Urteil des BVerwG vom 08.07.2005

Erwerb, Eigenschaft, Mehrheit, Verfassung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 3.05
VGH 5 B 02.1224
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. Juli 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t und Dr. F r a n k e
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs
vom 29. Juli 2004 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 20 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Behauptung grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO), Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und von Verfahrensfehlern
(§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs hat keinen Erfolg.
1. Die von der Beschwerde als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfenen
Fragen,
"ob Abkömmlinge eines Vertriebenen deutscher Volkszugehörigkeit, die mit einem
Aufnahmebescheid … eingereist sind, registriert wurden und sich auch tatsächlich
dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten dürfen, keine Aufnahme
im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG gefunden haben und deshalb, im Gegensatz zu
Abkömmlingen der Personen, die nach dem 01.01.1993 als Spätaussiedler einge-
reist sind, nicht mehr Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG werden" (S. 2 der
Beschwerdebegründung),
bzw.
"… ob die Abkömmlinge eines Vertriebenen deutscher Volkszugehörigkeit nur
dann Aufnahme gefunden haben, wenn über die subjektive Motivation der Wah-
rung der familiären Verbundenheit seitens des Betroffenen hinaus, die Aufnahme
auch seitens der Behörde mit Blick auf die familiäre Einheit genehmigt worden ist"
(Beschwerdebegründung S. 6)
oder
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"… ob der Abkömmling eines Vertriebenen deutscher Volkszugehörigkeit, dessen
Status bereits vor dem 01.01.1993 unverrückbar entstanden war, nur noch dann
Aufnahme finden kann, wenn er am 01.01.1993 Spätaussiedler oder Abkömmling
eines Spätaussiedlers gewesen ist" (Beschwerdebegründung S. 12)
sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits dahingehend
geklärt, dass aufgrund eines Aufnahmebescheids (§ 26 BVFG) eingereiste Personen
"nur unter den Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 BVFG die Eigenschaft als
Statusdeutsche (Art. 116 Abs. 1 GG) erwerben" (Urteil vom 19. Juni 2001 - BVerwG
1 C 26.00 - ). In dem genannten Urteil ist zu der Frage, wann
eine Person nach dem 31. Dezember 1992 die Eigenschaft als Statusdeutscher im
Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG erwerben kann, ausgeführt (a.a.O. S. 334 f.):
"Unter welchen Voraussetzungen eine Person im Sinne des
Art. 116 Abs. 1 GG als 'Vertriebener deutscher Volkszugehörig-
keit' in dem dort genannten Gebiet 'Aufnahme gefunden hat', ist
seit In-Kraft-Treten der durch das Kriegsfolgenbereinigungsge-
setz vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2094) geänderten Fas-
sung des Bundesvertriebenengesetzes am 1. Januar 1993 ab-
schließend nach den Bestimmungen dieses Gesetzes zu beur-
teilen. Seitdem können Personen, die … die im Bundesvertrie-
benengesetz genannten Aussiedlungsgebiete nach dem
31. Dezember 1992 verlassen haben, nur noch dann Aufnahme
in der Bundesrepublik Deutschland finden, wenn sie Spätaus-
siedler im Sinne des § 4 Abs. 1 oder 2 BVFG sind (vgl. auch die
entsprechenden Stichtagsregelungen in § 1 Abs. 2 Nr. 3, § 2
BVFG). Dementsprechend stellt § 4 Abs. 3 Satz 1 BVFG klar,
dass der Spätaussiedler Deutscher im Sinne des Art. 116
Abs. 1 GG ist. Die einschlägigen Bestimmungen des Bundes-
vertriebenengesetzes stellen insoweit die in Art. 116 Abs. 1 GG
dem Gesetzgeber vorbehaltene gesetzliche Regelung für den
Erwerb des Deutschen-Status dar. … Die neu gefassten Rege-
lungen des Bundesvertriebenengesetzes sollen die Zuwande-
rung aus den Aussiedlungsgebieten durch Personen, die sich
für deutsche Volkszugehörige halten und anstreben, als solche
in der Bundesrepublik Deutschland Aufnahme zu finden, stärker
als bislang steuern und begrenzen. Dies geschieht mit Hilfe der
neu geschaffenen Kategorie des Spätaussiedlers (§ 4 Abs. 1
und 2 BVFG). Dieser Gesetzeszweck schließt es aus, für den
genannten Personenkreis eine Aufnahme im Sinne des Art. 116
Abs. 1 GG unter anderen als in den im Bundesvertrie-
benengesetz aufgestellten Voraussetzungen zuzulassen."
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Die in dem Urteil vom 19. Juni 2001 offen gelassene Frage, inwieweit das auch für
Angehörige dieser Person gilt (§ 4 Abs. 3 Satz 2 BVFG) hat das Bundesverwal-
tungsgericht in seinem Urteil vom 20. April 2004 - BVerwG 1 C 3.03 - (BVerwGE 120,
292) geklärt:
"Unter welchen Voraussetzungen eine Person im Sinne des
Art. 116 Abs. 1 GG als Abkömmling eines Vertriebenen deut-
scher Volkszugehörigkeit Aufnahme gefunden hat, ist seit In-
Kraft-Treten der durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz
vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2094) geänderten Fassung
des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) am 1. Januar 1993
grundsätzlich nach den Bestimmungen dieses Gesetzes zu be-
urteilen. Personen, die … nicht selbst Vertriebene deutscher
Volkszugehörigkeit sind, können danach als Abkömmlinge ei-
nes Vertriebenen nur noch dann Aufnahme in der Bundesrepu-
blik Deutschland finden, wenn sie Abkömmlinge eines Spät-
aussiedlers im Sinne des § 4 Abs. 1 und 2 BVFG sind (vgl. § 4
Abs. 3 Satz 2 BVFG). Die einschlägigen Bestimmungen des
Bundesvertriebenengesetzes stellen insoweit die in Art. 116
Abs. 1 GG dem Gesetzgeber vorbehaltene gesetzliche Rege-
lung für den Erwerb des Deutschen-Status dar …"
Daraus ergibt sich ohne Weiteres, dass die Kläger nur dann noch als Abkömmlinge
ihrer im Juli 1992 nach Deutschland eingereisten Mutter bzw. Großmutter Aufnahme
finden könnten, wenn diese Spätaussiedlerin wäre. Eine rechtsgrundsätzliche Be-
deutung ist demgegenüber nicht aus der von der Beschwerde in unzutreffender Aus-
legung der genannten Urteile vertretenen Auffassung herzuleiten, das Urteil vom
20. April 2004 verhalte sich nicht zur Aufnahme von Abkömmlingen von Vertriebenen
gemäß § 1 BVFG, für welche vielmehr weiterhin gemäß § 100 Abs. 1 BVFG die alte
Rechtslage fortgelte, bzw. es sei mit den genannten Urteilen nicht darüber entschie-
den, ob Abkömmlinge von Vertriebenen den Status eines Deutschen deshalb nicht
mehr erwerben könnten, weil der vor dem 1. Januar 1993 zugereiste Vertriebene
deutscher Volkszugehörigkeit kein Spätaussiedler sei. Ein rechtsgrundsätzlicher Klä-
rungsbedarf kann nicht damit begründet werden, dass die erfolgte Klärung einer
Rechtsfrage geleugnet wird.
Soweit die Beschwerde geltend macht, die Regelungen des Kriegsfolgenbereini-
gungsgesetzes griffen in den Kernbereich des Art. 116 Abs. 1 GG ein, der nur durch
"die von der Verfassung gebotene qualifizierte Mehrheit" abgeschafft werden könne,
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ist bereits in den beiden genannten Urteilen ausgesagt, dass die einschlägigen Be-
stimmungen des Bundesvertriebenengesetzes insoweit die dem (einfachen) Gesetz-
geber vorbehaltene gesetzliche Regelung für den Erwerb des Deutschen-Status dar-
stellen.
2. Es liegt auch nicht der als Verfahrensfehler gerügte Verstoß gegen Denkgesetze
vor, den die Beschwerde in unzutreffender Weise darin sehen will, dass das Beru-
fungsgericht verkannt habe, dass die Regelung der Aufnahme von Abkömmlingen
von Spätaussiedlern durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz keine Änderung hin-
sichtlich der Aufnahme von Abkömmlingen des Personenkreises des § 1 BVFG be-
deute (S. 7 f. der Beschwerdebegründung).
3. Auch die mit Blick auf die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Mai
1992 - BVerwG 1 C 54.89 - (BVerwGE 90, 173) und vom 20. April 2004 - BVerwG
1 C 3.03 - (BVerwGE 120, 292) erhobenen Divergenzrügen greifen nicht durch. So-
weit in dem Urteil vom 12. Mai 1992 mit Blick auf das Erfordernis der Aufnahme "als
Abkömmling" ausgeführt ist, es komme weder auf das Bestehen einer Haushaltsge-
meinschaft mit dem volksdeutschen Elternteil noch auf einen engen zeitlichen Zu-
sammenhang zwischen der Aufnahme des vertriebenen Volksdeutschen und der
Aufnahme des Abkömmlings an (a.a.O. S. 177 ff.), bezieht dieser Rechtssatz sich
nicht auf die für das vorliegende Verfahren maßgeblichen Rechtsvorschriften des
Bundesvertriebenengesetzes in der Fassung des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes,
welche die dem (einfachen) Gesetzgeber vorbehaltene gesetzliche Regelung für den
Erwerb des Deutschen-Status darstellen. Auch soweit die Beschwerde mit Blick auf
das Urteil vom 20. April 2004 (a.a.O.) geltend macht, nach diesem Urteil beziehe die
in § 4 Abs. 1 und 2 BVFG F. 1993 getroffene Stichtagsregelung - Verlassen der Aus-
siedlungsgebiete nach dem 31. Dezember 1992 - sich nur auf die (volksdeutschen)
Spätaussiedler selbst, aber nicht auf deren Abkömmlinge, für welche dieser Stichtag
keine Bedeutung habe (Beschwerdebegründung S. 11), ist eine Divergenz nicht dar-
gelegt. Der von der Beschwerde zur Begründung der Divergenz angeführte Leitsatz
des Berufungsurteils, wonach "Die vertriebenenrechtlichen Vorschriften zur Aufnah-
me der Abkömmlinge von aussiedlern (§§ 4 Abs. 3 Satz 2, 27 Abs. 1 Satz 2
BVFG Fassung 1993) … eine abschließende anderweitige Regelung i.S. des Art. 116
GG dar(stellen) mit der Folge, dass Abkömmlinge von ohne eigene
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deutsche Volkszugehörigkeit seit 1. Januar 1993 keine Aufnahme mehr finden
können", schließt, wie die Beschwerde selbst richtig feststellt (S. 12 oben), Abkömm-
linge von Aussiedlern, nicht aber von Spätaussiedlern von der Aufnahme aus. Der
Umstand, dass die Beschwerde die Ungleichbehandlung der verschiedenen Gruppen
von Abkömmlingen für nicht gerechtfertigt hält, kann die fehlende Divergenz nicht
ersetzen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung
auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1, § 72 Nr. 1 GKG i.d.F. des Kostenrechtsmodernisie-
rungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl I S. 718).
Dr. Säcker Schmidt Dr. Franke