Urteil des BVerwG vom 22.05.2008

Hund, Verfügung, Überprüfung, Beschränkung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 36.08
OVG 12 A 2269/07
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Mai 2008
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Franke und Prof. Dr. Berlit
beschlossen:
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Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsge-
richts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. Dezem-
ber 2007 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
G r ü n d e:
1. Die allein auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungs-
grund nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung
der Rechtsfrage zuzulassen,
„Liegt eine rechtsfehlerhafte Verengung des dem Beklag-
ten nach § 102 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. e Sozialge-
setzbuch - Neuntes Buch (SGB IX) i.V.m. § 24 SchwbAV
eingeräumten Ermessensspielraumes vor, wenn der Be-
klagte durch eine interne Richtlinie eine Selbstbindung
dahingehend vornimmt, dass er eine Förderung zum Aus-
gleich lediglich der behinderungsbedingten und nur der
arbeitsplatzbezogenen Defizite vorsieht?“,
weil sich diese Frage nach der Begründung der angegriffenen Entscheidung in
einem Revisionsverfahren nicht stellte.
Das Berufungsgericht hat die (einen Zuschuss zum Studium der Klägerin an
einer Virtuellen Fachschule mit dem Abschluss „staatlich geprüfte Betriebswir-
tin“ ablehnende) Ermessensentscheidung des Beklagten als rechtsfehlerhaft
beanstandet, weil den der Zuschussgewährung zugrundeliegenden Regelungen
(§ 102 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB IX; § 24 SchwbAV) eine doppelt eingeschränkte
Zielrichtung (Ausgleich lediglich der behinderungsbedingten und nur der ar-
beitsplatzbezogenen Defizite) nicht zukomme, sie vielmehr auch eine Förde-
rung allgemeiner Fortbildungsmaßnahmen zuließen. Weil § 24 Satz 2 SchwbAV
die Möglichkeit, Hilfen auch zum beruflichen Aufstieg zu erbringen, ohne
inhaltliche Beschränkungen aufweise, könne die rechtsfehlerhafte Verengung
des Ermessensspielraumes durch das Integrationsamt bzw. den Wider-
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spruchsausschuss beim Integrationsamt des Beklagten auch nicht mit der
Überlegung gerechtfertigt werden, eine finanzielle Förderung der Ausbildung in
einem neuen Beruf gehe über die Intention des Nachteilsausgleichs für
schwerbehinderte Menschen hinaus, weil ihnen dadurch gegenüber nicht be-
hinderten Arbeitnehmern, die einen Lehrgang mit vergleichbaren Inhalt besuch-
ten und mangels eines Anspruchs auf finanzielle Förderung aus eigenen Mitteln
finanzieren müssten, ein wirtschaftlicher Vorteil verschafft werde. Das Beru-
fungsgericht hat mithin der Sache nach darauf abgestellt, dass der Beklagte bei
der zu treffenden Ermessensentscheidung über die von der Klägerin begehrte
Förderung von einer rechtsfehlerhaften, weil zu engen Auslegung der heranzu-
ziehenden Rechtsnormen ausgegangen sei und damit den gesetzlichen Rah-
men, der seiner Ermessensentscheidung vorgegeben sei, nicht zutreffend be-
stimmt habe. Systematisch ist dies der von dem Beklagten aufgeworfenen Fra-
ge einer Selbstbindung eines als bestehend angenommenen Ermessens vorge-
lagert und von dieser zu trennen.
Auf die von der Beschwerde aufgeworfene Frage der Voraussetzungen und
Grenzen einer Selbstbindung des Bewilligungsermessens durch eine ermes-
sensleitende oder -bindende Richtlinie hat das Berufungsgericht indes nicht
abgestellt. Vielmehr hat es ausgeführt, dass auf die von der Beklagten erlasse-
ne undatierte Abteilungsverfügung im Rahmen der Ermessensprüfung nicht
abgestellt werden könne, weil der Widerspruchsausschuss seine Entscheidung
ersichtlich nicht darauf gestützt habe und auch ein Nachschieben dieser Rege-
lungen als Gründe des angefochtenen Versagungsbescheides wegen - näher
ausgeführter - Beschränkungen des Nachschiebens von Ermessenserwägun-
gen nicht in Betracht komme. Auch § 114 Satz 2 VwGO ermögliche lediglich die
Ergänzung von Ermessenserwägungen, ein völliges Auswechseln der Ermes-
sensgrundlage - wie durch die Einführung der Abteilungsverfügung - liege au-
ßerhalb dieses Rahmens.
Soweit das Berufungsgericht für die unter Zugrundelegung des erweiterten Er-
messensrahmens zu treffende neuerliche Ermessensentscheidung ausgeführt
hat, durch die Befugnis zur Berücksichtigung der - im Einzelfall konkret festge-
stellten - finanziellen Beschränkungen, die sich aus der Begrenztheit der zur
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Verfügung stehenden Fördermittel ergeben, werde „eine Regelung der Verwal-
tungspraxis, die den durch § 24 SchwbAV verbindlich vorgegebenen bundes-
rechtlichen Ermessensrahmen generell einschränkt, indem sie etwa entgegen
§ 24 Abs. 2 SchwbAV sämtliche Maßnahmen, die dem beruflichen Aufstieg
dienen, von vornherein aus der Förderung herausnimmt (wie Nr. 4 Satz 2 der
‚Abteilungsverfügung zu Fördermaßnahmen nach § 24 SchwbG’), nicht ge-
deckt“, betrifft dies die erst künftig erneut zu treffende Ermessensentscheidung,
deren Gegenstand nicht die abstrakt-generelle Überprüfung der ermessenslen-
kenden Abteilungsverfügung ist. Diese Ausführungen weisen auch in der Sache
nicht auf den mit der Beschwerde geltend gemachten Klärungsbedarf. Denn in
der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass
ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften nur für den Regelfall gelten, sie
Spielraum für die Berücksichtigung der Besonderheiten atypischer Fälle lassen
müssen und mithin nicht so weit gehen dürfen, dass wesentlichen Besonderhei-
ten des Einzelfalls nicht mehr Rechnung getragen werden könnte (s. etwa Urteil
vom 18. September 1984 - BVerwG 1 A 4.83 - BVerwGE 70, 127, 142 m.w.N.);
dabei können sie Ausnahmen auf atypische Sachverhalte beschränken (Urteil
vom 19. März 1996 - BVerwG 1 C 34.93 - BVerwGE 100, 335, 341). Verwal-
tungsvorschriften vermögen aber das vorrangige Gesetzesrecht nicht zu ver-
drängen und die Behörde nicht von der Verpflichtung zu entbinden, gegebenen-
falls auch abweichend von den Richtlinien zu entscheiden (vgl. etwa Beschluss
vom 25. September 1998 - BVerwG 5 B 24.98 - m.w.N.). Hiermit wäre
eine generelle und damit ausnahmslose Beschränkung der Förderung aus-
schließlich auf Maßnahmen zum Ausgleich der behinderungsbedingten und nur
der arbeitsplatzbezogenen Defizite jedenfalls dann unvereinbar, wenn mit dem
Berufungsgericht davon auszugehen ist, dass diese Einschränkungen nicht
schon unmittelbar aus dem anzuwendenden Recht folgten. Die Zulassungsfra-
ge richtet sich indes nicht gegen die von dem Berufungsgericht vorgenommene
Bestimmung des durch § 102 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. e SGB IX i.V.m. § 24
SchwbAV für die Ermessensentscheidung gezogenen Rechtsrahmens. Sollte
sie dahin zu verstehen sein, bedürfte es nicht der Durchführung eines Revisi-
onsverfahrens, sondern folgte unmittelbar aus dem Gesetz, dass jedenfalls
§ 102 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. e SGB IX oder § 24 SchwbAV die Förderung
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nicht schon auf Tatbestandsebene auf Maßnahmen zum Ausgleich der behin-
derungsbedingten und nur der arbeitsplatzbezogenen Defizite beschränken.
2. Von einer weiteren Begründung sieht der beschließende Senat ab (§ 133
Abs. 5 Satz 2 VwGO).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskosten-
freiheit ergibt sich aus § 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO.
Hund Dr. Franke Prof. Dr. Berlit
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