Urteil des BVerwG vom 17.03.2015

Wiederaufnahme des Verfahrens, Nichtigkeitsklage, Nichtigkeitsgrund, Datum

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 5 A 1.15, 5 PKH 15.15
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. März 2015
durch die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Harms
beschlossen:
Der Nichtigkeits- und der Restitutionsantrag der Antrag-
stellerin gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsge-
richts vom 18. Dezember 2014 (5 C 16.14, 5 PKH 28.14)
werden verworfen.
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Der Antrag der Antragstellerin, ihr Prozesskostenhilfe zu
bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird ab-
gelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Nichtigkeits- und
Restitutionsantragsverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Nichtigkeits-
und Restitutionsantragsverfahren auf 747 € festgesetzt.
G r ü n d e :
1. Der von der Antragstellerin als "Restitutionsklage und Nichtigkeitsklage" be-
zeichnete außerordentliche Rechtsbehelf ist bei zweckentsprechender Würdi-
gung ihres Begehrens als Nichtigkeits- und Restitutionsantrag gegen den Be-
schluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Dezember 2014 (5 C 16.14,
5 PKH 28.14) auszulegen. Mit diesem Beschluss hat der Senat die Revision der
Antragstellerin gegen den Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungs-
gerichts vom 20. Oktober 2014 (4 ME 251/14) wegen Unzulässigkeit verworfen
und den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie Beiordnung eines
Rechtsanwalts mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Revision abgelehnt.
Das Begehren ist der in Rede stehenden Auslegung zugänglich. Zwar setzt die
Wiederaufnahme des Verfahrens durch Nichtigkeits- und Restitutionsklage
nach dem Wortlaut der gemäß § 153 Abs. 1 VwGO im Verwaltungsprozess ent-
sprechend anwendbaren Vorschrift des § 578 Abs. 1 ZPO voraus, dass das
betreffende Verfahren durch rechtskräftiges Endurteil geschlossen wurde. Das
Wiederaufnahmeverfahren ist aber seinem Zweck entsprechend, ausnahms-
weise aus Gründen materieller Gerechtigkeit nicht mehr anfechtbare Gerichts-
entscheidungen aufzuheben, auch gegen der Rechtskraft fähige verfahrensbe-
endende Beschlüsse statthaft. An die Stelle der Nichtigkeits- und Restitutions-
klage tritt in diesem Fall ein entsprechender Antrag, über den seinerseits im
Beschlussverfahren zu entscheiden ist. Wird der Rechtsbehelf fälschlicherweise
als "Klage" bezeichnet, kann ihn das Gericht als "Antrag" auslegen (vgl.
BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. Januar 1992 - 2 BvR 40/92 - NJW 1992,
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1030 <1031>; BVerwG, Beschlüsse vom 28. Januar 1974 - 8 A 2.74 - Buchholz
310 § 153 VwGO Nr. 12 S. 18 f.; vom 26. März 1997 - 5 A 1.97, 5 PKH 14.97 -
Buchholz 310 § 153 VwGO Nr. 31 und vom 4. Februar 2002 - 4 B 51.01 -
Buchholz 310 § 153 VwGO Nr. 33 S. 4, jeweils m.w.N.; BFH, Beschluss vom
20. Februar 1998 - VII K 7/97 - BFH/NV 1998, 1248 m.w.N.).
2. Der Nichtigkeits- und der Restitutionsantrag der Antragstellerin sind unzuläs-
sig. Soweit sich diese Anträge gegen die vom Bundesverwaltungsgericht mit
Beschluss vom 18. Dezember 2014 (5 C 16.14, 5 PKH 28.14) ausgesprochene
Verwerfung der Revision richten, sind sie zwar statthaft. Das Bundesverwal-
tungsgericht ist hierfür aber sachlich nicht zuständig (a). Soweit die Antragstel-
lerin auch die Wiederaufnahme des mit dem angegriffenen Beschluss des Bun-
desverwaltungsgerichts ebenfalls beendeten Prozesskostenhilfeverfahrens be-
gehrt, fehlt es bereits an der Statthaftigkeit (b).
a) Es ist anerkannt, dass Beschlüsse, durch die die Revision als unzulässig
verworfen wird, Gegenstand eines Nichtigkeits- und eines Restitutionsantrags
sein können (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1973 - IX ZR 154/72 - BGHZ
62, 18 <19> und Beschluss vom 18. November 1982 - III ZR 113/79 - NJW
1983, 883; BAG, Urteil vom 2. Juni 1982 - 7 AZR 868/77 - juris Rn. 21). Um ei-
nen derartigen Beschluss handelt es sich bei dem angegriffenen Beschluss des
Bundesverwaltungsgerichts.
Die Zuständigkeit des Revisionsgerichts für ein derartiges Wiederaufnahmebe-
gehren ist aber nach § 153 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 584 Abs. 1 Alt. 3 ZPO auf die
Fälle der §§ 579, 580 Nr. 4 und Nr. 5 ZPO beschränkt (BVerwG, Beschluss vom
4. Februar 2002 - 4 B 51.01 - Buchholz 310 § 153 VwGO Nr. 33 S. 4 m.w.N.).
Die Antragstellerin macht einen entsprechenden Nichtigkeits- oder Restitutions-
grund nicht geltend.
aa) Der Nichtigkeitsantrag findet nach § 153 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 579 Abs. 1
ZPO statt, wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war
(Nr. 1), wenn ein Richter bei der Entscheidung mitgewirkt hat, der von der Aus-
übung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses
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Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs oder eines Rechtsmittels ohne Er-
folg geltend gemacht ist (Nr. 2), wenn bei der Entscheidung ein Richter mitge-
wirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das
Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war (Nr. 3) oder wenn eine Partei in
dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht
die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat (Nr. 4).
Keine dieser Voraussetzungen ist hier erfüllt.
Die Antragstellerin hat sich in Bezug auf den angegriffenen Beschluss des Bun-
desverwaltungsgerichts vom 18. Dezember 2014 (5 C 16.14, 5 PKH 28.14) ins-
besondere darauf beschränkt zu beanstanden, dass das erhobene Rechtsmittel
im Rubrum dieses Beschlusses nicht mit Aktenzeichen und Datum genau be-
zeichnet worden sei. Des Weiteren sei die beglaubigte Abschrift dieses Be-
schlusses nicht in der vorgeschriebenen Form erstellt worden. Es fehlten Da-
tum, Ort und Name des Ausstellers. Ein Nichtigkeitsgrund im Sinne von § 153
Abs. 1 VwGO i.V.m. § 579 Abs. 1 ZPO wird mit diesem Vorbringen nicht be-
zeichnet.
Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts für den Nichtigkeitsantrag
lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass die Antragstellerin hinsichtlich der
dem angegriffenen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Dezem-
ber 2014 (5 C 16.14, 5 PKH 28.14) zugrunde liegenden erstinstanzlichen Ent-
scheidung des Verwaltungsgerichts Stade (4 B 1378/14) den Nichtigkeitsgrund
der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts geltend
macht. Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar seine Zuständigkeit aus-
nahmsweise auch dann für gegeben angesehen, wenn über eine auf § 153
Abs. 1 VwGO i.V.m. § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gestützte Nichtigkeitsklage zu ent-
scheiden ist, mit der die nicht vorschriftsmäßige Besetzung der Berufungs-
instanz gerügt wird, allerdings nur unter der weiteren Voraussetzung, dass es
als Revisionsgericht im Vorprozess eine Sachentscheidung getroffen hatte
(BVerwG, Urteil vom 18. Mai 1973 - 2 A 2.72 - Buchholz 310 § 153 VwGO Nr. 9
und Beschluss vom 4. Februar 2002 - 4 B 51.01 - Buchholz 310 § 153 VwGO
Nr. 33 S. 4). Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob diese Rechtsprechung auf
den Fall zu erstrecken ist, dass die Nichtigkeitsklage bzw. der Nichtigkeitsan-
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trag - wie hier - auf die nicht vorschriftsmäßige Besetzung der ersten Instanz
gestützt wird. Denn in jedem Fall fehlt es hier an der erforderlichen Sachent-
scheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses hat die Revision mit dem
angegriffenen Beschluss vom 18. Dezember 2014 (5 C 16.14, 5 PKH 28.14)
nicht als unbegründet zurückgewiesen, sondern als unzulässig verworfen.
bb) Der Restitutionsantrag vor dem Revisionsgericht ist nach § 153 Abs. 1
VwGO i.V.m. § 584 Abs. 1 Alt. 3 ZPO eröffnet, wenn das Urteil von dem Vertre-
ter der Partei oder von dem Gegner oder dessen Vertreter durch eine in Bezie-
hung auf den Rechtsstreit verübte Straftat erwirkt ist (§ 580 Nr. 4 ZPO) oder ein
Richter bei dem Urteil mitgewirkt hat, der sich in Beziehung auf den Rechtsstreit
einer strafbaren Verletzung seiner Amtspflichten gegen die Partei schuldig ge-
macht hat (§ 580 Nr. 5 ZPO). Diese Voraussetzungen sind hier offensichtlich
nicht gegeben.
cc) Angesichts der fehlenden sachlichen Zuständigkeit des Bundesverwal-
tungsgerichts bedarf es keiner abschließenden Klärung, ob die Antragstellerin
wie von § 153 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 589 Abs. 2 ZPO gefordert, die Tatsachen
glaubhaft gemacht hat, die ergeben, dass die Anträge vor Ablauf der einmona-
tigen Notfrist (§ 153 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 586 Abs. 1 ZPO) erhoben worden
sind.
b) Der Nichtigkeits- und der Restitutionsantrag der Antragstellerin sind nicht
statthaft, soweit sie sich gegen die mit dem angegriffenen Beschluss des Bun-
desverwaltungsgerichts vom 18. Dezember 2014 (5 C 16.14, 5 PKH 28.14)
ausgesprochene Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhil-
fe und Beiordnung eines Rechtsanwalts richten.
Die Wiederaufnahme abgeschlossener Verfahren setzt mit Blick auf den Zweck
dieses Verfahrens voraus, dass die sie abschließende Entscheidung der mate-
riellen Rechtskraft fähig ist (vgl. BFH, Beschlüsse vom 21. November 1997
- V S 4.92 - BFH/NV 1998, 494 und vom 26. März 1998 - XI K 5/97, IX S 32/97 -
juris Rn. 2). Das trifft auf einen die Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss
nicht zu (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 15. Mai 2007 - 1 BvR
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2347/05 - WM 2007, 1170 <1171>; BGH, Beschlüsse vom 3. März 2004 - IV ZB
43/03 - NJW 2004, 1805 <1806> und vom 10. März 2005 - XII ZB 19/04 - NJW
2005, 1498 <1499>; BFH, Beschluss vom 21. November 1997 - V S 4.92 -
BFH/NV 1998, 494 m.w.N.).
Unabhängig davon wäre das Bundesverwaltungsgericht auch insoweit nach
Maßgabe des § 153 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 584 Abs. 1 Alt. 3 ZPO sachlich nicht
zuständig. Die Antragstellerin hat bezogen auf die ablehnende Entscheidung
des Bundesverwaltungsgerichts über den Prozesskostenhilfeantrag weder ei-
nen Nichtigkeitsgrund im Sinne von § 153 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 579 Abs. 1
ZPO noch einen Restitutionsgrund im Sinne von § 153 Abs. 1 VwGO i.V.m.
§ 580 Nr. 4 oder Nr. 5 ZPO dargelegt.
3. Der Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und
Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Nichtigkeits- und Restitutionsantrags-
verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ist unbegründet, weil die beab-
sichtigte Rechtsverfolgung aus den oben genannten Gründen keine hinreichen-
de Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Absatz 1 Satz 1, § 121
Abs. 1 ZPO). In diesem Fall bedarf es keiner Prüfung mehr, ob die Antragstelle-
rin nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der
Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann (§ 166
VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1, § 121 Abs. 1 ZPO). Selbst wenn die finanzi-
ellen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiord-
nung eines Rechtsanwalts gegeben wären, ist dem Antrag nicht stattzugeben.
Denn die in § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO genannten Voraussetzungen müssen ku-
mulativ vorliegen. Fehlt - wie hier - eine der dort genannten Voraussetzungen,
darf keine Prozesskostenhilfe gewährt werden.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
5. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1
GKG. Der Streitwert des Nichtigkeits- und Restitutionsantragsverfahrens ent-
spricht im Regelfall und so auch hier dem Streitwert des Verfahrens, dessen
Wiederaufnahme begehrt wird (vgl. BFH, Beschluss 26. Juli 1988 - VII E 3/88 -
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BFH/NV 1989, 315 <316>; BGH, Beschluss vom 4. April 1978 - VI ZB 11/77 -
AnwBl 1978, 260 <261>). Da der Nichtigkeits- und der Restitutionsantrag auf
dasselbe Interesse gerichtet sind, ist dieser Wert hier nur einmal in Ansatz zu
bringen.
Stengelhofen
Dr. Fleuß
Dr. Harms