Urteil des BVerwG vom 30.07.2009

Rechtliches Gehör, Anhörung, Verfahrensmangel, Beweisantrag

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 107.08 (5 PKH 3.09)
OVG 2 A 66/07
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Juli 2009
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsge-
richts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. Septem-
ber 2008 wird zurückgewiesen.
Der Antrag des Klägers, ihm Prozesskostenhilfe zu bewil-
ligen und Rechtsanwalt …, …, beizuordnen, wird abge-
lehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdever-
fahren wird auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
1. Die allein auf einen Verfahrensmangel gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ge-
stützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1.1 Die Beschwerde rügt, das Oberverwaltungsgericht habe die Berufung, ohne
den Kläger persönlich oder die von ihm benannten Zeugen in einer mündlichen
Verhandlung anzuhören, durch Beschluss im vereinfachten Berufungsverfahren
nach § 130a VwGO zurückgewiesen. Sie sieht darin bei verständiger Würdi-
gung ihres Vorbringens eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
(Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) und des Grundsatzes der Mündlich-
keit (§ 101 Abs. 1 VwGO). Die geltend gemachten Verfahrensmängel sind
schon nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend
dargelegt. Zudem liegen sie in der Sache nicht vor.
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Das Oberverwaltungsgericht ist unter den Voraussetzungen des § 130a VwGO
vom Erfordernis einer mündlichen Verhandlung befreit und kann nach seinem
Ermessen ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Aus Art. 103 Abs. 1 GG
ergibt sich kein Anspruch auf mündliche Verhandlung oder mündliche Anhörung
(vgl. BVerfGE 89, 381 <391>). Der durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete
Anspruch auf rechtliches Gehör vermittelt vielmehr das Recht, vor Gericht An-
träge zu stellen und Ausführungen zu machen (vgl. BVerfGE 6, 19 <20>; 15,
303 <307>), welches ohne Weiteres auch durch eine schriftliche Anhörung be-
achtet werden kann. Dementsprechend ist das Prinzip der Mündlichkeit der
Verhandlung kein Verfassungsgrundsatz, sondern nur eine - einfachrechtliche -
Prozessmaxime (vgl. BVerfGE 15, 303 <307>). Es ist Sache des (einfachen)
Gesetzgebers, wieweit er in einem bestimmten Verfahren einen Anspruch auf
mündliche Verhandlung einräumen will (vgl. BVerfGE 5, 9 <11>; 25, 352
<357>; 36, 85 <87>). Für das Berufungsverfahren im Verwaltungsprozess
schreibt das Gesetz weder eine mündliche Verhandlung noch eine persönliche
mündliche Anhörung vor. Vielmehr liegen unter Einhaltung der Voraussetzun-
gen des § 130a VwGO die Wahl der Verfahrensart und die Form der Anhörung
grundsätzlich im Ermessen des Gerichts (vgl. BVerfGE 89, 381 <391>). Dem
Anspruch auf rechtliches Gehör wird dadurch genügt, dass die Beteiligten nach
§ 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO vor der Entscheidung zu hören
sind. Ihnen ist Gelegenheit zu geben, sich sowohl zu der Absicht des Gerichts,
ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden, als auch zu den
tatsächlichen und rechtlichen Fragen des Rechtsstreits zu äußern, was die
Stellung von Beweisanträgen einschließt. Die Ermessensentscheidung des Be-
rufungsgerichts nach § 130a VwGO, ohne mündliche Verhandlung zu entschei-
den, ist revisionsrechtlich nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehlein-
schätzungen überprüfbar (vgl. Beschluss vom 3. Februar 1999 - BVerwG 4 B
4.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 33 m.w.N.). Demgemäß liegt ein
Verfahrensfehler vor, wenn das Berufungsgericht ohne mündliche Verhandlung
im vereinfachten Berufungsverfahren durch Beschluss entscheidet, obwohl es
die Berufung nicht einstimmig für begründet oder nicht einstimmig für unbe-
gründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, seine Ent-
scheidung auf sachfremden Erwägungen oder groben Fehleinschätzungen be-
ruht oder die Beteiligten nicht ordnungsgemäß angehört wurden.
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In Anwendung dieser rechtlichen Vorgaben hat die Beschwerde, soweit sie sich
gegen die Wahl des vereinfachten Berufungsverfahrens nach § 130a VwGO
durch das Oberverwaltungsgericht als solches wendet, nichts vorgetragen, was
hier auf einen Ermessensfehler hindeutet. Diesbezügliche Anhaltspunkte sind
auch ansonsten nicht ersichtlich. Allein der Widerspruch des Klägers gegen
eine beabsichtigte Entscheidung nach § 130a VwGO macht diese noch nicht
fehlerhaft (vgl. Beschluss vom 11. Dezember 1997 - BVerwG 2 B 117.97 - ju-
ris).
Unsubstanziiert ist auch die Rüge der Beschwerde, das Oberverwaltungsgericht
hätte nach dem Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom
18. September 2008 nicht ohne erneute Anhörungsmitteilung nach § 130a
VwGO entscheiden dürfen. Dazu trägt die Beschwerde lediglich vor (vgl. Be-
schwerdebegründung S. 6):
„… denn gemäß § 130a VwGO war es anhand der ange-
kündigten Beweisanträge unzulässig, eine mündliche Ver-
handlung nicht für erforderlich zu halten. Zwar kann das
Gericht dann, wenn es einstimmig die Meinung vertritt,
eine mündliche Verhandlung sei nicht erforderlich, im Be-
schlusswege entscheiden.
Es ist aber verpflichtet, die Parteien anzuhören. Dieses ist
im vorliegenden Verfahren nicht geschehen. Zwar hat der
Senat mit Schreiben vom 05.06.2008 auf § 130a VwGO
hingewiesen. Nachdem der Kläger hierzu mit Schriftsatz
vom 13.06.2008 Stellung genommen und Beweisanträge
angekündigt hatte, hat der Senat mit Hinweisschreiben
vom 28.08.2008 den Kläger darauf hingewiesen, dass
weiterer Vortrag erforderlich ist.
Dieses ist mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten
vom 18.09.2008 geschehen, so dass der Prozessbevoll-
mächtigte davon ausgehen durfte, dass, was auch erfor-
derlich war, eine neue Anhörung nach § 130a i.V.m. § 125
Abs. 2 Satz 3 bis 5 BVFG erforderlich sei.
Nach ständiger Rechtsprechung ist eine weitere Anhö-
rungsmitteilung vor allem dann notwendig, wenn ein förm-
licher Beweisantrag gestellt wird. Eine erneute Anhörung
ist nur dann entbehrlich, wenn der Beweisantrag oder das
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sonstige Vorbringen unter Zugrundelegung der Rechtsauf-
fassung des Gerichts nicht entscheidungserheblich ist."
Damit wird der behauptete Verfahrensmangel der Verletzung des Anspruchs
auf rechtliches Gehör nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO entsprechend bezeichnet. Die Beschwerde zeigt nicht substanzi-
iert und schlüssig auf, welchen Vortrag der Prozessbevollmächtigte des Klägers
im Einzelnen im Schriftsatz vom 18. September 2008 gehalten hat und welches
konkrete Vorbringen dem Oberverwaltungsgericht unter Berücksichtigung der
ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z.B. Beschluss
vom 15. Mai 2008 - BVerwG 2 B 77.07 - NVwZ 2008, 1025 m.w.N.) Anlass für
eine erneute Anhörungsmitteilung sein musste.
Unabhängig davon lässt sich der geltend gemachte Verfahrensmangel auch in
der Sache nicht feststellen. Der Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des
Klägers vom 18. September 2008 gab dem Oberverwaltungsgericht keine Ver-
anlassung für eine erneute Anhörungsmitteilung. Der Prozessbevollmächtigte
des Klägers beschränkte sich im Wesentlichen auf eine Wiederholung des bis-
herigen Vorbringens des Klägers (s. a. Beschluss vom 22. Juni 2007
- BVerwG 10 B 56.07 - juris). Der Schriftsatz enthielt keinen entscheidungser-
heblichen Tatsachenvortrag und auch keine Beweisangebote, die nicht schon in
früherem Vortrag enthalten waren und von dem Berufungsgericht in dem
Hinweis vom 28. August 2008, durch den die Anhörung zu einer Entscheidung
nach § 130a VwGO vom 5. Juni 2008 ergänzt worden war, berücksichtigt wor-
den sind.
1.2 Soweit die Beschwerde auch dahingehend verstanden werden möchte, der
Anspruch auf rechtliches Gehör sei unabhängig von der Wahl des vereinfachten
Berufungsverfahrens nach § 130a VwGO verletzt worden, entspricht sie eben-
falls schon nicht dem Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Sie setzt sich nicht damit auseinander, dass das Berufungsgericht in seiner
Entscheidung im Einzelnen ausgeführt hat, weshalb es die von ihr vermisste
weitere Beweiserhebung zu den Sprachkenntnissen des Klägers (Einnahme
eines Augenscheins und Anhörung von Zeugen, Beschwerdebegründung S. 6
a.E.) nicht für erforderlich gehalten hat. Es hat seine Entscheidung insoweit
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maßgeblich auf das Ergebnis der persönlichen Anhörung des Klägers im
September 2003 vor dem Generalkonsulat in St. Petersburg gestützt (BA S. 5
ff.) und ausgeschlossen, dass der weitere Vortrag des Klägers „seiner
Schlüssigkeit und Substanz nach“ ein abweichendes Ergebnis begründen könn-
te (a.a.O. S. 6).
1.3 Entsprechendes gilt, soweit mit der Beschwerde unabhängig vom Aus-
schluss der mündlichen Verhandlung nach § 130a VwGO ein Verfahrensmangel
unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des gerichtlichen Amtsermitt-
lungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) geltend gemacht werden soll.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2
VwGO).
2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines
Rechtsanwalts für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ist abzu-
lehnen, weil die Rechtsverfolgung, wie sich aus den oben genannten Gründen
ergibt, nicht die erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht bietet (§ 166 VwGO
i.V.m. §§ 114 ff., 121 ZPO).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung zur
Streitwertbemessung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1
GKG (Auffangwert, s.a. Nr. 49.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsge-
richtsbarkeit in der Fassung vom 7./8. Juli 2004, NVwZ 2004, 1327).
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