Urteil des BVerwG vom 19.03.2015

Rüge, Aufklärungspflicht, Rechtsirrtum, Zivilprozessordnung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 21.15 D
OVG 3 SO 185/14
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. März 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Harms
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Thüringer Oberverwal-
tungsgerichts vom 17. November 2014 wird verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf sämtliche Zulassungsgründe gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache
zuzulassen.
Eine ausreichende Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung
einer Rechtssache setzt die Formulierung einer bestimm-
ten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung er-
heblichen Frage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin
die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll
(vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 -- Buchholz 310
§ 133 VwGO Nr. 26 S. 14). Diesen Anforderungen wird die Beschwerde
nicht gerecht. Sie unterlässt es bereits, eine in einem etwaigen Revisionsver-
fahren klärungsfähige und klärungsbedürftige Rechtsfrage zu formulieren.
2. Die Revision ist auch nicht wegen der behaupteten Divergenz
zuzulassen.
Eine Divergenz ist nur dann im Sinne deshinrei-
chend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die ange-
fochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die
Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (bzw.
eines der anderen igenannten Gerichte) aufgestell-
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ten ebensolchen, die Entscheidung dieses Gerichts tragenden Rechtssatz in
Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer
fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bun-
desverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt nicht
den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge (BVerwG, Beschluss vom
19. August 1997 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26
m.w.N.). Diese Darlegungsanforderungen erfüllt die Beschwerde nicht. Diver-
gierende Rechtssätze werden nicht herausgearbeitet.
3. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers
zuzulassen.
a) Soweit dem Vorbringen der Beschwerde,
"das Thüringer Oberverwaltungsgericht [sei] grundsätzlich
zur Ermittlung der Sach- und Tatsachenlage von Amts
wegen verpflichtet und [könne] deshalb die Abweisung
des Verzögerungsschadens nicht auf einen angeblich un-
substantiierten anwaltlichen Vortrag stützen" (S. 8 der Be-
schwerdebegründungsschrift),
die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht nach
zu entnehmen sein sollte, ist mit diesen und den weiteren im Zusam-
menhang stehenden Ausführungen ein Verfahrensmangel nicht in einer den
Darlegungsanforderungen desgenügenden Weise
dargetan.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfordert die
Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht nicht nur die sub-
stantiierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-
rechtlichen Auffassung des Berufungsgerichts aufklärungsbedürftig waren, wel-
che für erforderlich und geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in
Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich ge-
troffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiell-
rechtlichen Auffassung des Tatsachengerichts zu einer für den Beschwerdefüh-
rer günstigeren Entscheidung hätten führen können. Es muss auch weiterhin
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dargelegt werden, dass entweder bereits im Verfahren vor dem Tatsachenge-
richt, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der
Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt
worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeich-
neten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müs-
sen. Denn die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines
Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen der
Stellung von Beweisanträgen, zu kompensieren (stRspr, vgl. BVerwG, Be-
schluss vom 11. Juni 2014 - 5 B 19.14 - juris Rn. 9 m.w.N.). Diesen Anforde-
rungen genügt das Beschwerdevorbringen bereits im Ansatz nicht.
b) Ebenso wenig wird ein Verfahrensfehler mit dem Vortrag aufgezeigt,
"das Thüringer Oberverwaltungsgericht [habe] sich der
rechtlichen Würdigung vorgetragener Beweise … rechts-
widrig entzogen" (S. 15 der Beschwerdebegründungs-
schrift).
Nach dem Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist es Sa-
che des Tatsachengerichts, sich im Wege der freien Beweiswürdigung eine
Überzeugung von dem entscheidungserheblichen Sachverhalt zu bilden. Die
Freiheit, die der Überzeugungsgrundsatz dem Tatsachengericht zugesteht, be-
zieht sich auf die Bewertung der für die Feststellung des Sachverhalts maßge-
benden Umstände. Die Grundsätze der Beweiswürdigung sind revisionsrecht-
lich grundsätzlich dem sachlichen Recht zuzuordnen (stRspr, vgl. BVerwG, Ur-
teil vom 19. Januar 1990 - 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 <272 > m.w.N.; Be-
schlüsse vom 2. November 1995 - 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO
Nr. 266 S. 18 f. und vom 14. Juli 2010 - 10 B 7.10 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1
VwGO Nr. 66 Rn. 4, jeweils m.w.N.). Ein einen Verfahrensfehler begründenden
Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann ausnahmsweise insbesondere
dann anzunehmen sein, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem
Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und
Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur-
oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, missachtet (vgl. BVerwG,
Urteil vom 11. Dezember 2013 - 6 C 23.12 - Buchholz 442.066 § 21 TKG Nr. 4
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Rn. 84, Beschlüsse vom 12. März 2014 - 5 B 48.13 - Buchholz 310 § 96 VwGO
Nr. 62 Rn. 22 und vom 14. Juli 2010 - 10 B 7.10 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1
VwGO Nr. 66 Rn. 4, jeweils m.w.N.). Hieran gemessen ist ein Verstoß gegen
§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht in der gebotenen Weise dargetan. Der von der
Beschwerde begehrten Beweiswürdigung hätte es nur bedurft, wenn diese aus
der insoweit maßgeblichen Sicht des Berufungsgerichts für die Entscheidung
des Rechtsstreits erheblich gewesen wäre. Dies lässt sich der Beschwerdebe-
gründung nicht entnehmen.
c) Die Beschwerde macht ferner geltend, das Oberverwaltungsgericht habe ver-
fahrensfehlerhaft entschiede, weil es den Rechts-
streit nicht zumindest teilweise an das Thüringer Oberlandesgericht verwiesen
habe (S. 12 der Beschwerdebegründungsschrift). Auch mit diesem Vorbringen
wird ein Zulassungsgrund nicht in einer Weise dargelegt, die den Anforderun-
gen desgenügt.
Das Oberverwaltungsgericht ist nicht verfahrensfehlerhaft, sondern rechtmäßig
verfahren, indem es über die in diesem Verfahren erhobene Entschädigungs-
klage wegen überlanger Verfahrensdauer entschieden hat und von einer Teil-
verweisung des Rechtsstreits an die ordentlichen Gerichte gem
abgesehen hat. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
wie auch des Bundesgerichtshofs ist geklärt, dass eine auf einzelne rechtliche
Gesichtspunkte beschränkte Feststellung der Unzulässigkeit des Rechtsweges
mit entsprechender (Teil-)Verweisung an das zuständige Gericht des zulässi-
gen Rechtsweges nicht zulässig ist (vgl. BVerwG,
Beschluss vom 19. November 1997 - 2 B 178.96 - juris Rn. 2 m.w.N.). Das Be-
schwerdevorbringen gebietet nicht, diese Rechtsprechung in Zweifel zu ziehen.
Insbesondere lässt es nicht erkennen, inwiefern die Klägerin gehindert sein
könnte, einen Schadenersatzanspruch nach Maßgabe der Zivilprozessordnung
bei den ordentlichen Gerichten geltend zu machen.
d) Aus den vorstehenden Erwägungen geht der Vorwurf einer Verletzung des
Verbots willkürlicher Rechtsanwendung, eines Verstoßes gegen den gesetzli-
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chen Richter und einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen
Gehörs (S. 17 der Beschwerdebegründungsschrift) ins Leere.
4. Nach alledem ist für eine Entscheidung über die unter II. der Beschwerdebe-
gründungsschrift gestellten Anträge kein Raum.
5. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung
des Wertes des Streitgegenstandes folgt aus § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52
Abs. 2 GKG.
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