Urteil des BVerwG vom 12.07.2005

Wohl des Kindes, Defizit, Behinderung, Jugendhilfe

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 56.05
VGH 9 S 2633/03
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Juli 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. S ä c k e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. F r a n k e
und Prof. Dr. B e r l i t
beschlossen:
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Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-
Württemberg vom 6. April 2005 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
G r ü n d e :
Die auf Zulassung der Revision gerichtete Beschwerde ist nicht begründet.
Die Revision ist nicht nach §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen der allein geltend
gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Die von der
Beschwerde aufgeworfene Frage,
ob für den Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nach § 27 SGB VIII "entscheidend
sei, ob generell eine Defizitsituation vorliege, dass heiße, ob das, was für die
Sozialisation, Ausbildung und Erziehung des Kindes oder Jugendlichen
erforderlich ist, tatsächlich vorhanden sei" oder ob "bei der Prüfung der Frage,
ob eine erzieherische Mangelsituation gegeben sei, (...) ausschließlich darauf
abzustellen (sei), ob ein objektiver Ausfall von Erziehungsleistungen der Eltern
vorliege",
rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht.
Es folgt unmittelbar aus dem Gesetz und bedarf keiner Klärung erst in einem Revisi-
onsverfahren, dass die Voraussetzung für den Anspruch eines Personensorgebe-
rechtigten auf Hilfe zur Erziehung (§ 27 Abs. 1 SGB VIII), dass "eine dem Wohl des
Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und
die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist", nur bei einem gerade
erzieherischen Bedarf infolge einer erzieherischen Mangelsituation gegeben ist und
hierfür nicht jede beliebige Mangelsituation im Sozialisationsumfeld eines Kindes
oder eines Jugendlichen, namentlich nicht eine im schulischen Leistungsbereich,
ausreicht (s.a. Kunkel, in: LPK SGB VIII, 2. Aufl., § 27 Rn. 2; Schellhorn, in
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Schellhorn , SBG VIII; § 27 Rn. 19). Die Hilfe zur Erziehung ist eine die elter-
liche Erziehung ergänzende und unterstützende, diese notfalls auch ersetzende Hilfe
und steht deswegen nach § 27 SGB VIII dem Personensorgeberechtigten (nicht dem
Kind bzw. dem Jugendlichen selbst) zu. Dass der gerade erzieherische Bedarf we-
sentliche Leistungsvoraussetzung der Hilfe zur Erziehung ist, bestätigt nicht zuletzt
die Rechtsprechung des Senats zur sog. wirtschaftlichen Jugendhilfe (BVerwGE 52,
214; 67, 256).
In Bezug auf die strittige Hilfegewährung durch Übernahme der Kosten einer Lese-
und Rechtschreibförderung hat das Berufungsgericht auch zutreffend darauf hinge-
wiesen, dass der Gesetzgeber mit der Schaffung eines neuen Leistungstatbestandes
der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche in § 35a
SGB VIII gerade dem Umstand hat Rechnung tragen wollen, dass einer seelischen
Behinderung nicht in jedem Fall ein erzieherisches Defizit zugrunde liege (Beru-
fungsurteil S. 10 ). Soweit das Beru-
fungsgericht eine erzieherische Mangelsituation und damit einen jugendhilferechtli-
chen Bedarf gerade auf Hilfe zur Erziehung vorliegend verneint hat, betrifft dies die
grundsätzlicher Klärung nicht zugängliche einzelfallbezogene Feststellung und Wür-
digung des Sachverhalts.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden ge-
mäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.
Dr. Säcker Dr. Franke Prof. Dr. Berlit