Urteil des BVerwG vom 12.10.2009

Kurswert, Sicherheit, Hund, Treuhandverhältnis

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 55.09
OVG 2 A 877/06
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Oktober 2009
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
für das Land Nordrhein-Westfalen vom 30. Juni 2009 wird
zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeu-
tung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Grundsätzlich
bedeutsam i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur dann,
wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchst-
richterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde
liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen Rechtsfrage des re-
visiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. Dies trifft auf keine der
vom Kläger aufgeworfenen Grundsatzfragen zu.
1.1 Soweit der Kläger geltend macht, der vom Berufungsgericht für die Bewer-
tung der als Vermögen berücksichtigten Wertpapiere herangezogene Bewer-
tungszeitpunkt stehe mit dem Gesetz in der heranzuziehenden Fassung nicht
im Einklang, das allein auf den „Kurswert am 31. Dezember des Jahres vor der
Antragstellung“ abstelle, wird im Kern eine fehlerhafte Rechtsanwendung gel-
tend gemacht.
Die Frage,
„ob eine Stichtagsregelung ohne gesetzliche Grundlage
aus der - angeblichen - Natur der Sache heraus geändert
werden kann oder nicht“,
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stellt sich in dieser Allgemeinheit schon nicht. Denn das Berufungsgericht hat
auf den Anschaffungszeitpunkt nur deswegen abgestellt, weil es sich bei den
hier zu bewertenden Wertpapieren um eine Neuemission aus dem Jahr 2000
gehandelt hat, für die am 31. Dezember 1999, dem Ende des der Antragstel-
lung vorangehenden Jahres, ein Kurswert nicht festzustellen war, und hat ledig-
lich für diesen, von der von § 28 Abs. 2 BAföG (a.F.) zur erleichterten Wertfest-
stellung geschaffenen Bewertung nicht erfassten Einzelfall einen abweichenden
Wertstichtag angenommen.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 14. Mai
2009 - BVerwG 5 C 14.08 - juris), die zwar der Kläger, noch nicht aber das Be-
rufungsgericht zur Kenntnis nehmen konnte, ist überdies geklärt, dass § 28
Abs. 2 Halbs. 2 BAföG (a.F.), nach dem bei der Bewertung von Vermögen des
Auszubildenden bei Wertpapieren der Kurswert am 31. Dezember des Jahres
vor der Antragstellung maßgebend war, nicht auf solche Wertpapiere anzu-
wenden ist, die der Auszubildende erst nach diesem Zeitpunkt erworben hat.
Dass es nach diesem Urteil für diese Wertpapiere dabei verbleibt, dass der
Kurswert zum Zeitpunkt der Antragstellung zugrunde zu legen ist, rechtfertigt
die Zulassung ebenfalls nicht. Denn damit ist auch diese Teilfrage geklärt. Dass
die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts hiervon abweicht, rechtfertigt die
Zulassung der Revision auch nicht unter dem Gesichtspunkt der (nachträgli-
chen) Divergenz (s. dazu Beschluss vom 27. November 2008 - BVerwG 5 B
54.08 - juris ); denn in Bezug auf die Frage, ob bei nachträglich erwor-
benen Wertpapieren auf den Antrags- oder den Anschaffungszeitpunkt abzu-
stellen ist, hat der Kläger mit der Beschwerde keine für grundsätzlich klärungs-
bedürftig gehaltene Frage bezeichnet.
1.2 Die Revision ist auch nicht wegen der aufgeworfenen Fragen zuzulassen,
ob
„- eine unstreitige und festgestellte und nicht als Schen-
kung festgestellte Hingabe von Geld nur deshalb nicht als
Verbindlichkeit festgestellt werden kann, weil formale Kri-
terien des Drittvergleichs o.ä., wie sie etwa in BVerwG Urt.
v. 04.09.2008, Az.: 5 C 12.08 vorgeschlagen werden, nicht
subsumiert werden können. M.a.W.: Darf ein nicht erfülltes
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Indizmerkmal (mangelnde Separierung // Nichtangabe bei
AntragsteIlung) mit ausschlaggebender Bedeutung he-
rangezogen werden, wenn ein Sachverhalt (nichtschen-
kungsweise Hingabe von DM 5.000,00 seitens heutiger
Ehefrau) nicht beweisbedürftig ist, sondern schon aus
anderen Quellen mit hinreichender Sicherheit festgestellt
werden kann.
- ein Verschulden iSd §§ 45 Abs. 3 Nr. 3 SGB X, 60 SGB I
auch dann angenommen werden kann, wenn weder die
Verwaltung, noch das Verwaltungsgericht in der Lage wa-
ren / sind, eine zutreffende Begründung für die Nichtbe-
rücksichtigung der Verbindlichkeiten zu geben.“
Dies legt eine klärungsbedürftige Rechtsfrage revisiblen Rechts nicht in einer
den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise dar,
sondern greift in der Sache die dem Berufungsgericht vorbehaltene Feststellung
und Würdigung des entscheidungserheblichen Sachverhalts an.
Die Beschwerde geht zudem von rechtlichen Voraussetzungen und Bewertun-
gen aus, die mit dem Inhalt des Berufungsurteils nicht im Einklang stehen. So
bedarf es keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass ein Verschulden
i.S.d. §§ 45 Abs. 2 Nr. 3 SGB X, 60 SGB I dann unerheblich ist (und nicht an-
genommen werden kann), wenn mangels Rechtswidrigkeit bereits die tat-
bestandlichen Voraussetzungen der Rücknahme des Verwaltungsaktes nicht
vorliegen. Das Berufungsgericht hatte überdies eine Rechtslage zu beurteilen,
nach der dem Kläger als Inhaber eines Depotkontos eine vermögenswerte For-
derung in bestimmter Höhe zustand und lediglich zu beurteilen war, ob ein
wirksames Treuhandverhältnis begründet worden war. Dies hat das Berufungs-
gericht im rechtlichen Ansatz im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats
(Urteil vom 4. September 2008 - BVerwG 5 C 12.08 - BVerwGE 132, 21) unter
Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles geprüft und verneint; dass
eine „nichtschenkungsweise Hingabe“ „aus anderen Quellen mit hinreichender
Sicherheit festgestellt werden“ könne (hieran knüpfen auch eine Divergenz- und
eine Verfahrensrüge an), lässt sich dem Berufungsurteil gerade nicht entneh-
men.
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2. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten Divergenz zuzulassen
(§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
2.1 Eine Divergenz ist nur dann i.S.d. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend
bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochte-
ne Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorin-
stanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (bzw. ei-
nes der anderen in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte) aufgestellten
ebensolchen, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden
Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das
Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssät-
zen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt
hat, genügt nicht den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge (Be-
schluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 26 m.w.N.). Diese Darlegungsanforderungen erfüllt die Be-
schwerde nicht.
2.2 Die von der Beschwerde herangezogenen Entscheidungen des Bundesver-
fassungsgerichts (Beschlüsse vom 7. November 1995 - 2 BvR 802/90 - und
15. August 1996 - 2 BvR 3027/95 -), welche die Beschwerde jeweils in längeren
Abschnitten zitiert, betreffen vom Sachverhalt her Fragen der Beweiswürdigung
im Bereich der Rechtsbeziehungen zwischen Ehegatten, die Anforderungen, die
der Gesetzgeber an den Beweis des Abschlusses und der Ernstlichkeit der
Verträge zwischen Ehegatten stellen darf, sowie die (verneinte) Frage, ob ein
Indizmerkmal dann mit ausschlaggebender Bedeutung herangezogen werden
darf, wenn ein Sachverhalt nicht beweisbedürftig ist, sondern schon aus ande-
ren Quellen mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden kann. Eine zur Zu-
lassung führende Divergenz ist damit schon deswegen nicht dargelegt, weil es
sich insoweit nicht um fallübergreifende, abstrakte Rechtssätze handelt, die zu
derselben Rechtsnorm ergangen sind, die das Berufungsgericht anzuwenden
hatte, und der Kläger auch keine hiervon abweichenden Rechtssätze benennt,
die das Berufungsgericht auch aufgestellt hat. Die Behauptung des Klägers,
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„Es steht daher außer Frage und bedarf daher auch kei-
nes weiteren Beweises, dass damit der Kläger ab diesem
Zeitpunkt mit der Rückzahlung dieser Summe belastet
war, und zwar ungeachtet dessen, ob und dass er noch
- auf Veranlassung des Verwaltungsgerichts - nachträglich
eine Treuhandabrede hierüber gestülpt hat.
Trotzdem hat es der Senat hierbei nicht bewenden lassen,
sondern vielmehr - im Ergebnis letztlich doch unter Rück-
griff auf die steuerrechtlichen Fremdvergleichskriterien -
einzelne Kriterien wie die Separierung des Geldes, der
Nichtangabe der „Treuhandabrede“ im Antragsformular
usw. verwendet, hierunter subsumiert (und verneint) und
das eindeutige Ergebnis der Beweisaufnahme hierdurch
wieder konterkariert.“,
unterstellt überdies eine Treuhandvereinbarung und daraus folgende Rückzah-
lungsverpflichtung, die das Berufungsgericht gerade nicht feststellen konnte. Es
hat vielmehr nach der Bewertung, dass das Wertpapierkonto Vermögen des
Klägers sei, das nicht mit einer Rückforderung aus einem Treuhandverhältnis
belastet sei, ausgeführt:
„Es ist auch nicht ersichtlich, dass seiner damaligen Ver-
lobten gegen den Kläger damals andere Ansprüche zu-
standen, die als Schulden von seinem Vermögen abzu-
ziehen wären“ (UA S. 18).
2.3 Aus denselben Sachgründen liegt keine Abweichung von dem herangezo-
genen Urteil des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 15. Juni 2004 - XI ZR
220/03 -) vor, die auch deswegen nicht zur Revisionszulassung nach § 132
Abs. 2 Nr. 2 VwGO führen könnte, weil der Bundesgerichtshof in dieser Rege-
lung nicht genannt ist.
3. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen der geltend
gemachten Verletzung der §§ 96, 98, 108 VwGO (Verfahrensfehler i.S.d. § 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
3.1 Mit dem Vorbringen, das Berufungsgericht habe
„seine Entscheidung aus der freien, aus dem Gesamter-
gebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu tref-
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fen und nicht anhand von gesetzlich nicht vorgesehenen
Beweis- und Einwendungsregeln“,
greift der Kläger der Sache nach die tatsächliche und rechtliche Würdigung des
Sachverhalts durch das Berufungsgericht an. Damit wird ein Verfahrensmangel
i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO schon deshalb nicht dargelegt, weil die Grund-
sätze der Sachverhalts- und Beweiswürdigung jedenfalls in aller Regel revisi-
onsrechtlich dem sachlichen Recht zuzuordnen sind (vgl. Beschluss vom
11. August 1999 - BVerwG 11 B 61.98 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1
VwGO Nr. 19). Anhaltspunkte für das Vorliegen eines möglichen Ausnahmefal-
les einer gegen Denkgesetze verstoßenden oder sonst von Willkür geprägten
Sachverhaltswürdigung sind von der Beschwerde nicht dargetan. Die Be-
schwerde vernachlässigt insbesondere, dass der vom Kläger als unstreitig un-
terstellte Rückzahlungsanspruch gerade nicht schon allein aus der bloßen
Übergabe einer bestimmten Geldsumme zu einem bestimmten Zeitpunkt folgt
und das Berufungsgericht überdies im Zusammenhang mit der Frage, ob eine
Treuhandvereinbarung festzustellen sei, ausgeführt hat, der Senat könne schon
„nicht feststellen […], dass dem Kläger ein Betrag von 5 000 DM, oder auch nur
ein bestimmter geringerer Betrag von seiner Verlobten damals übergeben
worden“ (UA S. 16) sei. Die weiteren Ausführungen zur Nichtvorlage der
Kontoauszüge sowie zur notwendigen Separierung des Treugutes (Beschwer-
deschrift S. 17 f.) greifen ohne erkennbaren Bezug zu einem Verfahrensfehler
i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts
an.
3.2 Einen Verfahrensfehler legt auch nicht das Vorbringen dar, das Berufungs-
gericht habe es vermieden, die weiteren Zeuginnen A. P. und H. R. zu hören,
und die Beweislast trotz der Hinweise des Prozessbevollmächtigten nach der
Zeugeneinvernahme, „gewisse Undeutlichkeiten und Lücken der Zeugenaus-
sage könnten schon deshalb nicht zu Lasten des Klägers gehen, weil dieser
bereits im Jahr 2002 vor der Beklagten beantragt habe, sämtliche Zeugen ge-
mäß §§ 24, 26 VwVfG; 20 ff. SGB X zu hören und dies der Beklagte pflichtwid-
rig unterlassen habe“, bei dem Kläger gesehen.
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In Bezug auf die Nichtanhörung weiterer Zeugen ist der sinngemäß erhobene
Verfahrensmangel der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht schon
deswegen nicht hinreichend dargelegt worden, weil von dem anwaltlich vertre-
tenen Kläger ausweislich der Sitzungsniederschrift in der mündlichen Verhand-
lung vor dem Oberverwaltungsgericht nicht durch Stellung eines Beweisantra-
ges auf die von ihm nunmehr beanstandete unterbliebene Sachaufklärung hin-
gewirkt worden (stRspr, Beschluss vom 13. Januar 2009 - BVerwG 9 B 64.08 -
juris ) und auch nichts dafür vorgetragen ist, dass und aus welchen
Gründen sich dem Berufungsgericht die Vernehmung dieser Zeuginnen hätte
aufdrängen müssen (Beschluss vom 28. Mai 2009 - BVerwG 5 B 90.08 - juris
).
Das Vorbringen zu den Auswirkungen einer - aus Sicht des Klägers - unzurei-
chenden Sachverhaltsaufklärung im Verwaltungsverfahren, die dem Beklagten
zuzurechnen sei, bezieht sich ebenfalls allein auf die dem materiellen Recht
zuzuordnende tatrichterliche Sachverhaltswürdigung; ein etwaiger Fehler im
Verwaltungsverfahren setzte sich nicht als Fehler des gerichtlichen Verfahrens
fort.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskosten-
freiheit ergibt sich aus § 188 Satz 2 VwGO.
Hund
Prof. Dr. Berlit
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