Urteil des BVerwG vom 19.05.2005

Ablauf der Frist, Kultur, Ausstellung, Einreise

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 111.04
OVG 13 LB 450/03
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Mai 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. F r a n k e und Prof. Dr. B e r l i t
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Beschluss des Niedersächsischen Oberverwal-
tungsgerichts vom 22. Juli 2004 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf Zulassung der Revision gerichtete Beschwerde ist nicht begründet.
1. Die Revision ist nicht nach §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher
Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
1.1 Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,
"ob Personen, die im Wege des Aufnahmeverfahrens nach Verlassen des Aus-
siedlungsgebietes in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind und hier
ständigen Wohnsitz vor dem 07.09.2001 genommen haben und im Zeitpunkt
der Einreise bis zum 07.09.2001 die Voraussetzungen als Spätaussiedler im
Sinne des § 4 Abs. 1 BVFG, § 6 BVFG in der damaligen Fassung erfüllten, kei-
nen Anspruch auf Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung für den Zeit-
raum, in dem sie als Spätaussiedler Aufnahme gefunden haben, haben könn-
ten,"
rechtfertigt die Zulassung der Revision schon deswegen nicht, weil nach dem inso-
weit nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen Beschluss des Beru-
fungsgerichts Streitgegenstand des Berufungsverfahrens allein die von dem Kläger
begehrte Verpflichtung der Beklagten war, ihm (gegenwärtig) "eine Spätaussiedler-
bescheinigung zu erteilen" (S. 14 des Beschlusses). In der Rechtsprechung des Se-
nats ist zudem geklärt, dass nach § 100a BVFG, der die Anwendung des nach dem
7. September 2001 geltenden Rechts auch auf Anträge nach § 15 Abs. 1 BVFG be-
stimmt und sich erkennbar auf die Änderung des § 6 Abs. 2 BVFG durch das Spät-
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aussiedlerstatusgesetz bezieht, jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der gesetzlichen
Anforderungen an die deutschen Sprachkenntnisse für die Prüfung der Frage, ob die
gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausstellung der Bescheinigung vorliegen, von
§ 6 Abs. 2 BVFG n.F. auszugehen ist (BVerwGE 116, 114; bestätigt durch das zwi-
schen den Beteiligten dieses Verfahrens ergangene Urteil vom 4. September 2003
- BVerwG 5 C 35.02 - Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 101). Überdies betrifft die Frage,
nachdem § 6 Abs. 2 BVFG zum 7. September 2001 geändert worden ist, ein
Übergangsproblem zu ausgelaufenem Recht. Rechtsfragen, die ausgelaufenes oder
auslaufendes Recht betreffen, kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Bun-
desverwaltungsgerichts regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu (vgl. z.B. Beschlüsse vom 9. Dezember 1994 - BVerwG
11 PKH 28. 94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4 und vom 20. De-
zember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 9).
Es ist nichts dafür dargetan, dass das ausgelaufene Recht noch für einen nicht
überschaubaren Personenkreis in unabsehbarer Zukunft von Bedeutung sein könnte
(vgl. u.a. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 -
Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 9 m.w.N.; Beschluss vom 23. Februar
1999 - BVerwG 2 B 11.99 - juris; Beschluss vom 11. Februar 2005 - BVerwG 5 B
12.05 -); für das Vorliegen einer solchen Sachlage ist der Beschwerdeführer darle-
gungspflichtig (vgl. Beschluss vom 20. Dezember 1995, a.a.O., m.w.N.).
1.2 Aus den vorstehend bezeichneten Gründen ist die Revision auch nicht wegen der
Frage zuzulassen,
"ob in dem Fall, in dem das Spätaussiedlerklarstellungsgesetz eine Neurege-
lung auch für Personen beabsichtigt hat, deren Verfahren noch nicht abge-
schlossen waren, den bereits entstandenen Spätaussiedlerstatus bis zum In-
krafttreten des Gesetzes rückwirkend wieder beseitigen kann oder nicht."
Auch insoweit berücksichtigt das Vorbringen des Klägers nicht hinreichend, dass sein
Begehren von dem Berufungsgericht ohne erkennbaren Verfahrensverstoß allein als
Begehren dahin gedeutet worden ist, ihm (zukunftsbezogen) eine Bescheinigung
nach § 15 Abs. 1 BVFG auszustellen, so dass sich die von dem Kläger für die
Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung in dem Zeitraum bis zum 7. Septem-
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ber 2001 aufgeworfenen Fragen als nicht entscheidungserheblich nicht stellten. Die
allein zukunftsbezogene Deutung des Klagebegehrens entspricht § 15 Abs. 1 BVFG,
wonach eine Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung für bereits abgeschlos-
sene, in der Vergangenheit liegende Zeiträume gerade nicht vorgesehen ist; dass
keine zeitabschnittsweise Betrachtung vorzunehmen ist, folgt auch aus der Recht-
sprechung des Senats zur Anwendung von § 6 Abs. 2 BVFG n.F. (BVerwGE 116,
114; Urteil vom 4. September 2003, a.a.O.), die voraussetzt, dass der Anspruch auf
Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung einheitlich nach dem im Zeitpunkt der
Erteilung geltenden Recht zu beurteilen und nicht nach Zeitabschnitten teilbar ist.
1.3 Die Frage,
"ob die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit auch für die rückwirkende Strei-
chung der weiteren Bestätigungsmerkmale Erziehung und Kultur angenommen
werden kann,"
kann ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung
führen. Diese in der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 4. September 2003,
a.a.O.) offen gelassene Frage stellte sich, wie in jenem Urteil ausgeführt, nur, "wenn
feststünde, dass die Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte dem Kläger deut-
sche Erziehung oder deutsche Kultur ausnahmsweise auch ohne Sprachvermittlung
in einer den Anforderungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG (F. 1993) genügenden
Weise vermittelt haben". Der angegriffene Beschluss enthält entgegen dem Vorbrin-
gen des Klägers in der Beschwerde, er habe "nachgewiesen, dass ihm die Bestäti-
gungsmerkmale Erziehung und Kultur über die deutsche Sprache, die er zwar in der
Familie erlernt und passiv beherrscht hat, vermittelt worden" seien, keine tatsächli-
chen Feststellungen, die eine solche Bewertung rechtfertigten; die vom Kläger auf-
geworfene Frage wäre mithin in einem Revisionsverfahren schon nicht entschei-
dungserheblich. Selbst wenn unterstellt wird, dass das Berufungsgericht hierzu hätte
Feststellungen treffen müssen, rechtfertigte diese Frage die Zulassung der Revision
wegen grundsätzlicher Bedeutung auch deswegen nicht, weil auch sie eine Frage
des Übergangsrechts betrifft; dass diese Rechtsfrage noch für einen nicht über-
schaubaren Personenkreis von Bedeutung sein könnte, ist zum einen vom Kläger
nicht dargelegt und zum anderen schon deswegen unwahrscheinlich, weil bereits
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nach der bis zum 7. September 2001 geltenden Rechtslage eine Vermittlung der von
dem Kläger in Anspruch genommenen Bestätigungsmerkmale ohne die gleichzeitige
Vermittlung der deutschen Sprache zwar nicht rechtlich, wohl aber praktisch ausge-
schlossen war (s.a. BVerwGE 102, 214 <221>).
2. Die Revision ist nicht nach §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfah-
rensfehlers zuzulassen. Der Beschluss des Berufungsgerichts leidet nicht an dem
geltend gemachten Begründungsmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 138 Nr. 6
VwGO).
Eine Entscheidung ist im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO nur und erst dann nicht mit
Gründen versehen, wenn eine Begründung gänzlich unterblieben ist oder die der
Entscheidung beigegebenen Gründe dem Kernanliegen des § 108 Abs. 1 Satz 2
VwGO, die tragenden Entscheidungsgründe knapp, aber verständlich zu vermitteln
(Beschluss vom 28. Februar 1977 - BVerwG 6 C 3.77 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 6
VwGO Nr. 10), nicht mehr genügen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn die Ent-
scheidungsgründe unverständlich, verworren oder in sich so widersprüchlich sind,
dass sie keinen Aufschluss mehr erlauben, welche tatsächlichen Feststellungen oder
rechtlichen Erwägungen für das Gericht leitend gewesen sind (Beschluss vom
4. August 1983 - BVerwG 9 C 101.83 -, unter Hinweis auf Urteil vom 16. Dezember
1970 - BVerwG 6 C 61.66 - Buchholz 237.2 § 190 LBG Berlin Nr. 1; Beschluss vom
2. November 1972 - BVerwG 5 CB 6.72 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 7; Urteil
vom 30. Juni 1992 - BVerwG 9 C 5.91 - DVBl 1993, 47 m.w.N.). Nicht erforderlich ist
indes, dass sich die Entscheidung ausdrücklich mit jedem von einem Beteiligten als
entscheidungserheblich angesehenen Gesichtspunkt auseinander setzt.
Mit dem Hinweis, aus den Sprachkenntnissen seiner älteren Brüder sei zu ersehen,
dass, "was vom Kläger auch nicht in Abrede genommen worden" sei, es möglich
gewesen sei, "in Duschanbe/Tadschikistan (in der Familie) so Deutsch zu lernen,
dass ein 'einfaches Gespräch' auf Deutsch geführt werden" konnte, hat das Gericht
klargestellt, dass aus seiner Sicht (wie es bereits in dem vorangegangenen Beru-
fungsurteil vom 5. August 2002 - 13 LB 1023/01 - ausgeführt hatte) dem Kläger die
sog. Fiktionsregelung des § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG nicht zu Gute kommen könne.
Soweit der Kläger geltend macht, das Berufungsgericht habe sich nicht mit seinem
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Vorbringen auseinander gesetzt, ihm seien familiär hinreichend die deutsche Erzie-
hung und die deutsche Kultur über die deutsche Sprache vermittelt worden, wobei für
die Vermittlung der Erziehung und Kultur passive Sprachkenntnisse ausreichend sein
dürften, ist es schon nicht ersichtlich, dass es aus der - für die Frage des Vorliegens
eines Verfahrensmangels insoweit maßgeblichen - Sicht des Berufungsgerichts auf
diese Frage entscheidungserheblich angekommen sein könnte. Denn das Beru-
fungsgericht sah sich nach dem Urteil des Senats vom 4. September 2003 (a.a.O.)
an die Rechtsauffassung gebunden, dass auf den Fall des Klägers die Vorschrift des
§ 6 Abs. 2 BVFG 2001 anzuwenden sei (Beschluss S. 15 Absatz 3); für das Vorlie-
gen eines Begründungsmangels unerheblich wäre, ob diese Bindung auch hinsicht-
lich der vom Senat offen gelassenen Frage der verfassungsrechtlichen Unbedenk-
lichkeit für die rückwirkende Streichung der weiteren Bestätigungsmerkmale "Erzie-
hung, Kultur" bestanden hat. Dass das Berufungsgericht, da aus seiner Sicht "hier
allein entscheidungserheblich" (Beschluss S. 16), im Hinblick auf § 6 Abs. 2 Satz 3
BVFG 2001 maßgeblich auf die - nach seiner Bewertung rudimentären - Deutsch-
kenntnisse des Klägers abgestellt hat, lässt allerdings die Möglichkeit offen, dass
nach der Beurteilung des Berufungsgerichts im Falle des Klägers auch aus tatsächli-
chen Gründen nicht der zwar rechtlich denkbare, aber praktisch ausgeschlossene
Fall (BVerwGE 102, 214 <221>) einer Vermittlung deutscher Erziehung und deut-
scher Kultur ohne gleichzeitige Vermittlung der deutschen Sprache vorgelegen hat.
3. Soweit der Kläger in dem nach Ablauf der Frist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO
eingegangenen Schriftsatz vom 23. März 2005 geltend macht, er sei "deutscher
Volkszugehöriger in rechtlichem Sinne ab seiner Geburt", sei "unabhängig von seiner
Volkszugehörigkeit im rechtlichen Sinne nach neuer Vorschrift deutscher Staatsan-
gehöriger" und habe "deshalb ein Vertreibungsschicksal erlitten", stehen diese Aus-
führungen schon nicht in einem hinreichend deutlichen Bezug zu einem fristgerecht
geltend gemachten Revisionszulassungsgrund und lassen auch sonst nicht hinrei-
chend erkennen, auf welche im Berufungsverfahren entscheidungserhebliche
Rechts- oder Tatsachenfrage sie bezogen sein könnten; entsprechendes gilt für das
Vorbringen, er müsse "als deutscher Staatsangehöriger und Vertriebener aber unab-
hängig von seiner deutschen Volkszugehörigkeit genauso behandelt werden […] als
ein deutscher Volkszugehöriger im Rechtssinne", so dass "in verfassungskonformer
Interpretation des § 4 Abs. 1 BVFG dem Kläger eine Spätaussiedlerbescheinigung
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auszustellen" sei. Soweit mit diesem Vorbringen geltend gemacht werden sollte, Per-
sonen mit deutscher Staatsangehörigkeit sei die Bescheinigung nach § 15 BVFG
stets und unabhängig von den im Gesetz geregelten Voraussetzungen zu erteilen, so
ergäbe sich unmittelbar aus dem Gesetz, dass dies nicht zutrifft. Die Zweifel an der
Bewertung des Berufungsgerichts, der Kläger habe im Zeitpunkt seiner Einreise die
deutsche Sprache nicht hinreichend beherrscht, betreffen, ohne auf einen Zulas-
sungsgrund zu weisen, die einzelfallbezogene Würdigung des Sachverhalts und sind
ebenfalls erst nach Ablauf der Frist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO geltend gemacht
worden.
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halb-
satz 2 VwGO ab.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung
beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 2, § 72 Nr. 1 GKG in der Fassung des Kosten-
rechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl I S. 718).
Dr. Säcker Dr. Franke Prof. Dr. Berlit