Urteil des BVerwG vom 11.06.2002

Aufschiebende Wirkung, Halle, Angemessener Ersatz, Einkaufszentrum

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BESCHLUSS
BVerwG 4 VR 4.02 (4 A 7.02)
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Juni 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. P a e t o w und die Richter am Bundesverwaltungs-
gericht Prof. Dr. R o j a h n und Dr. J a n n a s c h
beschlossen:
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der
von der Antragstellerin erhobenen Klage ge-
gen den Planfeststellungsbeschluss des Re-
gierungspräsidiums Dessau vom 28. Februar
2002 anzuordnen, wird abgelehnt.
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Die Antragstellerin trägt die Kosten des An-
tragsverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das
Antragsverfahren auf 250 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I.
Die Antragstellerin wendet sich mit ihrer Klage gegen den
Planfeststellungsbeschluss des Regierungspräsidiums Dessau vom
28. Februar 2002 für den Ausbau der Bundesautobahn A 9 Berlin
– München im Bereich der Anschlussstelle Halle sowie den Bau
der B 100 Ortsumgehung Brehna.
Der Planfeststellungsbeschluss betrifft die Verbreiterung und
Grunderneuerung der Bundesautobahn A 9, die Neuerrichtung der
Anschlussstelle Halle, die nach Norden verlegt wird, sowie den
vierspurigen Neubau der B 100 (Halle – Bitterfeld) als nördli-
che Umfahrung von Brehna.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin einer größeren Grund-
stücksfläche, auf der sich ein Einkaufs- und Gewerbezentrum
befindet. Dieses konnte bisher von der Anschlussstelle Halle
über die B 100 (alt) unmittelbar angefahren werden, während
die Zufahrt künftig nur über die B 100 (neu) und eine neu zu
errichtende etwa 1200 m lange Straße (Planstraße A) möglich
ist.
Mit Schreiben vom 19. April 2002 hat das Regierungspräsidium
Dessau einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Plan-
feststellungsbeschlusses abgelehnt.
Die Antragstellerin hat am 17. April 2002 Klage erhoben und am
22. April 2002 beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage
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herzustellen. Im Klageverfahren beantragt sie, den Planfest-
stellungsbeschluss aufzuheben. Sie rügt eine Verletzung des
Abwägungsgebots. Ihr Interesse an der Erhaltung der Anschluss-
stelle Halle am bisherigen Ort sei nicht mit dem ihm zukommen-
den Gewicht eingestellt worden. Auch sei ihr Alternativvor-
schlag nicht ausreichend gewürdigt worden.
Der Antragsgegner tritt der Klage sowie dem Antrag auf Gewäh-
rung vorläufigen Rechtsschutzes entgegen.
II.
1. Der Antrag ist statthaft und auch sonst zulässig. Der ange-
griffene
Planfeststellungsbeschluss
betrifft ein Vorhaben, das
unter § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VerkPBG fällt. Nach § 5 Abs. 2
Satz 1 VerkPBG hat die Anfechtungsklage gegen den
Planfest-
stellungsbeschluss
keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann
das Bundesverwaltungsgericht, das nach § 5 Abs. 1 VerkPBG im
ersten und letzten Rechtszug zuständig ist, nach § 80 Abs. 5
Satz 1 VwGO als Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wir-
kung anordnen.
2.1 Der Antrag bleibt jedoch ohne Erfolg. Das öffentliche In-
teresse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Plan-
feststellungsbeschlusses überwiegt das private Interesse der
Antragstellerin, bis zum
Abschluss
des Hauptsacheverfahrens
vor Vollzugsmaßnahmen verschont zu bleiben. Bereits eine sum-
marische Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt,
dass
die er-
hobene Anfechtungsklage nach dem derzeitigen Stand des wech-
selseitigen Vorbringens keine begründete Aussicht auf Erfolg
hat. Nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand des Gerichts ver-
letzt der Planfeststellungsbeschluss keine Rechtsvorschriften,
deren Verletzung die Antragstellerin geltend machen kann und
die zu einer Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses oder
zu der Notwendigkeit eines ergänzenden Verfahrens gemäß § 17
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Abs. 6 c Satz 2 FStrG führen. In dieser Situation würde es dem
mit § 5 Abs. 2 Satz 1 VerkPBG verfolgten Beschleunigungszweck
zuwiderlaufen, dem Antragsgegner die ihm vom Gesetzgeber ein-
geräumte Möglichkeit der sofortigen Vollziehung allein mit
Rücksicht darauf zu entziehen,
dass
die Antragstellerin sich
im Klagewege gegen das Vorhaben zur Wehr setzt.
2.2 Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand des Senats spricht
nichts dafür,
dass
der Planfeststellungsbeschluss die Belange
der Antragstellerin im Rahmen der der Behörde aufgegebenen Ab-
wägung unzureichend berücksichtigt oder unangemessen gewichtet
hätte.
Die Antragstellerin macht geltend, bei sachgerechter Abwägung
müsse die bisherige Anschlussstelle Halle aufrechterhalten
bleiben, da sie für das von ihr betriebene Einkaufszentrum auf
die gute Erreichbarkeit und die Sichtbarkeit angewiesen sei.
Auch habe sie auf die Beibehaltung der Anschlussstelle ver-
trauen dürfen. Dem ist nicht zu folgen.
2.3 Werden auf Dauer Zufahrten durch die Änderung oder Einzie-
hung von Bundesstraßen unterbrochen, hat der Träger der Stra-
ßenbaulast nach § 8 a Abs. 4 FStrG einen angemessenen Ersatz
zu schaffen,
soweit
dies zumutbar ist. Mit dieser Regelung ist
der Gesetzgeber seiner Aufgabe nachgekommen, einen Ausgleich
zwischen dem allgemeinen Verkehrsbedürfnis und dem Erschlie-
ßungsinteresse der Anlieger zu schaffen. Ein
derartiger
ange-
messener Ersatz ist im Planfeststellungsbeschluss vorgesehen.
Die Grundstücke der Antragstellerin sind künftig durch die
Planstraße A mit der B 100 verbunden. Diese neu anzulegende
Straße wird heutigen Anforderungen entsprechen. Damit ist sie
ihrer Art nach angemessen. Aus § 8 a FStrG
lässt
sich kein An-
spruch auf den Fortbestand einer Verkehrsverbindung herleiten,
die für eine bestimmte Grundstücksnutzung von besonderem Vor-
teil ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Mai 1999 – BVerwG
- 5 -
4 VR 7.99 – NVwZ 1999, 1341 = Buchholz 407.4 § 8 a FStrG
Nr. 11).
2.4 Dies bedeutet nicht, dass die Anliegerinteressen unterhalb
der bezeichneten Schwelle rechtlich nicht zu Buche schlagen.
Sie sind, sofern sie nicht als geringfügig ausnahmsweise außer
Betracht zu bleiben haben, im Rahmen der Planfeststellung in
die Abwägung einzustellen. Sie können jedoch durch überwiegen-
de Belange des Gemeinwohls oder anderer Betroffener zurückge-
drängt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Mai 1999
a.a.O.). So liegt es hier.
2.4.1 Die Grundstücksflächen der Antragstellerin liegen wei-
terhin in einer verkehrsgünstigen Lage. Sie sind von der An-
schlussstelle Halle über die B 100 und die Straße A gut zu er-
reichen. Im Ü
brigen
trägt die Antragstellerin selbst vor, die
Kunden des Einkaufszentrums kämen überwiegend aus dem Raum
Bitterfeld/Wolfen und Delitzsch. Für diesen Personenkreis
dürfte sich die Erreichbarkeit der Einzelhandelsbetriebe ver-
bessern oder jedenfalls nicht verschlechtern. Denn künftig
kann die Ortsumgehung von Brehna befahren werden, so dass eine
Durchquerung dieser Stadt entfällt. Die Betriebe auf den
Grundstücksflächen der Antragstellerin profitieren somit zu-
gleich vom Neubau der B 100.
2.4.2
Soweit
die Antragstellerin sich auf die künftig geringe-
re Sichtbarkeit der Betriebe auf ihren Grundstücksflächen be-
ruft, kommt dem kein großes Gewicht zu. Zum einen genießt der
Sichtkontakt einen niedrigen Stellenwert. Es handelt sich um
einen zufälligen Lagevorteil, vor dessen Verlust die Rechts-
ordnung – anders als bei Zufahrten – grundsätzlich keinen
Schutz bietet. Im Ü
brigen
bleibt das Einkaufszentrum von der
A 9 und der B 100 aus weiterhin sichtbar. Autofahrer, die sich
zu einem "Spontankauf" entschließen, müssen allerdings eine
etwas weitere Zufahrt in Kauf nehmen. Im Ü
brigen
steht der
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entsprechende Vortrag der Antragstellerin in einem gewissen
Gegensatz zu der Darstellung, wonach die Kunden überwiegend
aus dem Raum Bitterfeld/Wolfen und Delitzsch kommen. Diesen
wird das Einkaufszentrum bekannt sein; kommen sie aus der
Richtung der genannten Orte, ändert sich an der Sichtbarkeit
ohnehin kaum etwas.
2.4.3 Die Antragstellerin meint ferner, im Rahmen der Abwägung
darauf verweisen zu können, dass sie auf den Verbleib der An-
schlussstelle Halle an der bisherigen Stelle habe vertrauen
dürfen. Hierfür ist jedoch nichts ersichtlich. Die Antragstel-
lerin verweist zunächst auf Erklärungen des Bürgermeisters o-
der der Gemeinde. Diese waren für verbindliche Äußerungen zur
Planung von Bundesfernstraßen jedoch von vornherein nicht zu-
ständig. Ferner bezieht sie sich auf eine Stellungnahme des
Landesamts für Straßenbau gegenüber der Gemeinde Brehna vom
28. Februar 1991 (S. 1517 ff. der "Verfahrensakte" der Plan-
feststellungsbehörde), die zum Ausdruck bringt, dass diese Be-
hörde keine Bedenken gegen den Vorhaben- und Erschließungsplan
(mehr) äußert. Eine derartige Stellungnahme eignet sich schon
ihrer Zielrichtung nach nicht für einen Vertrauensschutz hin-
sichtlich des künftigen Verlaufs der B 100. Im Gegenteil macht
sie deutlich, dass bereits im Jahre 1991 mit einer Veränderung
der Anschlussstelle Halle gerechnet werden
musste
. Das Lan-
desamt wies in diesem Zusammenhang ferner darauf hin, dass die
"entsprechenden Untersuchungen" erst noch beginnen sollten.
Ein Vertrauensschutz hinsichtlich einer bestimmten Trassenfüh-
rung sollte somit nicht geschaffen werden. Nichts anderes gilt
für das von der Antragstellerin ferner benannte Schreiben des
Landesamts vom 30. Januar 1991 (S. 825 der "Verfahrensakte"
der Planfeststellungsbehörde). In diesem verweist die Behörde
auf den geringen Abstand des Motels "von der geplanten Ortsum-
gehung der B 100" und die damit verbundenen Lärmschutzmaßnah-
men. Eine in irgendeiner Weise bindende Aussage über den künf-
tigen Trassenverlauf sollte damit nicht getroffen werden.
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2.4.4 Darüberhinaus legt der Antragsgegner in seiner Antrags-
erwiderung eingehend dar, dass das Einkaufszentrum zunächst
zumindest teilweise rechtswidrig errichtet worden sei und zum
Zeitpunkt seiner "Legalisierung" durch einen Vorhaben- und Er-
schließungsplan (November 1991) im Vorentwurf zum Flächennut-
zungsplan vom Juni 1991 bereits die Aussage enthalten gewesen
sei, der vorhandene Knoten entspreche nicht den geltenden Vor-
schriften und müsse voraussichtlich nach Norden verschoben
werden; damit ändere sich ohnehin die bisherige Trassenführung
der B 100.
Dieser Vortrag mag geeignet sein, das Gewicht der in der Abwä-
gung zu Gunsten der Antragstellerin sprechenden Belange noch
weiter zu verringern. Aber auch ohne Berücksichtigung dieser
Vorgänge hat der Senat keinen Zweifel daran, dass die Ent-
scheidung des Antragsgegners frei von Abwägungsfehlern ist.
2.5 Die Planfeststellungsbehörde hat die Beibehaltung der bis-
herigen Anschlussstelle aus Gründen abgelehnt, die so bedeut-
sam sind, dass sie das Gewicht der entgegenstehenden Belange
der Antragstellerin bei weitem überwiegen dürften.
Sie hat zunächst den Fall der Beibehaltung des vorhandenen An-
bindepunkts als Abfahrt für das Einkaufszentrum und die Neuer-
richtung der Anschlussstelle zur B 100 behandelt (Planfest-
stellungsbeschluss S. 93). Sie hat diese Möglichkeit mit der
Begründung ausgeschieden, damit werde gegen die Regelungen für
Knotenpunktabstände (RAS-K) verstoßen, nach denen zwischen
Knotenpunkten Abstände von mindestens 3 km einzuhalten seien.
Vorliegend wäre jedoch nur ein Abstand von 400 m gewahrt. So-
mit sprächen Gründe der Verkehrssicherheit gegen diese Lösung.
Außerdem
wäre dann nicht ausreichend Platz für die Auf- und
Abfahrtsrampen vorhanden. Diese Begründung leuchtet ohne wei-
teres ein und wird von der Antragstellerin auch nicht weiter
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in Frage gestellt.
Entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin hat sich die Plan-
feststellungsbehörde im Anschluss daran auch mit einem Ver-
zicht auf die neue nach Norden verschobene Anschlussstelle
Halle befasst. Sie lehnt diesen mit der Begründung ab, die
Verlegung sei auf Grund der notwendigen Trassierungselemente
im Zuge des Neubaus der B 100 unvermeidbar. Damit hat die Be-
hörde der Sache nach auch den Vorschlag zurückgewiesen, den
die Antragstellerin mit einem Schreiben vom 19. Oktober 2000
und einem Lageplan (S. 809 der "Verfahrensakte" der Planfest-
stellungsbehörde) unterbreitet hat.
Allerdings ist die Antragstellerin insoweit entgegen der Auf-
fassung des Antragsgegners nicht gemäß § 17 Abs. 4 Satz 1
FStrG ausgeschlossen. Denn die Antragstellerin hat in ihren
Einwendungsschreiben hinreichend deutlich zum Ausdruck ge-
bracht, dass sie sich gegen eine Verlagerung der Anschluss-
stelle nach Norden wendet und die Beibehaltung der bisherigen
Anbindung fordert (vgl. hierzu auch den Beschluss des Senats
vom 16. Oktober 2001 – BVerwG 4 VR 20.01 – DVBl 2002, 275 =
Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 165). Zu einer eigenen Alterna-
tivplanung war sie nicht verpflichtet.
Die Gründe, die die Planfeststellungsbehörde bewogen haben,
diese Planung abzulehnen, sind jedoch nachvollziehbar und von
erheblichem Gewicht. Der Antragsgegner hat die Überlegungen in
seiner Erwiderung verdeutlicht. Danach ist die vorgeschlagene
Trassierung sowohl aus Gründen der Verkehrssicherheit als auch
solchen der Verkehrstechnik nicht sinnvoll umsetzbar. Die Ra-
dien der B 100 würden viel zu eng. Fahrzeuge, die auf der
B 100 von Westen (Halle) kommen, müssten nach Passieren der
Anschlussstelle in einem engen Radius nach Norden abbiegen.
Bereits diese Erwägungen, deren Richtigkeit durch die vorlie-
genden Karten erhärtet wird, sprechen auch nach der Überzeu-
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gung des Senats gegen eine derartige Trassierung. Hinzu treten
die Gründe, die im Rahmen der Trassenauswahl bereits gegen die
damalige Trasse E gesprochen haben. Auch diese sollte – mit
weiterem Kurvenradius und einer nach Süden verschobenen An-
schlussstelle – zwischen dem Gewerbegebiet der Antragstellerin
(sowie dem Hotel der Antragstellerin im Parallelverfahren) auf
der einen Seite und der vorhandenen Bebauung von Brehna auf
der anderen Seite hindurchführen. Dieser Trassenverlauf wäre
kaum mit § 50 BImSchG zu vereinbaren und in jedem Fall mit er-
heblichen Lärmschutzmaßnahmen verbunden. Er würde ferner die
Ortslage von Brehna einschnüren und damit die Entwicklungsmög-
lichkeiten dieser Stadt beeinträchtigen (vgl. hierzu Planfest-
stellungsbeschluss S. 51). Daher ist auch die Entscheidung ge-
gen diese Trasse frei von Abwägungsfehlern.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 20
Abs. 3 GKG. Die Antragstellerin benennt für das Hauptsachever-
fahren einen Streitwert von 1 000 000 € und begründet ihn mit
den in dieser Höhe zu befürchtenden Mietmindereinnahmen. Die
Minderung der Mieteinnahmen kann jedoch nicht mit der Bedeu-
tung der Sache für die Antragstellerin gleichgesetzt werden,
da ihnen auch eine geringere Steuerbelastung und möglicherwei-
se niedrigere andere Aufwendungen entgegenstehen. Der Senat
schätzt den Wert der Hauptsache auf 500 000 € und legt für das
Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes davon die Hälfte, al-
so 250 000 €, zu Grunde.
Paetow Rojahn Jannasch