Urteil des BVerwG vom 17.02.2015

Jugendhilfe, Schulpflicht, Form, Jugendlicher

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 61.14
OVG 12 A 3019/11
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. Februar 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Harms
beschlossen:
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. August 2014
wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
G r ü n d e :
1. Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat
keinen Erfolg.
Danach kommt einer Rechtssache grundsätzliche Bedeutung nur zu, wenn sie
eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen
Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und Fortbildung des Rechts revisi-
onsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichter-
lich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechts-
frage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allge-
meine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde
muss erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung ei-
ner bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechts-
frage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom
19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14).
Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägun-
gen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeb-
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lich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 4. April 2012 - 5 B 58.11 - juris Rn. 2 m.w.N.). Nach
der Zielsetzung des Revisionszulassungsrechts ist Voraussetzung für die Zu-
lassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, dass der im Rechts-
streit vorhandene Problemgehalt einer Klärung gerade durch die höchstrichterli-
che Entscheidung bedarf. Dies ist dann nicht der Fall, wenn sich die aufgewor-
fene Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung
und/oder mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation
und auf dieser Grundlage ohne Weiteres beantworten lässt (stRspr, vgl.
BVerwG, Beschluss vom 8. Juni 2006 - 6 B 22.06 - Buchholz 442.066 § 78 TKG
Nr. 1 Rn. 7 m.w.N.). An den vorstehenden Grundsätzen gemessen kommt die
Zulassung der Revision nicht in Betracht.
a) Grundsätzlichen Klärungsbedarf sieht die Beschwerde zunächst im Hinblick
auf die Frage, ob die Übernahme der Kosten für den Besuch einer Privatschule
eine Leistung der Eingliederungshilfe in der Form der Hilfe zu einer angemes-
senen Schulbildung im Sinne des § 35a Abs. 3 des Sozialgesetzbuches Achtes
Buch - Kinder- und Jugendhilfe - i.d.F. der Bekanntmachung vom 14. Dezember
2006 (BGBl. I S. 3134) i.V.m. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Sozialgesetzbuches
Zwölftes Buch i.d.F. des Gesetzes vom 30. Juli 2009 (BGBl. I S. 2495) sein
kann.
Diese Frage ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits
geklärt. Leistungen der Eingliederungshilfe umfassen auch Hilfen zu einer an-
gemessenen Schulbildung, vor allem im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht,
ohne dass insoweit eine Altersgrenze genannt ist. Diese Hilfen schließen Maß-
nahmen zu Gunsten behinderter Kinder und Jugendlicher ein, sofern diese
Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem jungen Menschen den Schul-
besuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu er-
leichtern (BVerwG, Urteile vom 30. April 1992 - 5 C 1.88 - Buchholz 436.0 § 40
BSHG Nr. 12 S. 6, vom 26. Oktober 2007 - 5 C 35.06 - BVerwGE 130, 1
und - 5 C 34.06 - juris, jeweils Rn. 16,
und vom 18. Oktober 2012 - 5 C 21.11 -
BVerwGE 145, 1 Rn. 17). Allerdings obliegt die Bereitstellung der räumlichen,
sächlichen, personellen und finanziellen Mittel für die Erlangung einer ange-
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messenen, den Besuch weiterführender Schulen einschließenden Schulbildung
auch solcher Kinder und Jugendlicher, deren seelische Behinderung festgestellt
ist oder die von einer solchen bedroht sind, grundsätzlich nicht dem Träger der
Kinder- und Jugendhilfe, sondern dem Träger der Schulverwaltung. Da die
Schulgeldfreiheit in Verbindung mit der Schulpflicht eine Leistung der staatli-
chen Daseinsvorsorge darstellt und aus übergreifenden bildungs- und sozialpo-
litischen Gründen eine eigenständige (landesrechtliche) Regelung außerhalb
des Sozialgesetzbuches gefunden hat, ist grundsätzlich für einen gegen den
Träger der Kinder- und Jugendhilfe gerichteten Rechtsanspruch auf Übernahme
der für den Besuch einer Privatschule anfallenden Aufwendungen (Aufnahme-
beitrag, Schulgeld etc.) kein Raum (vgl. zu einem entsprechenden Anspruch
gegen den Träger der Sozialhilfe BVerwG, Urteil vom 13. August 1992 - 5 C
70.88 - Buchholz 436.0 § 11 BSHG Nr. 16 S. 5; vgl. ferner BVerwG, Urteil vom
18. Oktober 2012 - 5 C 21.11 - BVerwGE 145, 1 Rn. 37). Ausnahmen von die-
sem durch das Verhältnis der Spezialität geprägten Grundsatz sind nur für den
Fall in Betracht zu nehmen, dass auch unter Einsatz unterstützender Maßnah-
men keine Möglichkeit besteht, den Hilfebedarf des jungen Menschen im Rah-
men des öffentlichen Schulsystems zu decken, mithin diesem der Besuch einer
öffentlichen Schule aus objektiven oder aus schwerwiegenden subjektiven (per-
sönlichen) Gründen unmöglich bzw. unzumutbar ist. Maßstab für die Unzumut-
barkeit ist die Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe, die Entwicklung junger
Menschen zu fördern (§ 8 Satz 2 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch i.d.F.
des Gesetzes vom 26. Juni 1990 ) (vgl. BVerwG, Urteil vom
13. August 1992 - 5 C 70.88 - Buchholz 436.0 § 11 BSHG Nr. 16 S. 5 und Be-
schluss vom 2. September 2003 - 5 B 259.02 - juris Rn. 17; vgl. ferner Urteil
vom 18. Oktober 2012 - 5 C 21.11 - BVerwGE 145, 1 Rn. 39).
An diese Rechtsprechung, die für die vormals einheitlich geregelte Eingliede-
rungshilfe im Sinne der §§ 39 f. des Bundessozialhilfegesetzes entwickelt wor-
den ist und die somit bereits seinerzeit auch auf seelisch behinderte Kinder und
Jugendliche Anwendung fand, hat das nunmehr für das Sozialhilferecht zustän-
dige Bundessozialgericht ausdrücklich angeknüpft (BSG, Urteil vom
15. November 2012 - B 8 SO 10/11 R - BSGE 112, 196 Rn. 16 f.).
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Weitergehenden rechtsgrundsätzlichen, das heißt, nicht einzelfallbezogenen
Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Die Anwendung dieser
Grundsätze auf eine bestimmte Fallgestaltung, so auf die Frage, ob es der Klä-
gerin möglich und zumutbar gewesen wäre, eine öffentliche weiterführende
Schule zu besuchen, betrifft keine überhinausgehende Rechts-
frsich deshalb einer rechtsgrundsätzlichen Klärung in einem
Revisionsverfahren.
b) Die Beschwerde sieht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache des
Weiteren in der sinngemäß aufgeworfenen Frage, ob der Träger der öffentli-
chen Jugendhilfe im Zuge der Entscheidung über die Übernahme der Kosten
einer Privatbeschulung im Wege der Gewährung von Eingliederungshilfe in der
Form der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung verpflichtet ist, nicht nur
den schulischen Hilfebedarf eines von seelischer Behinderung betroffenen Kin-
des umfassend festzustellen, sondern diesem auch einen geeigneten Platz zur
Beschulung im Rahmen des Regelschulsystems nachzuweisen.
Die Revision kann aber nicht im Hinblick auf eine Rechtsfrage, die sich - wie
hier - nur stellen könnte, wenn von einem anderen als dem vom Berufungsge-
richt gembindend festgestellten Sachverhalt ausgegan-
gen wird, nacwegen grundsätzlicher Bedeutung zu-
gelassen werden (BVerwG, Beschluss vom 8. Juni 2010 - 5 B 52.09 - EuG
2011, 100 <102> = juris Rn. 7).
Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage würde sich nach den bindenden
(§ 137 Abs. 2 VwGO) tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsge-
richts und dessen differenzierter Würdigung der konkreten Hilfeplanung in dem
angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Sie knüpft an die Annahme des
Oberverwaltungsgerichts an, die Beklagte habe bei ihrer Hilfeplanung und der
hierauf gestützten Ablehnung der selbst beschafften Leistung die Grenzen fach-
licher Vertretbarkeit überschritten. Ihr Hilfekonzept, das dem Bescheid vom
28. Juli 2010 zugrunde gelegen habe, habe keine angemessene Lösung zur
Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthalten. Denn es habe
sich aufgedrängt, dass die jugendhilferechtliche Bedarfslage der Klägerin nur
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unzureichend erfasst und abgearbeitet worden sei (UA S. 23). Die Deckung des
Bedarfs im Sinne des § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII habe keinen zeitlichen
Aufschub mehr geduldet, da es der Klägerin mit Blick auf den absehbar anste-
henden Wechsel auf eine weiterführende Schule angesichts ihrer festgestellten
Beeinträchtigungslage und der drohenden Gefahr einer Verfestigung und Ver-
schlimmerung nicht zuzumuten gewesen sei, sich zunächst auf eine weitere
Beschulung an einer Regelschule einzulassen, nachdem die Beklagte im Rah-
men ihrer Hilfeplanung nicht aufzuzeigen vermocht habe, dass dieser Weg zu
einer adäquaten Bedarfsdeckung führe (UA S. 28). Von den dieser Beweiswür-
digung zugrunde liegenden Tatsachenfeststellungen wäre in einem Revisions-
verfahren auszugehen, da sie von der Beschwerde nicht mit zulässigen und
begründeten Verfahrensrügen angegriffen worden sind. Mithin wäre in einem
Revisionsverfahren die hier in Rede stehende Frage von angeblich grundsätzli-
cher Bedeutung in ihrer Allgemeinheit nicht entscheidungserheblich.
2. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskosten-
freiheit folgt aus § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.
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