Urteil des BVerwG vom 09.02.2006

Beschwerdeschrift, Familie, Existenzminimum, Kostenbeitrag

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 53.05
OVG 4 LB 63/04
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. Februar 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t und Dr. R o t h k e g e l
beschlossen:
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Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwal-
tungsgerichts vom 27. April 2005 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Ge-
richtskosten werden nicht erhoben.
G r ü n d e :
Die auf Zulassung der Revision gerichtete Beschwerde des Beklagten ist
nicht begründet.
Ausgehend von der für die streitgegenständliche Zeit maßgeblichen
Rechtslage vor Änderung der §§ 91 ff. SGB VIII durch Art. 1 Nr. 49 des Kinder- und
Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetzes vom 8. September 2005 (BGBl I S. 2729)
kommt der Rechtssache nicht die vom Beklagten geltend gemachte grundsätzliche
Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zu.
Die Frage, "ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Zweckgleichheit
im Verhältnis des Kindergeldes zu den Leistungen der Jugendhilfe im Sinne von § 93
Abs. 5 SGB VIII besteht" (Beschwerdeschrift S. 4 a.E.), bedarf keiner Klärung in ei-
nem Revisionsverfahren. Soweit damit generell das Verhältnis des Kindergeldes zu
Jugendhilfeleistungen angesprochen ist, stellte sie sich im vorliegenden Verfahren
um einen Kostenbeitrag zur Hilfe nach § 32 SGB VIII in dieser Allgemeinheit nicht.
Soweit der Beklagte sinngemäß die Frage zum Verhältnis des Kindergeldes zur Hilfe
zur Erziehung nach §§ 32, 91 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a SGB VIII geklärt wissen will (vgl.
Beschwerdeschrift S. 5 Abs. 5) und sie auf Fälle eingrenzt, in denen "weder das ei-
gene Einkommen des betreuenden Elternteils … noch das eigene Einkommen des
Kindes … ausreichen, um das Existenzminimum des betroffenen Kindes zu bestrei-
ten" (Beschwerdeschrift S. 4 Abs. 3), bedarf sie keiner Klärung in einem Revisions-
verfahren, weil sich die Antwort bereits aus der Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts ergibt. In dem vom Berufungsgericht herangezogenen und dem Be-
klagten bekannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Dezember 1998
- BVerwG 5 C 25.97 - (BVerwGE 108, 221) hat der Senat ausgeführt, dass und wa-
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rum Kindergeld keine mit Leistungen zum Lebensunterhalt bei Hilfe zur Erziehung
(damals nach § 34 SGB VIII) zweckgleiche Leistung im Sinne des § 93 Abs. 5 SGB
VIII ist. Das gilt auch für das Verhältnis von Kindergeld und Hilfe zur Erziehung in
einer Tagesgruppe nach § 32 SGB VIII. Denn hier fallen geringere Leistungen zum
Unterhalt des Kindes an als bei der Hilfe zur Erziehung nach § 34 SGB VIII. Zudem
hat das Bundesverwaltungsgericht bereits zur steuerrechtlichen Regelung des Kin-
dergeldes in §§ 31, 62 ff. EStG in seinem dem Beklagten bekannten Urteil vom
17. Dezember 2003 - BVerwG 5 C 25.02 - (Buchholz 436.0 § 76 BSHG Nr. 38) ent-
schieden, dass es Zweck des Kindergeldes sei, die steuerliche Freistellung eines
Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes zu bewirken, bzw.
Kindergeld eine Leistung zur Förderung der Familie ist, nicht aber zweckgebunden,
das Existenzminimum des Kindes abzudecken (Jurisausdruck Rn. 10). Das Kinder-
geld ist also entgegen der Auffassung des Beklagten nicht dahin gesetzlich zweck-
bestimmt, "dass es für die übrigen (kinderbezogenen) Belange der Familie nur dann
eingesetzt werden kann, wenn es zur Deckung des Existenzminimums des Kindes
nicht benötigt wird" (Beschwerdeschrift S. 7 Abs. 1). So wie im Rahmen der fortbe-
stehenden Eltern-Kind-Kontakte auch eine Heimerziehung Raum lässt für die be-
sondere Zweckbestimmung des Kindergeldes, zur wirtschaftlichen Entlastung von
kinderbedingten Mehrkosten der allgemeinen Lebensführung beizutragen (BVerwGE
108, 221, 225), so ist das Kindergeld auch nicht enger dahin zweckgebunden, dass
es insbesondere den Lebensunterhalt des Kindes während seiner Erziehung in einer
Tagesgruppe (§ 32 SGB VIII) decken soll.
Soweit der Beklagte unter Berufung auf Kunkel in LPK-SGB VIII, § 94
Rn. 5d die Auffassung vertritt, auch das Kindergeld könne bei den durch die auswär-
tige Unterbringung ersparten Aufwendungen im Sinne von § 91 Abs. 1 Nr. 4
Buchst. a, § 94 Abs. 2 SGB VIII berücksichtigt werden, widerspricht er zwar der ge-
genteiligen Auffassung des Berufungsgerichts, bezeichnet aber keinen klärungsbe-
dürftigen Rechtssatz. Die Beschwerde zeigt nicht auf, worin die Ersparnis der Kläge-
rin liegen soll. Denn auch vom Beklagten unbestritten verfügte die Klägerin mit dem
Kindergeld selbst nur über ein monatliches Einkommen in Höhe von 270 DM, war
also nicht verpflichtet, damit vorrangig das Mittagessen ihres Kindes zu finanzieren.
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Zu Unrecht meint der Beklagte, § 31 EStG drücke den Gedanken aus,
"dass das Kindergeld dem allgemeinen Familienlastenausgleich nur diene, soweit es
nicht, wegen beengter wirtschaftlicher Verhältnisse, zu dem Bestreiten des Exis-
tenzminimums (des Kindes) benötigt werde" (Beschwerdeschrift S. 7 a.E.). Vielmehr
dient das Kindergeld nach § 31 Satz 2 EStG der Förderung der Familie, soweit es
nicht "dafür" erforderlich ist, d.h. die "steuerliche Freistellung eines Einkommensbe-
trags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes einschließlich des Betreuungsbe-
darfs (Fassung ab 2002: der Bedarfe für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung)"
zu bewirken (§ 31 Satz 1 EStG).
Zur Rechtslage nach Änderung der §§ 91 ff. SGB VIII durch das Kinder-
und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz vom 8. September 2005 (a.a.O.) sei darauf
hingewiesen, dass § 94 Abs. 3 SGB VIII nunmehr bei Leistungen über Tag und
Nacht außerhalb des Elternhauses, nicht aber bei der Hilfe zur Erziehung in einer
Tagesgruppe (§ 32 SGB VIII) vorschreibt, dass ein Kostenbeitrag mindestens in Hö-
he des Kindergeldes zu zahlen ist.
Die Revision kann auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen Di-
vergenz zugelassen werden.
Die Beschwerde behauptet zwar (Beschwerdeschrift S. 4 Abs. 6 und S. 8
Abs. 3), das Berufungsurteil widerspreche dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
vom 25. November 1993 - BVerwG 5 C 8.90 - (BVerwGE 94, 326), sie zeigt aber
nicht, wie es erforderlich wäre (BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 2005 - BVerwG
9 B 38.04 - ), auf, mit
welchem Rechtssatz das Berufungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift
von einem Rechtssatz in der genannten Entscheidung des Bundesverwal-
tungsgerichts abgewichen sein soll. Der Rechtssatz des Berufungsgerichts, dass das
den Eltern mit niedrigem Einkommen gewährte Kindergeld nicht im Sinne von § 93
Abs. 5 SGB VIII dem gleichen Zweck diene wie die Hilfe zur Erziehung in einer Ta-
gesgruppe nach § 32 SGB VIII, weicht nicht vom Rechtssatz des Bundesverwal-
tungsgerichts ab, dass Kindergeld eine der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem
Bundessozialhilfegesetz zweckidentische Leistung im Sinne von § 77 BSHG sei.
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Auch soweit der Beklagte behauptet, das Berufungsgericht widerspreche
"der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Forderung der konkreten
Bestimmung der Zweckgleichheit im Hinblick auf die jeweilige Hilfeleistung" (Be-
schwerdeschrift S. 4 Abs. 7), fehlt es an einer ordnungsgemäß erhobenen Diver-
genzrüge. Abgesehen davon liegt eine Abweichung auch nicht vor. Denn das Beru-
fungsgericht hat die Zweckgleichheit im Sinne des § 93 Abs. 5 SGB VIII ausdrücklich
"für das vorliegende Verfahren" und damit konkret für das Verhältnis von Kindergeld
zur Hilfe zur Erziehung in einer Tagesgruppe verneint (Berufungsurteil S. 7 Abs. 3
und 4).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichts-
kostenfreiheit auf § 188 Satz 2 VwGO.
Dr. Säcker Schmidt Dr. Rothkegel