Urteil des BVerwG vom 19.03.2009

Subjektive Klagenhäufung, Wechsel, Rückwirkungsverbot, Körperschaft

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 13.09
OVG 1 L 422/04
In der Verwaltungsstreitsache
- 2 -
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. März 2009
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund sowie die
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Brunn und Prof. Dr. Berlit
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsge-
richts Mecklenburg-Vorpommern vom 15. Dezember 2008
wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf
50 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die zu ihrer Begründung angeführten Ge-
sichtspunkte rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision.
1. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Beschwerde beigemessene grund-
sätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Dies wäre nur
dann zu bejahen, wenn für die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts eine
konkrete, jedoch fallübergreifende Rechtsfrage von Bedeutung war, die auch für
die Entscheidung im Revisionsverfahren erheblich wäre und deren höchst-
richterliche Klärung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder
zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts bedürftig und geboten
erscheint (stRspr; vgl. Beschluss vom 11. August 1999 - BVerwG 11 B 61.98 -
Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19). Dies ist hier nicht der Fall.
a) Die von der Klägerin im Zusammenhang mit der Anwendung von § 2 Abs. 3
SGB X für klärungsbedürftig gehaltenen Fragen,
aa) (S. 2 der Beschwerdebegründung)
1
2
3
- 3 -
„ob die Kostenerstattungsverpflichtung des § 2 Abs. 3 S. 1
und 2 SGB X im maßgeblichen Erstattungszeitraum an die
vorhandene sachliche und örtliche Zuständigkeit der er-
stattungspflichtigen Körperschaft für die Hilfegewährung
zwingend anknüpft und diese voraussetzt, weshalb bun-
desrechtlich bzw. aus Gründen der Gesetzgebungskom-
petenz Hinderungsgründe bestehen, landesrechtlich die
materielle Pflicht zur Kostenerstattung in den Fällen des
§ 2 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 SGB X von der sachlichen
und örtlichen Zuständigkeit zu lösen und eine andere Kör-
perschaft als kostenpflichtig zu bestimmen“,
„ob im Rahmen des § 2 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB X auch
die bloße Befugnis zur Durchführung des verwaltungs-
rechtlichen Kostenerstattungsverfahrens für die ‚sachliche
Zuständigkeit’ (ohne Aufgabenzuständigkeit) ausreicht“,
„ob im Rahmen der Kostenerstattungsnorm (hier § 2
Abs. 3 SGB X) eine teilweise sachliche Zuständigkeit auch
für einen rückwärtigen Zeitraum, also einen Zeitraum vor
der Zuständigkeitsbegründung wirksam begründet werden
kann und dies damit den Vorgaben des Bundesrechts, in-
soweit dem Rechtsstaatsprinzip sowie dem Rückwir-
kungsverbot gemäß Art. 20 Abs. 3 GG entspricht bzw.
Art. 31 GG zuwiderläuft“,
bb) (Seite 7 der Beschwerdebegründung)
„ob für die Begrifflichkeit ‚nunmehr zuständige Behörde’ im
Sinne des § 2 Abs. 3 SGB X auch eine sachliche Teil-
Zuständigkeit (hier für die Durchführung des verwaltungs-
rechtlichen Kostenerstattungsverfahrens) ausreicht, ohne
für die Aufgabe an sich für den betroffenen Zeitraum je
sachlich-rechtlich zuständig gewesen zu sein“,
cc) (Seite 16 der Beschwerdebegründung)
„ob eine teilweise sachliche Zuständigkeit (aufgrund Lan-
desrecht) für einen rückwärtigen Zeitraum, also einen Zeit-
raum vor Inkrafttreten der Aufgabenübertragung - hier von
dem bisher nach Landesrecht zuständigen überörtlichen
Träger der Sozialhilfe auf den örtlichen Träger der Sozial-
hilfe - den Vorgaben des Bundesrechts nach § 2 Abs. 3
SGB X und dem Rechtsstaatsprinzip sowie dem Rückwir-
kungsverbot des Art. 20 Abs. 3 GG entspricht bzw. Art. 31
GG zuwiderläuft“,
- 4 -
rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeu-
tung.
Der Senat hat in seinem Beschluss vom 2. Juni 2008 - BVerwG 5 B 188.07 -
den Fragen in einer der Sache nach gleichgerichteten Beschwerde, die bezo-
gen waren auf die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregelungen in
den landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen zum BSHG bzw. SGB XII
und Fragen zu §§ 97 ff. BSHG aufgeworfen hatten, mit Blick auf die Über-
gangsregelungen des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das
Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember 2003 (BGBl I S. 3022, 3071) unter dem
Aspekt auslaufenden Rechts die grundsätzliche Bedeutung abgesprochen. Die
hiergegen gerichteten Einwendungen der Klägerin (Beschwerdebegründung
S. 6 f.) greifen nicht durch. Ob der Landesgesetzgeber nach ausgelaufenem
Bundesrecht befugt gewesen ist, die (zukunftsbezogene) Verlagerung der sach-
lichen Zuständigkeit für Aufgaben nach § 100 BSHG (einschließlich der
Geltendmachung und Gewährung von Kostenerstattung nach § 103 Abs. 3,
§§ 104, 107 BSHG; § 2 Abs. 3 SGB X) in „Altfällen“ (in denen der bis zum
31. Dezember 2001 nach Landesrecht zuständige Sozialhilfeträger für die ein-
richtungsgebundene Hilfe sachlich zuständig gewesen wäre, diese aber nicht
geleistet hat, weil ein anderer, außerhalb des Landes Mecklenburg-
Vorpommern gelegener Sozialhilfeträger die Leistungen nach einem zum
1. Januar 1991 bewirkten Wechsel der örtlichen Zuständigkeit fortgewährt hat-
te) auch auf die Zuständigkeit für einen noch nicht rechts- oder bestandskräftig
geregelten Kostenerstattungsanspruch zu erstrecken, richtet sich indes primär
nach den sachlich-rechtlichen Regelungen zur sachlichen Zuständigkeit im
BSHG bzw. - nunmehr - im SGB XII. Ob diese Regelungen einer landesrechtli-
chen Bestimmung der von der Klägerin beanstandeten Art entgegen stehen,
liegt jedenfalls nicht nahe, bedarf aber im vorliegenden Verfahren keiner Ent-
scheidung.
Die an die Anwendung und Auslegung des § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X anknüp-
fenden Fragen beziehen sich allerdings auf eine Regelung, die unverändert
fortgilt. Sie rechtfertigen die Zulassung der Revision gleichwohl nicht. Denn es
bedarf nicht der revisionsgerichtlichen Klärung, dass die kraft Bundesrechts
4
5
- 5 -
dem Landesgesetzgeber eröffnete Befugnis zur Ordnung der Zuständigkeitsre-
gelung auch dazu ermächtigt, dem nunmehr (sachlich und örtlich) zuständig
gewordenen Träger die Zuständigkeit für noch nicht erledigte Erstattungsfälle
zu übertragen. Denn der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass bei
einem Zuständigkeitswechsel eine (rückwirkende) Fortsetzung der von dem
bislang zuständigen Träger geleisteten Hilfe ausscheidet, weil dieser Träger
diese Leistung ja bereits erbracht hatte, und für eine Fortsetzung in der Zukunft
nicht mehr der für einen bestimmten Zeitabschnitt in der Vergangenheit zu-
ständig gewesene, aber nicht tätig gewordene, sondern - ab einem bestimmten
Stichtag - ein anderer Leistungsträger zuständig (gewesen) wäre. Die entge-
genstehende Argumentation der Klägerin unterstellt § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X
für das Erstattungsverhältnis ein bundesrechtliches, die verfassungsrechtlich
dem Landesgesetzgeber zugewiesene Ordnung der Zuständigkeitsregelung be-
schränkendes Gebot der zeitabschnittsweisen Betrachtung, das weder aus dem
Wortlaut der Norm noch aus deren systematischer Einordnung oder Zweck folgt
und auch sonst nicht überzeugend ist. Kern der (allgemeinen) Regelung zur
örtlichen Zuständigkeit des § 2 SGB X ist die Sicherung der Leis-
tungserbringung im Außenverhältnis. Der Erstattungsanspruch, den § 2 Abs. 3
Satz 2 SGB X bei Leistungsfortsetzung nach Wechsel der örtlichen Zuständig-
keit (den Wechsel - auch - der sachlichen Zuständigkeit regelt § 2 Abs. 3
SGB X jedenfalls nicht ausdrücklich) zubilligt (zur umstrittenen Anwendung im
Verhältnis zwischen zwei Sozialhilfeträgern s. Diering/Timme/Waschull, LPK-
SGB X § 2 Rn. 12), ist Folgeregelung zur Nahtlosigkeitsregelung des § 2 Abs. 3
Satz 1 SGB X. Sie gewährleistet, dass der fort- und damit vorleistende Leis-
tungsträger im Ergebnis nicht die Kosten zu tragen hat. § 2 Abs. 3 Satz 2
SGB X setzt voraus, dass es einen Schuldner des Erstattungsanspruchs gibt,
der sich nach dem materiellen Recht - hier also nach dem Bundessozialhilfege-
setz und dem zu seiner Ausführung ergangenen Landesrecht - bestimmt, ga-
rantiert indes nicht - hiervon unabhängig - einen bestimmten Erstattungs-
schuldner. Das - in vielfältigen Variationen wiederholte - Argument der Klägerin,
kraft Bundesrechts bestehe eine unauflösliche Einheit der sachlich-örtlichen
Zuständigkeit für die Hilfegewährung und für die Kostenerstattung, vernachläs-
sigt für die hier allein zu beurteilenden, nicht abgeschlossenen „Altfälle“ durch-
weg, dass der Landesgesetzgeber sinnvoll überhaupt nur noch die sachliche
- 6 -
Zuständigkeit für die Erstattung - mithin den Erstattungsschuldner - regeln kann
und - wenn er auch für diese Fälle die Erstattungsverantwortung dem Wechsel
der sachlichen Zuständigkeit folgen lässt - nicht lediglich „Zuständigkeitssplitter“
regelt oder „Teilregelungen“ trifft. Dass in der Vergangenheit ungeachtet beste-
hender sachlicher und örtlicher Zuständigkeit die im Außenverhältnis geschul-
dete Leistung nicht erbracht worden ist, ist vielmehr Voraussetzung des von der
Klägerin geltend gemachten Erstattungsanspruchs. Der Landesgesetzgeber hat
insbesondere nicht die materielle Pflicht zur Kostenerstattung in den Fällen des
§ 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X von der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit gelöst
und eine andere Körperschaft als kostenpflichtig bestimmt; vielmehr hat er - im
Rahmen der ihm durch Sachrecht eröffneten Regelungsbefugnis - die (zu-
kunftsbezogene) Übertragung der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit für
bestimmte einrichtungsbezogene Hilfen auf den örtlichen Träger der Sozialhilfe
mit der Zuständigkeit für die Fälle noch nicht abgewickelter Erstattungsfälle
verbunden.
Bereits im Ansatz verfehlt sind die Ausführungen der Klägerin zum geltend ge-
machten Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot, die von einem Fall der - aus
Sicht der Klägerin: unzulässigen - echten Rückwirkung ausgehen, obwohl es
sich offenkundig um ein gerade nicht abgeschlossenes Erstattungsrechtsver-
hältnis handelt. Der landesrechtlich angeordnete Wechsel der Zuständigkeit zur
Abwicklung nicht bestands- oder rechtskräftig abgelehnter Erstattungsansprü-
che erfasst auch die Wahrung der Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X.
Überdies machen die an eine - vermeintliche - Rückwirkung anknüpfenden
Ausführungen allenfalls eine vermeintlich fehlerhafte Anwendung der zum
Rückwirkungsverbot entwickelten Grundsätze geltend, weisen aber nicht auf
weiteren revisionsgerichtlichen Klärungsbedarf hin.
b) Die von der Klägerin weiterhin als klärungsbedürftig bezeichnete Frage,
„ob verwaltungsprozessrechtlich eine eventuale subjektive
Klagenhäufung (hier bei notwendigen Streitgenossen) zu-
lässig ist oder § 173 VwGO dem entgegensteht“, und es
sei daher „die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts zu
überprüfen, die gegen den Beklagten zu 1. verfolgte
6
7
- 7 -
hilfsweise verfolgte Klage als unzulässige eventuelle sub-
jektive Klagenhäufung anzusehen“,
rechtfertigt die Zulassung der Revision schon deswegen nicht, weil sie auf eine
die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht tragende Erwägung bezogen ist.
Das Berufungsgericht hat diese Frage vielmehr offen gelassen und ausgeführt,
es komme „vorliegend nicht mehr darauf an, ob die Berufung des Beklagten
zu 1. zudem deshalb hätte Erfolg haben müssen, weil die zuletzt von der Kläge-
rin nur ‚hilfsweise’ gegen den Beklagten zu 1. verfolgte Klage als eventuelle
subjektive Klagehäufung bereits unzulässig gewesen wäre“. Auf das hierauf
bezogene, umfangreiche Vorbringen der Klägerin (Beschwerdebegründung
S. 21 ff.) ist mithin nicht einzugehen.
2. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Der von der Klägerin geltend gemachte Verstoß gegen § 86 Abs. 3 VwGO be-
zieht sich - eine den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entspre-
chende Rüge zugunsten der Klägerin unterstellt - allein auf die das Berufungs-
urteil nicht tragenden Erwägungen zur eventualen subjektiven Klagehäufung,
ebenso die zusätzlich erhobene „Protokollrüge“. Mit der Rüge, „(a)uf der fehler-
haften materiellrechtlichen Beurteilung durch das Verwaltungsgericht […] er-
folgte das erstinstanzliche Urteil mit dem in ihm enthaltenen unzulässigen Hilfs-
antrag“ und es könne „(e)in Verschulden des erstinstanzlichen Gerichts […]
daher der Beschwerdeführerin nicht entgegengehalten werden“ setzt sich die
Klägerin zudem in Widerspruch zu ihren materiellrechtlichen Rügen.
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 133 Abs. 5
Satz 2 Halbs. 2 VwGO abgesehen, zumal sich das Beschwerdevorbringen im-
mer wieder in Erwägungen verliert, die keinen Bezug zu den in § 132 Abs. 2
VwGO bezeichneten Gründen für die Zulassung der Revision erkennen lassen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 188 Satz 2 Halbs. 2
VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1
8
9
10
11
- 8 -
GKG; sie entspricht der von den Beteiligten nicht in Zweifel gezogenen Festset-
zung durch das Oberverwaltungsgericht.
Hund Dr. Brunn Prof. Dr. Berlit