Urteil des BVerwG vom 14.02.2005

Kredit, Zukunft, Deckung, Überprüfung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 51.04
VGH 12 B 99.3472
In der Verwaltungsstreitsache
g e g e n
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. Februar 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t und Dr. F r a n k e
beschlossen:
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Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom
9. Februar 2004 wird aufgehoben und die Sache zur anderwei-
tigen Verhandlung und Entscheidung an den Bayerischen Ver-
waltungsgerichtshof zurückverwiesen, soweit sie den Anspruch
auf ungekürzte Regelsatzleistungen und den Anspruch auf ei-
nen Mehrbedarfszuschlag wegen Erwerbsunfähigkeit für die
Zeit vom 1. Juli 1995 bis 31. Juli 1996 betrifft. Im Übrigen, d.h.
betreffend die Nichtgewährung eines Mehrbedarfszuschlags
wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 1. August 1996 bis
31. Dezember 2002, wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Soweit die Beschwerde Erfolg hat, wird dem Kläger für das Be-
schwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von
Rechtsanwalt ... bewilligt; soweit sie zurückgewiesen wird, wird
der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, soweit die Be-
schwerde zurückgewiesen wird; im Übrigen bleibt die Entschei-
dung über die Kosten der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
G r ü n d e :
Die auf behauptete Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde des
Klägers hat nur teilweise Erfolg.
1. Die bezüglich der Entscheidung über den streitigen Anspruch des Klägers auf un-
gekürzte Regelsatzleistungen erhobenen Verfahrensrügen greifen jedenfalls in Be-
zug auf die Aufklärungsrüge durch.
Ein Verstoß gegen die Aufklärungspflicht liegt darin, dass das Berufungsgericht auf
der Grundlage seiner Auffassung zur Erforderlichkeit der Kreditaufnahme allein zur
Deckung eines aktuellen Bedarfs in der mündlichen Verhandlung nicht ausreichend
ermittelt hat. So hat das Gericht den Zeugen H. auch nicht ansatzweise dazu befragt,
ob er - was nahe gelegen hätte - dem Kläger auch Geld zur Deckung seines aktuel-
len Bedarfs geliehen habe. Zudem hat es nicht weiter aufgeklärt, für welche
"Mietschulden und auch anderen Schulden" der Zeuge H. dem Kläger Geld geliehen
hat. Denn wenn diese Schulden ihrerseits allein deshalb entstanden sind, weil die
Regelsatzleistungen gekürzt waren, so bedeuteten bereits diese Mietschulden (Kredit
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vom Vermieter) und anderen Schulden (bei Überziehung Kredit von der Bank)
beachtliche Kredite durch Dritte und bedeutete der Kredit des Zeugen H. insoweit nur
eine Umschuldung. Diese naheliegenden Fragen hätten sich dem Berufungsgericht
auch auf der Grundlage seiner - für die Verfahrensrüge rechtlich maßgeblichen -
Rechtsauffassung aufdrängen müssen. Soweit die Vorinstanz im Rechtsgrundsätzli-
chen der Auffassung ist, dass nur gezielt auf sozialhilferechtliche Bedarfe bezogene
Kredite den Sozialhilfeanspruch aufrechterhalten können, wird - ohne dass dies im
Rahmen der Verfahrensrüge abschließender Klärung bedürfte - auf die Entscheidung
des Senats in BVerwGE 96, 18, 19 f. verwiesen, wonach ein solches
vorschussweises Einspringen Dritter für nicht rechtzeitig erbrachte Sozialhilfe zwar
im Zusammenhang mit der Prüfung der Vererblichkeit von Sozialhilfeansprüchen,
aber nicht generell für die Aufrechterhaltung von Sozialhilfeansprüchen erforderlich
ist, die in Rechtsmittelverfahren zur Überprüfung stehen.
2. Soweit die Beschwerde die Entscheidung über den Mehrbedarfszuschlag nach
§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BSHG bis zum 31. Juli 1996 mit Verfahrensrügen angreift
(vgl. S. 2 der Beschwerdebegründung unter Hinweis auf S. 9 ff., 13 der Urteilsgrün-
de), hat sie aus den gleichen Gründen im Sinne der Aufhebung und Zurückverwei-
sung Erfolg.
3. Zurückzuweisen ist die Beschwerde, soweit sie den Streitgegenstand des Mehr-
bedarfszuschlags ab 1. August 1996 betrifft. Insoweit macht die Beschwerde grund-
sätzliche Bedeutung der Auslegung der Besitzstandsklausel in § 23 Abs. 1 Satz 2
BSHG geltend, bei welcher es sich - seit dem 1. Januar 2005 gilt für Mehrbedarfsfälle
§ 30 SGB XII - um auslaufendes Recht handelt. Für das Bestehen eines in die
Zukunft wirkenden rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarfs bestehen insoweit keine
Anhaltspunkte. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass das ausgelaufene Recht noch für
einen nicht überschaubaren Personenkreis in Zukunft von Bedeutung sein könnte
(vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 -
m.w.N).
4. Soweit die Beschwerde Erfolg hat, war dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Bei-
ordnung seines Prozessbevollmächtigten zu gewähren; soweit sie zurückzuweisen
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ist, fehlt es an der hinreichenden Erfolgsaussicht (§ 166 VwGO, §§ 114, 121 Abs. 1
ZPO).
5. Die Kostenentscheidung beruht, soweit die Beschwerde zurückgewiesen wird, auf
§ 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 Satz 2 VwGO.
Dr. Säcker
Schmidt
Dr. Franke