Urteil des BVerwG vom 12.01.2004

Schiedsstelle, Verwaltungsakt, Anfechtungsklage, Bezirk

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 AV 2.03
VG 6 A 32/03 und 6 A 41/03
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Januar 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. R o t h k e g e l und
Prof. Dr. B e r l i t
beschlossen:
Das Verwaltungsgericht Lüneburg wird als für die Verfahren
6 A 32/03 und 6 A 41/03 örtlich zuständiges Gericht innerhalb
der Verwaltungsgerichtsbarkeit bestimmt.
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G r ü n d e :
I.
Der Kläger in dem Verfahren 6 A 32/03 und gleichzeitig Beklagte in dem Verfahren
6 A 41/03 (Einrichtungsträger) ist Träger einer durch Versorgungsvertrag nach § 72
SGB XI zugelassenen Pflegeeinrichtung, die im örtlichen Zuständigkeitsbereich des
für stationäre Pflegeleistungen nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch zuständigen
Beklagten in dem Verfahren 6 A 32/03 und gleichzeitig Klägers in dem Verfahren
6 A 41/03 (Leistungsträgers) gelegen ist. Der Einrichtungsträger hat seinen Sitz in
Bonn, der Leistungsträger in Lüneburg. Nach Abschluss einer Leistungs- und Prü-
fungsvereinbarung haben die Beteiligten über eine Vergütungsvereinbarung nach
§ 93 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BSHG (F. 1996) keine Einigung erzielt; sie streiten darüber,
ob Investitionsaufwendungen in der vom Einrichtungsträger geltend gemachten Höhe
anzuerkennen sind. Die Schiedsstelle nach § 94 BSHG für das Land Niedersachsen
beim Niedersächsischen Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales hat unter dem
14. Januar 2003 eine Entscheidung getroffen, an die anknüpfend beide Beteiligten
- der Einrichtungsträger am 10. Februar 2003 im Verfahren 6 A 32/03, der Leistungs-
träger am 13. Februar 2003 in dem Verfahren 6 A 41/03 - bei dem vorlegenden
Verwaltungsgericht Klage gegen den jeweils anderen Beteiligten erhoben haben.
Das Verwaltungsgericht Lüneburg hat die Verfahren durch Beschluss vom
30. September 2003 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt, weil in beiden Ver-
fahren derselbe Verwaltungsakt von zwei jeweils teils begünstigten und teils be-
schwerten Beteiligten mit entgegengesetzten Zielen angefochten werde und zur Ent-
scheidung darüber wegen der in verschiedenen Gerichtsbezirken gelegenen Sitze
der Beteiligten verschiedene Verwaltungsgerichte als örtlich zuständig in Betracht kä-
men.
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II.
Die Anrufung des Bundesverwaltungsgerichts ist nach § 53 Abs. 3 Satz 1 i.V.m.
Abs. 1 Nr. 3 VwGO zulässig.
Nach § 53 Abs. 3 Satz 1 VwGO kann jeder am Rechtsstreit Beteiligte und jedes mit
dem Rechtsstreit befasste Gericht das im Rechtszug höhere Gericht oder das Bun-
desverwaltungsgericht anrufen, um das zuständige Gericht innerhalb der Verwal-
tungsgerichtsbarkeit bestimmen zu lassen. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt als
nächsthöheres gemeinschaftlich übergeordnetes Gericht die Bestimmung vor, wenn
Gerichte verschiedener Bundesländer in Betracht kommen (vgl. auch BVerwG, Be-
schluss vom 14. Mai 1992 - BVerwG 4 ER 403.91 -
Nr. 18> und Beschluss vom 7. Mai 1996 - BVerwG 2 AV 1.95 - ).
Vorliegend kommen Gerichtsstände in unterschiedlichen Bundesländern in Betracht.
Die Beteiligten streiten in bisher getrennten Verfahren mit gegenläufigem Ziel über
den Abschluss einer (Vergütungs-)Vereinbarung im Sinne des § 93 Abs. 2 Satz 1
Nr. 2 BSHG und deren im Sinne des § 93 a Abs. 2 Satz 1 BSHG notwendigen Inhalt.
Nach § 93 b Abs. 1 Satz 2 BSHG entscheidet, wenn eine Vereinbarung nach § 93 a
Abs. 2 BSHG innerhalb von sechs Wochen nicht zustande kommt, nachdem eine
Partei schriftlich zu Verhandlungen aufgefordert hat, die Schiedsstelle nach § 94
BSHG auf Antrag einer Partei unverzüglich über die Gegenstände, über die keine
Einigung erreicht werden konnte. Gegen die Entscheidung der Schiedsstelle ist nach
§ 93 b Abs. 1 Satz 3 BSHG der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben.
Die jeweiligen Rechtsschutzbegehren hängen, obwohl die beiden Verfahren unter-
schiedliche Streitgegenstände betreffen (dem Einrichtungsträger geht es in dem Ver-
fahren 6 A 32/03 um eine höhere Vergütung als von der Schiedsstelle festgelegt,
dem Leistungsträger dagegen in dem Verfahren 6 A 41/03 um eine niedrigere Vergü-
tungshöhe als festgelegt) in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht so eng miteinander
zusammen, dass - wie das vorlegende Gericht zutreffend erkannt hat - eine Verbin-
dung beider Verfahren notwendig ist, um insbesondere zur maßgeblichen Vergü-
tungshöhe widersprüchliche Gerichtsentscheidungen zu vermeiden.
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Die für das Rechtsschutzbegehren der Beteiligten gegebene, im Sinne von § 86
Abs. 3 VwGO sachdienliche Klageart ist die Anfechtungsklage; denn die Klagen nach
§ 93 b Abs. 1 Satz 3 BSHG sind isolierte Anfechtungsklagen gegen die Schiedsstel-
lenentscheidung (BVerwGE 116, 78). Obwohl die Klage nach § 93 b Abs. 1 Satz 4
BSHG nicht gegen die Schiedsstelle zu richten ist, sondern gegen die andere
Vertragspartei, ist Gegenstand der Klage nach dem eindeutigen Wortlaut des § 93 b
Abs. 1 Satz 3 BSHG die Entscheidung der Schiedsstelle (BVerwG, a.a.O., S. 85).
Diese Entscheidung ist ein vertragsgestaltender Verwaltungsakt (BVerwG, a.a.O.,
S. 81). Die örtliche Zuständigkeit für die Klage gegen die Schiedsstellenentscheidung
richtet sich darum nach den Regeln über Anfechtungsklagen, hier nach § 52 Nr. 3
VwGO. Nach dieser Auffangklausel für die örtliche Zuständigkeit zur Entscheidung
über Anfechtungsklagen ist, wenn der Verwaltungsakt von einer Behörde, deren
Zuständigkeit sich auf mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke erstreckt, oder von einer
gemeinsamen Behörde mehrerer oder anderer Länder erlassen worden ist, das
Verwaltungsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Beschwerte seinen Sitz oder
Wohnsitz hat.
Unter dem "Beschwerten" ist hier nicht der Beklagte zu verstehen. Die Stellung als
"Beschwerter" muss als Voraussetzung der Klagebefugnis bei der Anfechtungsklage
auf der Klägerseite gegeben sein (vgl. § 42 Abs. 2 i.V.m. § 79 VwGO). In den Fällen,
in denen es um die Beschwer durch eine Schiedsstellenentscheidung nach § 93 b
Abs. 1 Satz 2 BSHG geht, meint das Gesetz also die klagende, nicht hingegen die
beklagte Vertragspartei.
Für den Sitz des Einrichtungsträgers, des Klägers in dem Verfahren 6 A 32/03, ist
demnach das Verwaltungsgericht Köln, für den Sitz des Leistungsträgers, des Klä-
gers in dem Verfahren 6 A 41/03, hingegen das vorlegende Verwaltungsgericht ört-
lich zuständig.
Allerdings haben beide Beteiligten mit den zuletzt gestellten Anträgen nicht die Ent-
scheidung der Schiedsstelle zum Gegenstand ihrer Klagen gemacht, sondern einen
Feststellungs- bzw. Leistungsantrag gegen den jeweils anderen Beteiligten ange-
kündigt, aufgrund derer sie u.a. das Bestehen bzw. Nichtbestehen einer Pflicht zum
Abschluss einer Vergütungsvereinbarung klären lassen wollen. Für ein solches Kla-
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gebegehren würde sich ungeachtet der Frage der Sachdienlichkeit einer Feststel-
lungs- bzw. Leistungsklage (zum Fehlen eines Anspruchs der Vereinbarungspartner
auf Abschluss einer bestimmten Pflegesatzvereinbarung nach § 93 b BSHG siehe
BVerwG, a.a.O, S. 85) und der Frage nach der Zulässigkeit einer negativen Feststel-
lungsklage die örtliche Zuständigkeit nach § 52 Nr. 5 VwGO richten. Der Gerichts-
stand hinge dann vom Sitz des jeweiligen Beklagten ab. In diesem Falle wären
- wenn auch in einem umgekehrten Sinne für das jeweils andere Verfahren als bei
Annahme von wechselseitig zu erhebenden Anfechtungsklagen - wiederum sowohl
das Verwaltungsgericht Köln als auch das vorlegende Verwaltungsgericht örtlich zu-
ständig, und zwar ersteres für das Verfahren 6 A 41/03 und letzteres für das Verfah-
ren 6 A 32/03.
Da schon für den innerhalb des jeweiligen Verfahrens identischen Streitgegenstand
der wechselseitigen Rechtsschutzbegehren unterschiedliche Gerichtsstände in Be-
tracht kommen, ist auch für die vorliegende Fallkonstellation - worauf zu Recht auch
das vorlegende Gericht hinweist - das Verfahren nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO er-
öffnet (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 23. August 1974 - BVerwG 8 ER 400.74 -
).
Die Zuständigkeitsbestimmung hat nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten zu erfol-
gen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. April 1993 - BVerwG 7 ER 400.93 -
310 § 53 VwGO Nr. 22>; Beschluss vom 7. Mai 1996 - BVerwG 2 AV 1.95 - a.a.O.).
Da vorliegend über die Berechnung und Festlegung eines Investitionsbetrages zur
Vergütung von Aufwendungen für eine im Bezirk des vorlegenden Gerichts gelegene
Pflegeeinrichtung gestritten wird, bestimmt der Senat in Anlehnung an den auch in
§ 53 Nr. 1 VwGO enthaltenen Gedanken das vorlegende Gericht zu dem für die bei-
den noch zu verbindenden Verfahren örtlich zuständigen Verwaltungsgericht.
Dr. Säcker
Dr. Rothkegel
Prof. Dr. Berlit