Urteil des BVerwG vom 08.08.2012

Behinderungsbedingte Mehrkosten, Unterbringung, Pflege, Ausbildung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 21.12
OVG 12 A 1905/11
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. August 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer und Dr. Häußler
beschlossen:
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Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. Januar 2012
wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
G r ü n d e :
Die auf den Zulassungsgrund der Grundsatzbedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt
einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentschei-
dung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der
Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf.
Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die
Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die
Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und au-
ßerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausge-
hende Bedeutung bestehen soll (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG
7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14). Diesen Anforde-
rungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
a) Die Beschwerde hält die Frage für „streitgegenständlich“,
„ob der Anspruch des Klägers nach § 14a BAföG i.V.m.
§§ 6, 7 HärteV in den Fällen, in denen die auswärtige Un-
terbringung dem Grunde nach unmittelbar ausbildungsbe-
zogen ist, sämtliche Kosten der Unterbringung in einem
Internat/Wohnheim umfasst, die im Zusammenhang mit
der Ausbildung anfallen, auch wenn sie auf einen spezi-
fisch behinderungsbedingten Bedarf bezogen sind und bei
einer Internatsunterbringung von Menschen ohne Behin-
derung mit fachgerechter pädagogischer Betreuung so
nicht anfallen oder diese doch erheblich übersteigen“ (Be-
schwerdebegründung S. 2).
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Diese Frage würde sich indessen in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht
stellen. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ist
nämlich nicht davon auszugehen - was die Klärungsfähigkeit der von der Be-
schwerde aufgeworfenen Frage in einem Revisionsverfahren voraussetzen
würde -, dass in den entrichteten Heimkosten spezifisch behinderungsbedingte
Aufwendungen enthalten sind. Vielmehr hat das Oberverwaltungsgericht aus-
drücklich festgestellt (UA S. 20), „die vorliegend entrichteten Heimkosten“ ent-
hielten „keine gesonderten Kostenbestandteile, die auf einen spezifisch behin-
derungsbedingten Bedarf bezogen sind“. „Ein über den mit der Mindestvergü-
tung pauschal abgedeckten Bedarf hinausgehender - und damit gesonderter -
Bedarf der Auszubildenden“ sei „nicht zu erkennen.“ Er sei von der Einrichtung
auch weder in die Heimkosten eingestellt noch daneben abgerechnet worden.
Diese Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts hat die Beschwer-
de nicht (erfolgreich) mit Verfahrensrügen angegriffen, weshalb sie für das Re-
visionsgericht bindend wären (§ 137 Abs. 2 VwGO). Deshalb vermag die von
dem Beklagten als rechtsgrundsätzlich angesehene Frage die Zulassung der
Revision nicht zu begründen (vgl. Beschluss vom 18. Juni 2012 - BVerwG 5 B
5.12 - juris Rn. 17).
b) Die Zulassung der Revision kommt auch nicht in Betracht, soweit die Be-
schwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache daraus herleiten will,
dass die Unterbringungskosten typischerweise einen behinderungsbedingten
Mehrbedarf umfassten, ohne diesen näher aufzuschlüsseln (Beschwerdebe-
gründung S. 2). Es sei mithin zu klären,
„ob auch behinderungsbedingte Aufwendungen wie
- sonder- und heilpädagogische Aufwendungen, z.B. auch
für körperlich schwerstmehrfach behinderte Kinder und
Jugendliche (evtl. pädagogische Betreuungsleistungen
gemäß § 6 Abs. 2 HärteVO)
- „Basisversorgung“, d.h. Nahrungsaufnahme, Wickeln etc.
pflegebedingte und medizinische Aufwendungen
- in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausbildung
stehen.“
Zum einen würde sich auch diese Frage in einem Revisionsverfahren auf der
Grundlage der oben genannten Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungs-
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gerichts, wonach die entrichteten Heimkosten hier keine gesonderten Kosten-
bestandteile enthielten, die auf einen spezifisch behinderungsbedingten Bedarf
bezogen sind, nicht stellen. Zum anderen ist in der Rechtsprechung des Bun-
desverwaltungsgerichts geklärt, dass die nach § 7 Abs. 1 der Verordnung über
Zusatzleistungen in Härtefällen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
- HärteV - (vom 15. Juli 1974, BGBl I S. 1449, zuletzt geändert durch Art. 7 des
Gesetzes vom 19. März 2001, BGBl I S. 390) zu bestimmende Leistungshöhe
an den Unterbringungsbedarf nach § 6 Abs. 2 HärteV anknüpft. Dieser setzt
sich aus dem Bedarf für Unterkunft, Verpflegung und pädagogische Betreuung
außerhalb der Unterrichtszeit zusammen. Im Fall der vollstationären Unterbrin-
gung von behinderten Auszubildenden umfasst der Bedarf für die pädagogische
Betreuung außerhalb der Unterrichtszeit auch die Mehrkosten, die wegen einer
auch auf die Behinderungen des betreuten Personenkreises sowie dessen Alter
eingestellte pädagogische Betreuung entstehen. Derartige Mehrkosten können
also nicht als spezifisch behinderungsbedingte Aufwendungen qualifiziert wer-
den (Urteil vom 2. Dezember 2009 - BVerwG 5 C 33.08 - BVerwGE 135, 310
Rn. 39). Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass und inwiefern aus Anlass des
vorliegenden Falles über diese Grundsätze hinaus ein erneuter oder weiterer
rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf besteht.
Darüber hinaus legt die Beschwerde eine grundsätzliche Bedeutung der
Rechtssache auch deshalb nicht hinreichend dar, weil sie sich nicht genügend
mit der vom Oberverwaltungsgericht vertretenen Rechtsauffassung auseinan-
dersetzt (vgl. zu diesem Erfordernis Beschluss vom 4. März 2004 - BVerwG 6 B
14.04 - Umdruck S. 3; Beschluss vom 9. März 1993 - BVerwG 3 B 105.92 -
NJW 1993, 2825 <2826>). Dieses hat nämlich ausgeführt (UA S. 21), es beste-
he kein Anlass, die Pauschalen und/oder den Investitionsbetrag, aus denen
sich die Vergütung zusammensetze, hinsichtlich der jeweils eingeflossenen Po-
sitionen weiter aufzuschlüsseln. Eine Einrichtung müsse, um eine den Behinde-
rungen ihrer Bewohner angemessene pädagogische Betreuung leisten zu kön-
nen, zwingend auch den bei einer vollständigen Unterbringung typischerweise
entstehenden behinderungsbedingten Pflege- oder Therapiebedarf der Heim-
bewohner abdecken. Wegen dieses Zusammenhangs zwischen der pädagogi-
schen Betreuung und den in der Pauschale mit abgegoltenen „reinen“ Pflege-
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leistungen seien derartige behinderungsbedingte Mehrkosten nicht als spezi-
fisch behinderungsbedingter Bedarf, sondern als notwendiger Bestandteil des
Unterbringungsbedarfs zu werten. Hiermit setzt sich die Beschwerde nicht hin-
reichend auseinander.
Soweit die Beschwerde (Beschwerdebegründung S. 3) ausführt, es sei „nicht
auszuschließen, dass im hier entschiedenen Fall auch Aufwendungen enthalten
sind, die über die Deckung des Unterbringungsbedarfs gemäß § 6 Abs. 2 Här-
teV hinausgehen und als behinderungsspezifisch zu qualifizieren wären“ und
dass wegen der Höhe der zu entrichtenden Tagessätze umso mehr Anlass be-
standen hätte, dieser Frage nachzugehen, werden keine Gründe genannt, die
auf eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung schließen lassen. Mit der
Beanstandung der mangelnden Aufschlüsselung greift die Beschwerde der Sa-
che nach eine unzureichende Tatsachenaufklärung oder allenfalls eine unrichti-
ge Rechtsanwendung im Einzelfall an. Damit lässt sich die rechtsgrundsätzliche
Bedeutung einer Sache jedoch nicht begründen.
2. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten wer-
den nach § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO nicht erhoben. Das Betreiben der Fest-
stellung einer Sozialleistung nach § 95 SGB XII betrifft nicht eine Erstattungs-
streitigkeit im Sinne des § 188 Satz 2 Halbs. 2 VwGO und wird ungeachtet sei-
ner funktionalen Nähe zum Erstattungsanspruch nicht von dieser Regelung er-
fasst (Urteil vom 2. Dezember 2009 a.a.O. Rn. 40 m.w.N.).
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