Urteil des BVerwG vom 14.06.2004

Treu Und Glauben, Aufklärungspflicht, Fahrtkosten, Pflege

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 62.03
VGH 7 S 482/01
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. Juni 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. R o t h k e g e l und
Prof. Dr. B e r l i t
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-
Württemberg vom 9. Mai 2003 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
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Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 31 155,11 € (entspricht 60 934,10 DM) festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwal-
tungsgerichtshofs ist nicht begründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe lie-
gen nicht vor.
1. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Beschwerde beigemessene grundsätzli-
che Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
a) Die von der Beschwerde aufgeworfenen "Fragen zur Auslegung des aus Treu und
Glauben abgeleiteten und im Rahmen der §§ 107, 111 BSHG zu beachtenden Inte-
ressenwahrungsgrundsatzes …, insbesondere die Frage, inwieweit nach Einführung
der Pflegeversicherung im Jahr 1995 die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit, Spar-
samkeit und Leistungsfähigkeit … und ökonomische Erwägungen auch im BSHG
verstärkt zu berücksichtigen sind", bzw. die "Frage nach der Berücksichtigung
marktwirtschaftlicher Aspekte bei der Auslegung des Interessenwahrungsgrundsat-
zes" sind schon deswegen nicht von grundsätzlicher Bedeutung und damit nicht revi-
sionsgerichtlich klärungsbedürftig, weil sie sich im Revisionsverfahren nicht stellen
würden: Das Berufungsgericht hat diese Fragen der Sache nach nicht verneint, son-
dern hat nach denselben Maßstäben wie schon das Verwaltungsgericht in seinem
klageabweisenden Urteil (vgl. S. 10 des Berufungsurteils und S. 6 des erstinstanzli-
chen Urteils) ausgehend von der Geltung des Interessenwahrungsgrundsatzes und
der Dispositionsbefugnis des Hilfe gewährenden Trägers bei seiner eigenverantwort-
lichen Aufgabenerfüllung Einzelfall bezogen geprüft, ob die von der Klägerin finanziell
getragene Pflege und Betreuung des Hilfeempfängers sich im Rahmen dieser
Befugnis gehalten hat. In diesem Zusammenhang hat das Berufungsgericht die Kos-
ten der Leistungen von ASB und DRK miteinander verglichen und ist es zu dem Er-
gebnis gelangt, dass die entstandenen Kosten den gesetzlichen Rahmen der Ange-
messenheit nicht überschritten (s. S. 14 oben des Berufungsurteils). Mit dem - zu-
treffenden - Hinweis, dass der Interessenwahrungsgrundsatz die Klägerin nicht ver-
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pflichtet habe, bei der Auswahl der in Betracht kommenden Pflegeleistungen nur sol-
che Maßnahmen zu bewilligen, die die geringsten Kosten verursachen, sondern dass
im Rahmen einer wertenden Betrachtungsweise auch die Umstände des Einzelfalles
und das Wunschrecht des Hilfeempfängers zu berücksichtigen seien (vgl. S. 14 des
Berufungsurteils), hat der Verwaltungsgerichtshof nicht zum Ausdruck gebracht, dass
es hierbei nicht (auch) auf Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und
Leistungsfähigkeit ankomme. Einen grundsätzlichen Meinungsunterschied, zu dem
durch eine Revisionsentscheidung insoweit eine Klärung herbeigeführt werden
könnte, zeigt die Beschwerde dementsprechend auch nicht auf (§ 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO); insbesondere hat sie nicht erneut den - sowohl von der Vorinstanz als auch
vom Verwaltungsgericht (a.a.O.) abgelehnten - Rechtsstandpunkt eingenommen und
als klärungsbedürftig dargestellt, dass der erstattungspflichtige Sozialhilfeträger von
dem Hilfe gewährenden Träger wegen des Interessenwahrungsgrundsatzes
s t ä n d i g Rechenschaft über die erbrachten Hilfeleistungen verlangen könne; die
Unrichtigkeit eines solchen Rechtsstandpunkts liegt im Übrigen auf der Hand, so
dass er schon deswegen nicht in einem Revisionsverfahren zu überprüfen wäre.
b) Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang "die Frage nach den Anforde-
rungen an die Aufklärungspflicht des begehrenden Trägers" aufwirft, ist auch damit
rechtsgrundsätzliche Bedeutung nicht verbunden. Die Beschwerde beanstandet das
vom Berufungsgericht anders als vom Verwaltungsgericht gewonnene "Ergebnis,
dass der erstattungspflichtige Träger den … Interessenwahrungsgrundsatz nicht ver-
letzt, wenn er dem Verlangen zur Offenlegung einer schlüssigen und nachvollziehba-
ren Kostenberechnung nicht nachkommt". Der Verwaltungsgerichtshof ist zu diesem
Ergebnis aber nicht etwa deshalb gelangt, weil er eine solche Offenlegungspflicht
generell verneint hätte, sondern weil er in Würdigung des konkreten Sachverhalts
"die vom Beklagten errechneten niedrigen Kosten" mit den besonderen Umständen
des vorliegenden Falles erklärt und nicht als für den Kostenvergleich maßgeblich
anerkannt hat (vgl. S. 12 f. des Berufungsurteils). Für diese Beurteilung waren so-
nach die Umstände des Einzelfalles entscheidend; sie beruht damit nicht auf Erwä-
gungen, deren Berechtigung sich ohne Rücksicht auf die Einzelfallumstände in
rechtsgrundsätzlicher Hinsicht beurteilen ließe.
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2. Dem angegriffenen Urteil haftet auch nicht der von der Beschwerde behauptete
Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) an.
a) Es ist nicht festzustellen, dass - wie die Beschwerde vorträgt - "das Gericht … von
einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen (ist) und damit zugleich seine Auf-
klärungs- und Hinweispflichten aus § 86 VwGO verletzt" hat. Insoweit rügt die Be-
schwerde eine fehlerhafte Würdigung des Sachverhalts (z.B. die Annahme eines
Zeitaufwandes für die Rund-um-die-Uhr-Pflege von 24 statt 17 Stunden, die Annah-
me eines unnötig hohen Aufwandes an Fahrtkosten und die Berücksichtigung nicht
nachgewiesener Unterkunftskosten). Es stellt aber keinen Verfahrensfehler dar,
wenn das Gericht bei der Sachverhaltswürdigung (z.B. bei der Beurteilung der Erfor-
derlichkeit bestimmter Kostenaufwendungen, der Vergleichbarkeit oder Nichtver-
gleichbarkeit von Leistungen unterschiedlicher Pflegedienste, des Umfangs der zu
berücksichtigenden, weil nicht durch Leistungen der gesetzlichen Krankenversiche-
rung gedeckten Kosten usw.) zu von der Beschwerde nicht geteilten Schlussfolge-
rungen gelangt.
b) Soweit die Beschwerde rügt, "das erkennende Gericht … hätte den Beklagten im
Rahmen seiner Hinweis- und Aufklärungspflicht auf seine Interpretation der Punkte
zeitlicher Betreuungs- und Pflegeaufwand, Fahrtkosten und Zusatzleistungen hin-
weisen müssen" und habe durch das Unterlassen das rechtliche Gehör verletzt, geht
der Beschwerdevortrag von überzogenen Anforderungen an die aus § 108 Abs. 2
VwGO folgende Pflicht des Gerichts aus, sein Urteil nur auf Tatsachen und Beweis-
ergebnisse zu stützen, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Zu dieser
Pflicht gehört es nicht, die Verfahrensbeteiligten auf den Inhalt und das Ergebnis der
Würdigung eines Sachverhalts hinzuweisen, der Prozessgegenstand war und zu
dem die Verfahrensbeteiligten sich deshalb haben äußern können. Dafür, dass die
Tatsachen, an die das Berufungsgericht bei der Sachverhaltswürdigung angeknüpft
hat, nicht ordnungsgemäß in den Rechtsstreit eingeführt worden wären oder die ge-
troffene Entscheidung als Überraschungsentscheidung zu werten wäre, trägt die Be-
schwerde Hinreichendes nicht vor.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Wertes
des Streitgegenstandes auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 14 GKG.
Dr. Säcker
Dr. Rothkegel
Prof. Dr. Berlit