Urteil des BVerwG vom 21.01.2010

Zwischenprüfung, Ausbildung, Zugang, Hochschule

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 63.09
OVG 4 LC 141/07
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Januar 2010
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit und Dr. Störmer
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Ober-
verwaltungsgerichts vom 26. August 2009 wird zurückge-
wiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
G r ü n d e :
Die auf Zulassung der Revision gerichtete Beschwerde der Klägerin hat keinen
Erfolg; das Beschwerdevorbringen rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision
nach §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung.
Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Beschwerde beigemessene grund-
sätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Dies wäre nur
dann zu bejahen, wenn für die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts eine
konkrete, jedoch fallübergreifende Rechtsfrage von Bedeutung war, die auch für
die Entscheidung im Revisionsverfahren erheblich wäre und deren höchst-
richterliche Klärung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder
zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint
(stRspr, vgl. Beschluss vom 11. August 1999 - BVerwG 11 B 61.98 - Buchholz
310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19).
1. Die von der Klägerin im Zusammenhang mit der Anwendung von § 7 Abs. 1a
BAföG für klärungsbedürftig gehaltenen Fragen
„1a). Ist entgegen dem OVG das Förderungserfordernis in
§ 7 Abs. 1a Nr. 1 BAföG i.d.F. v. 19. März 2001, dass der
Masterstudiengang ‚auf einem Bachelor...studiengang
aufbaut’ erfüllt, wenn der betreffende Masterstudiengang
grundsätzlich nach den allgemeinen Zugangsvorausset-
zungen in der Studienordnung als Aufbaustudiengang auf
einem zugehörigen Bachelorabschluss gleichen Namens
aufbaut (auch wenn im Einzelfall hinsichtlich eines einzel-
nen Studenten die Universität eine Zwischenprüfung, ein
Vordiplom oder Ähnliches als Bachelorabschluss aner-
kannt hat)?
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Kurz: Bezieht sich das Wort ‚aufbaut’ auf den jeweiligen
Studiengang oder auf jeden einzelnen Studenten?
1 b) Ist mit der Auffassung des OVG § 7 Abs. 1a Nr. 2
BAföG i.d.F. v. 19. März 2001 so zu verstehen, dass der
Auszubildende einen Bachelorstudiengang abgeschlossen
haben muss, oder ist die Vorschrift vielmehr systematisch
(und wie gemäß Bundestagsdrucksache 16 / 5172 S. 18
vom Gesetzgeber gewollt) wie folgt zu verstehen?
§ 7 Abs. 1: Grundsatz: Ein Studium ist grundsätzlich nur
bis zum ersten berufsqualifizierenden Abschluss förde-
rungsfähig.
§ 7 Abs. 1a Nr. 2: Ausnahme: Ein dem besuchten Master-
studiengang zugrunde liegender (eventuell erworbener
und nicht durch eine als Bachelor anerkannte Zwischen-
prüfung ersetzter) Bachelorabschluss ist abweichend vom
Grundsatz des Abs. 1 unschädlich.
2. Ist - die Auffassung des OVG zu 1. zur unmittelbaren
Anwendbarkeit zugrundegelegt - eine entsprechende An-
wendung des § 7 Abs. 1a BAföG i.d.F. v. 19. März 2001
nach Bundesrecht oder europarechtlich in den Fällen ge-
boten, in denen vor dem 1. Januar 2008 der Masterstu-
diengang im Rahmen einer Ausbildung nach § 5 Abs. 2
Nr. 1 oder 3 erfolgt und auf einem noch nicht abgeschlos-
senen einstufigen Inlandsstudium aufbaut, das von der
aufnehmenden Hochschule als einem Bachelorabschluss
entsprechend anerkannt wird?“
genügen diesem Erfordernis nicht. Denn sie beziehen sich auf die Anwendung
und Auslegung des § 7 Abs. 1a BAföG in der nach der Rechtsauffassung des
Berufungsgerichts hier maßgeblichen, bis 31. Dezember 2007 geltenden Fas-
sung des Gesetzes vom 19. März 2001 (BGBl I S. 390). Es handelt sich mithin
insoweit um eine Bestimmung des ausgelaufenen Rechts. Die für die Zulassung
wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
erforderliche Bedeutung kommt Rechtsfragen zu Normen des ausgelaufenen
bzw. des auslaufenden Rechts trotz anhängiger Einzelfälle regelmäßig nicht zu;
denn durch die Zulassung könnte keine auch für die Zukunft richtungsweisende
Klärung erreicht werden (vgl. Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B
35.95 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 9). Klärungsbedürftig bleibt
diese Rechtsfrage allerdings ausnahmsweise dann, wenn durch die ausgelau-
fene Regelung noch ein erheblicher, im Einzelnen nicht überschaubarer Perso-
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nenkreis betroffen ist, für den eine Klärung von Bedeutung wäre (vgl. Beschlüs-
se vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 - a.a.O. m.w.N.; vom
22. Dezember 1999 - BVerwG 10 B 6.98 - juris und vom 27. Februar 1997
- BVerwG 5 B 155.96 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 15), wobei
es dem Beschwerdeführer obliegt, konkrete Anhaltspunkte für eine erhebliche
Zahl von Altfällen darzulegen (vgl. Beschlüsse vom 20. Dezember 1995
- BVerwG 6 B 35.95 - a.a.O. und vom 22. Dezember 1999 - BVerwG 10 B
6.98 - juris). Dafür ist nichts ersichtlich oder vorgetragen.
Eine Zulassung der Revision kommt bei auslaufendem Recht zwar auch dann in
Betracht, soweit der außer Kraft getretenen Vorschrift eine gesetzliche Rege-
lung nachgefolgt ist, bei der sich die streitigen Fragen in gleicher Weise stellen
würden. Dies ist hier aber gerade nicht der Fall. Denn mit der zum 1. Januar
2008 in Kraft getretenen Ergänzung des § 7 Abs. 1a BAföG durch Art. 1 Nr. 4a)
bb) des 22. BAföG-Änderungsgesetzes vom 23. Dezember 2007 (BGBl I
S. 3254) hat sich die Gesetzeslage in Bezug auf die hier entscheidungserhebli-
che Frage jedenfalls insoweit geändert, als die strittige Rechtsfrage der Förde-
rungsfähigkeit eines auf einem nicht abgeschlossenen einstufigen Inlandsstu-
dium aufbauenden Masterstudiengangs im EU-Ausland nach § 5 Abs. 2 Nr. 1
oder Nr. 3 BAföG ausdrücklich geregelt wird. Das Berufungsgericht hat diese
Rechtsänderung gerade als Bestätigung seiner Rechtsauffassung herangezo-
gen, indem es ausgeführt hat (UA S. 13):
„Ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfes der
Bundesregierung (BT-Drs. 16/5172, S. 18) soll die Neure-
gelung dem Umstand Rechnung tragen, ‚dass bei der
Fortsetzung eines im Inland begonnenen einstufigen Dip-
lom-, Magister- oder Staatsexamensstudiengangs im EU-
Ausland nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 3 die Studiengän-
ge im Aufenthaltsstaat möglicherweise ausschließlich als
zweistufige Bachelor-MasterStudiengänge angeboten
werden. Dann besteht nach dem Wortlaut der derzeitigen
Regelung des Absatzes 1a keine Förderungsmöglichkeit,
weil der (im Ausland durchgeführte) Masterstudiengang
nicht auf einem abgeschlossenen Bachelorstudiengang
aufbaut.’ Der Gesetzgeber hat mit der von ihm adaptierten
Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung al-
so anerkannt, dass die bestehende Regelung des § 7
Abs. 1a BAföG nach ihrem eindeutigen Wortlaut keine
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Förderung der auch hier zugrunde liegenden Fallkonstel-
lation zulässt und damit zugleich die vom Senat vertretene
Rechtsauffassung bestätigt. Zugleich hat der Gesetzgeber
diese Rechtslage als nicht beabsichtigt erklärt und durch
eine Änderung der gesetzlichen Regelung korrigiert. In-
dem er diese Korrektur (siehe Art. 21 des 22. BAföG-
Änderungsgesetz) in Ansehung des Problems nur mit
Wirkung für die Zukunft vorgenommen hat, hat er zugleich
dokumentiert, dass der bestehende Rechtszustand für die
Vergangenheit hinzunehmen ist.“
Dabei ist für die Frage, ob durch das 22. BAföG-Änderungsgesetz die zu § 7
Abs. 1a Nr. 1 BAföG (i.d.F. v. 19. März 2001) aufgeworfenen Rechtsfragen be-
troffen sind, nicht erheblich und hier nicht zu vertiefen, ob es sich um eine kon-
stitutive - so das Berufungsgericht - oder eine lediglich klarstellende - so die
Klägerin - Gesetzesänderung handelt.
2. Zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechts-
sache führt auch nicht die von der Beschwerde aufgeworfene Frage:
„3. Liegt (abweichend vom OVG aber) in Übereinstim-
mung mit der bisher ganz herrschenden Meinung und der
Verwaltungsanweisung Nr. 7.3.16a zu § 7 Abs. 3 Nr. 2
BAföG - insbesondere vor dem Hintergrund des § 7 Abs. 2
Nr. 3 BAföG - ein unabweisbarer Grund für einen
Fachrichtungswechsel vor, wenn der Fachrichtungswech-
sel unverzüglich nach der Zwischenprüfung in einer Aus-
bildung erfolgt, durch die der Zugang zu einer anderen
Ausbildung eröffnet worden ist?“
Diese Frage würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Denn nach
den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts baute der im Septem-
ber 2004 in den Niederlanden aufgenommene Masterstudiengang auf einem
dreisemestrigen nicht abgeschlossenen Diplomstudium auf, das die Klägerin
unter Anrechnung von Vorstudienleistungen mit dem Erwerb des Vordiploms
am 13. Oktober 2003 beendet hatte. Der Zugang zu diesem Magisterstudien-
gang war zudem erst dadurch eröffnet worden, dass das Zulassungskomitee
der Universität in den Niederlanden nach einer besonderen Prüfung der Kläge-
rin deren bisherige Studienleistungen als ein Äquivalent zum Bachelor-
Abschluss, der grundsätzlich Voraussetzung für den Zugang zum Masterstu-
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diengang an der dortigen Hochschule ist, anerkannt hatte. Zugangseröffnende
Wirkung hatte damit nicht die Zwischenprüfung, sondern eine gesonderte An-
erkennungsentscheidung.
Soweit die aufgeworfene Frage Bezug nimmt auf den Hintergrund des § 7
Abs. 2 Nr. 3 BAföG, ist zudem darauf hinzuweisen, dass nach der das Beru-
fungsurteil insoweit selbständig tragenden, mit der Nichtzulassungsbeschwerde
nicht angegriffenen Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts der Kläge-
rin Leistungen der Ausbildungsförderung auch nicht auf der Grundlage des § 7
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BAföG gewährt werden können, da § 7 Abs. 1a BAföG im
Verhältnis zum Absatz 2 dieser Vorschrift eine abschließende Sonderregelung
darstelle, die eine Gewährung von Förderungsleistungen nach Absatz 2 von
vornherein ausschließe.
Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, ob sich in Bezug auf die Frage, in wel-
chem Verhältnis § 7 Abs. 1a, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 3 Satz 1 BAföG in
Fällen stehen, in denen der Zugang zu einem Masterstudiengang durch Stu-
dienleistungen in einem einstufigen Studiengang bewirkt worden ist, Rechtsfra-
gen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO stellen.
Dies gilt auch für die Frage, ob - unter Zurückstellung des von dem Berufungs-
gericht mit jedenfalls beachtlichen systematischen Gründen angenommenen
Vorrangs des § 7 Abs. 1a BAföG beim Übergang in einen Masterstudiengang -
in Fällen, in denen ein Fachrichtungswechsel in eine weitere Ausbildung bereits
nach einer Zwischenprüfung erfolgt, jedenfalls dann ein im Sinne des § 7 Abs. 3
Satz 1 Nr. 2 BAföG „unabweisbarer“ Grund vorliegt, wenn die erste Ausbildung
sogar berufsqualifizierend abgeschlossen werden könnte, ohne den
Förderungsanspruch nach § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BAföG zu gefährden (s. etwa
Tz. 7.3.16a Satz 6 BAföGVwV; Humborg, in: Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl.,
Stand Mai 2009, § 7 Rn. 43.2, der allerdings ausführt, dass „der Verwaltungs-
praxis die gesetzliche Absicherung fehlt“). Keiner grundsätzlichen Klärung be-
darf jedenfalls, dass der methodische Ansatz des Berufungsgerichts zutreffend
ist, dass eine Verwaltungsvorschrift keine gesetzesderogierende Kraft hat und
die Gerichte nicht bindet, wenn und soweit sie mit dem Gesetz nicht in Einklang
steht; auch Art. 3 Abs. 1 GG gewährte keinen Anspruch auf Gleichheit im Un-
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recht (s. etwa Urteil vom 13. April 2005 - BVerwG 6 C 5.04 - Buchholz 402.5
WaffG Nr. 91).
3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskosten-
freiheit folgt aus § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.
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Prof. Dr. Berlit
Dr. Störmer
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