Urteil des BVerwG vom 24.09.2007

Jugendhilfe, Hund, Pflegeeltern, Kommunikation

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 154.07
OVG 2 LB 26/06
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. September 2007
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Franke und Prof. Dr. Berlit
beschlossen:
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Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen
Oberverwaltungsgerichts vom 23. Mai 2007 wird zurück-
gewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf
23 463,13 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg; die
von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO) und der als Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) geltend
gemachte Gehörsverstoß (Art. 103 Abs. 1 GG) sind nicht zu erkennen.
1. Das Oberverwaltungsgericht hat die Voraussetzungen des von der Klägerin
geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs aus § 89a Abs. 1 Satz 1
SGB VIII wegen Zuständigkeitswechsels nach § 86 Abs. 6 SGB VIII im Wesent-
lichen mit der Begründung bejaht, die Klägerin habe den Hilfefall gemäß der
von Seiten des Beklagten wie der Klägerin protokollierten Besprechung vom 30.
November 1999 über das „Verfahren zur Hilfegewährung“ in Wahrnehmung
ihrer gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII gesetzlich begründeten örtlichen Zuständig-
keit zum 1. Januar 2000 übernommen. Diese Erklärung sei auch umgesetzt
worden, indem die Klägerin die Hilfemaßnahmen in Hinblick auf Betreuung und
Pflegegeldzahlung ab dem 1. Januar 2000 weitergeführt und der Beklagte die
Betreuung eingestellt habe. Wenn der Beklagte gleichwohl nach dem 1. Januar
2000 seine monatlichen Pflegegeldzahlungen an die Pflegeeltern fortgesetzt
habe - mit der Folge, dass die Pflegeeltern bis Juni 2003 sowohl von der Kläge-
rin wie vom Beklagten Pflegegeld empfingen - , könne er dem Erstattungsan-
spruch der Klägerin nicht entgegenhalten, dass die pädagogisch ausgerichteten
Fachdienste ohne Prüfung durch die wirtschaftliche Jugendhilfe eine so weitrei-
chende Entscheidung nicht treffen könnten. Die Fortsetzung der Hilfe beruhe
nicht auf einer Vereinbarung, die als öffentlich-rechtlicher Vertrag verstanden
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werden könne, sondern sei aufgrund gesetzlichen Zuständigkeitswechsels er-
folgt, von dem alle Beteiligten Kenntnis gehabt hätten und der von der Klägerin
auch beachtet worden sei, so dass es an einer fortdauernden Leistungsver-
pflichtung des Beklagten nach § 86c SGB VIII gefehlt habe.
Die Beschwerde greift diese rechtliche Würdigung des Oberverwaltungsgerichts
als fehlerhaft an und macht dabei als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig fol-
gende Fragen geltend:
Durch welche Fakten und zu welchem Zeitpunkt wird die
Übergabe einer Hilfe an den bisher nichtzuständigen Trä-
ger nach § 86c SGB VIII (KJHG) rechtsverbindlich wirk-
sam?
Gibt es eine getrennte Übernahme im Sinne von § 86c
KJHG von sozialpädagogischer Hilfeleistung und wirt-
schaftlicher (finanzieller) Hilfe, oder kann die Übergabe
nur in einem Gesamtvorgang vonstatten gehen?
Welchem Träger fallen Fehler oder Zweifel über die
rechtswirksame Übergabe im Sinne von § 86c KJHG zur
Last - dem Erstzuständigen (Übergeber) oder dem Neu-
zuständigen (Übernehmer)?
1.1 Was die ersten beiden Fragenkomplexe (Bestimmung des Zeitpunktes des
Wirksamwerdens der Hilfeübergabe nach § 86c SGB VIII; getrennte Übernah-
me sozialpädagogischer Hilfeleistungen oder einheitliche Übernahme in einem
Gesamtvorgang) betrifft, macht die Beschwerde geltend, das Berufungsgericht
habe den Sachverhalt „in seiner grundsätzlichen Bedeutung verkannt“ und
falsch gewürdigt; es habe verkannt, dass die protokollierte „Hilfeübergabekon-
ferenz“ vom 30.11.1999, auf der eine Übergabe zum 1.01.2000 festgelegt wur-
de, nur die für sozialpädagogische Leistungen zuständige Außenstelle N., aber
mangels Beteiligung und Kenntnis nicht die auf Seiten des Beklagten für die
wirtschaftliche Hilfe zuständigen Stellen betroffen habe. Mangels Übergabever-
einbarung auch in Hinblick auf die vom Beklagten bis Juni 2003 weiter geleiste-
te finanzielle Hilfe liege insoweit keine Übernahme i.S. des § 86c SGB VIII vor,
da diese einen beide Hilfeaspekte (pädagogische wie finanzielle Hilfe) umfas-
sende Gesamtvereinbarung voraussetze.
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Was zunächst die rechtliche Grundannahme der Beschwerde betrifft, die ge-
mäß § 86c SGB VIII zum Wegfall der Verpflichtung des bisher zuständigen Trä-
gers führende Fortsetzung der Leistung durch den zuständig gewordenen örtli-
chen Träger setze eine Art rechtsgeschäftlicher Vereinbarung unter Beteiligung
sowohl der sozialpädagogischen wie der für die wirtschaftliche Hilfe zuständi-
gen Dienststellen voraus, folgt unmittelbar aus dem Gesetz, dass § 86c SGB
VIII im Interesse des Leistungsberechtigten an der Kontinuität der Leistungs-
erbringung an die Fortsetzung der Leistung durch den nunmehr zuständigen
Träger, nicht aber an rechtsgeschäftliche Vereinbarungen zwischen den Trä-
gern anknüpft. Das Gesetz sieht auch kein „Übergabeprotokoll“ oder sonstige
förmliche Unterrichtungen als Wirksamkeitsvoraussetzung einer Fortführung der
Hilfe vor, für die es auch nicht der Übernahme der Hilfeakten bedarf, um im
Rechtssinne beachtlich zu sein. Das wechselseitige Unterrichtungen oder Ab-
sprachen sinnvoll und in der Praxis üblich sein mögen, um ungewollten Unter-
brechungen der Hilfegewährung entgegenzuwirken, ist bei tatsächlicher Hilfe-
gewährung des nach übereinstimmender Rechtsauffassung zuständig gewor-
denen Leistungsträgers jedenfalls dann unerheblich, wenn - wie hier - zumin-
dest keine eindeutigen und unmissverständlichen Anhaltspunkte dafür vorlie-
gen, dass der zuständig gewordene Leistungsträger seiner Leistungspflicht
nicht nachkommen werde.
1.2. Die finanzielle Verpflichtung zur Sicherstellung des Lebensunterhalts des
Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses (§ 39 SGB VIII) ist keine
selbständige Aufgabe der Jugendhilfe, sondern eine Annexleistung im Rahmen
einer Hilfe zur Erziehung in einer der Hilfearten der Jugendhilfe (hier Vollzeit-
pflege gemäß § 33 SGB VIII) (vgl. nur Kunkel in: Kunkel , LPK-SGB
VIII, 3. Aufl. 2006 § 39 Rz. 3; Fischer in: Schellhorn/Fischer/Mann, SGB VIII,
3. Aufl. 2007, § 39 Rz. 6 f.; Wiesner, SGB VIII, 3. Aufl. 2006, § 39 Rz. 1, 6 f.).
Zu den vorstehend aufgeworfenen Fragen ist die Revision auch deswegen nicht
zuzulassen, wie sie in ihrer konkreten Ausgestaltung die Bewertung ein-
zelfallspezifischer Umstände wie der Hilfeplankonferenz vom 30. November
1999 betreffend „Pflegestellenunterbringung auf Dauer; gem. §§ 27/33 KJHG“
und der Kommunikationsdefizite zwischen den beteiligten Jugendämtern einer-
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seits sowie innerhalb der auf Seiten des Beklagten beteiligten Dienststellen
- unterbliebene Unterrichtung der für die wirtschaftliche Hilfe zuständigen Stelle
des Beklagten - andererseits betreffen, ohne dass insoweit eine rechtsgrund-
sätzliche Bedeutung erkennbar wird.
1.3 Auch was die dritte Frage betrifft, mit welcher die Beschwerde konkret gel-
tend macht, die Klägerin habe insbesondere durch Nichtbeantwortung des
Schreibens des Beklagten vom 29. November 1999 zur Weiterleistung finan-
zieller Hilfe durch den Beklagten beigetragen, lässt die Beschwerde eine über
den konkreten Einzelfall hinausweisende rechtsgrundsätzliche Bedeutung nicht
erkennen. Jedenfalls bedarf es nicht der Durchführung eines Revisionsverfah-
rens, um zu klären, dass in Fällen unzureichender Kommunikation sowohl zwi-
schen den verschiedenen von einem Zuständigkeitswechsel berührten Sozial-
leistungsträgern wie auch zwischen verschiedenen auf Seiten eines Sozialleis-
tungsträgers beteiligten Dienststellen jedenfalls die letzteren Kommunikations-
probleme nicht dem jeweils anderen, hier dem die Hilfe fortsetzenden Sozialhil-
feträger, entgegengehalten werden können.
2. Auch die als Verfahrensverstoß geltend gemachte Verletzung des rechtlichen
Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), welche die Beschwerde darin sieht, dass das
Oberverwaltungsgericht nicht gewürdigt habe, dass die langfristige Überzahlung
nicht eingetreten wäre, wenn die Klägerin auf das Schreiben des Beklagten
vom 29.11.1999 geantwortet hätte, liegt nicht vor. Dem steht bereits entgegen,
dass das Oberverwaltungsgericht das genannte Schreiben in seinem Urteil
ausdrücklich erwähnt und berücksichtigt hat. Dass es dabei nicht zu der vom
Beklagten gewünschten Schlussfolgerung gelangt ist, die Klägerin habe durch
unterlassene Beantwortung des Schreibens und die unterbliebene schriftliche
Erklärung ihrer Übernahmebereitschaft die langjährige Überzahlung selbst
verursacht, begründet keinen Gehörsverstoß.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfest-
setzung in Höhe des streitigen Erstattungsbetrages auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52
Abs. 3 GKG.
Hund
Dr. Franke
Prof. Dr. Berlit
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