Urteil des BVerwG vom 30.09.2009

Mangel des Verfahrens, Verfahrensmangel, Hund, Amt

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 38.09
VG 4 K 32/06
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. September 2009
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit und Dr. Störmer
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden
vom 5. November 2008 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 18 900,00 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Zulassungsgründe der Grundsatzbedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO) und des Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Be-
schwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache (§ 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen, weil eine Grundsatzbedeutung bereits nicht in
einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise
dargelegt worden ist.
Die von der Beschwerde für klärungsbedürftig gehaltene Frage,
„ob mehrere kleine Ämter auf nachgeordneter Kreisebene
für sich allein ein Vorschubleisten begründen können“,
bedarf schon deshalb keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, weil sie in
der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits dahin geklärt ist,
dass aus der Innehabung nachgeordneter (ehrenamtlicher) Parteifunktio-
nen auf Kreisebene nicht hergeleitet werden kann, dass der Betreffende gemäß
§ 1 Abs. 4 AusglLeistG dem nationalsozialistischen System erheblich Vorschub
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geleistet hat (Urteil vom 19. Oktober 2006 - BVerwG 3 C 39.05 - BVerwGE 127,
56 <59 ff.>, Beschluss vom 1. August 2007 - BVerwG 5 B 148.07 - juris). Zu-
dem würde sich die von der Beschwerde aufgeworfene Frage in einem Revisi-
onsverfahren auch so nicht stellen. Denn das Verwaltungsgericht hat weder den
Rechtssatz aufgestellt noch sich in der Sache darauf gestützt, dass die
Innehabung mehrerer kleiner Ämter in der NSDAP auf nachgeordneter Kreis-
ebene für sich allein ein Vorschubleisten begründen könne. Vielmehr hat es
entschieden, dass der Großvater der Kläger „in der Gesamtschau seiner Tätig-
keiten für, vor und während des Nationalsozialismus die Schwelle eines erheb-
lichen Vorschubleistens, wie vom Ausschlussgrund vorausgesetzt, deutlich
überschritten“ habe (UA S. 12). Dabei hat es nicht nur auf die verschiedenen
Ämter abgestellt, die der Großvater der Kläger innerhalb der NSDAP und ihren
Gliederungen wahrgenommen hat, sondern unter anderem auch die Art und
Weise ihrer Ausübung gewürdigt und im Rahmen einer Gesamtbetrachtung
berücksichtigt.
Die weitere von der Beschwerde aufgeworfene Frage,
„ob ein Parteieintritt bereits Ende 1930 als Kriterium für ein
erhebliches Vorschubleisten i.S.v. § 1 Abs. 4 AusglLeistG
angesehen werden kann“,
rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Grundsatzrevision. Auch diese
Frage bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Vielmehr ergibt sich
bereits aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass im Rah-
men einer Einzelfallwürdigung, die das Verwaltungsgericht hier in revisions-
rechtlich nicht zu beanstandender Weise zugrunde gelegt hat, auch der Um-
stand des Parteieintritts im Jahre 1930 - jedenfalls dann, wenn der Parteibeitritt
wie hier gewissermaßen der Auftakt für ein weiteres aktives Eintreten für die
Ziele der NSDAP nach außen gewesen ist - als ein Gesichtspunkt für die Frage,
ob das Verhalten des Betroffenen insgesamt die Schwelle zum erheblichen
Vorschubleisten überschritten hat, berücksichtigt werden darf.
Es entspricht nämlich ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-
richts, dass ein erhebliches Vorschubleisten im Sinne von § 1 Abs. 4
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AusglLeistG zum einen zwar nicht allein aus der bloßen Mitgliedschaft in der
NSDAP oder einer ihrer Gliederungen hergeleitet werden kann, dass aber zum
anderen bereits in der Phase der Errichtung und nicht erst nach der Etablierung
des nationalsozialistischen Systems ein erhebliches Vorschubleisten möglich
war (vgl. Urteile vom 17. März 2005 - BVerwG 3 C 20.04 - BVerwGE 123, 142;
vom 23. Februar 2006 - BVerwG 3 C 22.05 - Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG
Nr. 6 und vom 19. Oktober 2006 - BVerwG 3 C 39.05 - BVerwGE 127, 56 sowie
zusammenfassend: Beschluss vom 1. August 2007 a.a.O.). Zudem ist in der
Rechtsprechung geklärt, dass in Fällen, in denen eine Indizwirkung (vgl. dazu
etwa Urteil vom 26. Februar 2009 - BVerwG 5 C 4.08 - NVwZ-RR 2009, 625)
nicht eingreift, im Wege einer umfassenden Einzelfallwürdigung zu prüfen ist,
ob die Unterstützungshandlungen des Betreffenden für das nationalsozialisti-
sche System den qualifizierten Anforderungen an die Erheblichkeit des Vor-
schubleistens genügen (Urteil vom 14. Dezember 2006 - BVerwG 3 C 36.05 -
BVerwGE 127, 236 <241>; Beschlüsse vom 14. Januar 2008 - BVerwG
5 B 199.07 -, ZOV 2008, 99; vom 4. Juni 2009 - BVerwG 5 B 16.09 - juris
Rn. 6). Dabei muss eine Tätigkeit für die NSDAP oder eine ihrer Gliederungen
nicht notwendig hauptamtlich ausgeübt worden sein. Maßgeblich für die erfor-
derliche umfassende Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalles sind
vielmehr zum einen der Umfang und die Dauer der Tätigkeit, die mit dem Amt
oder seiner Funktion verbundenen Aufgaben und Befugnisse und der daraus
resultierende Nutzen für das nationalsozialistische System (Urteil vom 14. De-
zember 2006 a.a.O.). Zum anderen kommt es maßgeblich darauf an, wie der
Betreffende sein Amt oder seine Funktion ausgeübt hat (Urteil vom 19. Oktober
2006 - BVerwG 3 C 39.05 - BVerwGE 127, 56 <66>; Beschluss vom 14. Januar
2008 a.a.O.). Gegebenenfalls kann auch erst eine Gesamtschau sämtlicher
systemfördernder Handlungen die Annahme rechtfertigen, dass die Schwelle
des erheblichen Vorschubleistens überschritten worden ist (vgl. Urteil vom
19. Oktober 2006 a.a.O. <59> Rn. 21; Beschluss vom 13. November 2006
- BVerwG 5 B 33.06 - ZOV 2007, 179).
Damit ist geklärt, dass für eine solche, mit einer umfassenden Einzelfallwürdi-
gung verbundene Gesamtschau auch der Zeitpunkt des Eintritts in die NSDAP
ein Kriterium - im Sinne eines Gesichtspunktes unter vielen - für ein erhebliches
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Vorschubleisten im Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG sein kann, wenn der Ein-
tritt in einer Phase erfolgt ist, in der diese Partei noch um die „Machtergreifung“
gekämpft hat. Das gilt insbesondere dann, wenn dieser Gesichtspunkt - wie
hier - im Zusammenhang mit weiteren (zeitnahen) Aktivitäten des Betreffenden
zugunsten des nationalsozialistischen Systems steht und zu würdigen ist. Für
die Grundsatzrüge ist dabei unerheblich, dass entgegen der Darstellung der
Beschwerde (Beschwerdebegründung S. 5) das Verwaltungsgericht zudem ge-
rade nicht „allein das Datum des Eintritts in die NSDAP“ als Entscheidungskrite-
rium für ein Vorschubleisten angesehen hat. Vielmehr hat es diesen Gesichts-
punkt im Zusammenhang gewürdigt mit der kurz nach dem Parteieintritt des
Großvaters der Kläger erfolgten (Mit-) Gründung der NSDAP-Ortsgruppe W.
und den darin von ihm ausgeübten Funktionen, mit denen eine „lebhafte pro-
pagandistische Tätigkeit …, die weit über das Ortsgruppengebiet hinausging
und sich schließlich auf den Kreis erstreckte“ verbunden gewesen sei (UA
S. 11). Dem frühen Parteibeitritt komme - so das Verwaltungsgericht - deshalb
besondere Bedeutung zu, „da sich der Großvater der Kläger damit zeitgleich
nicht nur nach außen als Anhänger der Grundgedanken des Nationalsozialis-
mus zu erkennen gegeben“ habe, „sondern durch die Mitgründung seiner Orts-
gruppe und der Übernahme zunächst im Dezember 1930 der Ämter des Schrift-
führers und des Pressewarts, 1931 dann des stellvertretenden Ortsgruppenlei-
ters auf örtlicher Ebene an der Installierung bzw. Festigung dieses Unrechts-
systems aktiv mitgewirkt“ habe (UA S. 11).
2. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Als verfahrensfehlerhaft rügt die Beschwerde, das Verwaltungsgericht habe in
verschiedener Hinsicht ihrer Ansicht nach unzureichende Sachverhaltsfeststel-
lungen getroffen (Beschwerdebegründung S. 5 - 9). Damit legt die Beschwerde
einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht dar. Ein
solcher ist nämlich nur dann bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeint-
lich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung sub-
stantiiert dargetan wird (Beschlüsse vom 19. August 1997 - BVerwG
7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO n.F. Nr. 26; vom 10. November 1992
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- BVerwG 3 B 52.92 - Buchholz 303 § 314 ZPO Nr. 5). Hieran fehlt es bereits
insofern, als es die Beschwerde durchweg versäumt, Verfahrensvorschriften zu
benennen, gegen die das Verwaltungsgericht verstoßen haben soll, so dass
bereits unklar ist, welche konkreten Verfahrensverstöße sie rügen will.
Soweit die Beschwerde mit dem Vorbringen, die Feststellungen des Verwal-
tungsgerichts seien unzureichend oder beruhten lediglich auf Vermutungen,
jeweils Aufklärungsrügen (Verfahrensfehler nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 86
Abs. 1 VwGO) hat erheben wollen, sind die so verstandenen Verfahrensrügen
durchweg unzulässig, weil sie nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 VwGO
entsprechend bezeichnet worden sind. Eine diesen Anforderungen genügende
Sachaufklärungsrüge verlangt nämlich die substantiierte Darlegung, hinsichtlich
welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für
geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Be-
tracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei
Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich ge-
troffen worden wären. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits
im Verfahren vor dem Tatsachengericht auf die Vornahme der Sachver-
haltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden
ist, oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein
solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (stRspr; vgl. etwa
Beschlüsse vom 19. August 1997 a.a.O.; vom 2. März 2007 - BVerwG
5 B 63.06 - juris). Diesen Anforderungen wird die Beschwerde in keiner Weise
gerecht.
Auch soweit die Beschwerde sinngemäß die Rüge erheben wollte, das Verwal-
tungsgericht habe den Sachverhalt entgegen den Anforderungen des § 108
Abs. 1 Satz 1 VwGO fehlerhaft gewürdigt (etwa mit den Einwänden, dass die
verschiedenen Parteiämter des Großvaters der Kläger - u.a. mangels konkret
nachgewiesener Unrechtshandlungen - die Annahme seiner Unwürdigkeit im
Sinne von § 1 Abs. 4 AusglLeistG nicht rechtfertigen könnten), hat sie damit
einen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht darge-
legt. Denn ihr Vorbringen richtet sich insoweit der Sache nach nicht gegen die
verfahrensrechtlich ordnungsgemäße Feststellung bestimmter Tatsachen, son-
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dern gegen die Würdigung des Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht. Die
Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist jedoch in revisionsrechtlicher Hinsicht
grundsätzlich dem materiellen Recht zuzuordnen (Beschlüsse vom
2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 Nr. 266; vom
11. August 1999 - BVerwG 11 B 61.98 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1
VwGO Nr. 19), es sei denn - und dies legt die Beschwerde gerade nicht dar -,
der gerügte Verstoß beträfe allein den Tatsachenbereich (Urteil vom 19. Januar
1990 - BVerwG 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271; Beschluss vom 9. März 2005
- BVerwG 8 B 103.04 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 32) oder bestehe in
einer willkürlichen, etwa Denkgesetze verletzenden Würdigung.
Soweit die Beschwerde mit ihrem Vorbringen die Würdigung des Verwaltungs-
gerichts der Sache nach als rechtsfehlerhaft (weil gegen § 1 Abs. 4 AusglLeistG
verstoßend) angreifen will, verkennt sie, dass die Frage, ob das vorinstanzliche
Verfahren an einem Mangel des Verfahrens leidet, gerade vom materiellrechtli-
chen Standpunkt der Vorinstanz aus zu beurteilen ist, auch wenn dieser
Standpunkt - was hier nicht erkennbar ist - verfehlt sein sollte (stRspr., vgl. etwa
Urteil vom 14. Januar 1998 - BVerwG 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119>).
Mit einem in das Gewand der Verfahrensrüge gekleideten Angriff gegen die
Anwendung und Auslegung des materiellen Rechts lässt sich weder ein Verstoß
gegen den Überzeugungsgrundsatz noch ein sonstiger die Zulassung der
Verfahrensrevision rechtfertigender Verfahrensfehler dartun.
3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 VwGO i.V.m. § 100
Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Hund Prof. Dr. Berlit Dr. Störmer
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