Urteil des BVerwG vom 19.02.2002

Rüge, Gerichtsakte, Sozialhilfe, Verwaltungsakt

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BESCHLUSS
BVerwG 5 B 4.02 (5 PKH 2.02)
VGH 12 B 96.3634
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Februar 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. S ä c k e r und die Richter am Bundesverwaltungs-
gericht S c h m i d t und Dr. F r a n k e
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nicht-
zulassung der Revision in dem Urteil des
Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom
24. Oktober 2001 wird zurückgewiesen.
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Der Antrag des Klägers, ihm Prozesskostenhilfe
unter Beiordnung von Rechtsanwalt K. zu bewil-
ligen, wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdever-
fahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vorgetragenen Gründe
rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht.
Dem Berufungsurteil ist ein Erörterungstermin vor dem Bericht-
erstatter am 12. Juli 2001 vorausgegangen (Gerichtsakte
Seite 291 ff.), in welchem neben dem vorliegenden und anderen
Verfahren auch die Verfahren VGH 12 B 96.3633 und 12 B 96.3635
erörtert wurden (das Urteil im Verfahren VGH 12 B 96.3633 ist
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens BVerwG 5 B 3.02, das Ur-
teil im Verfahren VGH 12 B 96.3635 ist Gegenstand des Be-
schwerdeverfahrens BVerwG 5 B 5.02). Im Ausgangsverfahren wie
im Verfahren 12 B 96.3633 haben die Beteiligten sich überein-
stimmend mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter an-
stelle des Senats und ohne (weitere) mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt.
Mit dem im vorliegenden Beschwerdeverfahren angefochtenen Ur-
teil hat der Verwaltungsgerichtshof die Klage mit dem Hauptan-
trag auf Verurteilung der Beklagten zur schriftlichen Begrün-
dung von 47 mündlich erlassenen Verwaltungsakten, die der Klä-
ger in seinem Widerspruch vom 8. Januar 1988 bezeichnet hatte,
in insgesamt 40 Fällen als wegen anderweitiger Rechtshängig-
keit - nämlich im Verfahren 12 B 96.3633 - unzulässig angese-
hen; in den übrigen 7 Fällen (Nr. 19, 27, 42-45, 47) sei die
Klage jedenfalls unbegründet.
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Mit der Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs und der
Aufklärungsrüge macht der Beschwerdeführer im Wesentlichen
geltend, infolge unterbliebenen gerichtlichen Hinweises sei er
vom Ergehen einer Sachentscheidung ohne vorherige Aufklärung
der von ihm erhobenen Vorwürfe der Aktenfälschung überrascht
worden; schriftsätzlicher Sachvortrag sei übergangen worden
und er habe auch keine Gelegenheit gehabt, sich zur Frage der
anderweitigen Rechtshängigkeit zu äußern. Bei ausreichender
Gelegenheit zur Stellungnahme hätte er den Vortrag der Akten-
manipulation durch Anträge auf weitere Sachaufklärung und Be-
weisantritte ergänzt; in den Fällen der anderweitigen Rechts-
hängigkeit hätte er weitere Anträge gestellt und zumindest ei-
ne Berufung zurückgenommen.
Was zunächst die Rüge einer Überraschungsentscheidung ohne
vorherigen rechtlichen Hinweis (§ 86 Abs. 3 VwGO) auf die an-
derweitige Rechtshängigkeit der Mehrheit der geltend gemachten
Ansprüche und auf die Möglichkeit einer Sachentscheidung ohne
weitere Aufklärung der vom Kläger erhobenen Vorwürfe der Ak-
tenmanipulation betrifft, für welche die Vorinstanz nach Rück-
griff auf die Behördenakten keinerlei Anhaltspunkte gesehen
hat (Seite 10 des Urteils), ist nicht ersichtlich, dass sich
dem Gericht ein solcher Hinweis hätte aufdrängen müssen, weil
der Kläger hierauf zur Wahrung seiner prozessualen Rechte an-
gewiesen gewesen wäre. Wenn, wie das Berufungsgericht festge-
stellt hat, die am 11. Januar 1988 im Ausgangsverfahren erho-
benen 47 "Untätigkeitsklagen", die sich auf durchnummerierte
Eintragungen in einem Leistungsbogen des Sozialamtes der Be-
klagten beziehen, mit den 62 bereits am 8. Januar 1988 anhän-
gig gemachten Klagen, die den Gegenstand des Verfahrens VGH
12 B 96.3633 bilden und einer anderen Rubrik des Leistungsbo-
gens entsprechen, in 40 Fällen streitgegenständlich überein-
stimmen, hätte der Kläger dem Ergehen eines Prozessurteils
zwar durch eine Klagerücknahme zuvorkommen können, doch wird
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von der Beschwerde nichts vorgetragen, was die von der Vorin-
stanz angenommene Identität der Streitgegenstände in Frage
stellen könnte. Zu deren Überprüfung anhand der den Untätig-
keitsklagen zugrunde liegenden Leistungsbögen hatte der in
beiden Verfahren vom selben Rechtsanwalt vertretene Kläger
selbst allen Anlass; welche "andere(n) und zusätzliche(n) An-
träge" (Seite 5 der Beschwerdebegründung) er bei einem rich-
terlichen Hinweis gestellt hätte, wird von der Beschwerde
- bis auf die Möglichkeit einer Rücknahme einer der beiden Be-
rufungen - nicht dargelegt. Ein richtiges Urteil kann jedoch
nicht mit der Begründung angefochten werden, bei einem ge-
richtlichen Hinweis wäre die Klage bzw. das Rechtsmittel zu-
rückgenommen worden.
Was die vom Kläger erhobenen Vorwürfe der Aktenmanipulation
betrifft, wird von der Beschwerde schon nicht in ausreichender
Weise vorgetragen, welche konkreten Anträge auf weitere Sach-
aufklärung und Beweiserhebung bei Ergehen eines gerichtlichen
Hinweises gestellt worden wären und welche konkreten Ergebnis-
se daraus zu erwarten gewesen wären. Die Beschwerde macht gel-
tend, es seien Behördenakten erst unterschliffen und dann 1998
um 600 Seiten ergänzt worden und die Akten seien immer noch
unvollständig, doch fehlt die für eine Gehörsrüge bzw. Aufklä-
rungsrüge erforderliche Konkretisierung der nach Auffassung
der Beschwerde übergangenen bzw. unterbliebenen Anträge; es
ist auch nicht ersichtlich, dass sich dem Gericht eine weitere
Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen.
Soweit das Berufungsgericht die Klage in den Positionen
Nr. 19, 27, 42-45 und 47 als unbegründet angesehen hat, grei-
fen die hiergegen im Einzelnen erhobenen Verfahrensrügen nicht
durch.
Zu der Nr. 27 ("Aufhebung des Entscheides vom 3. Februar 1987
mit Wirkung zum 1. März 1987") hat die Vorinstanz das Vorlie-
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gen eines Verwaltungsakts mit der Begründung verneint, dass
für den Monat März 1987 keine aufhebungsbedürftige Leistungs-
bewilligung vorgelegen habe (Seite 9 des Urteils). Dies wird
durch das Beschwerdevorbringen, wonach sich bei vollständiger
Vorlage aller Akten ergeben hätte, dass die Sozialhilfe "bis
auf weiteres", d.h. bis zur nächsten turnusmäßigen Überprüfung
in 6 Monaten weiter gewährt worden wäre (Seite 6 der Beschwer-
debegründung), rechtlich nicht in Frage gestellt. Soweit dem
Beschwerdevortrag entnommen werden kann, das Berufungsgericht
hätte in der Versagung beantragter Sozialhilfe ab dem 1. März
1987 einen Verwaltungsakt sehen müssen, wäre damit allein des-
sen Rechtsanwendung und Entscheidung als in der Sache unrich-
tig angegriffen, nicht aber ein Verfahrensfehler dargelegt,
auf welchen allein der Kläger seine Beschwerde stützt.
Soweit das Berufungsgericht zu den Positionen Nr. 42 und 43
das Vorliegen eines begründungsbedürftigen Verwaltungsaktes
verneint hat, weil die vermerkte "Aufhebung" nur zum Ausdruck
bringe, dass der Kläger die fraglichen Hilfen nicht in An-
spruch genommen habe (Seite 9 des Urteils), ist das Beschwer-
devorbringen rechtlich unerheblich, denn die Behauptung des
Klägers, die Beklagte hätte ihm die Leistungen unschwer aus-
händigen können, widerlegt nicht die Annahme des Berufungsge-
richts, die Aufhebung einer Auszahlungsanordnung sei kein zu
begründender Verwaltungsakt.
Soweit das Berufungsgericht schließlich zu den Positionen
Nr. 44, 45 und 47 betreffend die Übernahme von Unterkunftskos-
ten für bestimmte kurze Zeiträume (ausweislich der Eintragun-
gen in dem der Klageschrift und dem Widerspruch vom 8. Januar
1988 beigefügten Leistungsbogen bezieht Nr. 44 sich auf den
Zeitraum 16. bis 21. Juni 1987, Nr. 45 auf den Zeitraum
13. bis 19. Juli 1987 und Nr. 47 auf den Zeitraum 6. bis
8. November 1987) unter Hinweis auf das Urteil im Verfahren
VGH 12 B 96.3633 (Seite 10 des genannten Urteils) die Fest-
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stellung getroffen hat, die schriftliche Bestätigung und Auf-
schlüsselung im "Genehmigungsbescheid" der Beklagten vom
24. Februar 1988 (Behördenakte Bd. 4 Bl. 1189 ff.) genüge mit
Blick auf die besonderen Umstände den Mindestanforderungen des
§ 35 Abs. 1 SGB X, hat es ohne Verstoß gegen Verfahrensvor-
schriften in der Sache entschieden; mit der Rüge, diese Sach-
entscheidung sei rechtsfehlerhaft, bezeichnet der Kläger kei-
nen Verfahrensmangel.
Entgegen der Auffassung des Klägers (Seite 8/9 der Beschwerde)
hat das Berufungsgericht nicht dessen Antrag übergangen, "die
Beklagte möge verpflichtet werden, die belastenden Teile der
streitgegenständlichen Verwaltungsakte zu begründen"; vielmehr
hat es, soweit es die Klage für zulässig hielt, entschieden,
dass den in der Klage bezeichneten Positionen entweder keine
Verwaltungsakte zugrunde lagen oder diese, d.h. auch mit ihren
Leistungen ablehnenden Teilen, nach § 35 Abs. 1 SGB X hinrei-
chend begründet waren.
Soweit die Beschwerde unter Bezugnahme auf den Berichtigungs-
beschluss vom 3. Dezember 2001 im Parallelverfahren 12 B
96.3633 (Gerichtsakte Seite 427 ff.) darauf hinweist, die
Feststellungen auch in dem vorliegend angefochtenen Urteil be-
ruhten auf einem unrichtigen Tatbestand, ist nicht dargelegt,
dass und warum eine in tatsächlicher Hinsicht unzutreffende
Bezugnahme im Tatbestand des Urteils im Parallelverfahren auf
den Gerichtsbeschluss vom 3. Juni 1987 zu einer revisions-
rechtlich relevanten fehlerhaften Urteilsgrundlage im vorlie-
genden Verfahren führen soll, zumal ausweislich Seite 3 des
Berichtigungsbeschlusses die im dortigen Verfahren tragende
Feststellung einer Bezugnahme auf den Senatsbeschluss "unbe-
rührt bleibt"; für das vorliegende Verfahren ist eine entspre-
chende Berichtigung gemäß § 119 VwGO jedenfalls nicht bean-
tragt worden.
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Aus den angeführten Gründen ergibt sich sodann, dass die bean-
tragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden kann; es
fehlt an der hinreichenden Erfolgsaussicht der Rechtsverfol-
gung (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Ge-
richtskostenfreiheit ergibt sich aus § 188 Satz 2 VwGO.
Dr. Säcker Schmidt Dr. Franke