Urteil des BVerwG vom 04.07.2006

Anhörung, Gespräch, Aussiedlung, Ausreise

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 68.06 (5 PKH 25.06)
OVG 2 A 2926/04
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. Juli 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt und Prof. Dr. Berlit
beschlossen:
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in
dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 4. April 2006 wird zurückgewie-
sen.
Der Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdever-
fahren wird auf 5 000 € festgesetzt.
Das Verfahren über den Antrag der Klägerin auf Bewilli-
gung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfah-
ren ist erledigt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg. Die
Revision ist nicht wegen der ihr von dem Beigeladenen beigemessenen grund-
sätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
1. Die von dem Beigeladenen aufgeworfene Frage,
„ob das Tatbestandsmerkmal ‚Fähigkeit zum Führen eines
einfachen Gesprächs aufgrund der familiären Vermittlung’
voraussetzt, dass die bis zur Bekenntnisfähigkeit erwor-
benen Sprachkenntnisse, ohne Unterbrechung, auf zu-
mindest dem Niveau eines einfachen Gesprächs bis zum
Zeitpunkt der Aussiedlung fortbestehen müssen, oder ob
es dem o.a. Tatbestandsmerkmal auch genügt, wenn die
Sprachkenntnisse nach einem erstmaligen Erwerb bis
zum Niveau eines einfachen Gesprächs u.U. zwar vor-
handen waren, danach aber etwa durch langjährigen
Nichtgebrauch, wieder verloren gingen, dann aber später
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erneut bis zum Erreichen dieses Sprachniveaus oder noch
darüber hinaus erworben sind,"
rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, weil sie sich nach den insoweit
bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) tatsächlichen Feststellungen des Berufungs-
gerichts nicht stellte. Das Berufungsgericht hat zwar keine ausdrücklichen posi-
tiven Feststellungen zu dem Sprachniveau der Klägerin in der Zeit zwischen
dem Erreichen der Selbständigkeit und dem Zeitpunkt der Ausreise getroffen.
Es hat aber auch nicht festgestellt, dass die Klägerin ihre vom Berufungsgericht
festgestellte Fähigkeit, dass sie „auch noch zum Zeitpunkt ihrer Selbständigkeit
aufgrund der familiären Vermittlung ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen
konnte“ (Urteilsabdruck S. 12), zwischenzeitlich verloren gehabt hätte und die
festgestellte Fähigkeit, im Zeitpunkt der Ausreise ein einfaches Gespräch auf
Deutsch zu führen, nicht mehr auf familiärer Vermittlung beruhe, sondern in
außerfamiliären Umständen gründe. Das Berufungsgericht hat vielmehr die
Überzeugung gewonnen, dass die für den Zeitpunkt der Ausreise festgestellten,
hinreichenden „deutschen Sprachkenntnisse der Klägerin in diesem Sinne fa-
miliär erworben sind und nicht auf nachträglichem Spracherwerb beruhen“ (Ur-
teilsabdruck S. 10). Soweit der Beigeladene davon ausgeht, dass „die Klägerin,
ohne dass das OVG etwas anderes festgestellt hatte, in der Zwischenzeit, nach
Verlassen des elterlichen Haushalts, ihre deutschen Sprachkenntnisse zu ei-
nem ganz entscheidenden Teil wieder verloren hatte“, und hierfür auf das Er-
gebnis der Überprüfung der Sprachkenntnisse vor dem Generalkonsulat in No-
wosibirsk am 26. August 1999 abstellt, geht sie von einem so durch das Beru-
fungsgericht nicht festgestellten Sachverhalt aus; das Berufungsgericht hat
vielmehr ausgeführt, dass das Ergebnis dieser Anhörung „entgegen der in der
mündlichen Verhandlung vor dem Senat vertretenen Auffassung des Beigela-
denen (…) nicht die Feststellung (rechtfertigt), der Klägerin sei die deutsche
Sprache familiär nicht vermittelt worden, weil sie damals nicht in der Lage ge-
wesen sei, ein einfaches Gespräch in deutscher Sprache zu führen“ (Urteilsab-
druck S. 13).
Soweit der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 3. Mai
2006 (11 B 02.2939; nunmehr Verfahren BVerwG 5 C 23.06) mit Bindungswir-
kung für das Bundesverwaltungsgericht (§ 132 Abs. 3 VwGO) in einem Fall, in
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dem er positiv einen deutlichen Rückgang der in der Prägephase familiär er-
worbenen Sprachkenntnisse festgestellt hatte, die Revision wegen der grund-
sätzlichen Bedeutung der Frage zugelassen hat, „ob die familiär vermittelten
Sprachkenntnisse den einzigen Grund dafür bilden müssen, dass ein Bewerber
um den Spätaussiedlerstatus im Zeitpunkt der Aussiedlung in der Lage ist, ein
einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen, oder ob im Sinne der vorstehend
vertretenen Auffassung eine bloße Mitursächlichkeit der familiär vermittelten
Deutschkenntnisse ausreicht“, und es als klärungsbedürftig bezeichnet, ob mit
dem im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. August 2004
(- BVerwG 5 B 2.04 -) „enthaltenen Hinweis auf die Unschädlichkeit zusätzlich
erworbener Sprachkenntnisse nur der Fall gemeint ist, dass der Betroffene
auch ohne die außerfamiliär erworbenen Fertigkeiten in der Lage gewesen wä-
re, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen (der Besuch von Sprachkur-
sen etc. mithin nur im Rahmen überobligatorischer Bemühungen erfolgte), oder
ob es ausreicht, dass auf familiäre Sprachvermittlung zurückgehende Deutsch-
kenntnisse, die zwischenzeitlich jedoch teilweise in Vergessenheit geraten sind,
durch außerfamiliäre Formen der Sprachvermittlung wieder auf das gesetzliche
Anforderungsniveau angehoben wurden, ohne dass der Bewerber um den
Spätaussiedlerstatus das Deutsche jedoch wie eine Fremdsprache von Grund
auf neu erlernen musste, weil er auf einen Bestand an familiär vermittelten Fer-
tigkeiten zurückgreifen konnte“, rechtfertigt auch dies nicht die Zulassung der
Revision in dem vorliegenden Verfahren. Das Berufungsgericht hat nicht fest-
gestellt, dass das Sprachvermögen der Klägerin zwischenzeitlich unter das ge-
setzliche Anforderungsniveau abgesunken sei und ihre im Zeitpunkt der Aus-
siedlung an den Tag gelegten sprachlichen Fertigkeiten auf einer „Gemengela-
ge“ aus familiärer und außerfamiliärer Vermittlung beruhten.
2. Auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache weist auch nicht das
Vorbringen der Beschwerde, die „Behauptung des Gerichts, die Anhörung vor
dem Generalkonsulat in Nowosibirsk sei unverwertbar, da sie nur 35 Minuten
gedauert habe“, enthalte einen grundsätzlicher Klärung bedürftigen Rechtssatz
dahin, „eine solche Anhörung müsse, um überhaupt berücksichtigt werden zu
können, eine Mindestdauer vorweisen und dürfe nur einfache Fragen enthal-
ten“. Das Beschwerdevorbringen wendet sich der Sache nach in der Gestalt der
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Grundsatzrüge gegen die einzelfallbezogene Würdigung der Ergebnisse dieser
Anhörung durch das Berufungsgericht, die einer fallübergreifenden,
rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist, und vernachlässigt, dass
das Berufungsgericht seine Bewertung, die Mängel der protokollierten Anhö-
rung ließen Schlüsse auf die damaligen deutschen Sprachkenntnisse nicht zu,
auf verschiedene Umstände der Durchführung der Anhörung gestützt hat, ohne
die einzelnen Bewertungsgesichtspunkte zu jeweils selbständig tragenden,
rechtsgrundsätzlich möglicherweise klärungsfähigen verfahrensrechtlichen, fall-
unabhängig anzuwendenden formellen Mindestanforderungen zu verdichten.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und 3 VwGO, die Streitwert-
festsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 2, § 72 Nr. 1 GKG in der Fassung
des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl I S. 718).
4. Da dem Beigeladenen die Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegt wor-
den sind, ist das Begehren der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
für das Beschwerdeverfahren erledigt; die Kostentragungslast des Beigelade-
nen umfasst auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Dr. Säcker Schmidt Prof. Dr. Berlit
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