Urteil des BVerwG vom 18.06.2012

Republik, Verfügung, DDR, Verfahrensmangel

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 5.12
VG 1 K 130/10
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Juni 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts
Leipzig vom 14. September 2011 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 14 672,03 € festgesetzt.
G r ü n d e :
1. Die auf die Zulassungsgründe eines Verfahrensmangels (a) und der grund-
sätzlichen Bedeutung der Rechtssache (b) gestützte Beschwerde hat keinen
Erfolg.
a) Nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn ein Ver-
fahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung
beruhen kann. Die von dem Kläger erhobenen Verfahrensrügen verhelfen der
Beschwerde nicht zum Erfolg.
aa) Die Revision ist nicht wegen des geltend gemachten Verstoßes gegen die
dem Gericht nach § 86 Abs. 1 VwGO obliegende Pflicht zur Sachverhaltsaufklä-
rung zuzulassen.
Eine angebliche Verletzung der Sachaufklärungspflicht des Gerichts ist unter
anderem nur dann im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ausreichend be-
zeichnet, wenn im Einzelnen dargetan wird, welche Tatsachen auf der Grundla-
ge der insoweit maßgeblichen materiellrechtlichen Auffassung der Vorinstanz
aufklärungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel zu welchen Beweis-
themen zur Verfügung gestanden hätten, welches Ergebnis diese Beweisauf-
nahme voraussichtlich gehabt hätte, inwiefern das angefochtene Urteil auf der
unterbliebenen Sachaufklärung beruhen kann und dass auf die Erhebung der
Beweise vor dem Tatsachengericht durch Stellung förmlicher Beweisanträge
hingewirkt worden ist oder - sollte dies nicht der Fall gewesen sein - aufgrund
welcher Anhaltspunkte sich die unterbliebene Sachaufklärung dem Gericht hät-
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te aufdrängen müssen (stRspr, vgl. z.B. Beschlüsse vom 13. Januar 2009
- BVerwG 9 B 64.08 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 372 S. 18 <20> und
vom 5. März 2010 - BVerwG 5 B 7.10 - Buchholz 310 § 133 VwGO
Nr. 94 S. 11 m.w.N.). Dem trägt die Beschwerde nicht ausreichend Rech-
nung.
Der Kläger ist der Auffassung, das Verwaltungsgericht habe deshalb gegen die
Sachaufklärungspflicht verstoßen, weil es ohne Erhebung eines Sachverständi-
genbeweises angenommen habe, in der ehemaligen Deutschen Demokrati-
schen Republik habe es keinen „inoffiziellen Grundstücksmarkt“ gegeben. Ei-
nen auf die Erhebung des vermissten Sachverständigenbeweises gerichteten
Beweisantrag hat der Kläger nicht gestellt. Es ist auch mit Blick auf die Darle-
gungen in der Beschwerdebegründung nicht erkennbar, dass sich dem Verwal-
tungsgericht die Erhebung des Sachverständigenbeweises hätte aufdrängen
müssen. Das Verwaltungsgericht hat aus dem Umstand, dass nach damaliger
Rechtslage in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Rechtsge-
schäfte, die die Übertragung des Eigentums an Grundstücken betrafen, ge-
nehmigungspflichtig gewesen seien und diese Genehmigung auch die preis-
rechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung umfasst habe, geschlossen, dass
es den vom Kläger behaupteten „inoffiziellen Grundstücksmarkt“ nicht gegeben
habe. Daran gemessen musste sich dem Gericht eine Beweiserhebung inso-
weit nicht aufdrängen.
Eine Verletzung der Pflicht zur Sachaufklärung ist auch nicht deshalb zu besor-
gen, weil - wie der Kläger unter dem Gesichtspunkt der Verletzung seines An-
spruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs beanstandet - sich das Verwal-
tungsgericht im Zusammenhang mit der Frage des Bestehens eines „inoffiziel-
len Grundstücksmarkts“ einer eigenen Sachkunde berühmt hätte, die es offen-
sichtlich nicht besitzt.
Das Tatsachengericht entscheidet über die Art der heranzuziehenden Beweis-
mittel und den Umfang der Beweisaufnahme im Rahmen seiner Pflicht zur
Sachverhaltsermittlung von Amts wegen nach Ermessen (vgl. Beschluss vom
4. November 2008 - BVerwG 2 B 19.08 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO
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Nr. 370 Rn. 11 m.w.N.). Es steht im tatrichterlichen Ermessen der Vorinstanz,
darüber zu befinden, ob es zur Entscheidung des Rechtsstreits die Hilfe eines
Sachverständigen benötigt. Die Nichteinholung eines Sachverständigengutach-
tens kann nur dann als verfahrensfehlerhaft beanstandet werden, wenn das
Gericht für sich eine ihm unmöglich zur Verfügung stehenden Sachkunde in
Anspruch nimmt oder wenn es sich in einer Frage für sachkundig hält, in der
seine Sachkunde ernstlich zweifelhaft ist, ohne dass es für die Beteiligten und
für das zur Nachprüfung berufene Revisionsgericht überzeugend darlegt, dass
ihm das erforderliche Fachwissen in genügendem Maße zur Verfügung steht
(stRspr, vgl. z.B. Beschlüsse vom 14. September 1992 - BVerwG 7 B 130.92 -
NVwZ 1993, 583 und vom 24. November 1997 - BVerwG 1 B 224.97 - juris
Rn. 6, jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind nicht dargetan.
Dabei kann dahinstehen, ob die hier in Rede stehende Rüge sich im Kern ge-
gen eine angeblich unrichtige Sachverhaltswürdigung richtet und deshalb nicht
dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht mit der Folge zuzuordnen
ist, dass mit ihr ein Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO
nicht in zulässiger Weise begründet werden kann. Jedenfalls sind die aufge-
zeigten Voraussetzungen eines Verfahrensmangels wegen unzulässiger Inan-
spruchnahme einer eigenen Sachkunde nicht ausreichend dargelegt. Das Ver-
waltungsgericht leitet - wie dargelegt - seine Annahme, in der ehemaligen Deut-
schen Demokratischen Republik habe es keinen „inoffiziellen Grundstücks-
markt“ gegeben, aus dem Umstand ab, dass nach der damals geltenden
Rechtslage der Eigentumsübergang an Grundstücken genehmigungspflichtig
war und diese Genehmigung auch die preisrechtliche Unbedenklichkeitbe-
scheinigung umfasste. Diese Erwägung ist schlüssig. Der Kläger beschränkt
sich insoweit darauf, die Richtigkeit des vom Verwaltungsgericht gezogenen
Schlusses infrage zu stellen. Damit kann aber ein Verfahrensmangel wegen
einer eigenständigen Tatsachenfeststellung des Gerichts trotz fehlender oder
jedenfalls zweifelhafter Sachkunde nicht begründet werden.
bb) Der geltend gemachte Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtli-
chen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) liegt nicht vor.
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Der Kläger ist der Auffassung, sein Anspruch auf Gewährung rechtlichen Ge-
hörs sei deshalb verletzt, weil das Verwaltungsgericht ihn nicht darauf hinge-
wiesen habe, dass es in seiner Entscheidung davon ausgehen werde, in der
ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik habe es keinen „inoffiziellen
Grundstücksmarkt“ gegeben. Dem ist nicht zu folgen.
Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Aus-
führungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu
ziehen. Die Beteiligten müssen demgemäß auch Gelegenheit erhalten, sich zu
allen entscheidungserheblichen Tatsachen und Rechtsfragen sachgemäß,
zweckentsprechend und erschöpfend erklären zu können. Hier war der Kläger
nicht gehindert, während des Verfahrens auch zu der hier in Rede stehenden
Frage vorzutragen. Diese Gelegenheit hat er auch genutzt. Bereits im Wider-
spruchsverfahren wurde - wie er selbst darlegt - die Frage eines „inoffiziellen
Grundstücksmarktes“ angesprochen. Dementsprechend finden sich in dem Wi-
derspruchsbescheid auch entsprechende Ausführungen. In der Klageschrift hat
der Kläger dargelegt, es dürfte gerichtsbekannt sein, dass es noch einen „inoffi-
ziellen“ Grundstücksmarkt gegeben habe.
Das Verwaltungsgericht war nicht verpflichtet, die Beteiligten im Vorhinein da-
rauf hinzuweisen, dass es in seinem Urteil die von dem Kläger beanstandete
Auffassung vertreten werde. Die Hinweispflicht des Gerichts nach § 86 Abs. 3
VwGO konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und zielt
mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsent-
scheidungen (vgl. Urteil vom 11. November 1970 - BVerwG 6 C 59.68 -
BVerwGE 36, 264 <266 f.> und Beschluss vom 10. Mai 2011 - BVerwG 8 B
87.10 - juris Rn. 5 m.w.N.). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts folgt aus dem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs auch
in der Ausprägung, den er in § 86 Abs. 3 VwGO gefunden hat, keine Pflicht des
Gerichts zu umfassender Erörterung aller entscheidungserheblichen Gesichts-
punkte. Das Tatsachengericht ist nicht verpflichtet, die Beteiligten schon in der
mündlichen Verhandlung auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte
Würdigung des Prozessstoffes hinzuweisen und offenzulegen, wie es seine
Entscheidung im Einzelnen zu begründen beabsichtigt. Denn die tatsächliche
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und rechtliche Würdigung ergibt sich regelmäßig erst aufgrund der abschlie-
ßenden Beratung (vgl. z.B. Beschluss vom 27. November 2008 - BVerwG 5 B
54.08 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 60 Rn. 8 m.w.N). Eine Ausnahme
hiervon gilt dann, wenn das Gericht bei seiner Entscheidung auf einen rechtli-
chen Gesichtspunkt oder auf eine bestimmte Bewertung des Sachverhalts ab-
stellen will, mit dem bzw. mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Pro-
zessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen braucht
(stRspr, vgl. z.B. Beschluss vom 27. November 2008 a.a.O. Rn. 8; BVerfG, Be-
schlüsse vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <144> und vom
7. Oktober 2003 - 1 BvR 10/99 - BVerfGE 108, 341 <345 f.>). Das war hier nicht
der Fall. Da - wie aufgezeigt - die Frage des Bestehens eines „inoffiziellen
Grundstücksmarkts“ bereits im Widerspruchsverfahren und schriftsätzlich im
Rahmen des Klageverfahrens erörtert worden war, lag es für den anwaltlich
vertretenen Kläger nicht fern, dass sie auch Gegenstand der Entscheidung des
Verwaltungsgerichts sein wird. Dass das Verwaltungsgericht der Auffassung
des Klägers insoweit nicht gefolgt ist, stellt keine Verletzung des Anspruchs auf
Gewährung rechtlichen Gehörs dar. Entsprechendes gilt für das von dem Ver-
waltungsgericht ausreichend gewürdigte Vorbringen des Klägers zur Bewertung
des Grundstücks.
Schließlich liegt entgegen der Auffassung des Klägers ein Verstoß gegen den
Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht darin, dass das Verwal-
tungsgericht das Bestehen eines „inoffiziellen Grundstücksmarkts“ nicht festzu-
stellen vermochte. Das Gericht hat die gegenteilige Behauptung des Klägers
zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen.
b) Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssa-
che nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für
die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts
aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisions-
gerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die
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Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund,
der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Be-
schwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung
zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergrei-
fenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. Beschluss vom
19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO
Nr. 26 S. 14). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Der Kläger möchte die Frage geklärt wissen:
„Ist bei der Ermittlung des Hilfswertes von Grundstücken
für den Einfamilienwohnhausbau ausschließlich der Wert
nach den Preisvorschriften der DDR maßgeblich und zu-
grunde zu legen oder ist der für vergleichbare Grundstücke
durchschnittlich gezahlte ‚zusätzliche Preis’ - der seiner
Natur nach im Genehmigungsverfahren und in Vertrags-
urkunden verschwiegen wurde - festzustellen und hinzu-
zuzählen. Setzt sich also der für die Ermittlung des Hilfs-
wertes zugrunde zu legende Wert zusammen aus dem of-
fiziellen Preis gemäß Preisvorschriften der DDR und dem
inoffiziellen Preis, der üblicherweise daneben gezahlt wur-
de.“
Diese Frage verhilft der Beschwerde schon deshalb nicht zum Erfolg, weil sie
sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen würde. Sie setzt voraus, dass in
der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik für Grundstücke (auch)
ein „inoffizieller Preis“ gezahlt wurde, es also insoweit einen „inoffiziellen Grund-
stücksmarkt“ gab. Diese Frage würde sich in dem erstrebten Revisionsverfah-
ren deshalb nicht stellen, weil das Verwaltungsgericht festgestellt hat, dass ein
solcher Markt nicht existierte und diese Feststellung gemäß § 137 Abs. 2
VwGO das Revisionsgericht binden würde, weil sie nicht mit zulässigen und
begründeten Revisionsrügen angegriffen worden ist.
2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwertes beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Vormeier
Stengelhofen
Dr. Störmer
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