Urteil des BVerwG vom 28.10.2013

Treu Und Glauben, Rücknahme der Klage, Einstweilige Verfügung, Öffentlich

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 66.13
OVG 5 B 4.10
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. Oktober 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler und Dr. Fleuß
beschlossen:
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Berlin-Brandenburg vom 23. Mai 2013 wird zurückgewie-
sen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auf 446 680,40 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen führt auf keinen
Revisionszulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO.
1. Die Revision ist nicht wegen Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zu-
zulassen. Eine Divergenz ist nur gegeben, wenn das vorinstanzliche Gericht in
Anwendung derselben Vorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden (abs-
trakten) Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung des übergeordneten Ge-
richts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgewichen ist. Die Beschwerde-
begründung muss darlegen, dass und inwiefern dies der Fall ist (stRspr, vgl.
z.B. Beschlüsse vom 11. August 1999 - BVerwG 11 B 61.98 - Buchholz 310
§ 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19 S. 1 und vom 24. November 2009 - BVerwG
5 B 35.09 - juris). Eine solche Divergenz liegt jedenfalls in der Sache nicht vor.
a) Die Beschwerde rügt eine Abweichung von dem Urteil des Bundesverwal-
tungsgerichts vom 13. Juni 1985 (- BVerwG 2 C 56.82 - BVerwGE 71, 354
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<356> = Buchholz 235 § 12 BBesG Nr. 8 S. 16 <18>). Sie entnimmt der Ent-
scheidung eine abschließende Aufzählung der Gründe für das Entfallen der
Rechtswirkungen einer einstweiligen Anordnung. Der darin enthaltene abstrakte
Rechtssatz, dass mit der (im Zweifel) rückwirkenden Aufhebung einer einstwei-
ligen Anordnung durch das Rechtsmittelgericht der Rechtsgrund der Zahlung
entfällt, enthält jedoch keinerlei Aussage darüber, ob der Rechtsgrund der Zah-
lung auch aus anderen Gründen entfallen kann. Die Annahme des Oberverwal-
tungsgerichts, dass auch mit der Rücknahme der Klage in der Hauptsache der
Rechtsgrund für das Behaltendürfen der auf Grund einer einstweiligen Anord-
nung erhaltenen Leistungen wegfällt, weicht daher nicht von dem genannten
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ab.
b) Eine Divergenz liegt auch nicht in Bezug auf das von der Beschwerde eben-
falls angeführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Februar 1964
(- BVerwG 6 C 8.61 - BVerwGE 18, 72 <74> = Buchholz 232 § 87 BBG Nr. 14
S. 64 <66>) vor. Diese Entscheidung beschäftigt sich mit der Frage, ob sich ein
Beamter, der während eines Rechtsstreits über seine Entlassung Bezüge erhal-
ten hat, im Fall einer gerichtlichen Bestätigung der Entlassung und der an-
schließenden Rückforderung der vorübergehend geleisteten Bezüge nach den
damals geltenden § 87 Abs. 2 BBG, §§ 812 ff. BGB auf den Wegfall der Berei-
cherung durch Verbrauch berufen konnte. Soweit das Bundesverwaltungsge-
richt in diesem Fall die Berufung auf den Wegfall der Bereicherung in Ausnah-
mefällen „nach den Regeln, die hierzu für beamtenrechtliche Überzahlungen
entwickelt worden sind“ (Urteil vom 21. Februar 1964 a.a.O. S. 77 bzw. S. 67),
zugelassen hat, steht dieser abstrakte Rechtssatz erkennbar in einem rein be-
amtenrechtlichen Kontext. Es handelt sich nicht um einen Rechtssatz, der zu
der hier einschlägigen Rückforderung von durch einstweilige Anordnung erwirk-
ten Leistungen auf der Grundlage des § 945 ZPO bzw. des allgemeinen öffent-
lich-rechtlichen Erstattungsanspruchs entwickelt worden wäre. Soweit das
Oberverwaltungsgericht die Berufung auf den Wegfall der Bereicherung im vor-
liegenden Fall ausgeschlossen hat, kann eine Rechtssatzdivergenz schon des-
wegen nicht vorliegen, weil die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts
nicht auf derselben Rechtsvorschrift wie das angeführte Urteil des Bundesver-
waltungsgerichts beruht.
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c) Aus dem genannten Grund kann eine Divergenz auch nicht zu den von der
Beschwerde ergänzend angeführten beamtenrechtlichen Entscheidungen (Ur-
teile vom 25. November 1982 - BVerwG 2 C 12.81 - Buchholz 235 § 12 BBesG
Nr. 2 S. 1, vom 13. Juni 1985 - BVerwG 2 C 56.82 - BVerwGE 71, 354 =
Buchholz 235 § 12 BBesG Nr. 8 S. 16, vom 13. Juni 1985 - BVerwG 2 C 43.82 -
DVBl 1986, 146 und vom 8. Oktober 1998 - BVerwG 2 C 21.97 - Buchholz
239.1 § 55 BeamtVG Nr. 25 S. 12) bestehen. Diese zu § 12 Abs. 2 Satz 3
BBesG oder § 52 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG ergangenen Entscheidungen behan-
deln die Rückforderung von Bezügen und Versorgungsbezügen von Beamten
und Pensionären. Im vorliegenden Fall geht es jedoch um die Rückforderung
von Leistungen, die einem Wohnungsbauunternehmen auf Grund einer einst-
weiligen Anordnung vor dem Hintergrund eines umstrittenen wohnungsbau-
rechtlichen Förderungsanspruchs gewährt wurden. In diesem Rechtsstreit spie-
len weder die genannten beamtenrechtlichen Anspruchsgrundlagen noch deren
Verweisung ins Bereicherungsrecht eine Rolle. Die Berufung auf den Wegfall
der Bereicherung ist bei den im vorliegenden Fall einschlägigen Anspruchs-
grundlagen weder im Rahmen des Schadenersatzanspruchs aus § 945 ZPO
noch im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs vorgesehen.
Dass § 818 Abs. 3 und 4 sowie § 819 BGB auf den öffentlich-rechtlichen Erstat-
tungsanspruch nicht entsprechend anwendbar sind, wird im Übrigen in der von
der Beklagten ergänzend zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsge-
richts vom 12. März 1985 (- BVerwG 7 C 48.82 - BVerwGE 71, 85 <88 ff.> =
Buchholz 442.041 PostG Nr. 6 S. 12 <15 ff.>) ausführlich begründet.
d) Eine Abweichung von dieser Entscheidung liegt entgegen der Ansicht der
Beklagten ebenfalls nicht vor. Das Berufungsgericht hat vielmehr die dort ge-
nannten Grundsätze bei seiner Prüfung der Schutzwürdigkeit des Vertrauens zu
Grunde gelegt. Ebenso hat es die Frage untersucht, ob die Geltendmachung
des Rückforderungsanspruchs gegen Treu und Glauben verstößt (UA S. 21 f.).
Für eine Rechtssatzdivergenz bestehen damit keine Anhaltspunkte. Dies gilt
auch für das von der Beklagten angeführte Urteil des Bundesverwaltungsge-
richts vom 8. Oktober 1998 (a.a.O.). Insoweit legt die Beklagte ebenfalls nicht
dar, dass das Berufungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden
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Rechtssatz von einem Rechtssatz abgewichen ist, den das Bundesverwal-
tungsgericht in dem genannten Urteil in Anwendung derselben Rechtsvorschrift
aufgestellt hat.
2. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssa-
che (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Dies wäre nur dann zu bejahen,
wenn für die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts eine konkrete und fall-
übergreifende Rechtsfrage von Bedeutung war, die auch für die Entscheidung
im Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht erheblich wäre und
deren höchstrichterliche Klärung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Recht-
sprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten
erscheint (stRspr, vgl. Beschluss vom 2. Juni 2008 - BVerwG 5 B 188.07 -
juris). Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht seine Entscheidung selbst-
ständig tragend darauf gestützt, dass dem Kläger der geforderte Betrag in Höhe
von 446 680,40 € auf Grund des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungs-
anspruchs zusteht. Entgegen der Ansicht der Beklagten wirft diese rechtliche
Begründung keine Fragen von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung auf.
a) Nicht grundsätzlich klärungsbedürftig ist die von der Beklagten aufgeworfene
Frage, ob eine nicht durch Beschluss aufgehobene einstweilige Anordnung ein
fortbestehender Rechtsgrund zum Behalten der auf ihrer Grundlage gezahlten
Mittel darstellt und ob dies auch dann noch gilt, wenn die Hauptsacheklage
- wie hier - zurückgenommen, ein Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO oder § 926
ZPO aber nicht gestellt worden ist. Im Hinblick auf die Rücknahme hat das
Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden, dass die durch eine einstweilige
Verfügung nach § 123 VwGO vorläufig eingeräumte Rechtsposition rückwirkend
entfällt, wenn der Kläger im Hauptsacheverfahren verliert (Urteil vom 15. De-
zember 1993 - BVerwG 6 C 20.92 - BVerwGE 94, 352 <356> = Buchholz 421.0
Prüfungswesen Nr. 322 S. 312 <314 f.>). Die einstweilige Anordnung wird näm-
lich im Verhältnis zwischen den Parteien automatisch wirkungslos, wenn sie
rechtskräftig mit der Bindungswirkung des § 121 VwGO durch eine endgültige
Entscheidung über den Streitgegenstand ersetzt wird. Es ergibt sich unmittelbar
aus dem Gesetz, dass nichts anderes gelten kann, wenn sich der Kläger durch
die Rücknahme der Klage (§ 92 VwGO) freiwillig in die Position des Verlierers
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begibt. Wird die Klage zurückgenommen, ist der Rechtsstreit als nicht anhängig
geworden anzusehen (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 ZPO).
Wegen dieser Rückwirkungsfiktion werden in Bezug auf den Streitgegenstand
ergangene einstweilige Anordnungen ebenso wie die in § 269 Abs. 3 Satz 1
Halbs. 2 ZPO ausdrücklich erwähnten, nicht rechtskräftigen Urteile kraft Geset-
zes wirkungslos. Ist dem Verwaltungsprozess - wie hier - ein ablehnender Ver-
waltungsakt vorausgegangen, gilt dessen Regelung zwischen den Parteien als
unangefochten und ist daher für die Beteiligten in späteren Verfahren bindend.
b) Keine grundsätzliche Bedeutung hat auch die Frage, ob Leistungen, die auf
der Grundlage einer einstweiligen Anordnung gezahlt werden, durch Verwal-
tungsakt gewährt sind oder ob jedenfalls die Regelungen oder Begrenzungen,
die bei Rückforderungen von auf Grundlage von Verwaltungsakten gewährten
Leistungen gelten, sinngemäß anzuwenden sind. Es liegt zunächst auf der
Hand, dass eine Behörde, die wie der Kläger eine Förderung durch Verwal-
tungsakt abgelehnt hat und die vom Verwaltungsgericht durch einstweilige An-
ordnung nach §123 VwGO zu Zahlungen verpflichtet worden ist, nicht auf
Grund eines Verwaltungsakts leistet. Es bedarf auch keiner Klärung in einem
Revisionsverfahren, dass in diesem Fall die besonderen Vorschriften über
Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten und Rückforderung darauf ba-
sierender Leistungen keine Anwendung finden. Für eine analoge Anwendung
dieser Vorschriften fehlt es im vorliegenden Fall bereits an einer Regelungslü-
cke, weil das Verwaltungsprozessrecht Vorschriften und allgemein anerkannte
Regelungen über die Aufhebung einstweiliger Anordnungen und den Ausgleich
von Vollziehungsfolgen enthält. Darüber hinaus zeigt der vorliegende Fall, dass
auch die Interessenlage nicht vergleichbar ist. Wird die Gewährung einer Sub-
vention von der Behörde ausdrücklich abgelehnt, fehlt es gerade an dem durch
einen Förderbescheid gesetzten Vertrauenstatbestand auf das endgültige Be-
haltendürfen einer Leistung. Die mit einer einstweiligen Anordnung nach § 123
VwGO begründete Leistungsverpflichtung hat nach ihrem klaren Inhalt hin-
gegen nur vorläufigen Charakter und steht unter dem Vorbehalt der Abände-
rung durch die endgültige Gerichtsentscheidung.
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c) Nicht grundsätzlich klärungsbedürftig sind auch die weiteren von der Beklag-
ten im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs erhobenen
Grundsatzrügen:
„Schließt die Formulierung eines Vorbehaltes bei Gewäh-
rung einer Leistung ohne Ansehung des Einzelfalls jegli-
ches schutzwürdiges Vertrauen in das Behalten der Leis-
tung und jegliche Rückforderungssperren aus dem Ge-
sichtspunkt der Entreicherung (§ 49a Abs. 2 VwVfG), des
Vertrauensschutzes und aus Treu und Glauben aus?
Wenn nicht: Hängt die Existenz des Rückforderungsan-
spruchs nach bestimmungsgemäßem Verbrauch der Mittel
davon ab, ob der Empfänger hinsichtlich der Kenntnis der
Gründe, die zur späteren Rückforderung führte, vorsätz-
lich oder (grob) fahrlässig gewesen ist? Gehört zur Kennt-
nis der Gründe in diesem Sinne bei kontrovers diskutier-
ten, noch nicht höchstrichterlich entschiedenen Rechtsfra-
gen auch die Kenntnis der Rechtslage? Gilt dies insbe-
sondere dann, wenn Organe des Rückforderungsgläubi-
gers in der Vergangenheit selbst Erklärungen abgegeben
haben, wonach sie die Existenz eines Anordnungsan-
spruchs für wahrscheinlich oder jedenfalls möglich halten?
Schließt die Existenz einer zum Zeitpunkt der Gewährung
der Leistung weit verbreiteten Rechtsansicht, wonach ein
Anordnungsanspruch bestehe, den Vorwurf des Vorsatzes
oder der groben Fahrlässigkeit im Sinne des Vertrauens-
schutzes im Falle des Ausgebens der vorläufig gewährten
Mittel aus bzw. führt dazu, dass eine Rückforderung nach
bestimmungsgemäßem Verbrauch der Mittel gegen Treu
und Glauben verstößt?
Liegt begrifflich eine Entreicherung bzw. eine Situation, in
der das private Vertrauensschutzinteresse des Bürgers
das öffentliche Interesse an der Wiederherstellung einer
dem Gesetz entsprechenden Vermögenslage überwiegt
bei der bestimmungsgemäßen Verwendung von vorläufig
gewährten Mitteln (hier: Tilgung von Darlehen) vor, wenn
ohne Erhalt der Leistung Insolvenz einträte oder von Drit-
ten besondere Opfer erbracht worden wären und daher
vom Empfänger der Mittel durch deren Verwendung tat-
sächlich keine Aufwendungen eingespart wurden?“
Der erste Fragenkomplex nach der Bedeutung eines Vorbehalts bei der Leis-
tungsgewährung für den Vertrauensschutz ist im vorliegenden Fall schon des-
wegen nicht klärungsfähig, weil der Kläger nach den im Revisionsverfahren
grundsätzlich bindenden tatrichterlichen Feststellungen keinen Förderbescheid
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unter Vorbehalt erlassen hat, sondern die Gewährung der Förderung abgelehnt
und lediglich auf Grund einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO mit
dem ausdrücklichen Hinweis geleistet hat, im Falle eines Obsiegens die einst-
weilen erbrachten Leistungen zurückzufordern. Im Übrigen ist es grundsätzlich
eine Frage des Einzelfalls, wie Vorbehaltserklärungen im Zusammenhang mit
Zahlungen auszulegen sind und inwiefern dadurch schutzwürdiges Vertrauen
entstehen oder ausgeschlossen werden kann.
Der zweite Fragenkomplex nach der Bedeutung der Kenntnis oder grob fahrläs-
sigen Unkenntnis der die Rückforderung begründenden Umstände, bedarf
ebenfalls keiner grundsätzlichen Klärung. In der Rechtsprechung des Bundes-
verwaltungsgerichts ist geklärt, dass es beim öffentlich-rechtlichen Erstattungs-
anspruch für die Frage der Schutzwürdigkeit des Vertrauens keinen Unter-
schied macht, ob der Betroffene die Rechtsgrundlosigkeit der Leistung kennt
oder aus grober Fahrlässigkeit nicht kennt (vgl. Urteil vom 12. März 1985 a.a.O.
S. 91 ff. bzw. S. 17 f.). Denn auch die grob fahrlässige Unkenntnis verdient kei-
nen Vertrauensschutz. Hinsichtlich der weiteren Fragen, ob die Kenntnis in die-
sem Sinne auch die Kenntnis der Rechtslage erfordere, welchen Einfluss eine
insoweit bestehende Rechtsunklarheit, diesbezügliche Äußerungen von Orga-
nen des Rückforderungsgläubigers oder weit verbreitete Rechtsansichten hät-
ten, legt die Beschwerde die Entscheidungserheblichkeit nicht dar. Nach den
tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts hatte die Beklagte
hinsichtlich des Umstandes Kenntnis, dass der Kläger die Zahlungen nur auf
Grund einer einstweiligen Anordnung und nur unter dem Vorbehalt der Rück-
forderung bei einer ihm günstigen endgültigen Entscheidung leistete. Mit Blick
auf die Vorläufigkeit der erbrachten Leistungen bestanden danach weder in tat-
sächlicher noch in rechtlicher Hinsicht entscheidungserhebliche Unklarheiten.
Es ist geklärt, dass bereits die Kenntnis von der Vorläufigkeit einer Leistung und
dem damit verbundenen Rückforderungsrisiko Vertrauensschutz ausschließt.
Denn es liegt gerade im Wesen der Vorläufigkeit, dass Vertrauen in die Endgül-
tigkeit der Regelung nicht entstehen kann (Urteil vom 19. November 2009
- BVerwG 3 C 7.09 - BVerwGE 135, 238 Rn. 25 = Buchholz 316 § 49a VwVfG
Nr. 8).
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Der dritte Fragenkomplex nach der Bedeutung von Treu und Glauben beim öf-
fentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch ist gleichfalls rechtsgrundsätzlich ge-
klärt. Wie die Beschwerde zutreffend ausführt, ist bereits entschieden, dass der
Grundsatz von Treu und Glauben als allgemeiner Gedanke auch im Verwal-
tungsrecht gilt und dass dementsprechend auch die Ausübung des öffentlich-
rechtlichen Erstattungsanspruchs durch das Prinzip von Treu und Glauben be-
grenzt ist (Urteil vom 18. Dezember 1973 - BVerwG 1 C 34.72 - Buchholz
451.52 § 19 MuFG Nr. 2 S. 9 <12> = NJW 1974, 2247 = juris Rn. 126). Davon
ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. Es bedarf nicht der Durchführung
eines Revisionsverfahrens um festzustellen, dass die Geltendmachung von be-
stehenden Geldforderungen nicht allein deswegen treuwidrig ist, weil dies zur
Insolvenz des Schuldners führen kann oder weil Dritte zur finanziellen Rettung
des Schuldners besondere Opfer erbringen müssten. Denn einen allgemeinen
Grundsatz, dass Gläubiger zur Vermeidung von Insolvenzgefahren auf ihre
Forderungen verzichten müssten, gibt es nicht.
c) Im vorliegenden Fall können auch die von der Beklagten gestellten Fragen-
kataloge zur Verjährung des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs nicht
grundsätzlich geklärt werden, weil nach allen ernstlich in Betracht kommenden
Auslegungsvarianten der Anspruch nicht verjährt ist. Es kann insbesondere of-
fenbleiben, ob der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch im vorliegenden
Fall der 30jährigen Verjährungsfrist (vgl. Urteile vom 11. Dezember 2008
- BVerwG 3 C 37.07 - BVerwGE 132, 324 Rn. 10 = Buchholz 428.2 § 8 VZOG
Nr. 11 S. 24 und vom 22. März 2012 - BVerwG 3 C 21.11 - BVerwGE 142, 219
Rn. 38 = Buchholz 428.2 § 8 VZOG Nr. 14 S. 1 <10>), oder der regelmäßigen
Verjährungsfrist von drei Jahren analog § 195 BGB unterliegt (vgl. Urteile vom
15. Juni 2006 - BVerwG 2 C 10.05 - Buchholz 232 § 78 BBG Nr. 45 S. 1 = NJW
2006, 3225 = juris Rn. 19 f. und vom 15. Mai 2008 - BVerwG 5 C 25.07 -
BVerwGE 131, 153 Rn. 27 = Buchholz 11 Art. 104a GG Nr. 22 S. 23). Legt man
- wie das Berufungsgericht - die für die Beklagte günstigere regelmäßige Ver-
jährungsfrist von drei Jahren zu Grunde, dann ergibt sich unmittelbar aus dem
Gesetz, dass der Beginn dieser Frist neben der Entstehung des Anspruchs ge-
mäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB grundsätzlich auch die Kenntnis der anspruchsbe-
gründenden Umstände voraussetzt. Überzeugende Gründe bei der entspre-
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chenden Anwendung der Norm im Öffentlichen Recht auf das subjektive Ele-
ment der Kenntnis oder des Kennenmüssens zu verzichten, sind nicht ersicht-
lich. Auch der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat die Ermittlungs-
schwierigkeiten in Bezug auf diese subjektive Voraussetzung nur als Argument
für den Lauf der 30jährigen Verjährungsfrist verwendet (Urteil vom 11. Dezem-
ber 2008 a.a.O. Rn. 16), nicht aber im Fall der entsprechenden Anwendung der
regulären dreijährigen Verjährung eine nur partielle Analogie zu § 199 BGB be-
fürwortet. Daher kann es im vorliegenden Fall auch offenbleiben, ob der öffent-
lich-rechtliche Erstattungsanspruch - wie die Beklagte meint - objektiv betrach-
tet bereits mit Auszahlung der Leistungen entstanden ist. Denn der Kläger als
Gläubiger konnte die für den Fristbeginn erforderliche subjektive Kenntnis von
dem anspruchsbegründenden Umstand der Rechtsgrundlosigkeit der Leistung
frühestens mit der am 7. Februar 2005 erfolgten Aufhebung der einstweiligen
Anordnung erlangen. Zuvor konnte und musste der Kläger davon ausgehen,
dass die einstweilige Verfügung den Rechtsgrund der Leistung bildete (vgl. Ur-
teil vom 13. Juni 1985 - BVerwG 2 C 56.82 - BVerwGE 71, 354 Rn. 22 =
Buchholz 235 § 12 BBesG Nr. 8 S. 16 <17 f.>). Begann am Schluss dieses Jah-
res die dreijährige Verjährungsfrist, so war der Anspruch bei Klageerhebung am
30. Dezember 2008 nicht verjährt. Die von der Beschwerde aufgeworfenen
Fragen zum genauen Inhalt der subjektiven Kenntnis und zur Kenntnis von Ur-
teilen in Parallelverfahren sind erkennbar nicht entscheidungserheblich und
können daher die grundsätzliche Bedeutung des Falles nicht begründen.
3. Ist somit die Auslegung des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs im
vorliegenden Fall nicht grundsätzlich klärungsbedürftig, kommt es auf die gegen
die Anwendung des § 945 ZPO vorgetragenen Rügen nicht mehr an. Nach der
ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschlüsse
vom 17. April 1985 - BVerwG 3 B 26.85 - Buchholz 451.90 EWG-Recht Nr. 53
S. 93, vom 24. Mai 2007 - BVerwG 4 BN 16.07 u.a. - BauR 2007, 2041 und
vom 8. Juli 2011 - BVerwG 5 B 4.11 - juris Rn. 2) kann in Fällen, in denen ein
Urteil auf mehrere die Entscheidung selbstständig tragende Begründungen ge-
stützt ist, die Revision gegen dieses Urteil nur zugelassen werden, wenn hin-
sichtlich jeder dieser tragenden Begründungen ein Zulassungsgrund vorliegt.
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4. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung
über den Streitwert beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 und 3
GKG.
Vormeier
Dr. Häußler
Dr. Fleuß
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