Urteil des BVerwG vom 23.07.2004

Besondere Härte, Ausreise, Überprüfung, Klagebegehren

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 58.03
OVG 14 A 1149/02
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Juli 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. R o t h k e g e l und
Prof. Dr. B e r l i t
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für
das Land Nordrhein-Westfalen vom 17. April 2003 wird zurück-
gewiesen.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren 8 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des
Oberverwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.
1. Der Beschwerde der Klägerin zu 2 kann schon deswegen nicht stattgegeben wer-
den, weil ihre Revision bereits daran scheitern müsste, dass das Urteil des Verwal-
tungsgerichts, soweit es die Klage (der Klägerin zu 2) abgewiesen hat, rechtskräftig
ist; denn in die Berufung ist - infolge der Berufung der Beklagten - nur das Klagebe-
gehren der Klägerin zu 1 gelangt, dem das Verwaltungsgericht entsprochen hat. Der
von den Klägerinnen angegriffene Beschluss des Oberverwaltungsgerichts müsste
darum gegenüber der Klägerin zu 2 in jedem Fall Bestand haben (vgl. § 144 Abs. 4
VwGO).
2. Die Beschwerde der Klägerin zu 1 ist unbegründet.
a) Der Rechtssache kommt die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzli-
che Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht zu.
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Die Beschwerde hält die Frage für klärungsbedürftig, "ob die in § 27 Abs. 2 BVFG
(a.F. und n.F.) normierte 'besondere Härte' bei einem Antragsteller im Zeitpunkt der
Antragstellung vorliegen muss oder bezogen auf den Zeitpunkt des (endgültigen)
Verlassens des Aussiedlungsgebiets gegeben sein muss". Es kann dahinstehen, ob
diese Frage nicht schon durch das Urteil des Senats vom 22. November 2001
- BVerwG 5 C 31.00 - (BVerwGE 115, 249 <250>) - in einem dem Rechtsstandpunkt
der Beschwerde entgegengesetzten Sinne - geklärt ist, wonach nach dem Verlassen
des Aussiedlungsgebietes eingetretene Umstände "wie z.B. der Wegfall des Härte-
grundes" nicht unberücksichtigt zu bleiben haben, "wenn die Erteilung des Aufnah-
mebescheides … bis dahin nicht erfolgt ist". Der von der Beschwerde aufgeworfenen
Frage kommt in ihrer Allgemeinheit hier eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne re-
visionsgerichtlicher Klärungsbedürftigkeit jedenfalls deshalb nicht zu, weil die Beru-
fungsentscheidung tragend auf den Gesichtspunkt gestützt ist, dass "Härtegründe,
die zu keinem Zeitpunkt während des Betreibens des Aufnahmeverfahrens von Be-
deutung sind, (es) nicht rechtfertigen, von der grundsätzlich normierten Wohnsitzan-
forderung des § 27 Abs. 1 BVFG abzuweichen", und dieser Rechtsstandpunkt zu-
mindest bei einer Fallgestaltung, wie sie hier vorliegt, so offensichtlich zutreffend ist,
dass seine Überprüfung nicht einem Revisionsverfahren vorbehalten bleiben muss.
Es liegt auf der Hand, dass mit Härtegesichtspunkten, die - nach den gemäß § 137
Abs. 2 VwGO verbindlichen Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz - bei der über
vier Jahre nach dem endgültigen Verlassen des Aussiedlungsgebietes erfolgten Ein-
leitung des Verfahrens über die Erteilung eines Aufnahmebescheides auf dem Här-
teweg bereits seit länger als einem Jahr entfallen waren (und für die es im Zeitpunkt
der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung auch keine Anhaltspunkte gibt, dass
sie in absehbarer Zeit wiederkehren könnten), eine "Härte" im Sinne von § 27 Abs. 2
BVFG nicht begründet werden kann.
b) Die Revision kann auch nicht wegen der von der Beschwerde behaupteten Diver-
genz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zugelassen werden.
Hier kann offen bleiben, ob die Beschwerde sich auf das Urteil des Bundesverwal-
tungsgerichts vom 19. April 1994 - BVerwG 9 C 343.93 - (DVBl 1994, 938), wonach
die Frage, ob eine besondere Härte vorliegt, sich nach dem Zeitpunkt des Verlassens
des Aussiedlungsgebietes richte, nach dem Ergehen des genannten Urteils vom
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22. November 2001 noch berufen kann; denn der die Berufungsentscheidung
tragende rechtliche Gesichtspunkt, dass zwischen dem Härtegrund und der Stellung
eines Aufnahmeantrags nach Verlassen des Herkunftsgebietes ein gewisser (auch)
zeitlicher Zusammenhang bestehen muss, hindert nicht, für die Frage, ob eine "be-
sondere Härte" im Sinne des Gesetzes vorliegt, generell auf den Zeitpunkt der Aus-
reise aus dem Herkunftsgebiet abzustellen, sondern trifft eine (daran anknüpfende,
weitergehende) Aussage darüber, unter welchen Voraussetzungen im Zeitpunkt der
Ausreise bestehende Härtegründe rechtsunbeachtlich werden können. Im Übrigen
hat der Senat durch Urteil vom 18. November 1999 - BVerwG 5 C 3.99 - (BVerwGE
110, 99 <104>) - wenn auch in Bezug auf "Umstände, die eine Rückkehr in das Aus-
siedlungsgebiet zum Zwecke der Durchführung des regulären Aufnahmeverfahrens
in hohem Maße unzumutbar machen" - entschieden, dass "auch Raum für die Be-
rücksichtigung nach dem Verlassen des Vertreibungsgebietes eingetretener Um-
stände (verbleibe)", und in seinem Urteil vom 22. April 2004 - BVerwG 5 C 27.02 - an
der Rechtsprechung, soweit ihr entnommen werden könnte, es komme bei Klagen
auf Erteilung eines Aufnahmebescheides nach § 27 Abs. 2 BVFG entgegen den für
Verpflichtungsklagen sonst geltenden Grundsätzen auf eine zu einem früheren Zeit-
punkt als den der mündlichen (Berufungs-)Verhandlung bestehende Rechtslage an,
nicht festgehalten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung
auf § 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 GKG a.F. i.V.m. § 72 GKG in der Fassung des Kosten-
rechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl I S. 718).
Dr. Säcker Dr. Rothkegel Prof. Dr. Berlit