Urteil des BVerwG vom 07.07.2005

Ausreise, Besondere Härte, Eltern, Aussiedler

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 133.04
OVG 2 A 3395/03
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. Juli 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t und Dr. R o t h k e g e l
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das
Land Nordrhein-Westfalen vom 30. September 2004 wird zu-
rückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 12 500 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf Zulassung der Revision gerichtete Beschwerde der Kläger ist nicht begrün-
det.
Die Revision kann nicht nach §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher
Bedeutung zugelassen werden.
Die Kläger halten für grundsätzlich klärungsbedürftig, "ob die Einbeziehung nach
dem 01.01.1993 in einen Aufnahmebescheid einer Person, die diesen vor dem
01.01.1993 erhalten hat, aber erst nach dem 01.01.1993 als Spätaussiedlerin aner-
kannt wird, nur dann möglich ist, wenn der Antrag auf Erteilung eines Aufnahmebe-
scheides als Aussiedler sich noch im Stadium des Verwaltungsverfahrens - vor dem
Erlass eines Ablehnungsbescheides - befunden hat, und deshalb die Einbeziehung
nach § 27 Abs. 2 2. Halbsatz BVFG in den Fällen, in denen ein Antrag auf Erteilung
eines Aufnahmebescheides als Aussiedler vor dem 01.01.1993 unabhängig davon,
ob er am 01.01.1993 bereits rechtskräftig war oder nicht, bereits beschieden wurde,
die Annahme jeglicher Härte ausgeschlossen ist". Diese Frage bedarf bezogen auf
die hier allein im Streit stehende verfahrensbedingte Härte keiner Klärung in einem
Revisionsverfahren. Mit Rücksicht auf die Verwaltungspraxis der Beklagten bereits
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seit wenigen Monaten der Umstellung auf die seit Anfang 1993 geltende Rechtslage
dahin gehend, dass bei Aufnahmeanträgen aus eigenem Recht jeweils auch geprüft
wird, ob eine Einbeziehung in einen beantragten oder erteilten Aufnahmebescheid
des Ehegatten oder eines Elternteils möglich ist, und das Gebot der Gleichbehand-
lung (Art. 3 Abs. 1 GG) hat der Senat die Möglichkeit einer verfahrensbedingten Här-
te gesehen (BVerwG, Urteil vom 12. April 2001 - BVerwG 5 C 19.00 -
412.3 § 5 BVFG Nr. 4 S. 17>). Ausgehend von dieser Verwaltungspraxis, die bei der
Prüfung von Aufnahmeanträgen auch die Möglichkeit der Einbeziehung prüfte, ergibt
sich, dass eine solche zusätzliche Prüfung nur während der Bearbeitung des Auf-
nahmeantrags bis hin zu einer Entscheidung über den Antrag erfolgte, nicht aber
auch nach Erlass eines Ablehnungsbescheides. Folglich kann auch eine verfahrens-
bedingte Härte nur dann vorliegen, wenn während der Zeit der verwaltungsbehördli-
chen Bearbeitung des Aufnahmeantrags eine Einbeziehung möglich gewesen wäre.
Unstreitig war der 1991 gestellte Aufnahmeantrag der Kläger aber bereits mit Be-
scheid vom Oktober 1992 und also vor der erst 1993 Gesetz gewordenen Möglichkeit
der Einbeziehung abgelehnt worden. Ein Widerspruch, der die weitere Bearbeitung
des Aufnahmeantrags bewirkt hätte, ist unstreitig nicht eingelegt worden. Allein die
Möglichkeit, Widerspruch einzulegen, führt ebenso wenig zu einer (weiteren) Be-
arbeitung und Prüfung eines Aufnahmeantrags auch unter dem Gesichtspunkt einer
seit 1993 möglichen Einbeziehung wie die bloße Möglichkeit eines Aufnahmeantrags.
Zu Unrecht meinen die Kläger, als weitere "Kernfrage" sei klärungsbedürftig, was
"Geltendmachen der rechtlichen Voraussetzungen für die Einbeziehung vor der Aus-
reise der Eltern" bedeute. Auch diese Frage bedarf bezogen auf die hier allein im
Streit stehende verfahrensbedingte Härte keiner Klärung in einem Revisionsverfah-
ren. Denn eine verfahrensbedingte Härte setzt gerade voraus, dass bei Aufnahme-
anträgen aus eigenem Recht der Antragsteller noch bis zur Ausreise in den Aufnah-
mebescheid des Ehegatten oder eines Elternteils hätte einbezogen werden können
(BVerwG a.a.O. S. 16). Folglich kann eine nachträgliche Einbeziehung nur dann auf
verfahrensbedingte Härte gestützt werden, wenn die rechtlichen Voraussetzungen für
eine Einbeziehung vor der Ausreise der Bezugsperson vorgelegen haben.
Entgegen der Auffassung der Kläger stellt sich nicht als Grundsatzfrage, "ob (der)
Abkömmling eines Spätaussiedlers nur dann einen Anspruch auf Einbeziehung in
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den Aufnahmebescheid gemäß § 27 Abs. 2 2. Halbsatz BVFG hat, wenn er das
Aussiedlungsgebiet 'im Familienverband zusammen mit seinen Eltern oder einem
Elternteil verlassen wollte'". Diese Frage bedarf schon deshalb keiner Klärung, weil
das Berufungsgericht seine Entscheidung nicht auf einen solchen Versagungsgrund
gestützt hat.
Da den von den Klägern aufgeworfenen Fragen bereits aus den dargelegten Grün-
den keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, war eine Prüfung unter dem Ge-
sichtspunkt ausgelaufenen Rechts - nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG in der Fassung
des Art. 6 des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950, 2000), in
Kraft seit 1. Januar 2005, ist Voraussetzung für die Einbeziehung ein ausdrücklicher
Antrag der Bezugsperson - nicht veranlasst.
Auch wegen eines Verfahrensfehlers (§§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) kann die Re-
vision nicht zugelassen werden.
Soweit die Kläger rügen, das Berufungsurteil verstoße gegen Denkgesetze, weil sei-
ne nachfolgenden Ausführungen nicht mit seiner Prämisse zusammenpassten, dass
eine Einbeziehung nur möglich sei, "wenn der Kläger 'zusammen mit seinen Eltern
oder einem Elternteil das Gebiet verlassen will und die rechtlichen Voraussetzungen
hierfür vor der Ausreise durch Stellung eines Antrages schafft'", liegt ungeachtet der
Frage, ob ein Verstoß gegen Denkgesetze ein Verfahrensfehler sein kann, kein der-
artiger Fehler vor. Zum einen ist das Berufungsgericht in seinem Beschluss nicht
davon ausgegangen, dass eine Einbeziehung nur möglich sei, "wenn der Kläger zu-
sammen mit seinen Eltern oder einem Elternteil das Gebiet verlassen will". Zum an-
deren ist bei der Prüfung, ob dem Berufungsgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen
ist, von seiner materiellrechtlichen Rechtsauffassung auszugehen (BVerwGE 106,
115 <119>). Im materiellrechtlichen Ansatz hat es aber durchgängig dahin erkannt,
dass die Annahme einer verfahrensbedingten Härte nur möglich ist, wenn die Vo-
raussetzungen für eine Einbeziehung während der Bearbeitungs- und Prüfungszeit
des Aufnahmeantrags vor Ausreise der Bezugsperson vorgelegen haben. Die von
den Klägern angegriffenen Ausführungen des Berufungsgerichts auf Seite 4 der Be-
rufungsentscheidung
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"Der Kläger zu 1 und seine Mutter, denen die Ablehnung des gestellten Auf-
nahmeantrages bekannt war, konnten deshalb nicht mehr davon ausgehen,
dass eine Ausreise im Familienverband , wie sie ursprünglich geplant gewesen
sein mag, noch hätte realisiert werden können. Die tatsächliche Ausreise der
Mutter im Jahre 1993 erfolgte in Kenntnis dieser Umstände und kann deshalb
nur als bewusster Verzicht auf eine Ausreise im Familienverband angesehen
werden."
bedürfen keiner Beurteilung. Es sind Folgebetrachtungen, nicht aber tragende Erwä-
gungen, auf denen die Berufungsentscheidung beruht.
Schließlich kann die Revision nicht wegen Abweichung von einer Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts nach §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 2 BVFG zugelassen wer-
den.
Die Kläger haben zu den von ihnen genannten Entscheidungen des Bundesverwal-
tungsgerichts (vom 12. April 2001 - BVerwG 5 C 19.00 -, vom 12. Juli 2001 - BVerwG
5 C 32.00 - und BVerwGE 110, 99) nicht, wie es für die Rüge der Divergenz
erforderlich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 -
und vom 9. Juni 1999 - BVerwG 11 B 47.98 -
1231>), einen die Entscheidung des Berufungsgerichts tragenden (abstrakten)
Rechtssatz angegeben und aufgezeigt, dass und inwieweit dieser von einem in den
genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts in Anwendung dersel-
ben Vorschrift aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abweicht. Fehlt es an einer
solchen Gegenüberstellung voneinander abweichender Rechtssätze und wird nur
fehlerhafte Rechtsanwendung gerügt, genügt das zur Begründung einer Divergenz
nicht. Auch hat das Berufungsgericht nicht die Möglichkeit in Abrede gestellt, dass
auch nach dem Verlassen des Aussiedlungsgebietes eintretende Umstände Härte-
gründe sein können, sondern festgestellt: "Sonstige Gesichtspunkte, die eine beson-
dere Härte begründen könnten, sind ebenfalls nicht ersichtlich". Auch die Kläger ha-
ben keinen nach der Ausreise entstandenen durchgreifenden Härtegrund bezeichnet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwert-
festsetzung auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 2, § 72 Nr. 1 GKG in der Fassung des Kos-
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tenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl I S. 718). In Bezug auf
die streitige Verpflichtung, die Klägerin zu 2 im Aufnahmebescheid ihrer Schwieger-
mutter vom 7. August 1992 als Familienangehörige (§ 8 Abs. 2 BVFG) aufzuführen,
ist die Annahme eines mit 2 500 € geringeren Teilstreitwertes gerechtfertigt.
Dr. Säcker
Schmidt
Dr. Rothkegel