundstücksteile erforderlich machen. Der Rückgriff auf die in der Ver-
gangenheit verbindlich festgelegten Einheitswerte in § 3 Abs. 1 EntschG dient
hier - wie in anderem Zusammenhang - der Verwaltungsvereinfachung und Ver-
fahrensbeschleunigung (vgl. Urteil vom 30. Juni 2011 - BVerwG 5 C 23.10 -
Buchholz 428.42 § 2 NS-VEntschG Nr. 9 Rn. 16). Der Zweck einer einfachen
und unstreitigen Wertermittlung kann bei Teilflächen aber nur durch eine dem
Flächenanteil entsprechende Aufteilung des Gesamteinheitswerts erreicht wer-
den, während eine Aufteilung auf Grund erneuter Bewertung der Teilflächen
nicht nur für die Verwaltung zeitaufwändig wäre, sondern zwangsläufig Bewer-
tungsstreitigkeiten nach sich ziehen würde, die durch den Rückgriff auf den
Einheitswert gerade vermieden werden sollten. Daher entspricht nur die flä-
chenmäßige Aufteilung des Gesamteinheitswerts dem Regelungszweck des § 3
Abs. 1 EntschG.
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Dass der Einheitswert des Grundstücks als Bemessungsgrundlage für die Ent-
schädigung verfassungsgemäß ist, ist ebenfalls grundsätzlich geklärt (BVerfG,
Urteil 22. November 2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - BVerfGE 102, 254 <308>).
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend angemerkt hat, gilt dies auch dann,
wenn der aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und Verfahrensbe-
schleunigung in § 3 Abs. 1 EntschG angeordnete Rückgriff auf einen vorhande-
nen Einheitswertbescheid dem Prinzip der materiellen Gerechtigkeit weniger
entspricht als eine Hilfswertberechnung nach § 3 Abs. 3 EntschG. Denn dem
Gesetzgeber kommt auf dem Gebiet der Wiedergutmachung auch im Rahmen
des Art. 3 Abs. 1 GG ein besonders weites Beurteilungsermessen zu (BVerfG,
Urteil vom 22. November 2000 a.a.O. S. 299). Er ist insbesondere nicht gehin-
dert, aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und -beschleunigung pau-
schalierende und typisierende Regelungen einzuführen. Dabei muss auch sys-
tembedingt eine Ungleichbehandlung grundsätzlich hingenommen werden, die
dadurch entsteht, dass im Ausnahmefall eine pauschalierende Lösung in Form
des Rückgriffs auf einen Einheits- oder Ersatzeinheitswertbescheid nicht mög-
lich ist. Dass die Ermittlung der Bemessungsgrundlage nach § 3 Abs. 1
EntschG einerseits und § 3 Abs. 3 EntschG anderseits im Einzelfall zu unter-
schiedlich hohen Werten führen kann, stellt damit in der Regel keine nicht zu
rechtfertigende Ungleichbehandlung dar. In diesem Punkt unterscheidet sich
die besondere Situation bei der Teilflächenentschädigung auch nicht von den
übrigen Fällen der Grundstücksentschädigung. Eine weitere Ungleichbehand-
lung kommt - entgegen der Ansicht der Beschwerde - auch nicht dadurch hinzu,
dass bei einer Hilfswertberechnung für eine Teilflächenentschädigung nach § 3
Abs. 3 EntschG allein von der Beschaffenheit der Teilfläche auszugehen wäre.
Vielmehr liegt es in diesen Fällen nahe, ebenso - wie in § 3 Abs. 1 EntschG -
von einer Betrachtung der Gesamtfläche auszugehen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung
über den Streitwert beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 und 3
GKG.
Vormeier
Dr. Häußler
Dr. Fleuß
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