Urteil des BVerwG vom 22.07.2008

Rechtliches Gehör, Hindernis, Rüge, Verfügung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 50.08
VG 29 A 59.05
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Juli 2008
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts
Berlin vom 14. Februar 2008 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 6 135,51 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.
1. Die Beschwerde ist bereits unzulässig.
1.1 Die Beschwerde ist nicht innerhalb der Frist von einem Monat nach der am
3. März 2008 bewirkten Zustellung des vollständigen Urteils eingelegt worden
(§ 133 Abs. 2 VwGO). Auf diese Frist ist der Kläger in der Rechtsmittelbeleh-
rung des angefochtenen Urteils hingewiesen worden. Der erst am 7. April 2008
bei dem Verwaltungsgericht eingegangene Schriftsatz des Klägers vom 1. April
2008 war auch deshalb nicht geeignet die Beschwerdefrist zu wahren, weil er
nicht von einem nach § 67 Abs. 1 VwGO zur Vertretung befugten Bevollmäch-
tigten unterzeichnet ist.
1.2 Dem Kläger kann die beantragte Wiedereinsetzung wegen Versäumung der
Beschwerdefrist nicht gewährt werden, weil er den Wiedereinsetzungsantrag
nicht innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt hat, so
dass dahinstehen kann, ob er nicht ohne Verschulden an der Einhaltung der
Frist gehindert war (§ 60 Abs. 1 VwGO).
1.2.1 Der am 24. April 2008 bei dem Verwaltungsgericht eingegangene Antrag
auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wahrt die Frist des § 60 Abs. 2
Satz 1 Halbs. 1 VwGO selbst dann nicht, wenn das Vorbringen des Klägers zu
Grunde gelegt wird. Entgegen der Rechtsauffassung des Prozessbevollmäch-
tigten des Klägers im Schriftsatz vom 2. Juli 2008 ist für den Wiedereinset-
zungsantrag nicht auf die Monatsfrist des § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 VwGO
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abzustellen, weil der Kläger nicht die Frist für die B e g r ü n d u n g der
Nichtzulassungsbeschwerde versäumt hat (diese lief erst am 5. Mai 2008 ab
und ist von dem Kläger gewahrt worden), sondern die Einlegungsfrist. Für die
Einlegungsfrist verbleibt es indes bei der 2-Wochen-Frist des § 60 Abs. 2 Satz 1
Halbs. 1 VwGO.
Für die Berechnung der Wiedereinsetzungsfrist ist davon auszugehen, dass,
soweit seine chronische und die hinzutretende akute Erkrankung den Kläger an
einer fristgerechten Rechtsverfolgung gehindert haben sollten, dieses durch
Krankheit bedingte Hindernis - nicht die Erkrankung selbst - jedenfalls am
1. April 2008 weggefallen war. Denn der Kläger war bereits unter dem 1. April
2008 in der Lage, einen längeren Schriftsatz zu verfassen und hierzu im Vorfeld
telefonischen Kontakt mit dem Verwaltungsgericht aufzunehmen. Damit war
spätestens zu diesem Zeitpunkt der geltend gemachte Hinderungsgrund auch
für die frist- und sachgerechte Rechtsverfolgung entfallen. Dass der Kläger in
der Verfügung des Verwaltungsgerichts vom 9. April 2008, durch die er in Re-
aktion auf sein Schreiben vom 1. April 2008 auf die dem Urteil beigefügte
Rechtsmittelbelehrung hingewiesen worden ist, nicht auf die Fristversäumung
und - nochmals - das Vertretungserfordernis des § 67 Abs. 1 VwGO ausdrück-
lich hingewiesen worden ist, ist für den Lauf der Frist für den Wiedereinset-
zungsantrag ebenso unerheblich wie der Umstand, dass er seine nunmehrigen
Verfahrensbevollmächtigten erst am 14. April 2008 beauftragt hat, zumal bei
unterstelltem Wegfall des Hindernisses erst am 1. April 2008 zu diesem Zeit-
punkt die Frist für den Wiedereinsetzungsantrag noch nicht abgelaufen war.
Es ist nicht glaubhaft gemacht, dass der Kläger auch in der Zeit vom (jedenfalls)
1. April bis zum 9. April 2008 (also zwei Wochen vor Eingang des Wie-
dereinsetzungsantrages) aus Krankheitsgründen außerstande gewesen ist,
selbst oder unter Einschaltung Dritter den Rat eines Rechtsanwalts einzuholen
bzw. diesen mit der Rechtsverfolgung zu beauftragen bzw. unter Abwägung des
Für und Wider eine sachgemäße Entscheidung über die Rechtsverfolgung zu
treffen. Dabei ist zu beachten, dass eine Krankheit nur dann als Grund für eine
„nicht verschuldete“ Versäumung einer Rechtsmittelfrist durchgreift, wenn sie so
schwer war, dass der von ihr betroffene Verfahrensbeteiligte nicht bloß unfähig
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war selbst zu handeln, sondern auch außerstande war, einen Bevollmächtigten
mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen und im gebotenen
Umfange zu informieren (Beschluss vom 27. September 1993 - BVerwG 4 NB
35.93 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 185). Dies hat der Kläger - zumindest für
den vorbezeichneten Zeitraum - zwar allgemein behauptet, aber nicht
substantiiert vorgetragen und auch nicht glaubhaft gemacht. Bereits die
Schilderung der langen Leidensgeschichte und der Art der - chronischen wie
der akuten - Erkrankung lassen nicht erkennen, dass er im maßgeblichen Zeit-
raum nach den insoweit zu stellenden hohen Anforderungen in rechtlichen An-
gelegenheiten handlungsunfähig gewesen ist. Insoweit vernachlässigt das Klä-
gervorbringen, dass sich der Kläger zur zweckgerichteten Rechtsverfolgung
auch der Hilfe Dritter zu bedienen hatte sowie Kommunikationsmittel wie z.B.
das Telefon, zu dessen Bedienung er jedenfalls kurz vor dem 1. April 2008 in
der Lage gewesen ist, hätte bedienen können und müssen.
Selbständig tragend kommt hinzu, dass sich Art und Schwere der Erkrankung in
dem maßgeblichen Zeitraum lediglich aus dem Vorbringen des Klägers selbst
erschließen und nicht durch Vorlage ärztlicher Atteste belegt sind. Dies gilt
bereits für die Zeit nach der Entlassung aus dem Krankenhaus am 27. Februar
2008 bis zum 1. April 2008, für die der Kläger zwar den weiteren Behand-
lungsverlauf und hierbei aufgetretene Schwierigkeiten schildert, aber keine ob-
jektivierbaren Anhaltspunkte dafür bezeichnet, dass er krankheitsbedingt selbst
zu der Entscheidung außerstande gewesen sein soll, ob er sich der Mithilfe
seiner Ehefrau oder Dritter hätte bedienen wollen. Das Vorbringen, dass es
nicht Aufgabe Dritter sei, für den Kläger die Rechtswahrnehmung zu überneh-
men und seine Ehefrau nicht in die schwierige Materie eingearbeitet gewesen
und zudem mit der Sorge und Pflege um den Kläger sowie ihrer eigenen Arbeit
als Lehrerin ausgelastet gewesen sei, weist vielmehr darauf, dass er entspre-
chende Versuche nicht unternommen oder ernsthaft erwogen hat. Dagegen,
dass seine Erkrankung ursächlich für die Versäumung der Frist gewesen sei,
spricht durchgreifend auch das Vorbringen (Schriftsatz vom 2. Juli 2008, S. 4),
dass er erst am 14. April 2008 erfahren habe, dass er eine Frist versäumt hätte.
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1.2.2 Bei dieser Sachlage ist der Frage nicht weiter nachzugehen, welche Be-
deutung dem Umstand beizumessen ist, dass das geltend gemachte Hindernis
jedenfalls am 1. April 2008 - und damit noch vor Ablauf der für die Prozess-
handlung vorgeschriebenen Frist - weggefallen war (s. dazu Beschluss vom
16. Februar 1999 - BVerwG 8 B 10.99 - NVwZ-RR 1999, 472), zumal die inso-
weit nicht substantiierten Angaben des darlegungspflichtigen Klägers zum
Krankheitsverlauf auch nicht die Annahme tragen, das krankheitsbedingte Hin-
dernis habe bis unmittelbar vor diesem Datum angedauert.
2. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat - ihre Zulässig-
keit unterstellt - auch in der Sache keinen Erfolg. Denn der allein geltend ge-
machte Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) einer unzureichenden
Sachverhaltsaufklärung ist bereits nicht hinreichend dargelegt (§ 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO) und liegt jedenfalls nicht vor.
2.1 Der Kläger rügt als Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) vor allem,
dass es das Verwaltungsgericht verfahrensfehlerhaft unterlassen habe, den
Sachverhalt durch ein Sachverständigengutachten weiter aufzuklären.
Die mit der Beschwerde mithin in erster Linie erhobene Rüge einer Verletzung
der gerichtlichen Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO erfordert nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die substantiierte
Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auf-
fassung des Verwaltungsgerichts aufklärungsbedürftig waren, welche für erfor-
derlich und geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht
kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen
worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiellrechtli-
chen Auffassung des Verwaltungsgerichts zu einer für den Beschwerdeführer
günstigeren Entscheidung hätten führen können; weiterhin muss entweder dar-
gelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht auf die
Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt
wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Ge-
richt die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten
aufdrängen müssen (s. etwa Beschluss vom 13. Juli 2007 - BVerwG 9 B 1.07 -).
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Eine derartige substantiierte Darlegung enthält die Beschwerdebegründung
nicht. Soweit diese Rüge darauf gestützt wird, dass es das Verwaltungsgericht
im Laufe des Verfahrens selbst für erforderlich gehalten habe, Beweis durch
Einholung eines Sachverständigengutachtens zu erheben und es sich hieran
festhalten lassen müsse, nachdem sich die von dem Finanzamt P. eingeholte
Auskunft zum Hilfswert gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 EntschG als (zumindest) teil-
weise nicht verwertbar erwiesen habe, setzt sie sich nicht hinreichend mit den
Gründen auseinander, die das Verwaltungsgericht dazu bewogen hatten, von
einer weiteren Beweiserhebung abzusehen. Das Verwaltungsgericht, das nach
dem Nichtzustandekommen des in der mündlichen Verhandlung vom 21. Sep-
tember 2006 vorgeschlagenen Vergleichs ein Bewertungsgutachten eines Fi-
nanzamtes eingeholt hatte, hatte in dem Vergleichsvorschlag vom 11. Oktober
2007 angezeigt, dass für den Fall, dass ein Vergleich nicht zustande komme,
die Einholung eines Sachverständigengutachtens voraussichtlich nicht erforder-
lich sein werde, und ist hiervon in den Folgeverfügungen auch in Ansehung des
Vorbringens des Klägers, er bestehe auf einer „Einschaltung eines baukundigen
Sachgutachters“, nicht abgerückt. Das Verwaltungsgericht hat in detaillierter
Auseinandersetzung mit den für die Wertbemessung maßgeblichen tatsäch-
lichen und rechtlichen Verhältnissen einen Hilfswert bestimmt. Dass es hierfür
nicht durchgängig den Ansätzen und Berechnungen des Klägers gefolgt ist,
weist nicht auf einen Verfahrensfehler. Der Sache nach richtet sich das Be-
schwerdevorbringen dagegen, dass das Verwaltungsgericht sich selbst in der
Lage gesehen hat, sich mit dem Gutachten des Finanzamtes auseinanderzu-
setzen und in Bezug auf Teilpositionen „aufgrund eigener Sachkunde unter Be-
rücksichtigung aller vorliegenden Akten“ (Verfügung vom 17. Dezember 2007)
zu korrigieren, und so selbst den erforderlichen Hilfswert zu bestimmen; dies
betrifft die dem materiellen Recht zuzurechnende Anwendung bewertungs-
rechtlicher Vorschriften durch das Verwaltungsgericht und hinsichtlich der zu
Grunde gelegten Tatsachen zum Zustand der baulichen Anlagen dessen Be-
weiswürdigung. In welchen Punkten sich das Verwaltungsgericht hier eine
Sachkunde angemaßt haben sollte, über die es tatsächlich nicht verfügt hat
(oder verfügen konnte), erschließt sich aus dem Beschwerdevorbringen selbst
dann nicht, wenn auch das Vorbringen in dem von dem nicht postulationsfähi-
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gen Kläger selbst übermittelten Schriftsatz vom 1. April 2008 berücksichtigt
wird.
2.2 Die in der Beschwerdebegründung und den nachfolgenden Schriftsätzen
enthaltenen Angriffe auf die Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung zei-
gen ebenfalls keinen Verfahrensmangel auf. Etwaige Fehler in der Sachver-
halts- und Beweiswürdigung sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts regelmäßig nicht dem Verfahrens-, sondern dem materiellen
Recht zuzuordnen (vgl. Beschluss vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B
710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 S. 18 f.). Für einen als Verfahrens-
fehler denkbaren formellen Begründungsmangel (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2,
§ 138 Nr. 6 VwGO) ist nichts dargetan und ersichtlich. Die - zudem nach Frist-
ablauf - erhobene Rüge, die Tatsacheninstanz habe wesentliche Bekundungen
des Klägers nicht berücksichtigt (dies betreffe vor allem sämtliche Angaben und
Korrekturen des Klägers gegenüber dem Gericht hinsichtlich der Grundstücks-
bewertung), ist nicht geeignet, einen Verstoß gegen das Gebot, rechtliches Ge-
hör zu gewähren, darzulegen. Ausschließlich die nicht mit der Verfahrensrüge
angreifbare Anwendung und Auslegung materiellen Rechts betrifft auch das
Vorbringen zur - vermeintlich - doppelten Anrechnung bereits bewilligter Ent-
schädigungsleistungen, das die von § 7 Abs. 2 EntschG vorgeschriebene Be-
rechnung der Entschädigung verkennt.
2.3 Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG und be-
rücksichtigt - in Bezug auf die vom Kläger zu tragende Kostenlast zu dessen
Gunsten -, dass das Verwaltungsgericht das Begehren des Klägers dahin be-
wertet hat, er erstrebe eine weitere Entschädigung in Höhe von 13 293,59 €,
von der das Verwaltungsgericht einen Teilbetrag von 7 158,08 € zugesprochen
und den Streitwert entsprechend festgesetzt hat. Die Einwendungen im Schrift-
satz vom 16. Juli 2008 gegen die Streitwertfestsetzung durch das Verwaltungs-
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gericht rechtfertigen mit Blick auf § 47 Abs. 2 GKG auch deswegen keine ande-
re Beurteilung, weil diese Streitwertfestsetzung nicht Streitgegenstand des vor-
liegenden Beschwerdeverfahrens ist, in dem sachlich der Streitgegenstand
nicht erweitert werden kann (§ 142 Abs. 1 Satz 1 VwGO ).
Hund Prof. Dr. Berlit Stengelhofen