Urteil des BVerwG vom 17.01.2003

Unentgeltlich, Anteil, Überlastung, Fahrgast

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BESCHLUSS
BVerwG 5 B 261.02
OVG 7 A 10394/02
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. Januar 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. S ä c k e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. F r a n k e und Prof. Dr. B e r l i t
beschlossen:
- 2 –
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzu-
lassung der Revision in dem Urteil des Ober-
verwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom
23. August 2002 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerde-
verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das
Beschwerdeverfahren auf 20 879,50 € festge-
setzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde kann nicht wegen der allein geltend gemachten
grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO) zugelassen werden. Die von der Klägerin aufgeworfene
Rechtsfrage, "ob die Erstattungsregelung in § 62 Abs. 1 und 5
SchwbG (jetzt: § 148 Abs. 1 und 5 SGB IX) mit dem Grundrecht
des befördernden Unternehmers aus Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m.
Art. 3 Abs. 1 GG auch dann vereinbar ist, wenn (kumulativ)
- der nach Maßgabe von § 62 Abs. 5 SchwbG (jetzt: § 148 Abs. 5
SGB IX) zu gewährende Erstattungsbetrag pro Kopf den ansonsten
erzielten Mindestfahrpreis tatsächlich erheblich unterschrei-
tet, und - ein innerbetrieblicher Restausgleich daran schei-
tert, dass das befördernde Unternehmen außer schwerbehinderten
Menschen im Wesentlichen nur noch Schüler befördert, von denen
aufgrund § 45 a PBefG nur abgesenkte Beförderungsentgelte ge-
fordert werden können, und - die Fahrgastnachfrage der schwer-
behinderten Menschen so groß ist, dass das befördernde Unter-
nehmen den rentabilitätsmindernden Auswirkungen der Schwerbe-
hindertenbeförderung auch durch Reduzierung seines verkehrli-
chen Angebots nicht begegnen kann", rechtfertigt die Zulassung
der Revision nicht.
Einer Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung
steht allerdings nicht schon entgegen, dass es sich bei der
als verfassungswidrig angegriffenen Bestimmung um auslaufendes
- 3 –
Recht handelt, denn die aufgeworfene Frage stellt sich in
gleicher Weise bei der Nachfolgebestimmung des § 62 SchwbG in
§ 148 SGB IX (vgl. Beschlüsse vom 9. September 1988 - BVerwG
4 B 37.88 - Buchholz 406.13 ROG Nr. 2, vom 20. Juli 1994
- BVerwG 8 B 92.94 -, vom 28. Oktober 1994 - BVerwG 8 B
159.94 - und vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 - Buch-
holz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 9).
Der Senat stellt bei seiner Entscheidung auch nicht auf den
Gesichtspunkt ab, dass eine Revision nicht wegen grundsätzli-
cher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen werden
kann, wenn das Berufungsgericht eine Tatsache nicht festge-
stellt hat, die für die Entscheidung der mit der Nichtzulas-
sungsbeschwerde angesprochenen Rechtsfrage in dem erstrebten
Revisionsverfahren erheblich sein würde, vielmehr lediglich
die Möglichkeit besteht, dass sie nach Zurückverweisung der
Sache an das Berufungsgericht aufgrund weiterer Sachver-
haltsaufklärung entscheidungserheblich werden kann (BVerwG,
Beschluss vom 5. September 1996 - BVerwG 9 B 387.96 - Buchholz
310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 Nr. 12
§ 132 VwGO Nrn. 76 und 309>); unter diesem Gesichtspunkt be-
stehen hier deshalb zumindest Bedenken, weil die von dem Klä-
ger aufgeworfenen Rechtsfragen bestimmte tatsächliche Voraus-
setzungen enthalten, die von den nicht mit Sach- oder Verfah-
rensrügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Beru-
fungsgerichts, an die das Bundesverwaltungsgericht im Falle
einer Zulassung der Revision gebunden wäre (§ 137 Abs. 2
VwGO), nicht getragen werden. Dies bedarf hier jedoch keiner
weiteren Darlegung, weil der Senat auf diesen Gesichtspunkt
nicht abstellt.
Der Senat lässt auch offen, ob in den Fällen, in denen sich
- wie hier - die grundsätzliche Bedeutung allein aus der be-
haupteten Verfassungswidrigkeit einer Norm des Bundesrechts
ergeben soll, die nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderliche
- 4 –
Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sich
allein auf rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftige Fragen zu
den als Kontrollmaßstab herangezogenen Regelungen des Grundge-
setzes - hier also Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 GG - zu be-
ziehen hat (so für die Verfassungsgemäßheit irrevisiblen Lan-
desrechts BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 2000 - BVerwG 6 BN
2.99 - Buchholz 11 Art. 14 GG Nr. 334) - woran es hier
fehlt -, oder ob bei revisiblen Normen des Bundesrechts zur
Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung die bloße Behauptung
der Verfassungwidrigkeit genügt. Denn die von der Klägerin
aufgeworfene Rechtsfrage bedarf keiner Prüfung in einem Revi-
sionsverfahren, weil auf der Grundlage des Beschwerdevorbrin-
gens und der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsge-
richts im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfas-
sungsgerichts keine ernsthaften Zweifel an der Verfassungsmä-
ßigkeit des § 62 SchwbG bestehen (zum Prüfungsmaßstab
s. BVerwG, Beschluss vom 29. September 1998 - BVerwG 5 B
82.97 - Buchholz 436.0 § 120 BSHG Nr. 18).
In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE
68, 155 <170>) ist geklärt, dass die Indienstnahme Privater
zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe als eine verfassungs-
rechtlich grundsätzlich unbedenkliche Berufsausübungsregelung
zu beurteilen ist, deren Zulässigkeit an Art. 12 Abs. 1 i.V.m.
Art. 3 Abs. 1 GG zu messen ist. Eine solche Berufsausübungsre-
gelung muss auch Ungleichheiten berücksichtigen, die typi-
scherweise innerhalb des Berufs bestehen, dessen Ausübung ge-
regelt wird. Durch eine insgesamt verfassungsgemäße Berufsaus-
übungsregelung kann Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG
verletzt sein, wenn innerhalb der betroffenen Berufsgruppe
nicht nur einzelne, aus dem Rahmen fallende Sonderfälle, son-
dern bestimmte, wenn auch zahlenmäßig begrenzte Gruppen typi-
scher Fälle ohne zureichende sachliche Gründe wesentlich stär-
ker als andere belastet werden (BVerfG, a.a.O., S. 173).
- 5 –
Das Bundesverfassungsgericht hat in der genannten Entscheidung
auf dieser Grundlage die Erstattungsregelung in § 60 Abs. 1
und 4 des Schwerbehindertengesetzes 1979 mit der Maßgabe als
mit dem Grundgesetz vereinbar erkannt, dass auch für die bis
zum 31. März 1984 geltende Erstattungsregelung eine ergänzende
Regelung für solche Härtefälle, in denen die betroffenen Ver-
kehrsunternehmen in außergewöhnlichem Umfang schwerbehinderte
Fahrgäste ohne finanziellen Ausgleich befördern mussten und
dadurch erhebliche Fahrgeldeinbußen zu verzeichnen hatten,
vorzusehen gewesen wäre, wie sie der Gesetzgeber mit Wirkung
zum 1. April 1984 mit dem Haushaltsbegleitgesetz 1984 vom
22. Dezember 1983 (BGBl I S. 1532) durch Einfügung eines § 60
Abs. 5 SchwbG geschaffen hatte, dessen Wortlaut § 62 Abs. 5
SchwbG in der im Berufungsverfahren anzuwendenden Fassung ent-
spricht. In dieser Entscheidung hat das Bundesverfassungsge-
richt klargestellt (a.a.O., S. 171 f.), dass die Beförderungs-
pflicht und ihre Verknüpfung mit einer pauschalen Erstattung
der Fahrgeldausfälle als Berufsausübungsregelung den Anforde-
rungen des Art. 12 Abs. 1 GG genügt und eine Erfassung und An-
rechnung der tatsächlichen Fahrgeldausfälle von Verfassungs
wegen nicht geboten ist, der Gesetzgeber sich vielmehr auf ei-
ne typisierende Abgeltung der Fahrgeldeinbußen beschränken
kann, wie sie § 62 Abs. 5 SchwbG zur Berücksichtigung eines
überdurchschnittlichen Anteils unentgeltlich zu befördernder,
schwerbehinderter Fahrgäste vorsieht. Hieraus folgt, dass der
Gesetzgeber auch bei einem überdurchschnittlichen Anteil un-
entgeltlich zu befördernder Fahrgäste nicht verpflichtet ist,
dem Verkehrsunternehmer den vollen Fahrpreisausfall auf der
Grundlage einer fiktiven Beförderung unter Nutzung eines Ein-
zelfahrscheines zu erstatten.
Die Berechnungsformel für den Härteausgleich nach § 62 Abs. 5
SchwbG stellt sicher, dass sich bei der Berechnung der Erstat-
tung des Fahrgeldausfalles ein überdurchschnittlich hoher An-
teil an unentgeltlich zu befördernden Schwerbehinderten unmit-
- 6 –
telbar auf die absolute Höhe des Erstattungsanspruchs aus-
wirkt: Je höher der Anteil der wegen Schwerbehinderung unent-
geltlich zu befördernden Fahrgäste an der Gesamtzahl der Fahr-
gäste ist, desto höher fällt hiernach die Erstattungsleistung
aus. Nach der vom Berufungsgericht bezeichneten Formel zur Be-
rechnung des zu erstattenden Fahrgeldausfalles, die im Ein-
klang mit § 62 Abs. 5 SchwbG auf das Verhältnis zwischen den
unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahr-
gästen abstellt, besteht insoweit ein linearer Zusammenhang.
Für die verfassungsrechtliche Prüfung keine andere Beurteilung
ergäbe sich bei einer Berechnung, nach der bei wachsendem An-
teil unentgeltlich zu befördernder Schwerbehinderter zwar der
absolute Erstattungsbetrag stiege, indes der relative Erstat-
tungsbetrag (Erstattungsbetrag je unentgeltlich beförderter
schwerbehinderter Person) sänke. Ein relativ sinkender Erstat-
tungsbetrag je befördertem Schwerbehinderten bei wachsendem
Anteil schwerbehinderter Personen am Gesamtfahrgastaufkommen
begründete für sich allein noch keine ernsthaften verfassungs-
rechtlichen Zweifel. Wegen des im öffentlichen Personennahver-
kehr hohen Anteils der Fixkosten (Personal, Transportmittel)
an den Gestehungskosten und der hieraus folgenden Abhängigkeit
der relativen Beförderungskosten (je Fahrgast) von der Auslas-
tung kann in diesem Bereich nicht durchweg von gleich bleiben-
den (absoluten) Aufwendungen je befördertem Fahrgast ausgegan-
gen werden.
Die nach Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG zu stellen-
den Anforderungen an die Höhe und den Berechnungsmodus der Er-
stattungsleistung im Rahmen der Härteklausel des § 62 Abs. 5
SchwbG sind dieselben wie für die Erstattungsregelung in § 62
Abs. 5 SchwbG. Die im ganzen auch aus der Sicht der Klägerin
verfassungsrechtlich unbedenklichen Regelungen zur Höhe und
zum Berechnungsmodus wären daher nach der genannten Entschei-
dung des Bundesverfassungsgerichts nur zu beanstanden, wenn
- 7 –
innerhalb der betroffenen Berufsgruppe nicht nur einzelne, aus
dem Rahmen fallende Sonderfälle, sondern bestimmte, wenn auch
zahlenmäßig begrenzte Gruppen typischer Fälle ohne zureichende
sachliche Gründe wesentlich stärker als andere belastet wür-
den. Soweit eine solche Gruppe typischer Fälle - abgesehen von
der gemeinsamen Besonderheit, dass in außergewöhnlichem Umfang
schwerbehinderte Fahrgäste unentgeltlich befördert werden
mussten - erst durch das Hinzutreten weiterer Besonderheiten
entsteht, käme eine Verletzung des Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m.
Art. 3 Abs. 1 GG nur in Betracht, wenn diesen weitere, zusätz-
lich belastenden Umständen nicht anderweitig Rechnung getragen
werden könnte und der Gesetzgeber daher gehalten wäre, dieser
Mehrbelastung gerade durch eine - wie auch immer berechnete -
Erhöhung der Erstattungsleistungen nach § 62 SchwbG Rechnung
zu tragen. Dass dies vorwiegend der Fall sein könnte, lässt
sich nicht feststellen.
Es ist schon nicht ersichtlich, dass die kumulierten Besonder-
heiten, aus deren Zusammentreffen die Beschwerde die verfas-
sungsrechtlichen Bedenken herleitet (Unterschreitung des an-
sonsten erzielten Mindestfahrpreises durch die Pauschale, ho-
her Anteil der Schülerbeförderung und hohe Nachfrage nach Ver-
kehrsleistungen gerade durch schwerbehinderte Menschen, die
einer Reduktion des Verkehrsangebotes zur Rentabilitätssteige-
rung entgegenstehen), nicht nur einen aus dem Rahmen fallenden
Sonderfall, sondern eine bestimmte, wenn auch zahlenmäßig be-
grenzte Gruppe typischer Fälle betreffen, die den Gesetzgeber
von Verfassungs wegen zu einer weiteren Differenzierung hätten
veranlassen müssen. Das Beschwerdevorbringen verhält sich zwar
zu der besonderen Fahrgastsituation in reinen Kurstädten,
nicht aber zu dem zusätzlichen Faktor "hoher Schüleranteil"
und den unzureichenden Reaktionsmöglichkeiten des Verkehrsun-
ternehmers bei der Gestaltung des Verkehrsangebotes.
- 8 –
Hinsichtlich der geltend gemachten Besonderheit eines hohen
Anteils an Personen, die als Schüler im Rahmen des Ausbil-
dungsverkehrs befördert werden, weist der Kläger im Ansatz zu-
treffend darauf hin, dass die ihrerseits nicht auf einen voll-
ständigen Kostenausgleich gerichteten Ausgleichszahlungen nach
§ 45 a PBefG nicht den Fahrgeldeinnahmen nach § 62 Abs. 2
SchwbG unterfallen; dies wirkt sich bei einem hohen Anteil von
Personen, die im Ausbildungsverkehr zu befördern sind, rechne-
risch mindernd auf die Höhe der Erstattungsleistung nach § 62
SchwbG aus, und erschwert es dem Verkehrsunternehmer, der ihm
grundsätzlich zumutbaren Aufgabe (BVerwGE 69, 104, 107) nach-
zukommen, den rentabilitätsmindernden Auswirkungen der ihm
auferlegten öffentlichen Last der Fahrpreisermäßigung im Aus-
bildungsverkehr durch "interne Subventionierung" zu begegnen.
Dies begründet indes noch keinen ernsthaften verfassungsrecht-
lichen Zweifel an der Erstattungsregelung des § 62 SchwbG ins-
gesamt oder an der Nichtberücksichtigung der Ausgleichszahlun-
gen nach § 45 a PBefG in § 62 Abs. 2 SchwbG. Das Personenbe-
förderungsrecht eröffnet nämlich Gestaltungsmöglichkeiten,
welche dem im Bereich des Ausbildungsverkehrs möglichen Ziel-
konflikt zwischen Eigenwirtschaftlichkeit und öffentlichem In-
teresse, soweit es die Wechselwirkungen zwischen dem Ausbil-
dungsverkehr und der unentgeltlichen Beförderung schwerbehin-
derter Personen betrifft, innerhalb des Ausbildungsverkehrs
Rechnung tragen.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG,
Beschluss vom 12. Juni 1987 - BVerwG 7 B 30.87 - Buchholz
442.01 § 45 a PBefG Nr. 1) ist geklärt, dass aufgrund der
durch Gesetz vom 24. August 1976 (BGBl I S. 2439) eingeführten
Regelung des § 45 a PBefG der Verkehrsunternehmer für die aus
sozialpolitischen Gründen erwünschte Verbilligung der Beförde-
rungsentgelte im Ausbildungsverkehr teilweise einen Ausgleich
durch die öffentliche Hand erhalten soll, aber nur unter der
Voraussetzung, dass er seiner Obliegenheit zu eigenwirtschaft-
- 9 –
lichem Verhalten nachkommt. Um eine übermäßige öffentliche
Subventionierung des Ausbildungsverkehrs zu vermeiden, hält
§ 45 a Abs. 1 Nr. 2 PBefG den Unternehmer an, durch einen An-
trag auf Anpassung der Tarife an die Ertrags- und Kostenlage
selbst dafür Sorge zu tragen, dass ein ausgewogenes Verhältnis
zwischen betriebswirtschaftlichen und sozialpolitischen Erfor-
dernissen hergestellt werden kann. Ist ihm dies bei der Tarif-
bildung außerhalb des Ausbildungsverkehrs wegen der Marktver-
hältnisse (unter Berücksichtigung einer verkehrspolitisch un-
erwünschten Abdrängung eines Teiles der Fahrgäste zum Indivi-
dualverkehr) nicht möglich, etwa weil er sein Tarifniveau zum
Ausgleich der Mindereinnahmen aus dem Ausbildungsverkehr be-
reits auf eine Höhe gebracht hat, die eine Überlastung der
Fahrgäste erkennbar gemacht hat, ist bei der Tarifbildung eine
Abschmelzung der Vergünstigungen im Ausbildungsverkehr bis da-
hin möglich, dass vom Verkehrsunternehmer eine Schülerermäßi-
gung, die noch ins Gewicht fällt, nicht mehr verlangt werden
kann (BVerwGE 69, 104 <108>).
Die hiernach personenbeförderungsrechtlich eröffneten Reakti-
onsmöglichkeiten des Verkehrsunternehmers gegenüber rentabili-
tätsmindernden Auswirkungen des Ausbildungsverkehrs schließen
es aus, zur Vermeidung einer gleichheitswidrigen Überlastung
einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Veränderung der Er-
stattungsregelungen des § 62 SchwbG - sei es der Härteklausel
des § 62 Abs. 5 SchwbG, sei es der Legaldefinition der Fahr-
geldeinnahmen nach § 62 Abs. 2 SchwbG - anzunehmen. Dass der
Gesetzgeber die erhöhte Belastung aus dem Zusammentreffen ei-
nes hohen Anteils unentgeltlich zu befördernder Schwerbehin-
derter und eines hohen Anteils des Ausbildungsverkehrs durch
eine Berücksichtigung der Ausgleichszahlung nach § 45 a PBefG
in § 62 Abs. 2 SchwbG hätte mildern können, wäre für die ver-
fassungsrechtliche Beurteilung nur erheblich, wenn der Gesetz-
geber diesen Weg - zur Vermeidung eines Verfassungsverstoßes
- 10 –
in § 62 Abs. 2 SchwbG - hätte beschreiten müssen. Dies ist
nicht zu erkennen.
Die mit der Beschwerde weiter geltend gemachte Besonderheit,
dass wegen der hohen Beförderungsnachfrage den rentabilitäts-
mindernden Auswirkungen der unentgeltlichen Beförderung
schwerbehinderter Menschen nicht durch eine Reduktion des Be-
förderungsangebotes begegnet werden könne, begründet ebenfalls
keine ernsthaften verfassungsrechtlichen Zweifel der Erstat-
tungsregelung des § 62 Abs. 1, 2 oder 5 SchwbG. §§ 60 ff.
SchwbG regeln allein die unentgeltliche Nutzung eines vorhan-
denen Verkehrsangebotes durch schwerbehinderte Personen und
die dem Verkehrsunternehmer hierfür zu gewährende Erstattung,
nicht jedoch Art oder Umfang des vorzuhaltenden Verkehrsange-
botes selbst. Dieses bestimmt sich nach der erteilten Genehmi-
gung (§§ 13, 13 a PBefG i.V.m. der an die Genehmigung anknüp-
fenden Betriebspflicht des § 21 PBefG), bei der die Befriedi-
gung öffentlicher Verkehrsinteressen im Vordergrund steht (§ 8
Abs. 3, § 13 Abs. 2, § 21 Abs. 3 PBefG); die Belange schwerbe-
hinderter und anderer Menschen mit Mobilitätsbeeinträchtigung
sind dabei nach § 8 Abs. 3 Satz 3 PBefG im Rahmen des vom Auf-
gabenträger aufzustellenden Nahverkehrsplanes mit dem Ziel zu
berücksichtigen, für die Nutzung des öffentlichen Personennah-
verkehrs eine möglichst weitgehende Barrierefreiheit zu schaf-
fen, beziehen sich also nicht auf Vorgaben für die Art und den
Umfang des Verkehrsangebotes selbst. Der Ausgleich zwischen
den öffentlichen Verkehrsinteressen und dem anerkannten Inte-
resse des Verkehrsunternehmers an einem wirtschaftlichen Be-
trieb hat dabei nach den Bestimmungen des Personenbeförde-
rungsrechts, u.a. bei der Zustimmung der zuständigen Behörde
zu den Beförderungsentgelten (§ 39 Abs. 2 PBefG), zu erfolgen.
Das Personenbeförderungsrecht enthält dabei auch Vorkehrungen,
um einer wirtschaftlichen Überlastung des Verkehrsunternehmers
durch ihm auferlegte Betriebs-, Beförderungs- oder Tarif-
pflichten zu begegnen.
- 11 –
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die
Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 14 GKG.
Dr. Säcker Dr. Franke Prof. Dr. Berlit
Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Schwerbehindertenrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
SchwbG § 62 Abs. 1 und 5
PBefG § 45 a Abs. 2
Stichworte:
Schwerbehinderte; unentgeltliche Beförderung; Fahrgeldausfäl-
le; Erstattung im Nahverkehr; Schwerbehindertengesetz; Erstat-
tung von Fahrgeldausfällen.
Leitsatz:
Die Regelungen des § 62 Abs. 1, 5 SchwbG über die Erstattung
von Fahrgeldausfällen wegen der unentgeltlichen Beförderung
von Schwerbehinderten begegnen keinen verfassungsrechtlichen
Zweifeln.
Beschluss des 5. Senats vom 17. Januar 2003 - BVerwG 5 B 261.02
I. VG Koblenz vom 05.12.2001
- Az.: VG 5 K 1049/01.KO -
II. OVG Rheinland-Pfalz vom 23.08.2002
- Az.: OVG 7 A 10394/02.OVG -