Urteil des BVerwG vom 12.09.2012

Vorbehalt des Gesetzes, Verfahrensmangel, Zukunft, Satzung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 15.12
VGH 2 S 2295/10
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. September 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler und Dr. Fleuß
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs
Baden-Württemberg vom 24. November 2011 wird zu-
rückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 1 298,26 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg. Die
behaupteten Revisionsgründe im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO sind
nicht in der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO gebotenen Weise ausreichend dar-
gelegt.
1. Die Klägerin hat nicht aufgezeigt, dass die Rechtssache die von ihr beige-
messene grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
hat. Eine ausreichende Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung einer
Rechtssache setzt zum einen die Formulierung einer bestimmten, höchstrichter-
lich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Frage des
revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über
den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (vgl. Beschlüsse vom
19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO
Nr. 26 = NJW 1997, 3328 und vom 9. August 2011 - BVerwG 5 B 15.11 - juris
Rn. 2). Zum anderen gelten bei Rechtsfragen, die sich im Rahmen der Ausle-
gung oder Anwendung von ausgelaufenem Recht stellen, zusätzliche Darle-
gungsanforderungen. Solche Rechtsfragen haben mit Rücksicht auf den Zweck
der Grundsatzrevision, eine für die Zukunft richtungweisende Klärung herbeizu-
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führen, nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
trotz anhängiger Fälle regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne
des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Sie rechtfertigen die Zulassung der Revision
vielmehr nur ausnahmsweise, wenn die Auslegung einer solchen Vorschrift
noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in unabsehbarer Zukunft
von Bedeutung ist. Für das Vorliegen einer solchen Sachlage ist der Beschwer-
deführer darlegungspflichtig (vgl. etwa Beschluss vom 8. Dezember 2008
- BVerwG 5 B 58.08 - Buchholz 130 § 10 StAG Nr. 4 m.w.N.). Es müssen An-
haltspunkte für eine erhebliche Zahl von Altfällen dargetan und ersichtlich sein
(vgl. Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 - Buchholz 310
§ 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 9 m.w.N.).
Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Soweit
sie die „Klärung der Frage der Auswahlkompetenz und der Anforderungen an
eine formell zulässige medizinische Begutachtung“ für grundsätzlich bedeutsam
hält, lässt die Beschwerde bereits die ausreichende Ausformulierung einer klä-
rungsbedürftigen Rechtsfrage bei der Auslegung einer Rechtsnorm revisiblen
Rechts vermissen. Aus den weiteren Ausführungen wird zwar erkennbar, dass
die Beschwerde die vorinstanzliche Auslegung des Begriffs des „vertrauensärzt-
lichen Gutachtens“ in der im vorliegenden Fall entscheidungserheblichen alten
Fassung des § 78 Abs. 3 Satz 2 der Satzung der Postbeamtenkrankenkasse
angreift. Es wird jedoch nicht ausreichend dargelegt, dass die angegriffene In-
terpretation des Vertrauensarztbegriffs nicht nur für die Entscheidung des vor-
liegenden Rechtsstreits erheblich, sondern für eine Vielzahl von Fällen klä-
rungsbedürftig ist. Allein der Hinweis darauf, dass sich das Bundesverwal-
tungsgericht bislang nicht mit der Auslegung dieses Begriffs befasst hat, genügt
nicht. Da es sich um eine außer Kraft getretene Bestimmung handelt und in der
gegenwärtig gültigen Fassung der Satzungsbestimmung nur noch von Gutach-
ten beauftragter „Sachverständigen bzw. Sachverständigengesellschaften“ die
Rede ist, hätten Ausführungen zur Relevanz der angesprochenen Rechtsfrage
für eine Vielzahl offener Fälle gemacht werden müssen. Daran fehlt es schon
deswegen, weil die Beschwerde das Außerkrafttreten der Bestimmung am
1. August 2011 unerwähnt lässt. Soweit die Beklagte darauf hinweist, dass sich
die streitige Rechtsfrage höchstens noch bei 15 weiteren Anspruchsberechtig-
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ten stelle, würde diese Fallzahl im Übrigen eine Zulassung der Revision wegen
fortwirkender grundsätzlicher Bedeutung nicht rechtfertigen.
2. Die Revision ist auch nicht gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen der gel-
tend gemachten Divergenz zuzulassen. Soweit die Beschwerde darauf hin-
weist, dass der Begriff des vertrauensärztlichen Dienstes aus der Zeit der Gel-
tung des § 369 b RVO stamme und dass diese Institution nach der Rechtspre-
chung des Bundesfinanzhofs dem heutigen medizinischen Dienst der Kranken-
kassen entspreche (insbesondere BFH, Urteil vom 17. Dezember 1997 - III R
35/97 - BFHE 185, 34), wird eine die Revision eröffnende Divergenz schon
deswegen nicht dargetan, weil hierfür nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eine Ab-
weichung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Ge-
meinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundes-
verfassungsgerichts erforderlich ist.
Im Übrigen weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass die Entscheidungen
des Bundesfinanzhofs zu steuerrechtlichen Vorschriften und nicht zur früheren
Fassung des § 78 Abs. 3 Satz 2 der Satzung der Postbeamtenkrankenkasse
ergangen sind. Eine Divergenz ist jedoch nur gegeben, wenn das vorinstanzli-
che Gericht in Anwendung derselben Vorschrift mit einem seine Entscheidung
tragenden (abstrakten) Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung des über-
geordneten Gerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgewichen ist (Be-
schlüsse vom 11. August 1999 - BVerwG 11 B 61.98 - Buchholz 310 § 132
Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19 und vom 26. August 2010 - BVerwG 5 B 28.10 - juris
Rn. 12).
Da die Beschwerdebegründung eine solche Divergenz bei der Auslegung der
gleichen Rechtsvorschrift im Einzelnen darlegen muss, kann auch die in der
Beschwerdeschrift behauptete Missachtung der Vorgaben der bundesverfas-
sungsgerichtlichen Entscheidungen zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht
(BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 u.a. - BVerfGE 65, 1
<41 ff.>, Beschluss vom 11. Juni 1991 - 1 BvR 239/90 - BVerfGE 84, 192
<194 f.> etc.) und zum Vorbehalt des Gesetzes (BVerfG, Beschluss vom 28.
Oktober 1975 - 2 BvR 883/73 u.a. - BVerfGE 40, 237 <248>) nicht als zulässige
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Divergenzrüge angesehen werden. Soweit die Beschwerde die Entscheidung
des Berufungsgerichts wegen der angeblichen rechtswidrigen Begutachtung
durch die von der Beklagten eingeschaltete Gutachtergesellschaft als rechtsfeh-
lerhaft ansieht, wird damit kein Zulassungsgrund geltend gemacht.
3. Die Revision ist schließlich auch nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzu-
lassen. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nur
dann ausreichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begrün-
denden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung im Einzelnen dar-
getan wird. Für die ordnungsgemäße Begründung der hier erhobenen Rüge
mangelhafter Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) muss dementsprechend
substanziiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände
Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehalte-
nen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären, welche tat-
sächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhalts-
aufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern deren Berück-
sichtigung auf der Grundlage der vordergerichtlichen Rechtsauffassung zu
einem anderen Ergebnis hätte führen können. Weiterhin muss entweder darge-
legt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesonde-
re in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklä-
rung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass
sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwir-
ken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. Urteil vom 20. April 2004 -
BVerwG 1 C 13.03 - BVerwGE 120, 298 <303>).
Daran fehlt es. Die Klägerin leitet einen Aufklärungsmangel daraus ab, dass der
Verwaltungsgerichtshof die Beantwortung der von ihm mit Schriftsatz von
16. Dezember 2010 gestellten Fragen trotz aus ihrer Sicht unbefriedigender
Antworten der Beklagten und eigener Einwendungen nicht ausreichend weiter-
verfolgt und insbesondere die Frage der Neutralität der Gutachtergesellschaft
keiner Beweisaufnahme zugeführt habe. Sie legt jedoch nicht dar, welche wei-
teren, nicht bereits eingeführten Beweismittel zur Verfügung gestanden haben,
in welcher Weise sie auf die Durchführung einer Beweisaufnahme hingewirkt
hat und inwiefern die Beweisaufnahme und die genauere Beantwortung der
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vom Verwaltungsgerichtshof gestellten Fragen auf der Grundlage der Rechts-
auffassung des Verwaltungsgerichtshofs entscheidungserheblich gewesen wä-
ren. Dass sich auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Verwaltungsge-
richtshofs etwa zur Datenschutz- oder Neutralitätsfrage weitere Aufklärungs-
maßnahmen aufgedrängt hätten, wird ebenfalls nicht behauptet und ist auch
nicht ersichtlich.
Schließlich wird auch mit den Vorhaltungen der Beklagten, dass der Verwal-
tungsgerichtshof nach eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung mit der
Beklagten ein Telefonat zu einem der Klägerin unbekannt gebliebenen Inhalt
geführt habe, dass er eine beantragte Schriftsatzfrist verweigert habe und dass
die in der mündlichen Verhandlung offerierten Rechtsstandpunkte „verfahrens-
neu und überrumpelnd“ gewesen seien, ein Verfahrensmangel nicht substan-
ziiert dargetan. Zum einen werden die den Verfahrensmangel (vermeintlich) be-
gründenden Tatsachen nur unzureichend geschildert. Zum anderen fehlt jede
rechtliche Würdigung, gegen welche verfahrensrechtliche Vorschrift verstoßen
worden sein soll und inwiefern die Entscheidung hierauf beruhen kann. Im Übri-
gen hat die Beklagte zutreffend ausgeführt, dass keine ausreichenden Anhalts-
punkte für eine Art. 103 Abs. 1 GG verletzende Überraschungsentscheidung
vorliegen.
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwertes beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Vormeier
Dr. Häußler
Dr. Fleuß
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