Urteil des BVerwG vom 11.04.2003

Rechtliches Gehör, Verfahrensmangel, Rüge, Nationalität

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 24.03
OVG 2 A 5289/00
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. April 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. S ä c k e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. F r a n k e und Prof. Dr. B e r l i t
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Oberverwal-
tungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen
vom 6. Dezember 2002 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdever-
fahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das
Beschwerdeverfahren auf 12 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Revision kann nicht nach
§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen werden.
1. Die Beschwerde greift mit dem Vorbringen, das
Verwaltungsgericht habe verfahrensfehlerhaft "den Kläger mit
einer Begründung für unglaubwürdig gehalten, die
rechtsstaatlich in keinster Weise dazu führen kann, die
Unglaubwürdigkeit bzw. Unglaubhaftigkeit der Aussagen des
Klägers, der diese durch Urkunden untermauert hat,
anzunehmen", die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts an.
Damit übersieht sie, dass die Beweiswürdigung
revisionsrechtlich regelmäßig dem sachlichen Recht zuzurechnen
ist und deshalb mit Angriffen gegen die Beweiswürdigung
grundsätzlich ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO nicht bezeichnet werden kann (stRspr; vgl. etwa
BVerwG, Beschlüsse vom 10. Februar 1978 - BVerwG 1 B 13.78 -
und vom 12. Januar 1995
- BVerwG 4 B 197.94 -
4>). Eine Verletzung der Denkgesetze im Rahmen der Tatsachen-
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würdigung der Vorinstanz, die ausnahmsweise als Verfahrensman-
gel in Betracht gezogen werden könnte (vgl. dazu BVerwG,
Urteil vom 19. Januar 1990 - BVerwG 4 C 28.89 - BVerwGE 84,
271 <272 f.>; Beschluss vom 12. Januar 1995 ),
liegt ersichtlich nicht vor. Ein Tatsachengericht hat nicht
schon dann gegen die Denkgesetze verstoßen, wenn es nach
Meinung des Beschwerdeführers unrichtige oder fern liegende
Schlüsse gezogen hat; ebenso wenig genügen objektiv nicht
überzeugende oder sogar unwahrscheinliche Schlussfolgerungen;
es muss sich vielmehr um einen aus Gründen der Logik
schlechthin unmöglichen Schluss handeln (stRspr; BVerwG,
Urteil vom 20. Oktober 1987 - BVerwG 9 C 147.86 -
310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 37 S. 1, 4> m.w.N.). Nach dem
Sachverhalt darf denkgesetzlich ausschließlich eine einzige
Folgerung möglich sein, die das Gericht nicht gezogen hat
(vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 12. Januar 1995
S. 4>).
Davon kann im vorliegenden Fall hinsichtlich der von dem Beru-
fungsgericht gewonnenen, von den Klägern angegriffenen
Überzeugung, der Kläger zu 1 habe bei der Beantragung seines
ersten Inlandspasses in ihm zurechenbarer Weise die
ukrainische Nationalität seiner Mutter angegeben, keine Rede
sein. Das Berufungsgericht hat ohne Verstoß gegen Denkgesetze
jedenfalls in nachvollziehbarer Weise unter Berücksichtigung
der Umstände des Einzelfalls dargelegt, dass und aus welchen
Gründen es das Vorbringen des Klägers zu 1 über die Umstände
bei der Beantragung des ersten Inlandspasses nicht für
glaubhaft hält. Namentlich ist nicht erkennbar, dass sich das
Berufungsgericht der Schwierigkeiten des Klägers zu 1, sein
Vorbringen zu den Umständen der Ausstellung des ersten
Inlandspasses glaubhaft zu machen, nicht bewusst gewesen wäre,
als es als Indiz gegen die Richtigkeit des Vorbringens des
Klägers zu 1 u.a. die Art und den Umfang seiner Angaben
herangezogen hat. Auch die Annahme des Berufungsgerichts, dass
in der Praxis bereits vor dessen ausdrücklicher Einräumung
durch die Passverordnung 1974 ein Wahlrecht für Kinder aus
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volkstumsverschiedenen Ehen bestanden habe, widerspricht
Denkgesetzen ebenso wenig (s.a. BVerwGE 105, 60 <62>) wie
dessen Bewertung, dass das ein Bekenntnis nur zum deutschen
Volkstum ausschließende Gegenbekenntnis des Klägers zu 1 (s.
BVerwGE 99, 133 <140 f.>) hier nicht nach § 6 Abs. 2 Satz 5
BVFG rechtlich unerheblich sei. Aus dem Umstand, dass die
Änderung der Nationalitäteneintragung im Inlandspass "zum
Zeitpunkt der beginnenden Rechtsstaatlichkeit der ehemaligen
Sowjetunion vorgenommen worden ist", folgt - entgegen der
Rechtsauffassung der Beschwerde - auch keine "Vermutung, die
das Berufungsgericht wie ein 'Denkgesetz' bei seiner
Beweiswürdigung zu Gunsten des Klägers zu 1 hätte
berücksichtigen müssen, dafür, dass die Eintragung im
Inlandspass als 'illegal' angesehen wurde".
2. Auch ein Verstoß des Berufungsgerichts gegen den Grundsatz
des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und den Überzeu-
gungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist nicht
festzustellen. Das Gericht kann sich im Rahmen der ihm durch
§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO auferlegten Aufgabe, die für die
richterliche Überzeugungsbildung leitend gewesenen Gründe
anzugeben, auf die wesentlichen Gründe beschränken. Daraus,
dass das Gericht sich nicht mit allen Gesichtspunkten des
Vorbringens der Beteiligten und des festgestellten
Sachverhalts in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich
auseinander gesetzt hat, kann daher noch nicht geschlossen
werden, es habe die fraglichen Gesichtspunkte bei seiner
Entscheidung unberücksichtigt gelassen (vgl. BVerwG, Urteil
vom 25. Mai 1984 - BVerwG 8 C 108.82 -
WPflG Nr. 35 S. 16> sowie Urteil vom 25. März 1987 - BVerwG
6 C 10.84 - ), vielmehr
ist grundsätzlich davon auszugehen, dass es seiner
Entscheidung das Vorbringen der Beteiligten vollständig und
richtig zu Grunde gelegt hat (BVerwG, Urteil vom 25. März 1987
). Eine Verletzung des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO bzw.
des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist darum nur anzunehmen,
wenn sich aus den besonderen Umständen deutlich ergibt, dass
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das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (vgl.
BVerfGE 54, 43 <45 f.>; 65, 293 <295>; 86, 133 <145 f.>).
Anhaltspunkte dafür ergibt die Beschwerde nicht, die sich in
ihrem sachlichen Kern auf die Rüge beschränkt, das
Berufungsgericht habe die erkennbar zur Kenntnis genommenen
Umstände sachwidrig und fehlerhaft bewertet.
3. Die sinngemäß erhobene Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO)
scheitert daran, dass sie nicht den Darlegungsanforderungen
des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt. Wer, wie der Kläger, die
Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht erhebt, obwohl er
- anwaltlich vertreten - in der Vorinstanz keinen förmlichen
Beweisantrag gestellt hat (vgl. § 86 Abs. 2 VwGO), muss, um
den gerügten Verfahrensmangel prozessordnungsgemäß zu
bezeichnen, substantiiert darlegen, warum sich dem
Tatsachengericht aus seiner für den Umfang der
verfahrensrechtlichen Sachaufklärung maßgebenden
materiellrechtlichen Sicht die Notwendigkeit einer weiteren
Sachaufklärung in der aufgezeichneten Richtung hätte
aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. März 1978
- BVerwG 6 B 24.78 -
S. 43 f.>, vom 1. April 1997 - BVerwG 4 B 206.96 -
890, 893> sowie vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 -
1997, 3328>). Daran lässt es die Beschwerde fehlen. Angesichts
dessen, dass in den Geburtsurkunden der Kläger zu 2 und 3 für
den Kläger zu 1 jeweils die ukrainische Nationalität angegeben
ist, musste sich dem Berufungsgericht angesichts seiner Bewer-
tung der Angaben des Klägers zu 1, die vorab mit den Beteilig-
ten zu erörtern das Berufungsgericht nicht gehalten war (vgl.
BVerwG, Urteil vom 13. Mai 1976 - BVerwG 2 C 26.74 -
310 § 108 VwGO Nr. 87>), eine weitere Sachverhaltsaufklärung
zur Frage, mit welchem Nationalitäteneintrag der Kläger zu 1
(seinerzeit) in der "Forma Nr. 1" geführt worden war, jeden-
falls nicht aufdrängen.
4. Die Beschwerde war nach alledem mit der Kostenfolge des
§ 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO
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zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13
Abs. 1, § 14 Abs. 1 GKG.
Dr. Säcker Dr. Franke Prof. Dr. Ber-
lit