Urteil des BVerwG vom 30.10.2003

Unbestimmter Gesetzesbegriff, Überschreitung, Erfüllung, Unterliegen

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 15.03
OVG 6 B 7.02
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Oktober 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t und Dr. F r a n k e
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom
21. November 2002 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Ge-
richtskosten werden nicht erhoben.
G r ü n d e :
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil
des Oberverwaltungsgerichts ist unbegründet. Die als alleiniger Zulassungsgrund
geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) kommt der
Rechtssache nicht zu. Insoweit gilt im vorliegenden Verfahren das Gleiche wie in der
Sache 5 B 14.03, welche der Senat bereits mit Beschluss vom 18. August 2003 ent-
schieden hat. In beiden Fällen geht es um die Frage, ob Mehrkosten für eine selbst
beschaffte Psychotherapie, die über die Vergütungssätze einer vom Landesjugend-
amt des Beklagten mit verschiedenen Psychologen getroffenen Vereinbarung hi-
nausgehen (im vorliegenden Verfahren um 19 % bzw. 16 %, im Verfahren 5 B 14.03
um 19 %), unverhältnismäßige Mehrkosten im Sinne von § 5 Abs. 2 SGB VIII sind. In
seinem Beschluss vom 18. August 2003 im Verfahren 5 B 14.03 hat der Senat zu der
insoweit erhobenen Grundsatzrüge ausgeführt:
"Die Beschwerde hält die Frage für revisionsgerichtlich klärungsbedürftig, ob
'unverhältnismäßige Kosten' im Sinne von § 5 Abs. 2 SGB VIII, die es recht-
fertigen, dem Wunsch- und Wahlrecht der Hilfeberechtigten nicht zu entspre-
chen, erst vorliegen, wenn die von einer größeren Anzahl anderer Leistungs-
erbringer akzeptierten Kostensätze um mehr als 20 % überstiegen sind, oder
ob es dafür auf einen prozentual zu bestimmenden Umfang der Überschrei-
tung der üblichen Kosten nicht ankomme. Entgegen der Ansicht der Be-
schwerde lässt sich diese Frage aber auf der Grundlage bereits vorliegender
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantworten, so dass kein
weiterer Bedarf an revisionsgerichtlicher Klärung besteht.
Der Begriff 'unverhältnismäßige Mehrkosten' in § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ist
ein unbestimmter Gesetzesbegriff und unterliegt deshalb in tatsächlicher und
rechtlicher Hinsicht der gerichtlichen Überprüfung. Dies hat der Senat
(BVerwGE 64, 318 <323>) so bereits zum Tatbestandsmerkmal 'angemessen'
in § 3 Abs. 2 Satz 1 BSHG entschieden, wonach Wünschen des Hilfeempfän-
gers, die sich auf die Gestaltung der Hilfe richten, entsprochen werden soll,
soweit sie angemessen sind. Zur Bedeutung des so genannten Mehrkosten-
vorbehalts des § 3 Abs. 2 Satz 3 BSHG, wonach der Träger der Sozialhilfe
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Wünschen nicht zu entsprechen braucht, deren Erfüllung mit unverhältnismä-
ßigen Mehrkosten verbunden wäre, hat der Senat bereits klargestellt, dass die
Mehrkosten dann 'unverhältnismäßig' sind, wenn die hieraus folgende Mehr-
belastung des Sozialhilfehaushalts zum Gewicht der vom Hilfebedürftigen an-
geführten Gründe für die von ihm getroffene Wahl der Hilfemaßnahme nicht
mehr im rechten Verhältnis steht, so dass die Frage nach der (Un-)Verhält-
nismäßigkeit wunschbedingter Mehrkosten sich nicht in einem rein rechneri-
schen Kostenvergleich erschöpft, sondern eine wertende Betrachtungsweise
verlangt (BVerwGE 97, 110 <116>). § 3 Abs. 2 Satz 3 BSHG lässt sich jeden-
falls hinsichtlich seiner tatbestandlichen Voraussetzungen, nämlich hinsichtlich
des Merkmals '(Un-)Verhältnismäßigkeit' ohne weiteres, d.h. ohne dass diese
Feststellung einem Revisionsverfahren vorzubehalten wäre, mit § 5 Abs. 2
Satz 1 SGB VIII vergleichen, wonach der Wahl und den Wünschen des Leis-
tungsberechtigten entsprochen werden soll, sofern dies nicht mit unverhält-
nismäßigen Mehrkosten verbunden ist. Diese Vergleichbarkeit setzt auch das
Beschwerdevorbringen voraus, das in erheblichem Umfange auf Recht-
sprechung und Schrifttum zu § 3 Abs. 2 Satz 3 BSHG zurückgreift.
Wird also - was angesichts der Vergleichbarkeit der betreffenden Gesetzes-
bestimmungen gleichfalls ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens zu-
lässig ist - die Rechtsprechung des Senats zu § 3 Abs. 2 BSHG auf § 5 Abs. 2
Satz 1 SGB VIII übertragen, richtet sich auch im Rahmen dieser Vorschrift die
Bestimmung der (Un-)Verhältnismäßigkeit von Mehrkosten nach den Umstän-
den des Einzelfalles und ist weder allein die Höhe des Kostenunterschiedes
maßgeblich noch eine 'Kostenhöchstspanne' anzuerkennen, innerhalb derer
ein Kostenunterschied von vornherein als verhältnismäßig zu gelten hätte.
Soweit die Beschwerde geltend macht, die 'sozialpolitische und verfassungs-
rechtliche Zielsetzung' des Wahl- und Wunschrechts gebiete es, einen gewis-
sen 'Sockel' an Überschreitung der durchschnittlichen Kosten zuzulassen, be-
gründet dies keinen Bedarf an einer über die Erkenntnisse aus der oben ge-
nannten Rechtsprechung hinausgehenden, revisionsgerichtlichen Klärung.
Insbesondere kann keinen Zweifeln unterliegen, dass den verfassungsrecht-
lichen Anforderungen durch ein vom Gesetz nach Maßgabe der Umstände
des Einzelfalles eingeräumtes Wahl- und Wunschrecht des Hilfeberechtigten
genügt ist.
Auch mit dem Hinweis darauf, dass 'von öffentlichen Leistungsträgern' eine
'20 %-Grenze ... praktiziert' werde und dies Zustimmung in der Literatur finde,
wird angesichts der oben genannten Rechtsprechung eine weitergehende re-
visionsgerichtliche Klärungsbedürftigkeit der von der Beschwerde aufgeworfe-
nen Frage nicht begründet."
Diese Ausführungen gelten auch für die vorliegende Beschwerde, mit der die glei-
chen Gesichtspunkte aufgeworfen werden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit aus
§ 188 Satz 2 VwGO.
Dr. Säcker
Schmidt
Dr. Franke