Urteil des BVerwG vom 26.01.2006

Hauptsache, Zahl, Verfahrenskosten, Widerspruchsverfahren

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 55.05
OVG 2 A 317/04
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Januar 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t und Dr. F r a n k e
beschlossen:
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Beschuss des Oberverwaltungsgerichts für das
Land Nordrhein-Westfalen vom 6. April 2005 wird zurückgewie-
sen.
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Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 66,12 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Be-
schluss des Oberverwaltungsgerichts ist nicht begründet. Die geltend gemachten
Zulassungsgründe (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.
1. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Beschwerde beigemessene
grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Die Beschwerde wirft als rechtsgrundsätzlich bedeutsam "die grundsätz-
lich verallgemeinerungsfähige Rechtsfrage" auf,
"ob die Beklagte gemäß § 80 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensge-
setz (Bund) (VwVfG) verpflichtet ist, einem Widerspruchsführer
die vollen Kosten des Widerspruchsverfahrens zu erstatten,
wenn sie dessen Widerspruch hinsichtlich der akzessorischen
Aufnahme gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG in der bis zum
31. Dezember 2004 geltenden Fassung stattgegeben, diesen
aber zurückgewiesen hat, soweit er auf die originäre Aufnahme
gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG gerichtet war."
Die Beschwerde verkennt nicht, dass nach der zum 1. Januar 2005 in
Kraft getretenen Neufassung des § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG durch Art. 6 des Zuwan-
derungsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950, 1999) der Anwendungsbereich
der Regelung verändert worden ist, so dass die Fallkonstellation, über deren Beurtei-
lung hier gestritten wird, künftig nicht mehr entstehen kann. Während nach der bis
zum 31.Dezember 2004 geltenden Regelung ein Aufnahmeantrag aus eigenem
Recht gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG nach der Rechtsprechung des Bundesver-
waltungsgerichts (Urteil vom 12. April 2001 - BVerwG 5 C 19.00 -
§ 5 BVFG Nr. 4>) zugleich den Antrag auf Aufnahme aus abgeleitetem Recht gemäß
§ 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG als ein Weniger enthielt, werden nach der Neufassung des
Satzes 2 - neben weiteren verschärfenden Voraussetzungen - nichtdeutsche Ehe-
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gatten und Abkömmlinge in den Aufnahmebescheid der Bezugsperson nur noch
dann einbezogen, wenn die Bezugsperson dies ausdrücklich beantragt. Damit entfällt
die rechtliche Möglichkeit, dem Ehegatten oder Abkömmling der Bezugsperson im
Widerspruchsverfahren gegen die Ablehnung eines vom Ehegatten oder Abkömmling
beantragten eigenen Aufnahmebescheides nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG als im
Aufnahmeantrag enthaltenes Minus die Einbeziehung zu gewähren. Die Zulassungs-
vorschrift des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kann deshalb ihre Aufgabe, eine für die
Zukunft geltende Klärung der Rechtslage herbeizuführen, hier nicht mehr erfüllen.
Aus diesem Grunde haben Fragen ausgelaufenen Rechts regelmäßig keine
grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (stRspr, vgl. im
Zusammenhang mit der Neufassung des § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG etwa den Be-
schluss vom 28. Juli 2005 in dem von der Beschwerde genannten Verfahren BVerwG
5 B 134.04). In dem Beschluss vom 28. Juli 2005 - BVerwG 5 B 134.04 - ist ebenso
wie in dem am gleichen Tage ergangenen Beschluss im Verfahren BVerwG 5 B
130.04 - mit Blick auf die Darlegungslast der Beklagten für eine (ausnahmsweise)
fortbestehende Klärungsbedürftigkeit von Fragen ausgelaufenen Rechts ausgeführt
(S. 4/5 des Beschlussausdrucks):
"Allerdings kommt es in Betracht, ausnahmsweise von einer revisionsgerichtli-
chen Klärungsbedürftigkeit auch einer Rechtsfrage auszugehen, die sich unter
der Geltung ausgelaufenen Rechts gestellt hat, sofern diese Frage noch Be-
deutung für eine erhebliche Zahl offener Altfälle hat oder ihre Klärung jedenfalls
noch für einen nichtüberschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft
von Bedeutung ist… Hierzu trägt die Beschwerde zwar vor, es gebe noch eine
'Vielzahl (bereits anhängiger) Aufnahmeverfahren in verschiedenen Verfah-
rensstadien, in denen die Einbeziehung von Ehegatten und Abkömmlingen vor
Ausreise der Bezugsperson beantragt, aber nicht abschließend beschieden
wurde' (S. 2 unten der Beschwerdebegründung). Dieses Vorbringen wird indes
nicht näher ausgeführt oder quantifiziert, obwohl die Beklagte als die für die
Aufnahmeentscheidung zuständige Behörde einen umfassenden Überblick über
die Zahl derzeit noch anhängiger Verwaltungs- oder Verwaltungsstreitverfahren,
in denen die zur grundsätzlichen Klärung gestellten Rechtsfragen erheblich
werden könnten, gewinnen oder doch Annäherungswerte mitteilen könnte".
Nicht anders liegt es auch im vorliegenden Verfahren. Die Beschwerde
trägt zwar vor, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung "für eine Vielzahl
von bei den Verwaltungsgerichten Köln und Minden sowie dem Oberverwaltungsge-
richt für das Land Nordrhein-Westfalen anhängigen Klageverfahren aus dem Auf-
nahmeverfahren nach dem Bundesvertriebenengesetz, bei denen sowohl die origi-
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näre als auch die akzessorische Aufnahme im Streit stehen und das Vorverfahren
durch die Beklagte vor dem 1. Januar 2005 abgeschlossen wurde (Übergangsfälle)"
(S. 2 der Beschwerdeschrift), teilt hierzu aber nichts Näheres mit.
2. Die Revision kann auch nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2
VwGO) zugelassen werden.
Eine Zulassung wegen Divergenz scheidet hier jedenfalls deshalb aus,
weil die Vorinstanz sich entgegen der Rechtsansicht der Beschwerde nicht zu einem
vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 12. April 2001 - BVerwG 5 C
19.00 - aufgestellten Rechtssatz in Widerspruch gestellt hat. Die Beschwerde will aus
der Kostenentscheidung dieses Urteils, welche bei teilweisem Erfolg der Revision
des damaligen Klägers (dessen Anspruch auf den primär begehrten Aufnahme-
bescheid aus eigenem Recht vom Bundesverwaltungsgericht abgelehnt, dessen An-
spruch auf eine nachträgliche Einbeziehung in den Aufnahmebescheid seines bereits
nach Deutschland ausgereisten Vaters jedoch anerkannt wurde) unter gleichzeitiger
Zurückweisung der auf Einbeziehung in einen Aufnahmebescheid des Klägers
gerichteten Revision der damaligen Klägerin dahin ging, dass gemäß § 155 Abs. 1
VwGO die Kosten gegeneinander aufgehoben wurden, den abstrakten Rechtssatz
ableiten,
"dass ein Widerspruchsführer/Kläger, dessen Begehren, die Aussiedlungsge-
biete im Wege des Aufnahmeverfahrens zu verlassen, statt durch den im Hin-
blick auf die beantragte Einbeziehung von Familienangehörigen vorrangig be-
gehrten Aufnahmebescheid nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG lediglich durch ei-
nen Aufnahmebescheid nach § 27 Abs. 2 2. Alt. BVFG entsprochen wird, mit
dem Widerspruch/der Klage nur teilweise erfolgreich ist, und deshalb einen Teil
der Verfahrenskosten zu tragen hat"
und stellt diesem als abweichenden abstrakten Rechtssatz des Ober-
verwaltungsgerichts den Rechtssatz gegenüber, wonach in diesen Fällen
"ein Widerspruchsführer/Kläger … mit dem Widerspruch/der Klage in vollem
Umfang erfolgreich ist und deshalb die Behörde die gesamten Verfahrenskos-
ten zu tragen hat".
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Demgegenüber hat schon die Vorinstanz zutreffend darauf hingewiesen,
dass die Kostenentscheidung dieses Urteils, die nicht weiter begründet worden ist,
verallgemeinernde Rückschlüsse im Sinne eines fallübergreifenden Rechtssatzes
nicht erlaubt. Wie die Beschwerde unter Hinweis auf Kopp/Schenke, VwGO, 13. Auf-
lage 2003, Rn. 3 zu § 155 zutreffend ausführt, handelt es sich bei der im Ermessen
des Gerichts stehenden Aufhebung der Kosten gegeneinander um eine Entschei-
dung, die nach den Gesamtumständen zu treffen ist und die bei unterschiedlichen
außergerichtlichen Kosten der Beteiligten nur in Betracht kommt, "wenn besondere
Gründe es ausnahmeweise rechtfertigen, den Verfahrensgegner an den außerge-
richtlichen Kosten nicht teilhaben zu lassen". Da die genannte Kostenentscheidung
nicht erkennen lässt, in welcher Höhe im damaligen Widerspruchsverfahren außer-
gerichtliche Kosten entstanden waren, insbesondere ob für die Kläger ein Anwalt
tätig geworden war, oder ob sonstige Gründe von Bedeutung gewesen sein könnten,
handelt es sich bei dem von der Beschwerde behaupteten Begründungssatz jeden-
falls nicht um einen verallgemeinerungsfähigen, allgemeingültigen Rechtssatz; für
einen solchen wäre vielmehr erforderlich, dass die maßgeblichen Gesichtspunkte
sich hinreichend deutlich aus der genannten Entscheidung selbst und nicht erst aus
der Kenntnis der im Einzelfall maßgeblichen konkreten Verfahrensumstände er-
schließen, die der mit den Akten und dem Verfahrensgang nicht vertrauten Allge-
meinheit nicht erkennbar sind.
3. Entgegen der Ansicht der Beschwerde begründet es keinen Verfah-
rensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), dass nach erfolgter Rücknahme der auf Auf-
nahme bzw. Einbeziehung gerichteten Klage und dem insoweit ergangenen Einstel-
lungsbeschluss des Verwaltungsgerichts vom 3. Dezember 2003 - 9 K 7303/02 - ein-
schließlich Kostenentscheidung, nach der die Kläger gemäß § 155 Abs. 2 VwGO die
Kosten des Verfahrens tragen, die bereits mit Beschluss vom 21. November 2003
hiervon abgetrennte Kostenklage nicht mit Blick auf die Unanfechtbarkeit der die Auf-
nahme- und Einbeziehungsklage betreffenden Verfahrenseinstellung einschließlich
Kostenentscheidung bereits vom erstinstanzlichen Gericht als unzulässig abgewie-
sen worden ist, oder dass - falls die isolierte Kostenklage nicht bereits unzulässig
geworden wäre - jedenfalls nur das erstinstanzliche Gericht noch zulässig über die
Kostenklage entschieden hätte, weil sich aus dem Gerichtsbescheid in Verbindung
mit dem Einstellungsbeschluss ergebe, dass das Verwaltungsgericht der Klägerin
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rechtskräftig und unanfechtbar zumindest die Hälfte der auf sie entfallenden Kosten
des Vorverfahrens auferlegt habe, so dass das Berufungsgericht auf Grund der
Rechtskraft und Unanfechtbarkeit dieser Entscheidung gehindert gewesen sei, seine
Rechtsauffassung hierzu gegen die des erstinstanzlichen Gerichts zu setzen mit der
Folge, dass die Berufung unzulässig und der Zulassungsbeschluss verfahrensfeh-
lerhaft gewesen sei. Die Beschwerde trägt damit dem Umstand nicht Rechnung,
dass die Kostensache bereits vor der Kostenentscheidung zur Hauptsache von die-
ser abgetrennt worden war, so dass der Streitgegenstand der Hauptsache sich nicht
(mehr) auf die Kosten des Widerspruchsverfahrens bezog. Zwar hat das Verwal-
tungsgericht dies im Tenor des Einstellungsbeschlusses nicht zum Ausdruck ge-
bracht, doch ergibt sich vor dem Hintergrund der Verfahrenstrennung, dass die rück-
nahmebedingte Verfahrenseinstellung sich nicht auf das selbständig fortgeführte
Kostenverfahren bezog.
Schließlich liegt ein die Revisionszulassung rechtfertigender Verfah-
rensfehler auch nicht darin, dass die Vorinstanzen entgegen § 82 Abs. 1 VwGO dem
Umstand nicht Rechnung getragen hätten, dass die frühere Wohnanschrift der Kläger
in Weißrussland infolge der inzwischen erfolgten Aufnahme und Registrierung der
Kläger in Deutschland nicht mehr zutreffe, so dass schon das erstinstanzliche
Gericht nach § 82 Abs. 2 VwGO verpflichtet gewesen wäre, die Kläger über ihre Pro-
zessbevollmächtigten zur Benennung ihrer aktuellen Adresse aufzufordern. Die Be-
schwerde behauptet insoweit selbst nicht, dass die genannten Fehler sich inhaltlich
auf die Entscheidung ausgewirkt haben könnten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwert-
festsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Dr. Säcker
Schmidt
Dr. Franke