Urteil des BVerwG vom 22.03.2005

Leistungsvereinbarung, Schiedsstelle, Sozialhilfe, Leistungsfähigkeit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 55.04
VGH 12 B 02.1520
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. März 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t und Dr. F r a n k e
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts-
hofs vom 19. Februar 2004 wird zurückgewiesen.
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Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Ge-
richtskosten werden nicht erhoben.
G r ü n d e :
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwal-
tungsgerichtshofs ist nicht begründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe lie-
gen nicht vor.
1. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Beschwerde beigemessene grundsätzli-
che Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
a) Der Verwaltungsgerichtshof hat einen Anspruch der Klägerin auf ermessensfehler-
freie Entscheidung über den Abschluss einer Leistungsvereinbarung nach § 93
Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 93a Abs. 1 BSHG - insoweit unter Ausklammerung der gemäß
§ 93b Abs. 1 Satz 2, § 93a Abs. 2 BSHG im Schiedsstellenverfahren zu regelnden
Vergütungsgesichtspunkte, die den Gegenstand einer rechtlich eigenständigen
Vergütungsvereinbarung (§ 93 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 93a Abs. 2 BSHG) bilden - mit
der Erwägung bejaht, dass sonst das Schiedsstellenverfahren umgangen werde
(S. 12 f. des Urteils), nachdem die Schiedsstelle - wenn auch nach Auffassung des
Verwaltungsgerichtshofs zu Unrecht - bis zur gerichtlichen Entscheidung über eine
Leistungsvereinbarung das Ruhen des Verfahrens angeordnet hat, statt vorab - trotz
Fehlens einer Leistungsvereinbarung - über die Vergütungsvereinbarung zu ent-
scheiden. Dem sucht die Vorinstanz dadurch Rechnung zu tragen, dass bei Ab-
schluss der Leistungsvereinbarung der von der Schiedsstelle zu klärende Vergü-
tungsgesichtspunkt unberücksichtigt zu bleiben habe.
b) Die Beschwerde macht geltend, der vom Verwaltungsgerichtshof bejahte An-
spruch der Klägerin auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ihr Angebot auf
Abschluss einer Leistungsvereinbarung (§ 93 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 93a Abs. 1
BSHG) reduziere das vom Sozialhilfeträger auszuübende Abschlussermessen auf
die Prüfung, ob die formalen Voraussetzungen für ein Leistungsangebot vorlägen,
woraus sich "für den Regelfall der Zwang des Sozialhilfeträgers (ergebe), gleichsam
mit jedem Leistungsanbieter eine Leistungsvereinbarung abzuschließen". Die Ent-
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scheidung hierüber sei "von grundsätzlicher Bedeutung für das gesamte System des
§ 93 BSHG". Bei einem so weitreichenden Anspruch von Leistungsanbietern wäre
der Sicherstellungsauftrag des Sozialhilfeträgers undurchführbar, werde die kommu-
nale Finanzhoheit eingeschränkt und in unzulässiger Weise in die Planungsträger-
schaft und -hoheit des Sozialhilfeträgers eingegriffen.
c) Die Beschwerde berücksichtigt dabei jedoch nicht, dass die von dem Urteil des
Berufungsgerichts aufgeworfenen Rechtsfragen im Zusammenhang mit den Bestim-
mungen der §§ 93 ff. BSHG ausgelaufenes bzw. - im Beschwerdezeitpunkt - auslau-
fendes Recht betreffen, da gemäß Artikel 70 Abs. 1 des Gesetzes zur Einordnung
des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember 2003 (BGBl I
S. 3022, 3071) am 1. Januar 2005 das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in
Kraft getreten ist. Das die Zulassung der Revision rechtfertigende Ziel, mit der Revi-
sionsentscheidung der Erhaltung der Rechtseinheit oder der Weiterentwicklung des
Rechts zu dienen, kann bei auslaufendem bzw. ausgelaufenem Recht zum einen
dann noch erreicht werden, wenn noch eine erhebliche Anzahl von Fällen nach dem
auslaufenden Recht zu entscheiden wäre (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Februar
1997 - BVerwG 5 B 155.96 - ). Da-
für hat die Beschwerde nichts vorgetragen. Soweit zum anderen den außer Kraft
getretenen Vorschriften gesetzliche Regelungen nachgefolgt sind, bei denen sich die
streitigen Fragen in gleicher Weise stellen, was hier mit Blick auf die den §§ 93 ff.
BSHG weitgehend inhaltsgleichen Nachfolgeregelungen in den §§ 75 ff. SGB XII der
Fall sein dürfte, kann daraus eine zukunftsweisende Wirkung einer Revisionsent-
scheidung vorliegend deshalb nicht abgeleitet werden, weil nach dem 7. Gesetz zur
Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 9. Dezember 2004 (BGBl I S. 3302)
- ebenfalls mit Wirkung zum 1. Januar 2005 - in Angelegenheiten der Sozialhilfe nach
dem SGB XII nicht die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit, sondern die der So-
zialgerichtsbarkeit zuständig sind (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG, eingefügt durch Arti-
kel 1 Nr. 10 Buchstabe b des genannten Gesetzes). Die revisionsgerichtliche Klärung
der Auslegung der Nachfolgebestimmungen ist damit Aufgabe des Bundessozialge-
richts und nicht des Bundesverwaltungsgerichts.
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2. Soweit die Beschwerde weiter eine Abweichung der angefochtenen Entscheidung
von den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. September 1993
- BVerwG 5 C 41.91 - (BVerwGE 94, 202 ff.) und vom 1. Dezember 1998 - BVerwG
5 C 17.97 - (BVerwGE 108, 47 ff., nicht - wie in der Beschwerde angegeben - 56 ff.)
geltend macht, sind die Voraussetzungen einer Zulassung wegen Divergenz nach
§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht dargelegt. Eine Abweichung im Sinne dieser Vor-
schrift liegt nur vor, wenn das Berufungsgericht in Anwendung derselben Vorschrift
mit einem seiner Entscheidung tragenden (abstrakten) Rechtssatz von einem in der
Rechtsprechung der dort genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz
abweicht; eine fehlerhafte Anwendung eines nicht bestrittenen Rechtssatzes im Ein-
zelfall rechtfertigt eine Divergenzzulassung nicht (stRspr des BVerwG, vgl. Beschluss
vom 5. Januar 2001 - BVerwG 4 B 57.00 - ).
Die Beschwerde macht insoweit geltend, § 93 Abs. 2 BSHG richte sich nur an den
Träger der Sozialhilfe und setze den Abschluss einer Vereinbarung voraus, enthalte
aber keine Regelungen hinsichtlich des Abschlusses dieser Vereinbarung selbst, und
der Verwaltungsgerichtshof schließe von den Aufgaben der Schiedsstelle gemäß
§ 94 BSHG, deren Tätigkeit erst nach dem Abschluss von Leistungsvereinbarungen
beginne, unzutreffend auf eine Tätigkeit im Rahmen des Abschlusses von Leistungs-
vereinbarungen selbst; auch sei das Urteil vom 1. Dezember 1998 falsch ausgelegt,
da seit 1999 die Leistungsvereinbarungen ausdrücklich aus dem Verantwortungsbe-
reich der Schiedsstellen ausgenommen seien. Damit macht die Beschwerde eine
unzutreffende Anwendung des (neuen) Rechts, aber nicht eine Divergenz im
Rechtssatz geltend.
Auch der Hinweis, dass der Sozialhilfeträger nach dem Urteil des Bundesverwal-
tungsgerichts vom 30. September 1993 - BVerwG 5 C 41.91 - (a.a.O., 206 f.) den
Abschluss einer Vereinbarung mit Einrichtungen, welche die Grundsätze der Wirt-
schaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit nicht gewährleisten können, ver-
weigern müsse, lässt eine Divergenz im Rechtssatz nicht erkennen.
Das gleiche gilt für die weiteren Ausführungen, wonach der Verwaltungsgerichtshof
"übersehen bzw. falsch gewichtet" habe, dass der von der Klägerin geforderte Vergü-
tungssatz erheblich über den Durchschnittssätzen liege, woraus sich ergebe, dass
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sie als Leistungsanbieterin nicht leistungsfähig sei. Damit macht die Beschwerde
nicht ein Abweichen im Rechtssatz, sondern eine fehlerhafte Beurteilung der Leis-
tungsfähigkeit der Klägerin geltend.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit
auf § 188 Satz 2 VwGO.
Dr. Säcker
Schmidt
Dr. Franke