Urteil des BVerwG vom 18.08.2005

Empfehlung, Begriff, Familienpflege, Unterhalt

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 68.05
OVG 5 B 86/04
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. August 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. F r a n k e und Prof. Dr. B e r l i t
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsge-
richts vom 6. April 2005 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Ge-
richtskosten werden nicht erhoben.
G r ü n d e :
Die auf Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gerichtete Beschwerde der Klägerin ist nicht
begründet.
Die nach Auffassung der Klägerin grundsätzlicher Klärung bedürftige
Frage,
"welche Kriterien für das Vorliegen von 'besonderen Entwicklungs-
beeinträchtigungen' im Sinne des § 33 Satz 2 SGB VIII erfüllt sein müssen",
stellt sich im vorliegenden Verfahren nicht als eine dem revisiblen Recht
zuzuordnende Rechtsfrage.
§ 33 Satz 2 SGB VIII, nach dem "für besonders entwicklungsbeeinträch-
tigte Kinder und Jugendliche (…) geeignete Formen der Familienpflege zu schaffen
und auszubauen (sind)", scheidet als unmittelbare Rechtsgrundlage für den von der
Klägerin geltend gemachten Anspruch auf ein erhöhtes Pflegegeld für die Betreuung
des Kindes M. ersichtlich aus, weil sie auf Konkretisierung und Umsetzung durch die
zuständigen Stellen gerichtet ist, selbst aber noch keine Leistungsansprüche be-
gründet, und ist auch von dem Berufungsgericht nicht als selbständig tragende An-
spruchsgrundlage herangezogen worden. Soweit das Berufungsgericht als An-
spruchsgrundlage für eine Bewilligung von Leistungen für die Kosten der Erziehung
des Kindes M. auf "§ 39 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 und 5 in Verbindung mit § 33
SGB VIII" Bezug genommen hat, kennzeichnet die Bezugnahme auf § 33 SGB VIII
die Hilfeart (Vollzeitpflege in einer anderen Familie), für die nach § 39 SGB VIII Leis-
tungen auch für die Kosten der Erziehung zu gewähren sind. § 33 Satz 2 SGB VIII
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begründet aber auch im Zusammenhang mit § 39 SGB VIII keinen Leistungsan-
spruch und wirkt auch insoweit nicht unmittelbar auf die Höhe der nach § 39 Abs. 1
SGB VIII zu gewährenden Leistungen ein, als in den für besonders entwicklungsbe-
einträchtigte Kinder zu schaffenden geeigneten Formen der Familienpflege nach § 39
Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB VIII eine höhere Honorierung der erzieherischen
Leistung in Betracht kommen kann (s.a. Berufungsgericht, Urteilsabdruck S. 9
Hinweis auf Kunkel, in: LPK - SGB VIII, 2. Aufl., § 33 Rn. 9>). § 39 Abs. 4, 5
SGB VIII, wonach die laufenden Leistungen auf der Grundlage der tatsächlichen
Kosten gewährt werden sollen, sofern sie einen angemessenen Umfang nicht über-
steigen, sie in einem monatlichen Pauschalbetrag gewährt werden sollen, soweit
nicht nach der Besonderheit des Einzelfalls abweichende Leistungen geboten sind,
und die Pauschalbeträge für laufende Leistungen zum Unterhalt von den nach Lan-
desrecht zuständigen Behörden festgesetzt werden sollen, wobei dem altersbedingt
unterschiedlichen Unterhaltsbedarf von Kindern und Jugendlichen durch eine Staffe-
lung der Beträge nach Altersgruppen Rechnung zu tragen ist, stellen für die Bemes-
sung der zu gewährenden Leistungen weder ausdrücklich noch durch Bezugnahme
oder sinngemäß auf die Frage ab, ob Leistungen in Bezug auf ein besonders ent-
wicklungsbeeinträchtigtes Kind zu gewähren sind.
Soweit die "Empfehlung zur Ausgestaltung und Finanzierung von sozial-
pädagogischen Pflegefamilien (Sonderpflegestellen) im Rahmen der Vollzeitpflege
nach § 33 SGB VIII", die der Landesjugendhilfeausschuss des Freistaates Sachsen
am 6. Dezember 1993 verabschiedet hat, an § 33 Satz 2 SGB VIII und damit auch an
den Begriff der "besonders entwicklungsbeeinträchtigten Kinder und Jugendlichen"
anknüpft, in Nr. 2 zu lit. b) finanzielle Anreize als fachlich gerechtfertigt und
unumgänglich bezeichnet, um Fachkräfte für die Arbeit als sozialpädagogische Pfle-
gefamilie zu gewinnen, und hierzu bestimmet, dass "mindestens die 4-fachen Kosten
der Erziehung entsprechend den festgesetzten Pauschalbeträgen für laufende Leis-
tungen zum Unterhalt bei Vollzeitpflege zugrunde gelegt werden" sollten, führt diese
Anknüpfung nicht dazu, dass § 33 Satz 2 SGB VIII selbst entscheidungserheblich
würde. Diese "Empfehlung" bleibt vielmehr unabhängig von der Antwort auf die von
dem Berufungsgericht als zweifelhaft bezeichnete und offen gelassene Frage, ob der
Begriff des Landesrechts in § 39 Abs. 5 SGB VIII weit auszulegen ist und eine kon-
krete Ausgestaltung der Pauschalen durch Verwaltungsvorschrift oder Empfehlungen
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zulässt, jedenfalls Verwaltungsvorschriften auch insoweit, als sie an gesetzliche
Vorschriften des Bundesrechts anknüpfen. Verwaltungsvorschriften sind aber man-
gels Rechtssatzqualität nicht revisibel (s. nur BVerwG, Beschlüsse vom 11. Mai 1988
- BVerwG 2 B 58.88 - Buchholz 310 § 137 VwGO Nr. 148 = NJW 1988, 2907; vom
18. August 1992 - BVerwG 3 B 76.92 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 310; vom
25. Mai 1993 - BVerwG 1 B 21.93 - InfAuslR 1993, 298; vom 10. Juni 1994 - BVerwG
1 B 89.94 - Buchholz 402.240 § 54 AuslG 1990 Nr. 1 = InfAuslR 1994, 346; und vom
9. November 2000 - BVerwG 10 B 2.00 - juris; st. Rechtsprechung). Soweit für die
Kennzeichnung des von dem Empfehlungsgeber Gewollten an die bundesrechtliche
Norm des § 33 Satz 2 SGB VIII angeknüpft wird, scheidet eine Zulassung der Revi-
sion selbst bei unterstellter Rechtsnormqualität der Empfehlungen auch deswegen
aus, weil die mit der Beschwerde aufgeworfene Frage dann eine nicht der Revision
unterliegende Frage des Landesrechts (s.a. § 39 Abs. 5 Satz 3 SGB VIII) beträfe;
Verweisungen oder Bezugnahmen auf Rechtssätze des Bundesrechts in dem für die
Streitentscheidung maßgebenden Landesrecht führen nicht dazu, dass diese bun-
desrechtlichen Regelungen als revisibles Recht im Sinne des § 137 Abs. 1 Nr. 1
VwGO Anwendung finden (s. BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 1990 - BVerwG 5 B
37.90 - Buchholz 310 § 137 VwGO Nr. 160; st. Rechtsprechung), denn weder gilt
diese Regelung unmittelbar kraft Gesetzesbefehls des Bundesgesetzgebers, noch
verschafft sie den Rechtsbegriffen des § 33 Satz 2 SGB VIII ihrer Eigenschaft als
Bundesrecht unmittelbare Geltung im Bereich des Landesrechts (vgl. Eyer-
mann/Schmidt, VwGO, 11. Aufl. 2000, Rn. 11 zu § 137; Kopp/ Schenke, VwGO,
14. Aufl. 2005, Rn. 10 zu § 137, jeweils m.w.N.). Dass das Berufungsgericht wegen
der zu § 33 Satz 2 SGB VIII bezeichneten Frage kraft Bundesrechts zu einer be-
stimmten Auslegung des Landesrechts gezwungen gewesen wäre oder das von dem
Berufungsgericht zu der Auslegung und Anwendung der Empfehlung gefundene
Ergebnis Bundesrecht verletze, legt die Beschwerdeschrift nicht dar (§ 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO) und ist auch sonst nicht erkennbar.
Bei dieser Sachlage lässt der Senat offen, ob die von der Beschwerde zu
§ 33 Satz 2 SGB VIII bezeichnete Auslegungsfrage die Revisionszulassung des-
wegen nicht rechtfertigte, weil sie mit Blick darauf nicht entscheidungserheblich wäre,
dass das Berufungsgericht nicht nur darauf abgestellt hat, dass sich nicht feststellen
lasse, dass eine besondere fachliche Qualifikation erforderlich wäre, um eine
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Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII im Falle des Kindes M. wahrnehmen zu können
(Urteilsabdruck S. 10 ff., lit. aa)), sondern ergänzend darauf hingewiesen hat, dass
ein erhöhter Satz für die Kosten der Erziehung "selbst für den Fall einer besonderen
Entwicklungsbeeinträchtigung" nicht gerechtfertigt wäre.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskos-
tenfreiheit aus § 188 Satz 2 VwGO.
Dr. Säcker
Dr. Franke
Prof. Dr. Berlit