Urteil des BVerwG vom 29.01.2014

Treu Und Glauben, Kausalität, Pflege, Obliegenheit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 B 1.13
OVG 12 A 3020/11
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Januar 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Oktober 2012
wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
G r ü n d e :
1. Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für
die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen
Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts
revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchst-
richterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen
Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die
allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (vgl.
Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 26 S. 14). Daran gemessen führen die aufgeworfenen Fra-
gen, soweit sie überhaupt den Darlegungsanforderungen genügen, wegen feh-
lender Klärungsbedürftigkeit nicht zur Revisionszulassung.
a) Die Beschwerde hält im Hinblick auf die Auslegung des § 15 Abs. 3 Nr. 5
Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAföG - in der Fassung der Bekanntma-
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chung vom 7. Dezember 2010 (BGBl I S. 1952) die Fragen für grundsätzlich
klärungsbedürftig,
„ob und inwieweit für eine Verlängerung der Förderungs-
höchstdauer nach § 15 Abs. 3 BAföG nur solche Gründe
in Betracht kommen, die nach dem in einer Bescheinigung
nach § 48 BAföG angegebenen Zeitpunkt eingetreten
sind“ (vgl. Beschwerdebegründung S. 7),
„ob auch dann ausnahmslos an der Präklusion des Vor-
trags vor der Bescheinigung liegender Gründe festgehal-
ten wird, wenn das Erreichen des Studienziels offensicht-
lich fraglich ist“ (vgl. Beschwerdebegründung S. 8),
„ob nicht bei den für die Verlängerung nach § 15 Abs. 3
BAföG vorliegenden Gründen differenziert werden muss“
(vgl. Beschwerdebegründung S. 9).
Diese Fragen rechtfertigen die Zulassung der Revision schon deshalb nicht,
weil sie sich auf einen Sachverhalt beziehen, der vom Oberverwaltungsgericht
nicht festgestellt worden ist. Die Revision kann nicht wegen grundsätzlicher Be-
deutung zugelassen werden, wenn das Oberverwaltungsgericht eine Tatsache
nicht festgestellt hat, die für die Entscheidung der mit der Nichtzulassungsbe-
schwerde angesprochenen Rechtsfrage in dem erstrebten Revisionsverfahren
erheblich sein würde, vielmehr lediglich die Möglichkeit besteht, dass sie nach
Zurückverweisung der Sache aufgrund weiterer Sachaufklärung entschei-
dungserheblich werden kann (stRspr, vgl. z.B. Beschluss vom 6. Juni 2006
- BVerwG 6 B 27.06 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 35 Rn. 8).
So liegt es hier.
Die aufgeworfenen Fragen setzen in tatsächlicher Hinsicht voraus, dass die von
der Klägerin vor dem fünften Fachsemester geleistete Pflege und Erziehung
ihrer Tochter für die Verzögerung des Studiums ursächlich gewesen ist. Entge-
gen der von der Klägerin wohl vertretenen Auffassung (vgl. Beschwerdebe-
gründung S. 9 Mitte) ist es nicht zu beanstanden, dass das Oberverwaltungsge-
richt angenommen hat, die Klägerin sei für die Ursächlichkeit zwischen den er-
brachten Erziehungsleistungen und der Verzögerung des Studiums darlegungs-
und beweispflichtig. Dies ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-
richts geklärt (vgl. Urteil vom 13. Oktober 1988 - BVerwG 5 C 35.85 -
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BVerwGE 80, 290 <295> = Buchholz 436.36 § 15 BAföG Nr. 28 S. 8). Das
Oberverwaltungsgericht hat das Bestehen einer Kausalität nicht festgestellt. Es
hat ungeachtet seiner Entscheidung, dass das Amt für Ausbildungsförderung an
die Bescheinigung der Ausbildungsstätte nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG
dergestalt gebunden ist, dass in den ersten vier Fachsemestern keine relevan-
ten Verzögerungen eingetreten sind (vgl. UA S. 12 ff.), ausdrücklich offengelas-
sen, ob die Klägerin „überhaupt im ersten Schritt den Nachweis der Kausalität
von Pflege und Erziehung ihrer Tochter auch in den ersten vier Fachsemestern
erbracht hat“ (vgl. UA S. 15). Ebenso wenig hat es festgestellt, dass das Errei-
chen des Studienziels offensichtlich fraglich ist. Dazu sind keine Verfahrensrü-
gen erhoben worden.
b) Soweit die Beschwerde im Zusammenhang mit § 48 BAföG vorträgt,
„der vom Oberverwaltungsgericht vorgeschlagene Weg, in
jedem Fall vorsorglich die Bescheinigung nach § 48
BAföG erst später vorzulegen, ist unseres Erachtens im
Gesetz nicht klar vorgezeichnet, was ebenfalls in der Re-
vision geklärt werden kann“ (vgl. Beschwerdebegründung
S. 9),
genügt sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Denn sie formuliert hierzu keine konkrete fallbezogene Frage von grundsätzli-
cher Bedeutung, die in einem Revisionsverfahren geklärt werden könnte.
Davon abgesehen beruht das angefochtene Urteil nicht auf dem in der hier in
Rede stehenden Frage angenommenen Rechtssatz. Das Oberverwaltungsge-
richt hat lediglich darauf hingewiesen, dass Studierende in den Fällen, in denen
Tatsachen vorliegen, die voraussichtlich eine spätere Überschreitung der För-
derungshöchstdauer rechtfertigen, nach § 48 Abs. 2 BAföG die Möglichkeit ha-
ben, zu beantragen, die Vorlage der Bescheinigung zu einem entsprechend
späteren Zeitpunkt zuzulassen (vgl. UA S. 17 f.).
c) Ebenso wenig lässt sich den weiteren im Zusammenhang mit § 48 BAföG
gemachten Ausführungen,
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„die Revision kann Gelegenheit geben, die Bedeutung ei-
ner Bescheinigung nach § 48 Abs. 1 BAföG für die Frage
der Verlängerung der Förderungshöchstdauer zu klären“
(vgl. Beschwerdebegründung S. 9),
eine den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügende Darlegung
einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache entnehmen. Es fehlt inso-
weit an der Formulierung einer konkreten Rechtsfrage. Eine solche ergibt sich
mit der gebotenen Klarheit auch nicht aus den von der Klägerin in diesem Zu-
sammenhang angestellten Erwägungen.
d) Entsprechendes gilt, soweit die grundsätzliche Bedeutung in Bezug auf § 48
BAföG damit begründet wird,
„die Revision kann das Verhältnis zwischen § 48 Abs. 1
und Abs. 2 BAföG klären“ (vgl. Beschwerdebegründung
S. 10).
Die Frage nach dem Verhältnis zwischen § 48 Abs. 1 und Abs. 2 BAföG genügt
in dieser Allgemeinheit nicht dem aus § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO folgenden
Gebot, eine konkrete und für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des
revisiblen Rechts substantiiert aufzuzeigen. Die im Zusammenhang mit dieser
Frage angestellten Erwägungen der Klägerin rechtfertigen keine andere Be-
urteilung. Soweit sie darlegt, § 48 Abs. 2 BAföG sage nichts über eine Verpflich-
tung des Studierenden aus, in bestimmten Fällen die Bescheinigung von vorn-
herein verspätet vorzulegen, ist nicht ersichtlich, dass das angefochtene Urteil
auf einer solchen Annahme beruht.
e) Zu einer Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung kann auch
nicht das Vorbringen der Beschwerde führen,
„die Revision kann zudem das Maß der Mitwirkungspflich-
ten der Studierenden im Hinblick auf den Grundsatz von
Treu und Glauben bestimmen“ (vgl. Beschwerdebegrün-
dung S. 11).
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Die Frage nach dem Umfang der sich aus dem Grundsatz von Treu und Glau-
ben ergebenden Mitwirkungspflichten der Studierenden würde sich in dem an-
gestrebten Revisionsverfahren in dieser Allgemeinheit nicht stellen.
Die von der Beschwerde im Zusammenhang mit den Mitwirkungspflichten im
Einzelnen als klärungsbedürftig bezeichnete Fragen,
ob „ […] dem Auszubildenden treuwidriges Verhalten vor-
zuwerfen [ist], wenn er die von den Hochschulen festge-
setzte Mindestzahl an Credits für die ersten 4 Fachsemes-
ter gerade eben erreicht, die Bescheinigung nach § 48
Abs. 1 BAföG vorlegt und nicht gleichzeitig auf eine mögli-
cherweise eintretende Verzögerung des Studienabschlus-
ses hinweist“,
ob „ […] es treuwidrig im Sinne eines widersprüchlichen
Verhaltens [ist], wenn er - vielleicht in der Hoffnung, einge-
tretene Verzögerungen im weiteren regulären Studienver-
lauf zu kompensieren - erst die Bescheinigung nach § 48
BAföG vorlegt und dann - nachdem die anfänglichen Ver-
zögerungen nicht zu kompensieren sind - die Verlänge-
rung beantragt“, oder
ob „ […] m.a.W. eine Verpflichtung über das für ihn mögli-
che Vorgehen hinaus [besteht], Hinweise auf eventuelle
Verzögerungen frühzeitig zu geben - eine Verpflichtung
und nicht bloß, wie das Oberverwaltungsgericht konsta-
tiert, eine Obliegenheit mit der Wirkung, bei Unterlassung
derartiger Hinweise mit dem Vortrag einer anfänglichen
Verzögerung im Studium präkludiert zu sein“ (vgl. Be-
schwerdebegründung S. 11).
sind in einem Maße auf die besonderen Umstände des Einzelfalles zugeschnit-
ten, das einer über den Einzelfall hinausführenden, verallgemeinerungsfähigen
Aussage entgegensteht.
Zudem ist die Frage, wann sich Studierende unter dem Gesichtspunkt von Treu
und Glauben widersprüchlich verhalten, wenn sie sich im Rahmen des Antrags
auf Gewährung einer Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer
hinaus auf die Fehlerhaftigkeit einer Bescheinigung nach § 48 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 BAföG berufen, einer allgemeinen grundsätzlichen Klärung nicht zugäng-
lich. Sie hängt in der Regel und so auch hier von den besonderen Umständen
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des jeweiligen Einzelfalles ab, die vorliegend auch das Oberverwaltungsgericht
näher gewürdigt hat.
Unabhängig davon rechtfertigen die aufgeworfenen Fragen die Zulassung der
Revision auch deshalb nicht, weil sie von Tatsachen ausgehen, die das Ober-
verwaltungsgericht so nicht festgestellt hat. Sie beruhen in tatsächlicher Hin-
sicht auf der Annahme, dass die Bescheinigung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
BAföG fehlerhaft gewesen ist, da die von der Klägerin in den ersten vier Fach-
semestern erbrachte Erziehungsleistung kausal zu einer Verzögerung ihres
Studiums geführt hat. Dies hat das Oberverwaltungsgericht - wie dargelegt -
nicht festgestellt.
2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2
VwGO abgesehen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten wer-
den nach § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO nicht erhoben.
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