Urteil des BVerwG vom 15.02.2007

Aufschiebende Wirkung, Sozialhilfe, Hund, Heimbewohner

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 43.06
OVG 6 B 24.03
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. Februar 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Hund
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Franke und Dr. Brunn
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Berlin-Brandenburg vom 21. Dezember 2005 wird zurück-
gewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist nicht begründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe
der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO)
und der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor.
1. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Beschwerde beigemessene grund-
sätzliche Bedeutung. Die als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen Rechts-
fragen
„1.) Ersetzen Schiedssprüche nach § 94 BSHG, die von
beiden Parteien angefochten worden sind, Vergütungsver-
einbarungen i.S.d. § 93 Abs. 2 BSHG und schließen eine
Anwendbarkeit der im Urteil des Bundesverwaltungsge-
richts vom 20.10.1994 zur Bedarfsdeckung aufgestellten
Grundsätze eines Hilfebedürftigen in einer Behindertenein-
richtung mit der Folge aus, dass es auf das unstreitig wirk-
sam zwischen der Klägerin und dem Einrichtungsträger
vereinbarte Entgelt - s. Urt. des OVG Lüneburg vom
15.11.2000, Az.: 7 L 3691/95 - nicht ankommt?
2.) Wirkt die ab dem 01.01.1999 geltende Neufassung des
§ 93b Abs. 1 Satz 3 u. 4 BSHG, wonach Klagen gegen
Schiedssprüche aufschiebende Wirkung haben, sich ent-
sprechend des Beschlusses des 5. Senats des Bundes-
verwaltungsgerichts vom 28.02.2002 - BVerwG 5 C 21.01 -
dahingehend aus, dass Klagen gegen Schiedssprüche für
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die Jahre 1994 bis 1998 rückwirkend gleichfalls zur auf-
schiebenden Wirkung führen?
3.) Können geltend gemachte Übernahmeansprüche eines
Hilfebedürftigen Schiedsstellenentscheidungen entgegen-
gehalten werden, die angeblich weiter gelten sollen, wenn
diese Schiedssprüche zwischenzeitlich aufgehoben wor-
den sind? - Für die streitgegenständlichen Jahre 1995 bis
1998 sind die ergangenen Schiedssprüche durch Urteile
des VG Hannover vom 27. Feb. 2006 - Az.: 9 A 94/06; 9 A
107/06; 9 A 137/06; 9 A 138/06 - aufgehoben worden. Die
Klagen des Einrichtungsträgers gegen die Schiedssprüche
für die Jahre 1999 bis 2003, mit welchen die Festsetzun-
gen von Vergütungen in Ermangelung einer Leistungsver-
einbarung abgelehnt worden sind, sind durch Urteile des
VG Hannover vom 30. März 2006 abgewiesen worden.“
sind nach dem Urteil des Senats vom 4. August 2006 - BVerwG 5 C 13.05 -
juris (zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgese-
hen) nicht (mehr) klärungsbedürftig oder stellen sich auf der Grundlage dieses
Urteils nicht (mehr) in entscheidungserheblicher Weise.
Wie der Senat in diesem Urteil näher ausgeführt hat, liegt - auch im Verhältnis
zu ortsfremden Sozialhilfeträgern - ein „anderer Fall“ i.S.d. § 93 Abs. 2 Satz 1
Halbs. 2 BSHG F. 1994 bzw. ein Fall des § 93 Abs. 3 Satz 1 BSHG F. 1999
nicht vor, solange gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG F. 1994 bzw. § 93 Abs. 2
Satz 1 BSHG F. 1999 eine Vereinbarung bzw. eine sie gestaltende Schiedsstel-
lenentscheidung zwischen einer Einrichtung und dem örtlich zuständigen Träger
der Sozialhilfe tatsächlich und rechtlich möglich ist. Vorläufig festgesetzte oder
vereinbarte Entgelte bzw. Vergütungen stehen zwar den endgültig vereinbarten
oder festgesetzten Entgelten bzw. Vergütungen nicht gleich. Die Gewährung
von Sozialhilfe ohne Bezug zu einer Vereinbarung ist aber „gesperrt“, solange
der angestrebte Abschluss einer Vereinbarung bzw. eine vereinbarungs-
gestaltende Schiedsstellenentscheidung rechtlich und tatsächlich möglich ist
(Urteil vom 4. August 2006 a.a.O. juris Rn. 23).
Durch das Urteil des Senats vom 4. August 2006 (a.a.O.) ist - wie in der Sache
auch bereits das Berufungsgericht erkannt hat - weiter geklärt, dass die Bemü-
hungen des Einrichtungsträgers und des für den Sitz der Einrichtung örtlich zu-
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ständigen Sozialhilfeträgers um den Abschluss von Vereinbarungen auch in
Bezug auf einen selbst nicht vertragschließenden Sozialhilfeträger wirken, weil
die Abschlusszuständigkeit bei dem Sozialhilfeträger liegt, in dessen Bereich
die Einrichtung gelegen ist; bei dieser Sachlage stellen sich Fragen einer treu-
widrigen Berufung auf die Unwirksamkeit eines Vertrages bereits im Ansatz
nicht.
Unter diesen Umständen bedarf ferner keiner weiteren Erörterung, inwieweit die
Erwägungen in dem Beschluss des Senats vom 22. März 2005 - BVerwG 5 B
55.04 - im vorliegenden Fall hätten Geltung beanspruchen können.
Die Revision ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer nachträglichen Ab-
weichung von dem Urteil des Senats vom 4. August 2006 (a.a.O.) zuzulassen.
Das Berufungsgericht ist von den in diesem Urteil aufgestellten Rechtssätzen
schon nicht in entscheidungserheblicher Weise abgewichen. Es hat im Einklang
mit der Entscheidung des Senats vom 4. August 2006 (a.a.O.) angenommen,
dass „ein Anspruch auf höhere Leistungen (nicht besteht), weil eine
Entscheidung über das nach der niedersächsischen Regelung endgültig ge-
schuldete Entgelt (Tagespflegesatz) noch aussteht“ (UA S. 9 Abs. 2), und damit
auch entschieden, dass ein Sozialhilfeträger die zwischen einem Heimbewoh-
ner und dem Einrichtungsträger vereinbarten höheren Tagespflegesätze nicht
übernehmen müsse, „solange eine endgültige Vereinbarung im Sinne von § 93
Abs. 2 BSHG fehlt“ (UA S. 18) und eine Einigungsbereitschaft fortbesteht (s.a.
UA S. 19 Abs. 1). Insoweit hat das Berufungsgericht auch eine „fortbestehende
Einigungsbereitschaft“ festgestellt (UA S. 19). Es hat weiterhin erkannt, dass
ein Anspruch auf höhere Leistungen lediglich derzeit nicht besteht und damit für
den Fall der noch ausstehenden Entscheidung über das endgültig geschuldete
Entgelt eine weitere Leistung noch in Betracht kommt; daraus ergibt sich für
den umgekehrten Fall, dass eine Vereinbarung bzw. eine sie gestaltende
Schiedsstellenentscheidung zwischen einer Einrichtung und dem örtlich zu-
ständigen Träger der Sozialhilfe tatsächlich und rechtlich nicht mehr möglich ist,
dass ein „anderer Fall“ i.S.d. § 93 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BSHG (F. 1994) bzw.
ein Fall des § 93 Abs. 3 Satz 1 BSHG (F. 1999) vorliegt, aufgrund dessen eine
weitere Leistung in Betracht kommen kann.
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Jedenfalls steht die Ergebnisrichtigkeit des Berufungsurteils der Zulassung der
Revision in entsprechender Anwendung des § 144 Abs. 4 VwGO (stRspr, vgl.
etwa Beschlüsse vom 17. März 1998 - BVerwG 4 B 25.98 - Buchholz 406.17
Bauordnungsrecht Nr. 66 und vom 22. August 1996 - BVerwG 8 B 100.96 -
Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 62 m.w.N.) entgegen. Der weitere Begrün-
dungsschriftsatz vom 20. Januar 2007 rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Sollten damit neue Zulassungsrügen vorgebracht werden, wären diese schon
nicht fristgemäß erhoben (§ 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Die Ausführungen dazu,
dass eine Vereinbarung bzw. eine sie ersetzende Schiedsstellenentscheidung
zwischen dem Einrichtungsträger und dem zuständigen Träger der Sozialhilfe
gemäß § 93 Abs. 2 BSHG tatsächlich und rechtlich nicht mehr möglich sei, füh-
ren zudem nicht auf einen Revisionszulassungsgrund. Die Beschwerde wendet
sich insoweit lediglich gegen die tatsächliche und rechtliche Würdigung des
Berufungsgerichts, ohne einen Bezug zu einem der in § 132 Abs. 2 VwGO be-
zeichneten Zulassungsgründe aufzuzeigen.
2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (Divergenz) zuzu-
lassen.
2.1 Die geltend gemachte Abweichung von dem Urteil des Senats vom
20. Oktober 1994 (- BVerwG 5 C 28.91 - BVerwGE 97, 53) liegt schon deswe-
gen nicht vor, weil die vermeintlich divergierenden Entscheidungen nicht zu
derselben Regelung ergangen sind. § 93 BSHG ist durch das Zweite Gesetz
zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (vom
21. Dezember 1993, BGBl I, 2374) zum 1. Juli 1994 grundlegend umgestaltet
worden.
2.2 Die Revision ist auch nicht wegen einer Abweichung des Berufungsgerichts
von früheren Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (vom 28. Februar
2002 - BVerwG 5 C 25.01 - BVerwGE 116, 78) oder des Bundesverfas-
sungsgerichts (vom 31. Mai 1960 - 2 BvL 4/59 - BVerfGE 11, 139) zuzulassen.
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Nach dem Urteil des Senats vom 4. August 2006 (a.a.O.) kommt es nicht darauf
an, ob einer Klage gegen eine Schiedsstellenentscheidung aufschiebende
Wirkung zukommt oder nicht. Die Sperrwirkung für eine endgültige Sozialhilfe-
gewährung ohne Bezug zu einer Vereinbarung tritt unabhängig davon mit der
Aufnahme von Verhandlungen zum Vereinbarungsabschluss ein und dauert an,
solange der angestrebte Abschluss einer Vereinbarung bzw. eine vereinba-
rungsgestaltende Schiedsstellenentscheidung rechtlich und tatsächlich möglich
ist. Es kann daher in entsprechender Anwendung des § 144 Abs. 4 VwGO of-
fenbleiben, ob dem Berufungsurteil der Rechtssatz entnommen werden kann,
dass neue Prozessvorschriften nur eingeschränkt auf bereits anhängige Streit-
sachen anwendbar sind, sich insbesondere für eine prozessuale Rückwirkung
neuer Verfahrensvorschriften aus dem Sinn und Zweck der Neuregelung ent-
nehmen lassen muss, dass der neuen Regelung rückwirkende Wirkung zu-
kommen soll, und ob ein solcher Rechtssatz von den benannten Entscheidun-
gen abweicht. Ebenso kann offenbleiben, ob das Berufungsgericht mit seiner
Erwägung, der Grundsatz, dass neue Prozessvorschriften grundsätzlich auch
für bereits anhängige Streitsachen gelten, nicht gelte, wenn sich aus Sinn und
Zweck der neuen Vorschriften etwas anderes ergebe, von dem Urteil des Bun-
desverwaltungsgerichts vom 28. Februar 2002 (a.a.O.) abweicht.
3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskosten-
freiheit auf § 188 Satz 2 VwGO.
Hund Dr. Franke Dr. Brunn
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