Urteil des BVerwG vom 22.06.2005

Pflege, Konkurrenz

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 69.04
OVG 12 A 2434/02
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Juni 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t und Dr. R o t h k e g e l
beschlossen:
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das
Land Nordrhein-Westfalen vom 26. April 2004 wird zurückge-
wiesen.
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Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf einen Streitwert von 125 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf Zulassung der Revision gerichtete, allein auf den Zulassungsgrund grund-
sätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Be-
schwerde der Beklagten ist nicht begründet.
Die Revision kann nicht nach §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen werden.
Die Beklagte macht geltend, "die Rechtsfrage des Inhalts von Leistungen nach § 19
SGB VIII und des Verhältnisses zwischen Leistungen nach § 19 SGB VIII und Leis-
tungen nach § 27 SGB VIII sei nicht nur für die Entscheidung der Sache erheblich
und klärungsbedürftig" (Beschwerdebegründung S. 3 Abs. 2). Die hierzu formulierten
Fragen (Beschwerdebegründung S. 3 Abs. 3) könnten aber in einem Revisionsver-
fahren nicht geklärt werden.
Die erste Frage, "ob im Rahmen einer Leistung nach § 19 SGB VIII zugleich der von
§§ 27, 34 SGB VIII erfasste Bedarf der Hilfe zur Erziehung des Personensorgebe-
rechtigten für die minderjährige Mutter bzw. der Bedarf der volljährigen Mutter nach
§ 41 SGB VIII gedeckt ist", stellte sich in einem Revisionsverfahren nicht, weil es für
den streitgegenständlichen, allein die für das Kind D. P. aufgewendeten Jugendhilfe-
kosten betreffenden Erstattungsanspruch ausreicht, wenn diese Kosten, wie von
beiden Vorinstanzen übereinstimmend entschieden, auf einer Leistung nach § 19
SGB VIII beruhen. Ob durch die Leistung nach § 19 SGB VIII weitergehend auch ein
Bedarf der Hilfe zur Erziehung der Personensorgeberechtigten für die minderjährige
Mutter bzw. ein Bedarf der volljährigen Mutter nach § 41 SGB VIII gedeckt ist, bedarf
keiner Entscheidung, weil insoweit eine Erstattung nicht in Streit steht.
Die zweite Frage, "ob der Anspruch des Personensorgeberechtigten der minderjähri-
gen Mutter auf Hilfe zur Erziehung nach den §§ 27, 34 SGB VIII bzw. der Anspruch
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der jungen Volljährigen auf Hilfe nach § 41 SGB VIII durch einen Anspruch der jun-
gen Mutter nach § 19 SGB VIII verdrängt wird", stellte sich in einem Revisionsverfah-
ren ebenfalls nicht. Denn auch dann, wenn man gegen das Berufungsgericht mit dem
Verwaltungsgericht die Auffassung vertritt, der Anspruch einer Mutter nach § 19 SGB
VIII verdränge einen Anspruch des für eine minderjährige Mutter Personensor-
geberechtigten auf Hilfe zu deren Erziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII bzw. einen letz-
terem folgenden Anspruch auf Hilfe für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII nicht,
stünde das dem übereinstimmend von beiden Vorinstanzen bejahten Anspruch der
jungen Mutter auf gemeinsame Betreuung mit ihrem Kind nach § 19 SGB VIII jeden-
falls in Bezug auf die für die Betreuung des Kindes entstehenden Kosten, um die hier
allein gestritten wird, nicht entgegen.
Bezogen auf die streitgegenständliche Verpflichtung, die für das Kind D. P. nach § 19
SGB VIII aufgewendeten Jugendhilfekosten zu erstatten, müsste eine Rechtsfrage
von grundsätzlicher Bedeutung bezeichnet werden, von deren Klärung der sowohl
vom Verwaltungsgericht als auch vom Oberverwaltungsgericht bejahte Anspruch auf
Betreuungsleistungen für dieses Kind nach § 19 SGB VIII abhinge. Unter Hinweis auf
die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung durch das
Verwaltungsgericht macht die Beklagte auch geltend (Beschwerdebegründung S. 3
Abs. 4), es sei auf die grundsätzliche Frage abzustellen, "ob zu einer Hilfegewährung
nach §§ 27, 34 SGB VIII für eine Mutter eine Hilfegewährung nach § 19 SGB VIII für
Mutter und Kind treten kann, und damit letztlich auch auf den Inhalt und das
Verhältnis der Vorschriften des § 19 und der §§ 27, 34 SGB VIII".
Die Frage, "ob zu einer Hilfegewährung nach §§ 27, 34 SGB VIII für eine Mutter eine
Hilfegewährung nach § 19 SGB VIII für Mutter und Kind treten kann", stellte sich dem
Berufungsgericht nicht, weil seiner Auffassung nach der Anspruch der Mutter für sich
und ihr Kind aus § 19 SGB VIII den Anspruch der Personensorgeberechtigten der
Mutter aus §§ 27, 34 SGB VIII verdrängt. Der Senat lässt offen, ob dem Berufungs-
gericht insoweit zu folgen ist. Denn jedenfalls steht umgekehrt ein Anspruch der Per-
sonensorgeberechtigten für die Mutter aus §§ 27, 34 SGB VIII nicht einem Anspruch
der Mutter selbst für sich und ihr Kind aus § 19 SGB VIII entgegen.
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Dabei ist für das Verhältnis der Vorschriften des § 19 und der §§ 27, 34 SGB VIII zu-
nächst klarzustellen, dass dann, wenn der Mutter eines Kindes für dieses Hilfe zur
Erziehung nach §§ 27, 34 SGB VIII zu gewähren ist, eine gemeinsame Betreuung
von Mutter und Kind nach § 19 SGB VIII ausscheidet. Ein solcher Fall der Konkur-
renz liegt aber im Streitfall nicht vor, weil die Vorinstanzen zum Einzelfall überein-
stimmend entschieden haben, dass die Mutter für ihr Kind D.P. keiner Hilfe zur Er-
ziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII bedarf, vielmehr die gemeinsame Betreuung nach
§ 19 SGB VIII die angemessene Hilfe ist.
Dass der Anspruch der Personensorgeberechtigten für die jugendliche Mutter nach
§§ 27, 34 SGB VIII nicht einem Anspruch der jugendlichen Mutter selbst für sich und
ihr Kind nach § 19 SGB VIII entgegensteht, bedarf keiner Klärung in einem Revisi-
onsverfahren, ergibt sich vielmehr ohne weiteres daraus, dass der Anspruch nach
§§ 27, 34 SGB VIII darauf gerichtet ist, den in der Personensorgeverantwortung des
Personensorgeberechtigten stehenden Jugendlichen zu erziehen, während die Leis-
tung nach § 19 SGB VIII der Unterstützung der jungen Mutter bzw. des jungen Va-
ters bei der Pflege und Erziehung des Kindes dient. Die Pflege und Erziehung eines
Kindes (§ 19 SGB VIII) ist aber nicht Aufgabe des Personensorgeberechtigten für die
junge Mutter oder den jungen Vater und folglich auch nicht Aufgabe einer dem Per-
sonensorgeberechtigten für diese zustehenden Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 34
SGB VIII.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung
auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 14 Abs. 1 GKG a.F. i.V.m. § 72 Nr. 1 GKG.
Dr. Säcker Schmidt Dr. Rothkegel