Urteil des BVerwG vom 17.07.2003

Rechtliches Gehör, Eltern, Ausreise, Landessprache

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 248.02 (5 PKH 204.02)
VGH 19 B 99.684
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. Juli 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k er und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t und Dr. F r a n k e
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision
in dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom
2. September 2002 wird zurückgewiesen.
Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird
abgelehnt.
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Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren
auf 4 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vorgetragenen Gründe rechtfertigen nicht die Zulas-
sung der Revision wegen des geltend gemachten Zulassungsgrundes der Divergenz (§ 132
Abs. 2 Nr. 2 VwGO) oder eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
1. Der Verwaltungsgerichtshof hat die auf Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung ge-
richtete Klage, mit der die Klägerin in erster Instanz Erfolg gehabt hatte, im Wesentlichen mit
der Begründung abgewiesen, die Klägerin könne sich nicht auf eine familiäre Vermittlung der
deutschen Sprache berufen, denn ihre eigenen Einlassungen widerlegten, dass ihr die beim
Verlassen des Aussiedlungsgebietes vorhandenen Deutschkenntnisse in nennenswertem
Umfang in der Familie vermittelt worden seien. Im Verwaltungs- sowie im nachfolgenden
Klageverfahren habe sie angegeben, bis zum fünften Lebensjahr mit der Mutter und der
dann weggezogenen Großmutter die deutsche Sprache gesprochen zu haben, danach habe
der Stiefvater den Gebrauch der deutschen Sprache verboten und habe sie nur noch
manchmal bei Abwesenheit des Stiefvaters mit der Mutter deutsch gesprochen. Sie habe
aber neun Jahre lang in der Schule Deutsch gelernt und während der Ferienaufenthalte bei
der Großmutter deutsch gesprochen. Aus diesen Einlassungen werde hinreichend deutlich,
dass für eine familiäre Vermittlung der deutschen Sprache bei ihr allenfalls der Zeitraum bis
zu ihrem fünften Lebensjahr in Betracht komme, so dass ihr Begehren bereits an der Ver-
mittlungsdauer scheitere. Das Bundesverwaltungsgericht habe für die ausreichende Vermitt-
lung der deutschen Sprache als bestätigendes Merkmal durch die Eltern, einen Elternteil
oder andere Verwandte im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG in der Fassung der Be-
kanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl I S. 829) grundsätzlich einen Zeitraum vom Säug-
lingsalter bis zur Selbstständigkeit angenommen (BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 2000
- BVerwG 5 C 44.99 - ). An dieser Sicht habe die gesetzliche Neu-
regelung des § 6 Abs. 2 BVFG durch das Spätaussiedlerstatusgesetz vom 30. August
2001 (BGBl I S. 2266) nichts geändert. Die Fähigkeit, zum Zeitpunkt des Verlassens des
Aussiedlungsgebietes ein einfaches Gespräch in deutscher Sprache zu führen, sei danach
zwar unabdingbare Voraussetzung für die Feststellung einer familiären Vermittlung der
deutschen Sprache, doch werde das Indiz einer so verstandenen familiären Vermittlung der
deutschen Sprache durch die Einlassung der Klägerin widerlegt. Soweit sie sich auf an-
klingende Mundart berufe, möge diese durchaus auf Erinnerungen an eine in der frühen
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Kindheit erfahrene Klangfarbe der deutschen Sprache gestützt sein, doch werde die offen-
kundig gewordene mangelnde familiäre Vermittlung der deutschen Sprache dadurch jeden-
falls nicht kompensiert. Darüber hinaus sei nicht nachvollziehbar, inwiefern der spärliche, auf
die frühe Kindheit beschränkte familiäre Sprachgebrauch die deutsche Sprechfertigkeit zum
Ausreisezeitpunkt maßgeblich vor der langfristig und mit Fleiß betriebenen schulischen
Sprachvermittlung und vor einem von der Klägerin selbst erwähnten Deutschkurs vor der
Ausreise begründet haben solle. Die Teilnahme am Deutschkurs habe die Klägerin zwar in
der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht bestritten, doch könne ihr darin
nicht geglaubt werden. Denn sie sei im Rahmen der Befragung nur bezüglich ihrer Person,
nicht aber anderer Angehöriger, die nach ihrer nunmehrigen Behauptung statt ihrer am Kurs
teilgenommen haben sollten, befragt worden; außerdem habe die Frage nach dem Deutsch-
kurs im Kontext ihrer schulischen Ausbildung gestanden und sei die gegebene Antwort
selbst von der Klägerin unterschrieben worden.
2. Eine Zulassung der Revision wegen der geltend gemachten Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2
VwGO) zu dem vom Berufungsgericht selbst angeführten Urteil des Bundesverwaltungsge-
richts vom 19. Oktober 2000 (BVerwG 5 C 44.99, a.a.O.) kommt nicht in Betracht. Eine die
Revision eröffnende Divergenz ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde
einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechts-
satz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines der in § 132 Abs. 2
Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten, die Entscheidung des herangezogenen Ge-
richts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift des revisiblen Rechts
widersprochen hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Mai 1999 - BVerwG 6 B 65.98 - NVwZ-
RR 1999, S. 745 m.w.N.; BVerwG, Beschluss vom 26. Juni 1995 - BVerwG 8 B 44.95 -
). Diesen Anforderungen genügt die Be-
schwerde nicht, wenn sie lediglich geltend macht, der Bayerische Verwaltungsgerichtshof
habe den im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Oktober 2000 (a.a.O.) aufge-
stellten Grundsatz übergangen, dass es auf die Dauer des familiären Erziehungseinflusses
ankomme, indem es nicht berücksichtigt habe, dass der Erziehungseinfluss der Mutter
- ebenso wie derjenige der Großmutter - nachweislich auch nach dem fünften Lebensjahr bis
zur Selbstständigkeit angedauert habe. Abweichend von dem Grundsatz, dass sich die Dau-
er der Vermittlung bestätigender Merkmale nach der Dauer des familiären Erziehungsein-
flusses richte, habe der Verwaltungsgerichtshof zusätzlich die Kriterien fehlender anderwei-
tiger Lernmöglichkeit und besonderen Umfangs an Sprachübung vorausgesetzt. Eine Ab-
weichung in einem tragenden Rechtssatz ist damit jedoch nicht dargetan. Das Bundesver-
waltungsgericht hat in dem genannten Urteil als Zeit(dauer) für familiäre Sprachvermittlung
nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993
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(BGBl I S. 829) grundsätzlich die Zeit von der Geburt bis zur Selbstständigkeit angegeben
(a.a.O. S. 118). Dabei müsse Sprache als bestätigendes Merkmal nicht vorrangig vor ande-
ren Sprachen vermittelt worden sein, vielmehr sei es "ausreichend, wenn das Kind im El-
ternhaus die deutsche Sprache und die Landessprache erlernt und gesprochen hat, also
mehrsprachig aufgewachsen ist" (a.a.O., Leitsatz 3 und S. 120 f.). Zum Umfang der Vermitt-
lung im Sinne der Intensität des Spracheinflusses heißt es in der genannten Entscheidung,
die vermittelte deutsche Sprache müsse "zumindest Gewicht" gehabt haben; eine Sprach-
vermittlung setze voraus, dass die Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte "ihre vorhan-
denen deutschen Sprachkenntnisse möglichst umfassend an das Kind weitergeben. Denn je
intensiver deutsche Sprache vermittelt worden ist, umso tragfähiger ist die Grundlage für
eine deutsche Bewusstseinslage" (a.a.O. S. 120); Deutsch müsse nicht vorrangig vor der
Landessprache vermittelt worden sein, vielmehr genüge es "wenn die Eltern ihren Kindern
die deutsche Sprache so beibringen und diese mit ihnen so sprechen, wie sie selbst diese
beherrschen" (a.a.O. S. 121). Diesen Rechtssätzen hat das Berufungsgericht nicht wider-
sprochen. Vielmehr hat es § 6 Abs. 2 Satz 2 und 3 BVFG in der durch das Spätaussiedler-
statusgesetz vom 30. August 2001 (BGBl I S. 2266) geänderten neuen Fassung dahin aus-
gelegt, dass eine Dauer der familiären Vermittlung bis zum 5. Lebensjahr nicht ausreiche
(Berufungsurteil S. 8). Ob dieser Auffassung mit Rücksicht darauf, dass es nach § 6 Abs. 2
Satz 3 BVFG n.F. ausreicht, wenn jemand im Zeitpunkt der Aussiedlung aufgrund familiärer
Vermittlung ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen kann, zu folgen ist, ist nicht Prü-
fungsgegenstand der auf §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO gestützten Beschwerde.
3. Soweit die Beschwerde als Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör rügt, dass
der Verwaltungsgerichtshof das Vorbringen der Klägerin zu einem vor der Ausreise erfolgten
Sprachkurs ohne erneute Vernehmung als unglaubwürdig angesehen habe, rechtfertigt dies
schon deshalb nicht die Zulassung der Revision, weil das angefochtene Urteil ersichtlich
nicht auf diesen Feststellungen beruht. Auf Seite 9 der Entscheidungsgründe heißt es, ein
Erfolg des Klagebegehrens komme " nicht in Betracht ", weil die erforderliche familiäre Ver-
mittlung der deutschen Sprache nicht vorliege; "darüber hinaus" sei nicht nachvollziehbar,
inwiefern der spärliche familiäre Sprachgebrauch die deutsche Sprechfertigkeit maßgeblich
vor der schulischen Ausbildung und Pflege der deutschen Sprache und vor dem von der
Klägerin erwähnten Deutschkurs begründet haben solle. Daraus ergibt sich, dass die Fest-
stellungen zur familiären Sprachvermittlung das angefochtene Urteil auch ohne den Ge-
sichtspunkt der Teilnahme am Deutschkurs tragen. Soweit die Klägerin mit Blick auf den
auch von der Vorinstanz festgestellten mundartlichen Klang eine Verletzung der Aufklä-
rungspflicht geltend macht, da die Vorinstanz keine näheren Ermittlungen dazu durchgeführt
habe, wie dieser mundartliche Klang habe erworben werden können, liegt deshalb kein Ver-
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fahrensmangel vor, weil sich der Umfang der Aufklärungspflicht nach der insoweit maßgebli-
chen materiellen Rechtsauffassung der Vorinstanz richtet, diese aber, ob zu Recht oder zu
Unrecht, davon ausging, dass eine Dauer der familiären Vermittlung bis zum 5. Lebensjahr
für § 6 Abs. 2 Satz 2 und 3 BVFG n.F. nicht ausreiche.
Da die Beschwerde demnach keine Aussicht auf Erfolg bietet, ist der Antrag auf Prozesskos-
tenhilfe abzulehnen (§ 166 VwGO, § 114 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13
Abs. 1, § 14 Abs. 1 und 3 GKG.
Dr. Säcker Schmidt Dr. Franke