Urteil des BVerwG vom 27.11.2008

Schriftlichkeit, Hinweispflicht, Hund, Verfahrensmangel

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 54.08
OVG 2 A 959/05
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. November 2008
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Brunn und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. Februar 2008
wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
G r ü n d e :
Die Beschwerde, die sich auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Be-
deutung der Rechtssache (1.) und des Verfahrensfehlers (2.) stützt, hat keinen
Erfolg.
1. Die von der Beschwerde im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO für rechts-
grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltenen Fragen,
„unter welchen Voraussetzungen Verbindlichkeiten aus
einem Treuhandvermögen als Verbindlichkeit nach § 28
Abs. 3 Satz 1 BAföG berücksichtigt werden können“ (Be-
schwerdebegründung Seite 1),
und
„ob sich aus § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG ergibt, dass ein
Treuhandverhältnis nur dann zu berücksichtigten ist, wenn
es schriftlich abgeschlossen worden ist“ (Beschwerdebe-
gründung Seite 2),
rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision. Hinsichtlich beider Fragen fehlt
es an der Klärungsbedürftigkeit.
Die erste Frage ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in-
zwischen hinreichend geklärt. Der beschließende Senat hat in seinem Urteil
vom 4. September 2008 - BVerwG 5 C 12.08 - (zur Veröffentlichung vorgese-
hen) im Einzelnen dargelegt, dass sich die Anerkennung von Verbindlichkeiten
aus einer (offenen und verdeckten) Treuhandabrede bei der Bewilligung von
Ausbildungsförderung danach bestimmt, ob diese zivilrechtlich wirksam zustan-
de gekommen und dies von dem insoweit darlegungspflichtigen Auszubilden-
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den auch nachgewiesen worden ist. Das gilt unabhängig davon, ob wirksame
und nachgewiesene Treuhandverhältnisse bereits der Regelung des § 27
Abs. 1 Satz 2 BAföG unterfallen oder ob der aus einem solchen Verhältnis ge-
gen den Auszubildenden als Treuhänder resultierende Herausgabeanspruch
des Treugebers - wie auch vom Oberverwaltungsgericht in dem vorliegend zu
beurteilenden Verfahren angenommen - als bestehende Schuld im Sinne von
§ 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG anzuerkennen ist. An den Nachweis einer wirksamen
Treuhandvereinbarung sind, gerade im Hinblick auf die Gefahr des Missbrauchs
bei solchen Abreden unter Angehörigen, strenge Anforderungen zu stellen. Die
Ämter für Ausbildungsförderung und die Tatsachengerichte haben zur Klärung
der Frage, ob überhaupt ein wirksamer Treuhandvertrag geschlossen worden
ist und welchen Inhalt dieser gegebenenfalls hat, alle Umstände des
Einzelfalles sorgsam zu würdigen. Soweit die tatsächlichen Grundlagen des
Vertragsschlusses der Sphäre des Auszubildenden zuzuordnen sind, obliegt
ihm bei der Aufklärung der erforderlichen Tatsachen eine gesteigerte Mit-
wirkungspflicht. Die Nichterweislichkeit der Tatsachen geht insoweit zu seinen
Lasten. Da die relevanten Umstände oft in familiären Beziehungen wurzeln oder
sich als innere Tatsachen darstellen, die häufig nicht zweifelsfrei feststellbar
sind, ist es zudem gerechtfertigt, für die Frage, ob ein entsprechender Ver-
tragsschluss vorliegt, äußerlich erkennbare Merkmale als Beweisanzeichen
(Indizien) heranzuziehen. Die Beschwerde lässt insoweit keinen neuerlichen
oder weitergehenden Klärungsbedarf erkennen.
Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung lässt sich auch die zweite von der
Beschwerde bezeichnete Frage ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens
ohne Weiteres beantworten. Da Schriftlichkeit keine zivilrechtliche Wirksam-
keitsvoraussetzung für eine verbindliche Treuhandabrede ist, ist sie auch nicht
(zwingend) Voraussetzung für eine Abzugsfähigkeit des aus einem solchen
Verhältnis resultierenden Herausgabeanspruchs nach § 28 Abs. 3 Satz 1
BAföG (vgl. zum Erfordernis der Schriftlichkeit bei Darlehensverträgen Urteil
vom 4. September 2008 - BVerwG 5 C 30.07 - zur Veröffentlichung vorgese-
hen). Das Oberverwaltungsgericht hat - entgegen der Annahme der Beschwer-
de - einen derartigen Rechtssatz auch nicht aufgestellt. Es hat in der fehlenden
Schriftlichkeit lediglich ein gewichtiges Indiz dafür gesehen, dass die behaupte-
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te Treuhandabrede nicht getroffen wurde (Urteilsabdruck Seite 19 und 20).
Hiergegen ist revisionsrechtlich auf der Grundlage der zitierten Rechtsprechung
nichts zu erinnern.
Die Revision kann auch nicht im Hinblick auf eine nachträgliche Divergenz zu
den erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist ergangenen Urteilen des
Senats vom 4. September 2008 zugelassen werden. Denn das angefochtene
Urteil weicht in Bezug auf die von der Beschwerde für grundsätzlich klä-
rungsbedürftig gehaltenen Fragen in seinen entscheidungstragenden Rechts-
sätzen nicht nachträglich von den entscheidungstragenden Rechtssätzen der
zitierten Senatsrechtsprechung ab (vgl. zu den Voraussetzungen einer Revisi-
onszulassung wegen nachträglicher Divergenz Beschlüsse vom 14. Februar
1997 - BVerwG 1 B 3.97 - , vom 22. Dezember 1997 - BVerwG 1 B
226.97 - Buchholz 132.0 § 1 1. StARegG Nr. 8; vom 21. Februar 2000
- BVerwG 9 B 57.00 - und vom 17. September 2002 - BVerwG 7 B
67.02 -). Das Berufungsgericht hat das Bestehen einer ausbildungsrechtlich
beachtlichen Treuhandabrede an dem vorstehend dargestellten Maßstab ge-
prüft und aufgrund einer umfassenden Würdigung aller in Betracht zu ziehen-
den Umstände im Ergebnis verneint. Soweit es das Berufungsgericht für die
Annahme bestehender Schulden nach § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG - abweichend
von der zitierten Senatsrechtsprechung - generell für ausreichend, aber auch
erforderlich hält, „dass der Auszubildende mit der Geltendmachung der Ver-
bindlichkeit - insbesondere auch während des streitgegenständlichen Bewilli-
gungszeitraumes - ernstlich rechnen muss“ (Urteilsabdruck Seite 14), war dies
im konkreten Fall nicht entscheidungserheblich, sodass das angefochtene Urteil
nicht auf dieser Abweichung beruht.
2. Ebenso wenig rechtfertigen die erhobenen Verfahrensrügen die Zulassung
der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
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2.1 Die von der Beschwerde geltend gemachte Verletzung der Hinweispflicht
(§ 86 Abs. 3 VwGO) und ein darin begründeter Verstoß gegen das rechtliche
Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sind schon nicht in einer den Anforderungen des
§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargetan. Die Beschwerde be-
mängelt, dass das Berufungsgericht auf die in seinen Entscheidungsgründen
angeführten, seiner Auffassung nach gegen den Bestand des behaupteten
Treuhandverhältnisses sprechenden Umstände nicht hingewiesen habe. Im
Einzelnen vermisst die Beschwerde einen Hinweis darauf, dass der Erwerb der
Bundesschatzbriefe durch die Lebensgefährtin des Vaters der Klägerin und
deren Übertragung an die Klägerin nach Auffassung des Berufungsgerichts
nicht belegt sei. Des Weiteren fehle ein Hinweis darauf, dass das Berufungsge-
richt den Rückfluss der Verkaufserlöse an die Lebensgefährtin des Vaters der
Klägerin als nicht nachgewiesen ansehe und insbesondere nicht angedeutet
habe, dass die Klägerin den Rückfluss lückenlos durch Dokumente nachweisen
müsse. Ferner bemängelt die Beschwerde, dass das Berufungsgericht vor sei-
ner Entscheidung nicht zu erkennen gegeben habe, die nicht nachgewiesene
Versteuerung der Kapitalerträge durch die Lebensgefährtin des Vaters der Klä-
gerin als Indiz gegen den Bestand eines Treuhandverhältnisses zu werten. Au-
ßerdem rügt die Beschwerde das Fehlen eines Hinweises darauf, dass das Be-
rufungsgericht der Annahme sei, der Bundesschatzbrief B 1992/16, der einen
Nennwert von 3 000 DM gehabt habe, könne nicht erklären, weshalb für dessen
Veräußerung ein Erlös von 9 930 DM erzielt worden sei. Hätte das Beru-
fungsgericht entsprechende Hinweise erteilt, hätte die Klägerin ergänzend vor-
tragen und dadurch die Zweifel des Berufungsgerichts am Bestand des be-
haupteten Treuhandverhältnisses ausräumen können. Die Beschwerde legt
hierzu nicht - wie erforderlich - dar, was die Klägerin im Einzelnen auf entspre-
chende Hinweise noch vorgetragen hätte und inwiefern dies - einschließlich an-
gebotener Beweise durch Zeugenaussagen und Vorlage von Urkunden (wie die
mit der Beschwerdebegründung eingereichten Unterlagen) - zu einer anderen
Beweiswürdigung des Berufungsgerichts auf der Grundlage seiner Rechts-
auffassung hätte führen können. Die mit der Beschwerdebegründung aufge-
stellten Behauptungen, die Klägerin hätte zu den einzelnen Punkten näher vor-
tragen und gegebenenfalls auch Zeugen benennen bzw. Dokumente vorlegen
können, genügen hierfür nicht. Im Kern wendet sich die Beschwerde mit ihren
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Ausführungen gegen die Entscheidung in der Sache und die Würdigung des
festgestellten Sachverhalts durch das Berufungsgericht, die sie für fehlerhaft
hält. Eine Verletzung der Hinweispflicht und des rechtlichen Gehörs kann damit
nicht begründet werden.
Die Verfahrensrüge der Verletzung der Hinweispflicht und eines darin begrün-
deten Verstoßes gegen das rechtliche Gehör greift im Übrigen auch in der Sa-
che nicht durch. Das Berufungsgericht ist nicht verpflichtet, die Beteiligten
schon in der mündlichen Verhandlung auf seine Rechtsauffassung oder die
beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinzuweisen und offen zu legen,
wie es seine Entscheidung im Einzelnen zu begründen beabsichtigt. Denn die
tatsächliche und rechtliche Würdigung ergibt sich regelmäßig erst aufgrund der
abschließenden Beratung (vgl. Beschlüsse vom 28. Dezember 1999 - BVerwG
9 B 467.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 51 und vom 25. August 2004
- BVerwG 9 BN 2.04 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr 167). Eine Ausnahme hier-
von gilt zwar dann, wenn das Gericht bei seiner Entscheidung auf einen rechtli-
chen Gesichtspunkt abstellen will, mit dem auch ein gewissenhafter und kundi-
ger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf - selbst unter Be-
rücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nicht zu rechnen
brauchte (vgl.<144 f.>; 108, 341 <345 f.>). So liegen die Din-
ge hier jedoch nicht. Im gesamten Verfahren wurde darüber gestritten, ob eine
wirksame Treuhandvereinbarung vorliegt und der daraus resultierende Heraus-
gabeanspruch bei der Bewilligung von Ausbildungsförderung
zu Gunsten der
Klägerin vermögensmindernd zu berücksichtigen ist. Dass diese Frage auch für
das Berufungsgericht entscheidungserheblich war, konnte die Klägerin daher
nicht überraschen. Wie das Berufungsgericht diese Frage voraussichtlich be-
antworten wird, musste es den Beteiligten nicht mitteilen.
2.2 Der geltend gemachte Verfahrensmangel der Verletzung der Aufklärungs-
pflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) ist bereits deshalb nicht schlüssig im Sinne des
§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt, weil die Beschwerde nicht die materielle
Rechtsauffassung des Berufungsgerichts zugrunde legt. Denn sie geht von der
unzutreffenden Annahme aus, das Berufungsgericht vertrete die Ansicht, nur
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schriftlich vereinbarte Treuhandverhältnisse seien bei der Bewilligung von Aus-
bildungsförderung zu berücksichtigen.
Im Übrigen greift die Beschwerde mit dem Vorbringen, das Berufungsgericht
habe es unterlassen, den Sachverhalt durch Zeugenvernehmungen zu überprü-
fen und nicht mitgeteilt, welche Dokumente aus seiner Sicht zur Aufklärung des
Sachverhalts erforderlich seien sowie die entsprechenden Dokumente nicht bei
der Bundesschuldenverwaltung bzw. der Bank eingeholt, der Sache nach die
Sachverhaltswürdigung der Vorinstanz an. Sie wendet sich im Ergebnis dage-
gen, dass das Berufungsgericht die behauptete Treuhandvereinbarung auf-
grund der in den Entscheidungsgründen im Einzelnen aufgeführten objektiven
Umstände als widerlegt ansieht. Damit lässt sich aber ein Aufklärungsmangel
nicht darlegen. Auch soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang noch
rügt, die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts laufe darauf hinaus, dass
Verfahren im Hinblick auf Treuhandabreden „in der Form eines Urkundenpro-
zesses geführt“ werden müssten, zeigt sie einen Verfahrensmangel nicht auf.
Insbesondere legt sie nicht schlüssig dar, inwiefern das Unterlassen des Beru-
fungsgerichts, „den Sachverhalt durch Zeugenvernehmungen zu überprüfen“,
Verfahrensrecht verletzen soll. Die Beschwerde wendet sich auch nicht etwa
ausdrücklich gegen die allerdings missverständlichen Ausführungen im Beru-
fungsurteil dazu, dass „der Beweisantritt durch das Zeugnis von Familienange-
hörigen“ fehlende objektive Beweisanzeichen nicht zu ersetzen oder die Be-
weiskraft gewichtiger Gegenindizien nicht zu erschüttern vermag.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2
VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskosten-
freiheit folgt aus § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.
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