Urteil des BVerwG vom 30.06.2005

Besondere Härte, Ausreise, Adoption, Aussiedlung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 127.04
OVG 2 A 843/03
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Juni 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t und Dr. F r a n k e
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für
das Land Nordrhein-Westfalen vom 2. September 2004 wird
zurückgewiesen.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens
mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigelade-
nen, der diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Behauptung grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO), Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und Verfahrensfehler (§ 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in
dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.
1. Die am 9. Oktober 1977 geborene Klägerin zu 1, Mutter der am 10. Februar 1997
geborenen Klägerin zu 2, ist die frühere Stief- und - seit der am 15. Juni 1994 erfolg-
ten Adoption durch den Stiefvater - Adoptivtochter des Wladimir L. Dieser hatte auf
seinen Antrag vom 24. April 1992 am 21. April 1993 einen Aufnahmebescheid erhal-
ten, in welchen die Mutter und die Halbschwester der Klägerin, nicht aber diese
selbst einbezogen waren. Nachdem die Klägerin zu 1 am 21. Juli 1995 unter Hinweis
auf die Verzögerung der Adoption durch ihren zunächst nicht einverstandenen leibli-
chen Vater einen eigenen Aufnahmeantrag gestellt hatte, reiste der Adoptivvater mit
der übrigen Familie am 24. September 1995 in das Bundesgebiet ein, wo bereits
seine Eltern lebten. Anlass der ohne die Klägerin erfolgten Ausreise war nach der im
Mai 1996 erfolgten Mitteilung an die Beklagte seitens der Mutter des Adoptivvaters
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der Wunsch des im Dezember 1995 verstorbenen Vaters, dass sein Sohn sofort
kommen und die Klägerin zu 1 für kurze Zeit bei ihrer Tante zurücklassen solle.
Die nach Ablehnung des Aufnahmeantrages und der Einbeziehung der Klägerinnen
erhobene Klage auf nachträgliche Einbeziehung in den Aufnahmebescheid des
Adoptivvaters hatte - was die Klägerin zu 1 betrifft - in erster Instanz Erfolg, wurde in
zweiter Instanz jedoch abgewiesen. Während das Verwaltungsgericht eine besonde-
re Härte im Sinne des § 27 Abs. 2 BVFG mit Blick auf die besondere familiäre Situa-
tion bejahte, hat das Oberverwaltungsgericht den Tatbestand der besonderen Härte
und insbesondere auch eine verfahrensbedingte Härte im Sinne der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 12. April 2001 - BVerwG 5 C 19.00 -
) verneint. Ausweislich der
Ausführungen auf Seite 6 des angefochtenen Beschlusses war für die Vorinstanz
"entscheidend, dass der Einbeziehungsantrag zum Zeitpunkt der Ausreise der Be-
zugsperson noch nicht entscheidungsreif war", weil dem Aufnahmeantrag "lediglich
eine beglaubigte Übersetzung der Adoptionsurkunde, nicht jedoch diese selbst im
Original oder in beglaubigter Abschrift oder Fotokopie beigefügt war" und von daher
eine abschließende Bearbeitung des Einbeziehungsantrages dem Bundesverwal-
tungsamt bis zur Ausreise des Adoptivvaters nicht möglich gewesen sei.
2. Die Revision kann nicht nach §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen Divergenz
zugelassen werden. Die Beschwerde hat nicht, wie erforderlich ist (BVerwG, Be-
schluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 - ),
aufgezeigt, dass die Berufungsentscheidung mit einem tragenden abstrakten
Rechtssatz von einem in der angeführten Entscheidung des Bundesverwaltungsge-
richts in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellten ebensolchen Rechts-
satz abweicht.
Zur Begründung der geltend gemachten Abweichung von dem Urteil des Bundes-
verwaltungsgerichts vom 12. April 2001 (a.a.O.) trägt die Beschwerde vor, das Beru-
fungsgericht habe "den Anspruch der Klägerinnen auf nachträgliche Einbeziehung
wegen verfahrensbedingter Härte verkannt", indem es davon ausgehe, "dass bei
Unterstellung des normalen Verfahrensablaufs bei der Beklagten eine tatsächliche
Einbeziehung unter Zustimmung des zu beteiligenden Bundeslandes hätte erfolgen
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können", während es in der angeführten Entscheidung des Bundesverwaltungsge-
richts lediglich um die "rechtliche Möglichkeit einer Einbeziehung" gehe; bei richtiger
Würdigung der Bedeutung des Art. 6 GG wäre die Einbeziehung der Klägerinnen
möglich gewesen. Eine Divergenz im Rechtssatz ist damit nicht dargelegt , vielmehr
deutet die Beschwerde mit ihrem Vorbringen, für eine nachträgliche Einbeziehung
komme es nur darauf an, dass überhaupt vor Ausreise ein Antrag gestellt sei, das
genannte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in ihrem Sinne aus, ohne die be-
hauptete Divergenz konkret aufzuzeigen. Entsprechend macht die Beschwerde
nachfolgend zur Begründung der Grundsatzrüge geltend, die Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts lasse sich in beiden Richtungen verstehen.
3. Auch die insoweit erhobene Grundsatzrüge, mit welcher die Beschwerde die Fra-
gen aufwirft,
"ob für die Berücksichtigung einer verfahrensbedingten Härte bereits die Stel-
lung eines Einbeziehungsantrages genügt oder ob es darauf ankommt, dass
Entscheidungsreife besteht"
bzw.
"ob die Entscheidung des erkennenden Senates - 5 C 19.00 vom 12.04.2001 -
dahingehend zu verstehen ist, ob allein die Stellung eines Aufnahmeantrages
oder Einbeziehungsantrages zur Berücksichtigung einer verfahrensbedingten
Härte ausreichend ist oder ob es sich um einen entscheidungsreifen Antrag
handeln muss"
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, weil diese Fragen auf der Grundlage
des § 27 Abs. 2 BVFG und des genannten Urteils in einem der Klägerin ungünstigen
Sinne zu beantworten sind, ohne dass es hierzu der Klärung in einem Revisionsver-
fahren bedürfte. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. April 2001 leitet
die verfahrensbedingte Härte wesentlich daraus her, dass in der Verwaltungspraxis
der Beklagten bei Aufnahmeanträgen aus eigenem Recht "jeweils auch geprüft
(werde), ob eine Einbeziehung in einen beantragten oder erteilten Aufnahmebe-
scheid des Ehegatten oder eines Elternteils möglich" sei, und stellt entscheidungser-
heblich darauf ab, dass der damalige Kläger "noch bis zur Ausreise seines Vaters …
in dessen Aufnahmebescheid hätte einbezogen werden können", bzw. dass es "von
der Antragstellung des Klägers … bis zur Ausreise seines Vaters … möglich gewe-
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sen (wäre), den Kläger in dessen Aufnahmebescheid … einzubeziehen". Die Ent-
scheidung geht demnach als Voraussetzung einer verfahrensbedingten Härte davon
aus, dass einer Einbeziehung bis zur Ausreise keine Hindernisse wie die vorliegend
von der Vorinstanz festgestellte fehlende Entscheidungsreife entgegenstehen.
Auch der Hinweis der Beschwerde auf die besondere familiäre Situation des Adop-
tivvaters und die in Zusammenhang damit aufgeworfenen weiteren Fragen
"ob nicht allein die Stellung eines Einbeziehungsantrages vor Aussiedlung der
Bezugsperson als Dokumentation des Willens, die Beistandsgemeinschaft auf-
recht zu halten, den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG auslöst, so dass einem vor
Aussiedlung der Bezugsperson für den Abkömmling gestellten Einbeziehungs-
antrag grundsätzlich zu entsprechen ist"
bzw.
"ob § 27 Abs. 1 bzw. 2 BVFG nicht einschränkend dahingehend auszulegen ist,
dass dieses insbesondere für diejenigen Betroffenen gilt, die in einem doppel-
ten Spannungsverhältnis nach Art. 6 Abs. 1 GG stehen, in dem sie einmal das
Recht haben, die Beistandsgemeinschaft nach Art. 6 Abs. 1 GG zu ihren in
Deutschland lebenden Eltern herzustellen und andererseits von ihnen verlangt
wird, hinsichtlich der Einbeziehung von Abkömmlingen den Wohnsitz im Her-
kunftsgebiet beizubehalten",
führen nicht auf eine rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftige Frage hin. Nach der ge-
setzlichen Systematik der Absätze 1 und 2 des § 27 BVFG setzt eine Einbeziehung
in einen Aufnahmebescheid grundsätzlich voraus, dass die Bezugsperson noch ihren
Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten hat, und ist eine nachträgliche Einbeziehung
nur aus Gründen besonderer Härte möglich. Dies schließt es aus, die generellen
rechtlichen Voraussetzungen einer Einbeziehung - hier das Vorliegen der Ab-
kömmlingseigenschaft und die Stellung eines Einbeziehungsantrages - mit der für
eine nachträgliche Einbeziehung erforderlichen besonderen Härte gleichzusetzen.
Was die Bewertung der Umstände des Einzelfalles unter Härtefallgesichtspunkten
und unter dem rechtlichen Aspekt des Art. 6 Abs. 1 GG betrifft, wird durch die Be-
zugnahme auf die Grundrechtsproblematik noch keine Rechtsfrage von grundsätzli-
cher Bedeutung aufgeworfen. Das gleiche gilt, soweit die Beschwerde weitere
Grundrechte wie Art. 11 bzw. Art. 3 GG als tangiert bzw. verletzt bezeichnet.
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4. Soweit die Beschwerde es schließlich als verfahrensfehlerhaft und Verstoß gegen
das Gebot auf Gewährung rechtlichen Gehörs rügt, dass das Oberverwaltungsgericht
ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss nach § 130 a VwGO entschieden hat,
wird zwar geltend gemacht, dass in einer mündlichen Verhandlung noch
Beweisanträge zu den Umständen der Adoption und der Ausreise des Adoptivvaters
gestellt worden wären, doch ist nicht dargelegt oder ersichtlich, inwiefern die von der
Beschwerde genannten Umstände auf der insoweit maßgeblichen Beurteilungs-
grundlage der Rechtsauffassung der Vorinstanz erheblich gewesen wären und sich
eine weitere Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100
Abs. 1 ZPO, § 162 Abs. 3 VwGO; es entspricht nicht der Billigkeit, die außer-
gerichtlichen Kosten des Beigeladenen der unterliegenden Partei oder der Staats-
kasse aufzuerlegen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 2,
§ 72 Nr. 1 GKG in der Fassung des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom
5. Mai 2004 (BGBl I S. 718).
Dr. Säcker Schmidt Dr. Franke