Urteil des BVerwG vom 22.05.2008

Eltern, Beweisantrag, Aufklärungspflicht, Staat

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 27.08
VGH 5 B 06.2769
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Mai 2008
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Franke und Prof. Dr. Berlit
beschlossen:
Die Beschwerde der Beteiligten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 14. November 2007 wird zurückgewie-
sen.
Die Beteiligte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 30 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg. Die
Revision ist nicht wegen eines dem Berufungsgericht unterlaufenen Verfah-
rensfehlers zuzulassen (Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) (1.),
die Revision hat auch zumindest hinsichtlich der die Entscheidung selbständig
tragenden Begründung, dass jedenfalls nicht beide Elternteile der Klägerinnen
einen Antrag, der nach § 25 Abs. 1, § 19 Abs. 2 StAG den Verlust der deut-
schen Staatsangehörigkeit bewirken könnte, gestellt haben, nicht die ihr von der
Beschwerde beigemessene grundsätzliche Bedeutung (Zulassungsgrund nach
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) (2.).
1. Die Revision ist nicht nach §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Ver-
fahrensmangels zuzulassen.
Mit ihren Aufklärungsrügen (§ 86 Abs. 1 VwGO) macht die Beschwerde geltend
(Beschwerdebegründung S. 19 ff.), der Verwaltungsgerichtshof habe seine
Aufklärungspflicht dadurch verletzt, dass er die tatsächlichen Umstände der An-
tragstellung durch die Eltern (insbesondere auch den konkreten Inhalt des
Wiedereinbürgerungsantrags), die auch nach seiner insoweit vertretenen mate-
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riellrechtlichen Ansicht entscheidungserheblich gewesen wären, nicht hinrei-
chend ermittelt, sondern unter Heranziehung verschiedener Indizien von der
Ausschöpfung seiner Aufklärungsmöglichkeiten abgesehen habe, obwohl sich
dem Berufungsgericht Ermittlungen hierzu von sich aus hätten aufdrängen
müssen.
Es ist bereits zweifelhaft, ob das diese Rüge stützende Vorbringen den Darle-
gungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt. Wer, wie die Be-
teiligte, die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht erhebt, obwohl sie
- durch eine nach § 67 Abs. 1 VwGO postulationsfähige Person vertreten - in
der Vorinstanz keinen förmlichen Beweisantrag gestellt hat (vgl. § 86 Abs. 2
VwGO), muss, um den gerügten Verfahrensmangel prozessordnungsgemäß zu
bezeichnen, substanziiert darlegen, warum sich dem Tatsachengericht aus sei-
ner für den Umfang der verfahrensrechtlichen Sachaufklärung maßgeblichen
materiellrechtlichen Sicht die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung in
der aufgezeichneten Richtung hätte aufdrängen müssen (vgl. nur Beschlüsse
vom 13. März 2003 - BVerwG 5 B 267.02 - juris, 20. August 2007 - BVerwG 5 B
173.07 - juris und 21. Februar 2008 - BVerwG 5 B 122.07 - juris). Die Aufklä-
rungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Prozessbeteiligten in
der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen von förmlichen Beweisanträ-
gen, zu kompensieren (vgl. Beschlüsse vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B
81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265 und vom 10. Oktober 2001
- BVerwG 9 BN 2.01 - NVwZ-RR 2002, 140).
Die Beteiligte hat hier in der mündlichen Verhandlung vom 14. November 2007
keinen Beweisantrag gestellt und ist damit nicht mehr in einer für das Gericht
formell klar erkennbaren, in der Sitzungsniederschrift zu dokumentierenden
Weise auf die Einwendungen zurückgekommen, die sie in ihren Schriftsätzen
vom 30. Oktober 2006 (Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung)
und 8. Februar 2007 (Berufungsgründung) in Bezug auf die aus ihrer Sicht un-
zureichende Sachaufklärung des Verwaltungsgerichts und die aus ihrer Sicht
geringe Aussagekraft einer Bestätigung des türkischen Generalkonsulats erho-
ben hatte. Dass sich dem Verwaltungsgerichtshof gleichwohl auch in Ansehung
der Auskunft, die der Verwaltungsgerichtshof in einem Parallelverfahren zu
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Fragen des Wiedererwerbs der türkischen Staatsangehörigkeit bei (minderjäh-
rigen bzw. volljährig werdenden) Kindern eingeholt hatte, dem Hinweis des
Auswärtigen Amtes in seiner an das Gericht übermittelten E-Mail vom 9. August
2007, nach der Abfragen der Botschaft zu personenbezogenen Daten vom Au-
ßenministerium der Republik Türkei nicht beantwortet würden und daher die
Betroffenen selbst bei dem Generaldirektoriat für Einwohner und Staatsange-
hörigkeitswesen anfragen sollten, sowie dem hierzu von der Klägerseite vorge-
legten E-Mail-Verkehr eine weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen,
erschließt sich aus dem Vorbringen der Beteiligten nicht und ist jedenfalls in der
Sache nicht der Fall.
Die von der Beteiligten als geeignet und erforderlich bezeichneten Sachver-
haltsaufklärung durch eine Vernehmung „der Eltern der Klägerinnen über die
konkreten relevanten Umstände der Antragstellung beim Wiedererwerb der tür-
kischen Staatsangehörigkeit“ musste sich dem Berufungsgericht angesichts des
hierauf bezogenen Vorbringens der seinerzeit durch ihre Eltern, um deren
Handlungen es auch in der Sache geht, vertretenen, wenn auch inzwischen
volljährigen Klägerinnen nicht aufdrängen. Die Klägerinnen waren bei der An-
tragstellung selbst nicht anwesend, so dass sie ihre Informationen über deren
Wiedereinbürgerungsantrag nur von ihren Eltern haben konnten, und hatten
- so das Berufungsgericht (S. 10) - eine auch auf ihre eigene Wiedereinbürge-
rung gerichtete Willensbetätigung ihrer Eltern glaubhaft bestritten.
Soweit die Beteiligte geltend macht, es sei
„in erster Linie ein entsprechendes Auskunftsersuchen
des Berufungsgerichts entweder unmittelbar an das zu-
ständige türkische Generalkonsultat in N. oder jedenfalls
mittelbar über das Auswärtige Amt an die zuständige tür-
kische Stelle in Betracht gekommen, das jedenfalls die
konkreten Umstände der Antragstellung der Eltern der
Klägerinnen (einschließlich des konkreten Inhalts des
Wiedereinbürgerungsantrags) hätte umfassen müssen“,
womit auch „die gerichtliche Bitte, eine Ausfertigung oder
(beglaubigte) Kopie des Wiedereinbürgerungsantrags der
Eltern vorzulegen, zu verbinden gewesen“ wäre,
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hat der Senat im vorliegenden Verfahren nicht darüber zu befinden, ob dies
eine mögliche Maßnahme der Sachverhaltsaufklärung gebildet hätte, die auch
nach der in dem Parallelverfahren eingeholten Auskunft und der Mitteilung des
Auswärtigen Amtes als sinnvoll einzustufen wäre oder ob es sich - so die Klä-
gerinnen - mangels Anhaltspunkten, dass eine entsprechende Beweiserhebung
durch den Verwaltungsgerichtshof nunmehr hätte erfolgreich sein können, um
ein „schlechterdings untaugliches Beweismittel“ bzw. einen mangels Erreich-
barkeit des Beweismittels schlechthin ungeeigneten Beweisantrag (hierauf be-
ziehen sich die von der Beteiligten auf S. 27 bezeichneten Entscheidungen des
Bundesverwaltungsgerichts) handelte. Denn es ist nicht zu entscheiden, ob das
Berufungsgericht einen auf die Erhebung dieses Beweises gerichteten Beweis-
antrag ohne Verstoß gegen das Prozessrecht hätte ablehnen dürfen. Zu beur-
teilen ist in Ermangelung eines entsprechenden Beweisantrages allein, ob sich
dem Berufungsgericht die Erhebung dieses Beweises hätte aufdrängen müs-
sen. Dies ist nicht der Fall. Es folgt nicht aus dem von der Beteiligten herange-
zogenen Urteil vom 9. Mai 1986 (BVerwG 1 C 40.84 - Buchholz 130 § 25
RuStAG Nr. 6), nach dem in Fällen, in denen sich die Einbürgerung der Eltern
in einen ausländischen Staat kraft Gesetzes auf ihr minderjähriges Kind er-
streckt, dieses seine deutsche Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb der frem-
den Staatsangehörigkeit jedenfalls dann nicht verliert, wenn die Eltern nur ihre
eigene Einbürgerung beantragt und nicht zugleich ihren Willen hinreichend
deutlich zum Ausdruck gebracht haben, dass das Kind von ihrer Einbürgerung
erfasst werden soll, wobei eine solche Willensbetätigung nicht schon dann vor-
liegt, wenn die Eltern ihre eigene Einbürgerung in Kenntnis der Erstreckungs-
wirkung beantragen. Denn hieraus ergibt sich allein, dass es auf die - vom Be-
rufungsgericht in tatrichterlicher Würdigung des Sachverhalts - verneinte Frage
ankommt, ob beide Elternteile einen entsprechenden Willen zum Ausdruck ge-
bracht haben (hiervon ist im rechtlichen Ansatz erkennbar auch das Berufungs-
gericht ausgegangen, eine Divergenzrüge
Nr. 2 VwGO> hat die Beteiligte nicht erhoben) und dass dieser Frage
nachzugehen ist; aus diesem Urteil ergibt sich indes nicht, dass sich dem Beru-
fungsgericht, das diese Frage hier durchaus in den Blick genommen und auf-
zuklären versucht hat, hier bestimmte weitere Maßnahmen der Sachver-
haltsaufklärung hätten aufdrängen müssen. Es ergibt sich auch nicht daraus,
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dass allein der Umstand, dass ein entsprechendes multilaterales Rechtshilfe-
abkommen von der Türkei noch nicht ratifiziert worden ist, völkerrechtlich ein
Auskunftsersuchen und eine Rechtshilfe gemäß den Grundsätzen der völker-
rechtlichen Höflichkeit nicht ausschließt.
Die Ausführungen der Beteiligten zur Frage, dass sich bei Durchführung der
unterbliebenen Sachaufklärung voraussichtlich die tatsächliche Feststellung
hätte treffen lassen, dass die Eltern der Klägerinnen in Verbindung mit den An-
trägen auf ihre eigene Wiedereinbürgerung in den türkischen Staat erkennbar
ihren Willen dahin zum Ausdruck gebracht haben, die Wiedereinbürgerung auf
die drei Klägerinnen zu erstrecken (Beschwerdebegründung S. 27 ff.), betreffen
der Sache nach (auch) die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts durch
das Berufungsgericht, die dem materiellen Recht zuzuordnen sind. Sie lassen
einen Verstoß gegen Denkgesetze bzw. Gesetze der Logik im Tatsachenbe-
reich nicht erkennen. Ebenso wenig ergibt sich ein solcher Verstoß aus dem
Vorbringen der Beteiligten (Beschwerdebegründung S. 23) in Bezug auf die
Frage, ob es ein amtliches Antragsformular für die Wiedereinbürgerung gebe,
daraus, dass es für die Wiedereinbürgerung „kein spezielles einheitliches For-
mular“ gebe. Das steht nicht in einem logischen Widerspruch zu der Wertung
des Berufungsgerichts, es habe als fern liegende theoretische Möglichkeit au-
ßer Betracht zu bleiben, dass beide Elternteile mangels der Verwendung eines
von türkischer Seite vorgegebenen „amtlichen“ Antragsformulars dennoch eine
(in zweifacher Hinsicht) überflüssige Willensbetätigung für die Klägerinnen ab-
gegeben haben könnten, sondern nimmt dieser Würdigung allenfalls die Über-
zeugungskraft; revisionszulassungsrechtlich wäre dies unschädlich.
2. Die Revision ist auch nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
2.1 Es begegnet bereits erheblichen Bedenken, ob die von der Beteiligten auf-
geworfene Frage,
„Verstößt ein Gericht in Fällen wie denen des § 25 Abs. 1
StAG, in denen es auf konkrete tatsächliche Umstände
(wie z.B. der Antragstellung, insbesondere des konkreten
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Inhalts eines Antrags) in der Sphäre eines ausländischen
Staates ankommt, sofern diese Umstände umstritten sind,
gegen seine Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO,
wenn es sich insoweit nicht gegenüber diesem ausländi-
schen Staat um Aufklärung bemüht“,
eine grundsätzlicher Klärung zugängliche, fallübergreifende Rechtsfrage be-
zeichnet, die statt mit der Verfahrensrüge mit der Grundsatzrüge geltend ge-
macht werden kann. Denn die konkrete Pflicht der Gerichte zur Sachaufklärung,
deren Grund und Reichweite rechtsgrundsätzlich geklärt ist, bemisst sich auch
bei gleich oder ähnlich gelagerten Sachverhalten stets maßgeblich nach den
konkreten Umständen des Einzelfalls und ist einer abstrakten, vom Einzelfall
abgelösten Klärung schwerlich zugänglich. Die Beteiligte wiederholt und vertieft
hier in Form der Grundsatzrüge der Sache nach nur ihre Verfahrensrüge. In der
von der Beteiligten gewählten Formulierung ist diese Frage, soweit sie
unabhängig von den Umständen des Einzelfalles und bereits unternommenen
Aufklärungsversuchen beantwortbar sein sollte, schon deswegen zu verneinen,
weil zumindest im vorliegenden Fall das Berufungsgericht - wie zu 1. dargelegt -
nicht gegen seine Aufklärungspflicht verstoßen hat.
2.2 Die Rechtsfrage,
„ob der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nach
§ 25 Abs. 1 StAG (…) i.V.m. § 19 Abs. 2 StAG auch bei
minderjährigen Kindern eine Ursächlichkeit des Antrags
auf Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit vo-
raussetzt und mithin - entsprechend dem allgemeinen
Grundsatz, wonach § 25 Abs. 1 StAG mit der Vorausset-
zung, dass die fremde Staatsangehörigkeit auf einen An-
trag erworben sein muss, den Verlust der deutschen
Staatsangehörigkeit ausschließen will, wenn der Erwerb
der ausländischen Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes er-
folgt (…) - bei einer ausschließlich durch das ausländische
Gesetz bewirkten Einbürgerungserstreckung ausscheidet,
rechtfertigt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung des-
wegen nicht, weil sie sich in einem Revisionsverfahren nicht stellte. Denn das
Berufungsgericht hat einen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit der Klä-
gerinnen hier auch deswegen verneint, weil jedenfalls nicht - wie bei entspre-
chender Anwendung des § 19 Abs. 2 StAG erforderlich - beide Elternteile sol-
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che, ihre damals noch minderjährigen Kinder mit einbeziehenden Anträge ge-
stellt haben. Diese Begründung bildet - wie auch die Beschwerdebegründung
anerkennt (S. 18) - eine der beiden selbständig tragenden Begründungen des
Berufungsurteils. Ist die vorinstanzliche Entscheidung auf mehrere selbständig
tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision aber nur zugelassen
werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen mit Erfolg ein Revisions-
zulassungsgrund geltend gemacht wird (stRspr, s. etwa Beschluss vom 24. Mai
2007 - BVerwG 4 BN 16/07, 4 VR 1.07 - BauR 2007, 2041).
3. Von einer weiteren Begründung sieht der beschließende Senat ab (§ 133
Abs. 5 Satz 2 VwGO).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung zur
Streitwertbemessung ergibt sich aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG (s.a.
Nr. 42.1 Streitwertkatalog 2004, NVwZ 2004, 1327).
Hund Dr. Franke Prof. Dr. Berlit
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