Urteil des BVerwG vom 06.06.2007

Vergleich, Hund, Begriff, Verfahrensmangel

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 103.05
OVG 4 L 926/99
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. Juni 2007
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt und Prof. Dr. Berlit
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Ober-
verwaltungsgerichts vom 24. August 2005 wird zurückge-
wiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
G r ü n d e :
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.
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Die Revision kann nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher
Bedeutung der Rechtssache zugelassen werden.
1. Die von der Klägerin unter I. 1.2. aufgeworfene Frage, „ob die ‚Bandbreite der
Entgelte für vergleichbare Leistungen anderer Einrichtungen’ im Sinne der
Senatsurteile vom 01.12.1998 unter Berücksichtigung aller zwischen den Trä-
gern der Vergleichseinrichtungen und den Sozialhilfeträgern vereinbarten Ent-
gelte zu berücksichtigen sind oder ob einzelne Entgelte schematisch unberück-
sichtigt bleiben dürfen, ob also dafür, dass einzelne ermittelte Entgelte von Ver-
gleichseinrichtungen unberücksichtigt bleiben, individuelle Gründe ins Feld ge-
führt werden müssen“, stellt sich in diesem Verfahren schon deshalb nicht, weil
es im Streitfall auf den Begriff der „Bandbreite der Entgelte für vergleichbare
Leistungen anderer Einrichtungen“, auf den sich diese Frage bezieht, nicht an-
kommt (diesen Begriff verwendet der Senat im Urteil vom 1. Dezember 1998
- BVerwG 5 C 17.97 - BVerwGE 108, 47 <56> im Zusammenhang mit dem
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Merkmal „leistungsgerechtes Entgelt“ in § 93 Abs. 2 Satz 2 BSHG in dessen
Fassung ab 1. Juli 1994). Zudem stellte sich die Frage nicht in der offenen
Fassung, ob „einzelne“ Entgelte von Vergleichseinrichtungen unberücksichtigt
bleiben dürfen. Denn das Berufungsgericht ging davon aus, dass der Sachver-
ständige bei der Feststellung der Bandbreite jeweils das höchste und das nied-
rigste ermittelte Entgelt nicht berücksichtigt habe. Deshalb bezog sich seine
Wertung, das sei sachgerecht, nur auf die Nichtberücksichtigung dieser vom
Berufungsgericht bei einzelfallbezogener Bewertung als „Ausreißer“ bezeichne-
ten Werte. Schließlich ist, ohne dass es dafür der Durchführung eines Revisi-
onsverfahrens bedürfte, nicht zu beanstanden, wenn für die Ermittlung des
marktgerechten Preises für die von der Klägerin angebotenen und erbrachten
Leistungen bei der Ermittlung der Bandbreite der Entgelte für vergleichbare
Leistungen vereinzelt aufgetretene starke Abweichungen in der Höhe des Ent-
gelts, sei es nach oben oder unten, nicht berücksichtigt werden.
2. Die in der Beschwerdebegründung unter II. 1. und 2. aufgeworfenen Fragen,
„ob der äußere Vergleich prospektiv kalkulierter Pflege-
sätze nach den Senatsurteilen vom 01.12.1998 in einem
Bundesland, in dem die Sozialhilfeträger einheitliche Pfle-
gesätze mit Einrichtungsträgern vereinbaren, auch wenn
sie teilweise unterschiedliche Leistungen erbringen, auf-
grund dieser einheitlichen Pflegesätze durchzuführen ist“,
und
„ob eine Angemessenheitskontrolle prospektiv kalkulierter
Pflegesätze in einem Bundesland, in dem mit Einrichtun-
gen einheitliche Pflegesätze vereinbart werden, auch
wenn sie teilweise unterschiedliche Leistungen erbringt, so
zu erfolgen hat, dass die Leistungen in der Einrichtung
differenziert abgebildet werden und für sie Vorbilder in
anderen Einrichtungen gesucht werden, um dann die An-
gemessenheit eines prospektiv kalkulierten Entgeltes
durch Teilvergleiche zu kontrollieren“,
bedürfen ungeachtet der insofern jedenfalls bereits seit 1999 geänderten
Rechtslage keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Denn auch das Beru-
fungsgericht hat beim Entgeltvergleich zwischen der Einrichtung der Klägerin
und anderen Einrichtungen einheitliche Pflegesätze gegenübergestellt, diese
allerdings abhängig von Bewohnerstruktur und entsprechender Leistungsstruk-
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tur der jeweiligen Einrichtung bemessen. Das war angesichts des Umstandes
erforderlich, dass es, wie die Klägerin selbst in ihrer Beschwerdebegründung
(S. 8 Abs. 3) ausführt, „eigentlich so gut wie keine BSHG-Einrichtung (gibt), die
eine völlig einheitliche Bewohnerstruktur mit völlig einheitlichen Leistungen zu
betreuen hat“. Dass in einer solchen Situation ein sachgerechter Vergleich ohne
Binnendifferenzierung bezüglich der betreuten Personengruppen mit unter-
schiedlichen Betreuungsbedarfen zur Herstellung der Vergleichbarkeit nicht
auskommt, versteht sich auch für die Rechtslage vor dem 1. Januar 1999 von
selbst und bedarf keiner revisionsgerichtlichen Klärung.
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Die Revision kann nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfah-
rensfehlers zugelassen werden.
1. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat das Berufungsgericht § 144 Abs. 6
VwGO nicht verletzt. Denn das Oberverwaltungsgericht hat seiner Ent-
scheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde gelegt,
dass für die Berücksichtigung eines kalkulatorischen Gewinns nur unter der
Voraussetzung Raum sein kann, dass ein Vergleich des von der Klägerin ge-
wünschten Pflegesatzes mit den Entgelten, die andere Einrichtungsträger für
vergleichbare Leistungen berechnen, nicht zu Lasten der Klägerin ausgeht
(Senatsurteil vom 1. Dezember 1998 - BVerwG 5 C 29.97 - BVerwGE 108, 56
<62 f.> und Berufungsurteil S. 14). Das Berufungsgericht ist auch der Forde-
rung im Senatsurteil vom 1. Dezember 1998 - BVerwG 5 C 29.97 - (UA S. 4)
nachgekommen, tatsächliche Feststellungen dazu zu treffen, ob der von der
Klägerin unter Einbeziehung eines kalkulatorischen Gewinnzuschlages ge-
wünschte Pflegesatz in Höhe von 183,94 DM/BT nicht höher ist als Entgelte
anderer Einrichtungsträger für vergleichbare Leistungen in der streitgegen-
ständlichen Zeit. Zu dieser Frage hat es Beweis erhoben durch die Einholung
eines Sachverständigengutachtens. Auf der Grundlage dieses Gutachtens und
der Vernehmung des Sachverständigen in der Berufungsverhandlung ist das
Berufungsgericht zur Überzeugung gelangt, dass der von der Klägerin mit Ge-
winnzuschlag geforderte Pflegesatz in Höhe von 183,94 DM/BT höher ist als die
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Entgelte anderer Einrichtungsträger für vergleichbare Leistungen in der Zeit
vom 1. Januar bis zum 31. Juli 1994. Die Frage, ob dem Berufungsgericht, wie
die Klägerin geltend macht, bei der Beweiserhebung und -würdigung Fehler
unterlaufen sind, ist keine Frage des § 144 Abs. 6 VwGO (vgl. Beschluss vom
17. März 1994 - BVerwG 3 B 24.93 - Buchholz 310 § 144 Nr. 57). Denn solche
Fehler stellen nicht die Bindung an die nach dieser Bestimmung maßgeblichen
Vorgaben des Revisionsgerichts in Frage.
Deshalb belegen die Rügen der Klägerin in der Beschwerdebegründung
unter I. 1.1.,
das Berufungsgericht habe sich nicht damit zufrieden ge-
ben dürfen, dass der Sachverständige für eine der von
ihm zum äußeren Vergleich herangezogenen Einrich-
tungsgruppe (Gruppe der Großeinrichtungen für geistig
Behinderte) für den entscheidenden Zeit-
raum 1994 überhaupt keine Feststellungen getroffen hat,
unter I. 1.2.,
die vom Berufungsgericht als sachgerecht bewertete
schematische Streichung der jeweils höchsten und nied-
rigsten Entgelte bei der Gruppe der Einrichtungen für see-
lisch Behinderte durch den Sachverständigen führe zu ei-
ner Verfälschung der nach der Vorgabe des Senats zu
ermittelnden Bandbreite von Vergleichspreisen,
unter I. 2.,
das Oberverwaltungsgericht habe sich nicht mit dem Gut-
achten zufrieden geben dürfen, dem keine eigene Tatsa-
chenkunde des Sachverständigen zugrunde liege,
unter I. 3.,
das Oberverwaltungsgericht habe in erkennbarem Wider-
spruch zu dem am 24. August 2005 erläuterten Sachver-
ständigengutachten die für die Gruppe der Langzeitwohn-
heime für seelisch Behinderte im schriftlichen Gutachten
genannte Bandbreite von 100,- bis 120,- DM übernom-
men, obwohl in den zum Vergleich herangezogenen Ein-
richtungen die werkstattfähigen Bewohner werktags den
ganzen Tag über in die Werkstatt gingen, während sie in
der Einrichtung der Klägerin ganztägig blieben,
unter I. 4.,
das Berufungsgericht sei dem Gutachten gefolgt, obwohl
dieses für die streitgegenständliche Vergleichsberechnung
nicht Zahlen aus dem Jahr 1994 selbst festgestellt und
verwendet, sondern dafür Zahlen aus den Jahren 1999
und 1993 ausgewertet habe,
und unter I. 5.,
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das angefochtene Urteil gehe von einem Sachverhalt aus,
der in der Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 1994 nicht vorge-
legen habe. Es unterstelle den Tatsachen zuwider, dass in
den Langzeitbereichen der Niedersächsischen Landes-
krankenhäuser in dieser Zeit nicht Pflegesätze von
291,- DM/BT und höher berechnet worden seien, sondern
nur in Höhe von 150,- DM/BT,
keinen Verstoß gegen § 144 Abs. 6 VwGO als Verfahrensfehler.
2. Soweit die Klägerin unter I. 1.2. auch einen Verstoß gegen das Gebot der
vollständigen Sachverhaltsaufklärung rügen wollte und unter I. 2., unter I. 4. und
unter I. 5. einen solchen Verstoß gerügt hat, liegt kein die Zulassung der
Revision rechtfertigender Verfahrensmangel vor. Denn die anwaltlich vertretene
Klägerin hat in Kenntnis des Gutachtens keine weitere Beweiserhebung bean-
tragt.
3. Schließlich beruht das angefochtene Urteil nicht auf der Versagung rechtli-
chen Gehörs. Den Vorhalt der Klägerin unter I. 5., das Berufungsgericht habe
einen Kern des klägerischen Vorbringens verkannt, stützt die Klägerin zu Un-
recht darauf, dass das angefochtene Urteil von einem Sachverhalt ausgehe, der
in der Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 1994 nicht vorgelegen habe, weil es den
Tatsachen zuwider unterstelle, dass in den Langzeitbereichen der Nieder-
sächsischen Landeskrankenhäuser in dieser Zeit nicht Pflegesätze von
291,- DM/BT und höher berechnet worden seien, sondern nur in Höhe von
150,- DM/BT. Zum einen verkennt die Klägerin dabei, dass im Verwaltungspro-
zess Parteivortrag das Gericht auch dann nicht bindet, wenn er vom Gegner
nicht bestritten ist. Zum anderen hat sich das Berufungsgericht mit dem Vortrag
der Klägerin zu den Langzeitbereichen der Landeskrankenhäuser und den dor-
tigen Pflegesätzen für 1994 auseinandergesetzt. Es hat ausgeführt, es folge
nicht dem Vortrag der Klägerin, dass ihre Einrichtung als Gesamtheit mit den
Langzeitbereichen der Landeskrankenhäuser vergleichbar sei, für die 1994 von
den Sozialhilfeträgern noch Pflegesätze in Höhe von mindestens 291,- DM/BT
gezahlt worden seien. Ab 1. Januar 1994 hätten in den Pflegebereichen der
Landeskrankenhäuser nur noch Pflegesätze in Höhe von 150,- DM/BT gegol-
ten. Überzahlungen an die Landeskrankenhäuser für 1994 seien in den Folge-
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jahren zurückerstattet worden. Damit hat das Berufungsgericht den Vortrag der
Klägerin nicht übergangen, sondern nur anders als die Klägerin beurteilt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskosten-
freiheit auf § 188 Satz 2 VwGO.
Hund Schmidt Prof. Dr. Berlit
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