Urteil des BVerwG vom 08.10.2013

Jugendamt, Verhaltenstherapie, Legasthenie, Jugendhilfe

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 58.13
VGH 12 B 13.129
In der Verwaltungsstreitsache
- 2 -
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. Oktober 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler und Dr. Fleuß
beschlossen:
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 15. Mai 2013 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
1. Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen
Erfolg.
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für
die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen
Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts
revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchst-
richterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen
Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die
allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (vgl.
Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 26 S. 14). Daran gemessen ist der Beschwerde kein Erfolg
beschieden.
Die Beklagte möchte die Frage beantwortet wissen, „wie weit die Steuerungs-
verantwortung des örtlichen Trägers der Jugendhilfe reicht“. Durch die Ent-
scheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Oktober 2012 (BVerwG 5 C
21.11 - BVerwGE 145, 1) sei diese Rechtsfrage nicht umfassend geklärt wor-
1
2
3
- 3 -
den. Die Steuerungskompetenz des Jugendhilfeträgers nach § 36a Abs. 1
Satz 1 SGB VIII sei vom Berufungsgericht auch nicht hinreichend beachtet wor-
den. Der vorliegende Fall unterscheide sich insbesondere dadurch von dem
vom Revisionsgericht entschiedenen Sachverhalt, dass die Eignung der selbst-
beschafften Teilmaßnahme (Legasthenie-Therapie) von der Beklagten aus
nachvollziehbaren fachlichen Gründen (Vorrangigkeit einer Verhaltenstherapie)
abgelehnt worden sei. Das Berufungsgericht habe die fachliche Begründung
der Beklagten nicht berücksichtigt, dass zunächst die eine Maßnahme (Verhal-
tenstherapie) erfolgreich bewältigt sein müsse, bevor die nächste Maßnahme
(Legasthenie-Therapie) sinnvollerweise und gewinnbringend greifen könne.
Mit der Frage nach der Steuerungsverantwortung wird keine konkrete Frage mit
grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die von der Beklagten formulierte Fra-
ge ist in ihrer Allgemeinheit in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig.
Es wird auch nicht aufgezeigt, inwieweit bei der Auslegung des § 36a Abs. 1
SGB VIII ein zusätzlicher rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf besteht. Nach
der Rechtsprechung des Senats ist die gerichtliche Kontrolldichte auf Grund der
aus § 36a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII folgenden Steuerungsverantwortung des Ju-
gendhilfeträgers beschränkt. Nach dieser Vorschrift trägt der Träger der öffentli-
chen Jugendhilfe die Kosten der Hilfe grundsätzlich nur dann, wenn sie auf der
Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung
des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird. Der Vorschrift liegt der Gedanke zu
Grunde, dass es nicht dem gesetzlichen Auftrag des Jugendhilfeträgers ent-
spricht, nur „Zahlstelle“ und nicht Leistungsträger zu sein (Urteil vom 18. Okto-
ber 2012 a.a.O. Rn. 31). Dementsprechend ist auch bei der Selbstbeschaffung
einer aus fachlichen Gründen abgelehnten bzw. vom Hilfeplan ausgeschlosse-
nen Leistung im Hinblick auf § 36a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zu prüfen, ob der
vom Jugendamt aufgestellte Hilfeplan (bzw. das Hilfekonzept) verfahrensfehler-
frei zustande gekommen, nicht von sachfremden Erwägungen beeinflusst und
fachlich vertretbar ist. Diese Prüfung erstreckt sich dabei nicht auf eine reine
Ergebniskontrolle, sondern erfasst auch die von der Behörde - maßgeblich ist
die letzte Behördenentscheidung - gegebene Begründung. Denn diese muss für
den Betroffenen nachvollziehbar sein, um ihn in die Lage zu versetzen, mittels
4
5
- 4 -
einer Prognose selbst darüber zu entscheiden, ob eine Selbstbeschaffung
(dennoch) gerechtfertigt ist. Hat das Jugendamt die begehrte Hilfe aus im vor-
genannten Sinne vertretbaren Erwägungen abgelehnt, besteht weder ein An-
spruch des Betroffenen auf die begehrte Eingliederungshilfeleistung noch auf
den Ersatz von Aufwendungen für eine selbst beschaffte Hilfe (Urteil vom
18. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 33).
Ob das Jugendamt im vorliegenden Einzelfall - wie die Beklagte annimmt - die
beantragte Hilfe aus vertretbaren Gründen abgelehnt hat oder nicht, ist keine
Frage von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung. Das Berufungsgericht hat seine
Entscheidung an den oben genannten Rechtsgrundsätzen ausgerichtet (UA
Rn. 26 f.), im vorliegenden Fall aber angenommen, dass keine fachlich vertret-
bare Ablehnungsentscheidung vorgelegen hat (UA Rn. 32). Diese Einschätzung
wird maßgeblich damit begründet, dass die Annahme einer Vorrangigkeit der
Verhaltenstherapie im Fall des Klägers in den Sachverständigengutachten vom
6. Oktober 2008 und vom 6. Oktober 2010 keine Stütze finde und dass die Aus-
führungen der Lehrkräfte in den Schulfragebögen vom 22. Juli 2007 und
17. Dezember 2008 die dringende Notwendigkeit der (sofortigen) Durchführung
einer Legasthenie-Therapie belegten (UA Rn. 30). Soweit die Beklagte diese
vorwiegend tatrichterliche Würdigung angreift und eine unzureichende Berück-
sichtigung ihrer fachlichen Argumente bemängelt, wird jedenfalls kein rechts-
grundsätzlicher Klärungsbedarf aufgezeigt. Auf die unrichtige Anwendung in der
Rechtsprechung geklärter Grundsätze kann eine Grundsatzrüge jedoch nicht
gestützt werden (vgl. Beschluss vom 3. Juli 2013 - BVerwG 5 B 66.12 - juris
Rn. 6).
2. Von einer weiteren Begründung wird nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2
VwGO abgesehen.
3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Vormeier
Dr. Häußler
Dr. Fleuß
6
7
8