Urteil des BVerwG vom 12.01.2009

Rechtliches Gehör, Faires Verfahren, Rüge, Hund

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 48.08
OVG 4 A 4710/05
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Januar 2009
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit und Dr. Störmer
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsge-
richts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. Februar
2008 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen
(§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
1.1 Mit der Rüge, das Berufungsgericht habe gegen den Anspruch auf ein faires
Verfahren verstoßen, indem es die Berufung zugelassen habe, „um sie dann im
hierzu offenkundigen Widerspruch als unzulässig zurückzuweisen“, wird ein
Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht aufgezeigt. Die
dieser Rüge zugrunde liegende und von der Beschwerde vorgebrachte
Rechtsansicht, mit der Berufungszulassung habe das Oberverwaltungsgericht
auch schon die Zulässigkeit der Berufung bejaht (Beschwerdebegründung I. 1.,
S. 2), geht am Entscheidungsinhalt vorbei und trifft auch sonst nicht zu. Zum
einen hat das Berufungsgericht hier nicht die Berufung als unzulässig ver-
worfen, sondern die Klage als unzulässig angesehen und daher die Berufung
zurückgewiesen. Zum anderen trifft ein Berufungsgericht mit der Zulassung der
Berufung weder eine bindende Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung
noch über die Zulässigkeit der Klage; das Berufungsgericht ist durch die
Zulassung nur hinsichtlich der Zulässigkeit und Begründetheit des Zulassungs-
antrages gebunden (vgl. Urteil vom 13. Juli 1999 - BVerwG 1 C 15.98 -
Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 9; Himstedt, in: Fehling/Kastner/-Wahrendorf,
Handkommentar VwVfG/VwGO, 1. Aufl. 2006, § 125 VwGO Rn. 7; Seibert, in:
Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 125 Rn. 38 m.w.N.).
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1.2 Das weitere Vorbringen, das die Beschwerde zur Begründung ihrer Ansicht
anführt, dass der angefochtene Beschluss „auf einer groben Vernachlässigung
der §§ 167 Abs. 1 VwGO, 138 Abs. 4 ZPO einerseits und § 86 VwGO anderer-
seits sowie auf einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör“ beruhe
(Beschwerdebegründung I. 2., S. 2 f.), legt einen Verfahrensfehler nicht in einer
den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dar.
Soweit sich die Beschwerde darauf beruft, es sei eine Rechtsposition des Klä-
gers aus § 138 Abs. 4 ZPO verletzt worden, verkennt sie, dass diese Vorschrift
im Verwaltungsprozess wegen der gerichtlichen Ermittlungspflicht nach § 86
Abs. 1 VwGO nicht anwendbar ist (Urteil vom 2. August 2001 - BVerwG 7 C
2.01 - Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 45, Beschluss vom 6. März 2003 - BVerwG
6 BN 9.02 - GewArch 2003, 262).
Soweit die Beschwerde eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht
nach § 86 Abs. 1 VwGO rügen will, genügt ihr Vorbringen ebenfalls nicht den
Darlegungserfordernissen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Eine erfolgreiche
Aufklärungsrüge setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts voraus, dass die Beschwerde darlegt, welche Tatsachen auf der
Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts, auf die
es allein ankommt, ermittlungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel
zu welchen Beweisthemen zur Verfügung gestanden hätten, welches Ergebnis
diese Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte, inwiefern das verwal-
tungsgerichtliche Urteil unter Zugrundelegung der materiellrechtlichen Auffas-
sung des Gerichts auf der unterbliebenen Sachaufklärung beruhen kann und
dass auf die Erhebung der Beweise vor dem Tatsachengericht hingewirkt wor-
den ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich die unterbliebene Beweisauf-
nahme dem Gericht hätte aufdrängen müssen (vgl. Urteil vom 22. Januar 1969
- BVerwG 6 C 52.65 - BVerwGE 31, 212 <217 f.>; Beschlüsse vom 13. Juli
2007 - BVerwG 9 B 1.07 - juris und vom 28. Juli 2008 - BVerwG 8 B 31.08 -
juris). Eine diesen Anforderungen auch nur annähernd genügende substantiier-
te Darlegung enthält die Beschwerde nicht. Der Beschwerdeführer trägt vor,
obwohl die Einstellung der Zwangsvollstreckung im Eilverfahren streitig gewe-
sen sei, habe das Berufungsgericht sie ohne Beweiserhebung als festgestellt
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behandelt und deshalb sein rechtliches Gehör verletzt (Beschwerdebegründung
I. 2., S. 3). Er legt aber etwa nicht dar, warum und welche Aufklärungsmaß-
nahmen bzw. Beweiserhebungen sich dem Berufungsgericht hätten aufdrängen
müssen und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiellrechtlichen Auf-
fassung des Tatsachengerichts zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren
Entscheidung hätten führen können.
Das Berufungsgericht hat auch entgegen dem Vorbringen der Beschwerde
(Beschwerdebegründung I. 2., S. 3) weder einen Rechtssatz aufgestellt, streiti-
ge Tatsachenbehauptungen müssten von den Beteiligten hingenommen wer-
den, noch hat es dem Kläger verfahrensfehlerhaft das Recht abgesprochen,
Tatsachen - hier die Rücknahme des Vollstreckungsauftrags - (mit Nichtwissen)
zu bestreiten. Die Beschwerde verwechselt hier Tatsachenbehauptungen eines
Beteiligten mit Tatsachenfeststellungen und -würdigungen durch das Gericht.
Die Angriffe des Klägers gegen die Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdi-
gung durch das Berufungsgericht verkennen, dass ein - hier zudem nicht er-
kennbarer - Fehler bei der Sachverhalts- und Beweiswürdigung revisionsrecht-
lich grundsätzlich nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht
zuzurechnen wäre (vgl. etwa Beschlüsse vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B
710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 und vom 11. August 1999
- BVerwG 11 B 61.98 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19).
1.3 Die Rüge, „die Verneinung des zusätzlich geltend gemachten Feststellungs-
interesses - Vermeidung eines Amtshaftungsprozesses“ mit der vom Beru-
fungsgericht gegebenen Begründung sei verfahrensfehlerhaft, bezeichnet
schon nicht, welche Verfahrensnorm verletzt worden sein soll, und zeigt auch
sonst einen Verfahrensfehler nicht auf. Das Oberverwaltungsgericht hat bei der
Verneinung des Feststellungsinteresses im Einklang mit der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts geprüft, ob ein Amtshaftungsanspruch erkenn-
bar unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt bestehen kann und der beabsich-
tigte Amtshaftungsprozess daher offensichtlich aussichtslos ist (Urteile vom
28. August 1987 - BVerwG 4 C 31.86 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 173 und
vom 29. April 1992 - BVerwG 4 C 29.90 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 247,
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Beschluss vom 9. Juli 2003 - BVerwG 8 B 100.03 - juris) und dies bejaht, ohne
dass insoweit durchgreifende Revisionszulassungsgründe erkennbar sind.
2. Die Revision ist auch nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen
Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Dieser
Zulassungsgrund setzt die Formulierung einer bestimmten höchstrichterlich
noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage
des revisiblen Rechts voraus, die im Interesse der Einheitlichkeit der Recht-
sprechung oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung be-
darf, und verlangt außerdem die Angabe, worin die allgemeine, über den Ein-
zelfall hinaus gehende Bedeutung dieser Frage bestehen soll (vgl. Beschlüsse
vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom
19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 (n.F.) VwGO
Nr. 26). Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Sie formu-
liert insbesondere bereits keinen revisionsgerichtlich klärungsbedürftigen
Rechtssatz. In ihrem Vorbringen zur Grundsatzrüge (Beschwerdebegründung
I. 3., S. 3 f.) beschränkt sie sich im Wesentlichen darauf, die von ihr für verfah-
rensfehlerhaft gehaltene Tatsachenwürdigung des Berufungsgerichts anzugrei-
fen. Soweit die Beschwerde dabei das Berufungsgericht damit kritisiert, es habe
u.a. den Rechtssatz unterstellt, „streitige Tatsachenbehauptungen müssten von
einem Prozessbeteiligten als festgestellte Tatsachen hingenommen werden“
(Beschwerdebegründung I. 3., S. 4), ist dies unzutreffend, weil das Beru-
fungsgericht in dem angegriffenen Beschluss einen derartigen Rechtssatz we-
der aufgestellt noch der Sache nach zugrunde gelegt hat. Auch das weitere
Vorbringen der Beschwerde zu ihrer Behauptung, die Rechtssache sei „insoweit
von grundsätzlicher Bedeutung, als der gerügte Beschluss das Feststel-
lungsinteresse ‚Vermeidung eines Amtshaftungsprozesses’ verneint“ (Be-
schwerdebegründung II. 2., S. 5 f.), wird den Darlegungsanforderungen des
§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht gerecht. Die Beschwerde benennt wiederum
keinen revisionsgerichtlich klärungsbedürftigen Rechtssatz von allgemeiner Be-
deutung, sondern rügt letztlich nur eine angeblich unrichtige Anwendung des
Prozessrechts durch das Berufungsgericht im Einzelfall.
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3. Soweit die Beschwerde mehrfach die Berufungsentscheidung als willkürlich
angreift, führt dies nicht auf einen Revisionszulassungsgrund im Sinne von
§ 132 Abs. 2 VwGO.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2
VwGO).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskosten-
freiheit folgt aus § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.
Hund Prof. Dr. Berlit Dr. Störmer
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