Urteil des BVerwG vom 19.05.2005

Slb, Flughafen, Halle, Vorläufiger Rechtsschutz

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 VR 2000.05 (4 A 2000.05)
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Mai 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w ,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht G a t z und die Richterin am Bundes-
verwaltungsgericht Dr. P h i l i p p
beschlossen:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Antragsverfahrens
einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigelade-
nen zu je einem Fünftel.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Antragsver-
fahren auf 37 500 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I.
Die Antragsteller erstreben vorläufigen Rechtsschutz gegen den Planfeststellungs-
beschluss des Regierungspräsidiums Leipzig für das Vorhaben "Ausbau des Ver-
kehrsflughafens Leipzig/Halle Start-/Landebahn Süd mit Vorfeld" vom 4. November
2004.
Der Planfeststellungsbeschluss sieht im Kern vor (S. 75), die vorhandene und als
grundsanierungsbedürftig bezeichnete Start- und Landebahn Süd (SLB Süd) von
derzeit 2 500 m auf 3 600 m zu verlängern und um 20° zu drehen, damit sie parallel
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zur SLB Nord verläuft und ein gleichzeitiger Flugbetrieb auf beiden Bahnen möglich
wird. Flankierend dazu ist ein paralleles Rollbahnsystem vorgesehen, um einen mög-
lichst kreuzungsfreien und zügigen Rollverkehr zu ermöglichen (PFB S. 194). Südlich
der SLB Süd soll ein neues Vorfeld entstehen, das als Betriebsfläche für den Luft-
frachtumschlag und als Abstellposition für Luftfahrzeuge dient. Dem Vorfeld sind
Flächen für Frachthallen, LKW-Verladepositionen, Flächen für Bodenverkehrsdienste
und ein Verladebahnhof zugeordnet. Ferner sind Flächen für notwendige Be-
triebseinrichtungen und -anlagen wie ein separates Tanklager und ein Hangar für die
Flugzeugwartung ausgewiesen. Zentrales Ziel des Vorhabens ist die Schaffung von
Kapazitäten für ein Drehkreuz des Luftfrachtverkehrs. Wie schon die SLB Nord soll
deshalb auch die SLB Süd auf der Grundlage der unbefristeten Nachtfluggenehmi-
gung vom 20. September 1990 ohne zeitliche Einschränkung für den Luftverkehr zur
Verfügung stehen (PFB S. 76). Der Planfeststellungsbeschluss enthält zahlreiche
Auflagen insbesondere zum Lärmschutz. Er formuliert Ziele für den Tag- und Nacht-
schutz und legt Tag- und Nachtschutzgebiete fest (S. 22 f.). Zusätzlich markiert er
ein Entschädigungsgebiet "Übernahmeanspruch" (S. 26) und verpflichtet die Beige-
ladene, Entschädigung für die Beeinträchtigung der Nutzung von Außenwohnberei-
chen zu leisten (S. 27). Weitere Auflagen zum Lärmschutz behält er sich vor
(S. 34 f.).
Die Antragsteller sind Eigentümer von Wohngrundstücken in der Nachbarschaft des
Flughafens. Sie haben am 3. Januar 2005 Klage erhoben und gleichzeitig um vorläu-
figen Rechtsschutz nachgesucht. Sie halten den Planfeststellungsbeschluss aus
mehreren Gründen für rechtswidrig. Schwerpunktmäßig machen sie geltend, der zu
erwartende Fluglärm werde sie in ihrem Grundeigentum und ihrem körperlichen
Wohlbefinden unzumutbar beeinträchtigen.
Die Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Planfeststel-
lungsbeschluss des Regierungspräsidiums Leipzig vom 4. No-
vember 2004 anzuordnen.
Der Antragsgegner und die Beigeladene verteidigen den Planfeststellungsbeschluss.
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II.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 Satz 1
VwGO hat keinen Erfolg, weil das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung
des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses das Interesse der Antragsteller an
einem Baustopp überwiegt. Die im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein
mögliche summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass die An-
fechtungsklage der Antragsteller voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Unter die-
sen Umständen besteht kein Anlass, die in § 10 Abs. 6 Satz 1 LuftVG und § 5 Abs. 2
Satz 1 VerkPBG gesetzlich vorgesehene sofortige Vollziehbarkeit des Planfeststel-
lungsbeschlusses auszusetzen.
Der umstrittene Planfeststellungsbeschluss ist nur an Vorschriften zu messen, die zu-
mindest auch dem Schutz der Antragsteller zu dienen bestimmt sind. Zwar hat der
Einzelne, wenn der Planfeststellungsbeschluss die Entziehung seines Grundeigen-
tums im Wege der Enteignung zulässt, ein klagefähiges Abwehrrecht auch insoweit,
als sich die Rechtswidrigkeit des Vorhabens aus der Verletzung objektiv-rechtlicher
Vorschriften ergibt und die Inanspruchnahme seines Grundeigentums in einem Ur-
sachenzusammenhang mit dem rechtlichen Mangel steht (vgl. Urteil vom 18. März
1983 - BVerwG 4 C 80.79 - BVerwGE 67, 74 <76>; stRspr). Der angefochtene Plan-
feststellungsbeschluss sieht einen Zugriff auf Eigentum der Antragsteller jedoch nicht
vor und entfaltet daher keine enteignungsrechtlichen Vorwirkungen zu ihren Lasten.
Die Antragsteller sind auch nicht deshalb enteignend betroffen, weil ihre Grundstü-
cke, wie sie behaupten, unzumutbaren Lärmbelastungen ausgesetzt werden sollen.
Mittelbare Beeinträchtigungen, also solche, durch die - wie vorliegend - das Eigentum
nicht vollständig oder teilweise entzogen wird, bestimmen unabhängig von ihrer
Intensität Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2
GG und stellen keine Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG dar (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 2. März 1999 - 1 BvL 7/91 - BVerfGE 100, 226 <240>;
BVerwG, Urteil vom 6. Juni 2002 - BVerwG 4 A 44.00 - NVwZ 2003, 209 <210>).
1. Nach derzeitigem Erkenntnisstand werden die Antragsteller nicht verlangen kön-
nen, dass der Planfeststellungsbeschluss wegen eines Verfahrensfehlers aufgeho-
ben wird.
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a) Soweit die Antragsteller monieren, die ausgelegten Antragsunterlagen seien un-
vollständig gewesen und im weiteren Verlauf des Verwaltungsverfahrens nur unzu-
reichend ergänzt worden, können sie das nicht aus der Erwägung heraus tun, Dritte
seien über das Ausmaß ihrer tatsächlichen und rechtlichen Betroffenheit getäuscht
worden. Die Antragsteller dürfen sich nicht zum Sachwalter fremder Interessen ma-
chen, sondern sind auf die Verteidigung eigener Rechte beschränkt.
b) Ob die Antragsunterlagen inhaltlich nicht verständlich waren und die Lärmgutach-
ten, die Gegenstand der Auslegung waren, mit Mängeln behaftet sind, kann ebenso
offen bleiben wie die Frage nach der Qualität der von der Planfeststellungsbehörde
nachgeforderten Unterlagen und der veranlassten Gutachten und Plausibilitätsprü-
fungen. Die Antragsteller könnten die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses
wegen der insoweit behaupteten Verfahrensfehler nur beanspruchen, wenn sie da-
durch an der rechtzeitigen Geltendmachung ihrer Belange gehindert worden wären
(vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. August 1998 - BVerwG 11 VR 4.98 - Buchholz
442.09 § 20 AEG Nr. 22). Dafür ist nichts vorgetragen und auch nichts ersichtlich.
Die Planauslegung dient dazu, die potenziell Betroffenen über das geplante Vorha-
ben zu unterrichten. Diesem Zweck ist in aller Regel Genüge getan, wenn ihnen die
Auslegung Anlass zur Prüfung geben kann, ob ihre Belange von der Planung berührt
werden und sie im anschließenden Anhörungsverfahren zur Wahrung ihrer Rechte
oder Belange Einwendungen erheben wollen (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Juni 1995
- BVerwG 4 C 4.94 - BVerwGE 98, 339 <344>). Jedenfalls auf die Antragsteller hat
die Auslegung ihre Anstoßwirkung nicht verfehlt. Sie haben die Auslegung zum An-
lass genommen, mit ihrem Anliegen im Anhörungsverfahren vorstellig zu werden,
das Vorhaben insbesondere wegen der Fluglärmbelastung zur Nachtzeit zu Fall zu
bringen.
c) Die Antragsteller können nicht mit ihrer Rüge gehört werden, die von der Planfest-
stellungsbehörde verarbeitete Umweltverträglichkeitsstudie weise - im Einzelnen
markierte - Defizite auf. Sie zeigen nämlich nicht auf, dass die Mängel, die der Studie
anhaften sollen, zu einer Verkürzung eigener Rechte geführt haben.
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d) Die Rüge, die gegen das Vorhaben erhobenen Einwendungen seien nicht intensiv
genug erörtert worden, ist unsubstanziiert. Die Antragsteller haben nicht - wie dies
zur Darlegung einer Verletzung eigener Rechte erforderlich wäre - aufgezeigt, in wel-
cher Hinsicht die von ihnen erhobenen Einwendungen einer weiteren Erörterung be-
durft hätten.
e) Die Antragsteller halten den Planfeststellungsbeschluss für rechtswidrig, weil ihm
als gesonderte Verfahrensstufe kein Raumordnungsverfahren nach § 15 Abs. 1
ROG, § 15 Abs. 1 SächsLPlG vorausgegangen sei. Zu Unrecht habe die Planfest-
stellungsbehörde angenommen, dass nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt. ROG, § 16
Nr. 2 1. Alt. SächsLPlG von einem solchen Verfahren habe abgesehen werden kön-
nen. Ob die Kritik der Antragsteller in der Sache berechtigt ist, kann der Senat offen
lassen; denn da den Antragstellern unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein An-
spruch auf Durchführung eines Raumordnungsverfahrens zustehen kann (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 21. Februar 1973 - BVerwG 4 CB 69.72 - DVBl. 1973, 448
<450>; Cholewa/Dyong/von der Heide/Arenz, Raumordnung in Bund und Ländern,
4. Aufl., § 15, Rn. 19), können sie durch den Verzicht darauf nicht in ihren Rechten
verletzt sein.
2. Eine Verletzung des materiellen Rechts, die einen Anspruch der Antragsteller auf
Aufhebung des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses begründen könnte, ist
nach überschlägiger Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht ersichtlich.
a) Ob die Antragsteller mit ihrem Vortrag zur fehlenden Planrechtfertigung gehört
werden können, erscheint zweifelhaft. Die Planrechtfertigung erfordert eine Prüfung,
ob das Vorhaben mit den Zielen des maßgeblichen Gesetzes, hier des Luftverkehrs-
gesetzes, übereinstimmt (BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2001 - BVerwG 11 C 14.00 -
BVerwGE 114, 364 <375>). Soweit sich die Planungsentscheidung auf ein Vorhaben
bezieht, für das privater Grundbesitz notfalls im Enteignungswege in Anspruch ge-
nommen werden soll, folgt dies aus Art. 14 Abs. 3 Sätze 1 und 2 GG, wonach eine
Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit und nur aufgrund eines Gesetzes zu-
lässig ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 1985 - BVerwG 4 C 15.83 - BVerwGE
71, 166 <168>). Vorliegend steht Art. 14 Abs. 3 GG nicht in Rede, weil die An-
tragsteller nicht enteignungsbetroffen sind. Ob die Planrechtfertigung auch zu prüfen
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ist, wenn die Planung zwar keine enteignungsrechtliche Vorwirkung entfaltet, aber
andere Rechtspositionen der Antragsteller betroffen sind (so z.B. BVerwG, Beschluss
vom 17. Juni 1998 - BVerwG 11 VR 9.97 - Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 14), kann
offen bleiben. Denn im vorliegenden Fall bestehen gegen die Planrechtfertigung
voraussichtlich keine durchgreifenden Bedenken.
Eine Flughafenplanung ist gerechtfertigt, wenn für das beabsichtigte Vorhaben nach
Maßgabe der vom Luftverkehrsgesetz verfolgten Ziele einschließlich sonstiger ge-
setzlicher Entscheidungen ein Bedürfnis besteht, die Maßnahme unter diesem
Blickwinkel also objektiv erforderlich ist. Das ist nicht erst bei Unausweichlichkeit des
Vorhabens der Fall, sondern bereits dann, wenn es vernünftigerweise geboten ist
(vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Juli 1998 - BVerwG 11 A 53.97 - BVerwGE 107, 142
<145>; stRspr). Hieran gemessen lässt sich dem angefochtenen Planfeststellungs-
beschluss die Planrechtfertigung nach vorläufiger Einschätzung nicht absprechen.
Für den Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle zu einem zentralen Knotenpunkt im
Luftfrachtverkehr besteht ein Bedarf.
aa) Der Einwand der Antragsteller, dass sich zu Gunsten des planfestgestellten Vor-
habens kein vorhandenes Verkehrsbedürfnis anführen lasse, sondern ein solches
erst geweckt werden solle, ist unzutreffend. Obwohl im Planfeststellungsbeschluss
von einer "Angebotsplanung" die Rede ist - verstanden als Planung, für die noch kein
konkreter Bedarfsnachweis erbracht werden kann - und die Bedingungen erörtert
werden, unter denen sie nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zulässig
ist (S. 145), bedient die umstrittene Planung eine aktuell vorhandene Nachfrage. Es
ist zwischen den Beteiligten unstreitig und auch dem Senat seit langem bekannt,
dass die Suche der DHL, eines der großen, weltweit operierenden Express-
dienstleister, nach einem neuen Luftdrehkreuz beim Erlass des Planfeststellungsbe-
schlusses Pate gestanden hat. Die DHL, die zurzeit noch den Flughafen Brüssel als
Drehkreuz nutzt, hatte wegen verschärfter Beschränkungen des dortigen Nachtflug-
betriebs im Vorfeld des Planfeststellungsverfahrens ihr Interesse an einem Stand-
ortwechsel bekundet und sich diesbezüglich auch mit der Beigeladenen in Verbin-
dung gesetzt. Der auf deren Antrag ergangene Planfeststellungsbeschluss sollte die
Voraussetzungen für die Ansiedlung der DHL in Leipzig schaffen und zu verhindern
suchen, dass sich das Unternehmen für den ebenfalls in Erwägung gezogenen
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Standort Vatry in Frankreich entscheidet. Die mit der Planfeststellung verbundene
Erwartung scheint sich zu erfüllen. Die DHL hat nach Ergehen des Planfeststel-
lungsbeschlusses angekündigt, am Flughafen Leipzig/Halle ein Frachtdrehkreuz er-
richten und betreiben zu wollen.
bb) Der - gleichsam hilfsweise - unterbreitete Vortrag der Antragsteller, der Flughafen
Leipzig/Halle könne die Funktion eines Frachtdrehkreuzes auch ohne die plan-
festgestellten Maßnahmen erfüllen, ist nur erheblich, wenn die Nutzung des Flugha-
fens nach seiner Umgestaltung die Antragsteller höheren Lärmbelastungen aussetzt,
als sie ausgesetzt wären, wenn der Flughafen in seiner jetzigen Gestalt als Fracht-
drehkreuz genutzt würde. Die Antragsteller liefern keinen Anhaltspunkt dafür, dass
sich die beabsichtigte Erweiterung der Vorfeldflächen und die Errichtung eines paral-
lelen Rollbahnsystems auf ihre Lärmschutzbelange negativ auswirken können. Der
Senat sieht deshalb keinen Anlass, der im Antrag aufgeworfenen Frage der Erforder-
lichkeit dieser Maßnahmen nachzugehen. Er unterstellt lediglich, dass der Flugbe-
trieb auf der gedrehten und verlängerten SLB Süd für die Antragsteller mit zusätzli-
chem Lärm verbunden ist.
Gegen die Verschwenkung und Verlängerung der SLB Süd können die Antragsteller
nicht mit Erfolg einwenden, mit maximal 113 000 jährlichen Flugbewegungen im
Prognosejahr 2015 sei das erwartete Verkehrsaufkommen so gering, dass es inklu-
sive sämtlicher Frachtflüge ausschließlich über die SLB Nord mit deren Kapazität für
135 000 Flugbewegungen pro Jahr abgewickelt werden könne. Sie lassen dabei die
Anforderungen außer Acht, die an ein Frachtdrehkreuz gestellt werden. Frachtflüge
sind nicht beliebig terminierbar. Damit gewährleistet ist, dass auch über große Ent-
fernungen zu transportierende Frachten den Empfänger am Tag nach der Absen-
dung erreichen, müssen die Transporte in der Nacht durchgeführt werden. Wie das
Gutachten der P. AG vom 31. August 2004 betont, liegt deshalb ein Schlüsselele-
ment in allen Betriebskonzepten der Frachtdienstleister in der nächtlichen Umvertei-
lung der Frachten am Drehkreuz. Hierfür stehen nur wenige Stunden zur Verfügung.
Ausweislich des Gutachtens der P. AG, in dem eine typische logistische Kette dar-
gestellt ist, finden die An- und Abflüge an einem Frachtdrehkreuz üblicherweise in
zwei Zeitfenstern von je eineinhalb Stunden statt, die wegen der eng gefassten Zeit-
vorgaben für die einzelnen Arbeitsschritte eines Transportvorgangs nicht erweiterbar
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sind. Nach der voraussichtlichen Zahl der Flugbewegungen in diesen Stunden be-
stimmt sich, über welche luftseitige Kapazität ein Frachtdrehkreuz verfügen muss.
Die Spitzenbelastungen am Flughafen Leipzig/Halle werden in den Zeiträumen zwi-
schen 0.00 und 1.30 Uhr (Anflüge) und 4.00 bis 5.30 Uhr (Abflüge) erwartet. Um sie
zu bewältigen, ist nach Überzeugung der Planfeststellungsbehörde die Anlegung
eines unabhängig zu betreibenden Parallelbahnsystems erforderlich (PFB S. 673).
Die Behörde folgt insoweit den Einschätzungen der Gesellschaft für Luftverkehrsfor-
schung (GFL), Berlin, und der O. GmbH (OTSD), Bremen. Die im Auftrag der Beige-
ladenen tätig gewordene GFL gibt die Kapazität des vorhandenen Bahnsystems für
den Anflug mit 43 Bewegungen pro Stunde und für den Abflug mit 30 bis 31 Bewe-
gungen an (Endbericht vom 6. Oktober 2003, S. 39, 44). Unter Berücksichtigung ei-
ner Überlagerung der Spitzenstunden durch weitere Flugbewegungen prognostiziert
sie bei konservativer Abschätzung für das Jahr 2015 49 Anflüge zwischen 0.00 und
1.00 Uhr und 48 Abflüge zwischen 4.00 und 5.00 Uhr und bei optimistischer Ein-
schätzung 60 An- und 49 Abflüge (Endbericht, S. 45). Sie gelangt daher zu dem Be-
fund, dass die zu erwartenden Verkehre mit dem bestehenden Bahnsystem nicht
bewältigt werden können. Die vom Antragsgegner zur Überprüfung des GFL-
Gutachtens eingesetzte OTSD hat zwar andere Werte für die vorhandene An- und
Abflugkapazität (35/39 - 40) ermittelt, in Erwartung von maximal 57 Anflügen in der
Stunde ab 0.00 Uhr und 48 Abflügen in der Stunde ab 4.00 Uhr jedoch die Einschät-
zung der GFL im Ergebnis bestätigt. Im Bericht vom 10. September 2004 heißt es
zusammenfassend, dass die Kapazität des heutigen Start- und Landebahnsystems
sowohl bezüglich der geforderten Anzahl von Landungen als auch bezüglich der An-
zahl der geforderten Starts absolut unzureichend und der Neubau der SLB Süd unter
den vorgegebenen Annahmen für den Betrieb eines Fracht-Hubs als unabdingbar
anzusehen sei (S. 34).
Nach vorläufiger Einschätzung hält der Senat jedenfalls das OTSD-Gutachten für
valide. Die Analyse der OTSD beruht auf einem langjährig erprobten Simulationssys-
tem, dessen Zuverlässigkeit auch die Antragsteller nicht in Frage stellen. Sie be-
mängeln, dass die Gutachter das im Jahr 2015 erwartete Verkehrsaufkommen dem
von der Beigeladenen entwickelten Prognoseflugplan entnommen haben, dem eine
unrealistisch hohe Anzahl von Flugbewegungen zu Grunde liege. Ihre Kritik erscheint
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zwar nicht aus der Luft gegriffen, wird voraussichtlich im Ergebnis aber nicht durch-
schlagen. Die OTSD hat sich von der Beigeladenen versichern lassen, dass die
Ausgangsdaten im Prognoseflugplan dieselben seien, die "auch in anderen Gutach-
ten - insbesondere der vom Flughafen in Auftrag gegebenen Studie der Gesellschaft
für Luftverkehrsforschung (GFL) - verwendet wurden" (Abschlussbericht S. 9). Dass
die OTSD die Angaben aus dem Prognoseflugplan in ihr Simulationsmodell einge-
stellt hat, ist nicht von vornherein unbedenklich; denn die von der GFL ermittelten
Daten, denen die Annahme einer jährlichen Marktexpansion im Luftfrachtverkehr
zwischen 4,5 und 6 % zu Grunde liegt (Endbericht S. 30), sind nicht über jeden Zwei-
fel erhaben. Die P. AG, die vom Beklagten mit der Verifikation des GFL-Gutachtens
beauftragt worden ist, hat in dem Gutachten Schwächen ausgemacht und die darin
enthaltene Luftfrachtprognose nur verhalten gebilligt. Für das Eilverfahren genügt
dem Senat freilich das Fazit der P. AG, dass nach der nicht kontinuierlichen, aber
insgesamt sehr positiven Entwicklung am Flughafen Leipzig/Halle während der letz-
ten zehn Jahre die Prognose der GFL "nicht unplausibel" sei, aber sicherlich ein akti-
ves Marketing seitens der Flughafenverwaltung voraussetze (Schlussbericht S. 32).
Wie der Einsatz für die Ansiedlung der DHL zeigt, ist die Beigeladene bereit, die für
das Erreichen der avisierten Wachstumsraten erforderlichen Anstrengungen zu un-
ternehmen.
Zur Bewältigung der erwarteten Flugbewegungen innerhalb der nächtlichen Zeitfens-
ter reicht das bestehende Bahnensystem nicht aus. Dies wird im OTSD-Gutachten im
Einzelnen dargelegt. Die gegen die Kapazitätsanalyse erhobenen Einwände er-
weisen sich bei summarischer Prüfung als nicht stichhaltig.
Die Antragsteller tragen unter Bezugnahme auf die von ihnen initiierte fachgutachter-
liche Stellungnahme der fdc … & Partners vom 2. Januar 2005 vor, dass die OTSD
die Kapazität des derzeitigen Bahnensystems zu gering eingeschätzt habe. Nach
dem von der ICAO herausgegebenen Airport Planning Manual Part I verfüge ein
System mit konvergierenden Bahnen, wie es am Flughafen Leipzig/Halle vorhanden
sei, über eine Kapazität von 50 bis 60 Flugbewegungen pro Stunde. Diese Kapazität
genüge, um die für das Jahr 2015 erwarteten 48 bis 49 Flugbewegungen je spitzen-
belasteter Stunde abzuwickeln. Die OTSD hat der Behauptung in der fdc-
Stellungnahme schlüssig widersprochen: Der von der fdc zitierte Wert stamme aus
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dem Jahr 1987 und sei veraltet, weil er nicht die heutigen Verfahren, Vorschriften und
Strukturen des Luftverkehrs berücksichtige. Zudem werde im begleitenden Text
ausdrücklich darauf hingewiesen und von der fdc verschwiegen, dass "…intersecting
or open V runways are not generally recommended for the purpose of increasing ca-
pacity…" In anderem Zusammenhang hat die OTSD hervorgehoben, dass ihre
Simulation, für die ein elektronisches Modell der Bodeninfrastruktur sowie des Luft-
raums in einem Bereich von ca. 30 Nautischen Meilen um den Flughafen Leip-
zig/Halle Verwendung gefunden hat, Werte ergeben habe, die als wesentlich reali-
tätsnäher einzustufen seien als durch eine mathematische Durchschnittsbetrachtung
ermittelte Pauschalwerte.
In das Simulationsmodell der OTSD ist der Ist-Zustand des Flughafens Leipzig/Halle
im Jahr 2004 eingestellt worden, der u.a. dadurch gekennzeichnet ist, dass die SLB
Süd wegen ihrer Länge von 2 500 m und ihres schlechten Ausbauzustandes nur für
Flugzeuge mit einem Gesamtgewicht von unter 30 Tonnen zur Verfügung steht. Die
Antragsteller meinen, dass sich mit einer Reparatur der SLB Süd mögliche Kapazi-
tätsengpässe beseitigen ließen. Das trifft nicht zu. Eine Sanierung der SLB Süd ist
kein gleichwertiger Ersatz für die planfestgestellte Maßnahme. Die Antragsteller ge-
hen in ihrer Antragsbegründung (S. 95) selbst davon aus, dass die im Prognose-
flugplan aufgeführten Luftfahrzeuge der Typen B 747, B 767 und MD 11 Startstre-
cken zwischen 2 925 und 3 320 m benötigen. Für Luftfahrzeuge der Typen A 300,
A 330 und B 757 reicht eine Startstrecke von 2 500 m nach Angaben der OTSD le-
diglich bei optimalen Wetterbedingungen aus. Es versteht sich von selbst, dass die
Planfeststellungsbehörde unter diesen Umständen einer Verlängerung der vorhan-
denen SLB Süd ihre Zustimmung erteilen durfte. Im Übrigen würde die von den An-
tragstellern favorisierte Ertüchtigung der bestehenden SLB Süd nicht den kapazi-
tätsbeschränkenden Mangel beheben, dass sich in der Hauptbetriebsrichtung West
die Abflugwege und in der Betriebsrichtung Ost die Anfluggrundlinien von Nord- und
Südbahn in geringer Entfernung zum Flughafen schneiden. Diesem Missstand lässt
sich nur durch die Drehung einer Bahn abhelfen. Dafür kommt ernsthaft nicht die erst
im Jahr 1997 planfestgestellte, 3 600 m lange SLB Nord, sondern nur die in den Jah-
ren 1959/1960 angelegte, inzwischen marode SLB Süd in Frage. Ob sich deren
Verschwenkung nicht nur mit der Herstellung der Kreuzungsfreiheit der An- und Ab-
flugwege, sondern auch mit der Schaffung der Voraussetzungen für einen bislang
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nicht möglichen Instrumentenflugbetrieb nach CAT III rechtfertigen lässt, kann da-
hinstehen.
Der an die Gutachter der OTSD gerichtete Vorwurf der Antragsteller, die rechneri-
sche Verspätungsfunktion von vier Minuten unberücksichtigt gelassen und dadurch
die Kapazität des Flughafens heruntergerechnet zu haben, um eine hohe Verspä-
tungsrate zu ermitteln und das umstrittene Vorhaben zu rechtfertigen, erschließt sich
dem Senat nicht. Er dürfte auf einem Missverständnis des von der OTSD angewand-
ten Vier-Minuten-Verspätungskriteriums beruhen. Mit diesem Kriterium hat es, ver-
einfacht ausgedrückt, folgendes auf sich: Die OTSD hat in ihrer Simulation den
Prognoseflugplan virtuell abgewickelt und ist bei der Auswertung der Ergebnisse da-
von ausgegangen, dass bei mittleren An- und Abflugverzögerungen von bis zu vier
Minuten, die in der betrieblichen Praxis international akzeptiert werden, der Flugplan
als eingehalten gilt. Aus der Tatsache, dass je nach Bahn, Betriebsrichtung und Be-
triebsstunde Durchschnittsverspätungen zwischen 4:26 und 31:17 Minuten aufgetre-
ten sind, hat sie den Schluss gezogen, dass die vorhandene Kapazität des Flugha-
fens nicht ausreicht, um das prognostizierte Verkehrsaufkommen verzögerungsfrei
abzuwickeln. Das leuchtet unmittelbar ein.
Zu Unrecht bestreiten die Antragsteller den Bedarf für den Ausbau des Flughafens
Leipzig/Halle zum Frachtdrehkreuz mit der Erwägung, andere Flughäfen - etwa
Frankfurt/Main, Köln-Bonn oder Hahn - könnten diese Funktion übernehmen und
böten sich dafür auch an. Ob die Antragsteller bei der Untersuchung des Verkehrs-
bedarfs im Rahmen der Planrechtfertigung mit Aussicht auf Erfolg derartige Einwän-
de vorbringen können, obwohl das von der Planfeststellungsbehörde zu überprüfen-
de Vorhaben der von der Beigeladenen als Betreiberin beantragte Ausbau des Flug-
hafens Leipzig/Halle zu einem Drehkreuz des Frachtflugverkehrs ist, kann offen blei-
ben. Denn im Planfeststellungsbeschluss ist sorgfältig begründet (S. 152 f.), warum
die als Alternativen in Betracht kommenden Flughäfen Frankfurt/Main, Köln-Bonn
und Hahn als Standorte für ein Frachtdrehkreuz nicht offenkundig besser geeignet
sind. Dem treten die Antragsteller nicht substanziiert entgegen, sondern beschränken
sich auf die bloße Behauptung, die Bewertung der Vergleichsflughäfen sei "falsch"
(fdc-Stellungnahme S. 9). Warum sich die Planfeststellungsbehörde mit den
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Konkurrenzflughäfen Hannover und Berlin-Schönefeld hätte befassen müssen, wird
ebenfalls nicht dargelegt.
b) Kein Zweifel besteht daran, dass die Antragsteller als lärmbetroffene Anwohner
befugt sind, die Verletzung des luftverkehrsrechtlichen Abwägungsgebots (§ 8 Abs. 1
Satz 2 LuftVG) geltend zu machen. Das Bundesverwaltungsgericht geht in ständiger
Rechtsprechung davon aus, dass der von einer Planung Betroffene ein Recht darauf
hat, dass seine beachtlichen Belange in der Abwägung fehlerfrei behandelt werden
und die fachplanungsrechtlichen Abwägungsvorschriften insoweit drittschützende
Wirkung haben (vgl. statt aller Urteil vom 24. September 1998 - BVerwG 4 CN 2.98 -
BVerwGE 107, 215 <220 ff.>). Die Antragsteller können deshalb gerichtlich prüfen
lassen, ob ihre Lärmschutzbelange mit dem ihnen zustehenden Gewicht in die pla-
nerische Abwägung des Antragsgegners eingestellt und mit den für das Vorhaben
sprechenden öffentlichen und privaten Belangen in einen Ausgleich gebracht worden
sind, der zur objektiven Gewichtigkeit ihrer Belange nicht außer Verhältnis steht (vgl.
BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2001 - BVerwG 11 C 14.00 - a.a.O. <367>). Wegen
§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO können sie nach der Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Ur-
teil vom 14. Februar 1975 - BVerwG 4 C 21.74 - BVerwGE 48, 56 <65 f.>) freilich
nicht beanspruchen, dass zu ihren Gunsten auch die vorhabenfeindlichen öffentli-
chen Belange oder die gegen das Vorhaben sprechenden privaten Belange Dritter
berücksichtigt werden, selbst wenn diese den ihrigen gleichartig oder doch zumindest
vergleichbar sind. Einer Anreicherung des Gewichts der gegen einen Plan vor-
gebrachten eigenen Belange durch die Summierung mit dem Gewicht entsprechen-
der fremder Belange hat der Senat bislang eine Absage erteilt.
Die Abwägungskontrolle wird voraussichtlich zu Lasten der Antragsteller ausfallen.
Die für das Vorhaben streitenden öffentlichen Interessen überwiegen das private
Interesse der Antragsteller an seiner Verhinderung. Den Antragstellern ist zuzumu-
ten, sich mit passivem Lärmschutz zu begnügen.
aa) Für das Ausbauvorhaben sprechen mehrere öffentliche Interessen. Neben dem
öffentlichen Verkehrsinteresse an der zielgerichteten Schaffung von Kapazitäten für
den Luftfrachtverkehr schlägt zu Gunsten des Vorhabens zu Buche, dass es eine
nicht unerhebliche Zahl von Arbeitsplätzen generiert und die Chance eröffnet, als
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Kristallisationspunkt für Folgeansiedlungen von Gewerbe- und Dienstleistungsbetrie-
ben zu dienen und so für eine nachhaltige Verbesserung der Wirtschaftsstruktur zu
sorgen (PFB S. 674). Die Frage, ob und inwieweit das öffentliche Interesse auch mit
der Übereinstimmung des Vorhabens mit dem Entwurf des Flughafenkonzepts der
Bundesregierung vom 30. August 2000 begründet werden kann, ist von untergeord-
neter Bedeutung und lässt sich vorliegend vernachlässigen.
Die Planfeststellungsbehörde hat das Gewicht der öffentlichen Interessen, nament-
lich soweit es die Sekundäreffekte betrifft, nicht überbewertet. Der Prognose des In-
stituts für Strukturpolitik und Wirtschaftsförderung … e.V. (isw) in der Kurzanalyse zu
regionalökonomischen Effekten der möglichen Erweiterung von Luftfrachtkapazitäten
am Flughafen Leipzig/Halle ist sie nicht gefolgt. Sie ist weder davon ausgegangen,
dass infolge des Ausbaus des Flughafens zum Luftfrachtkreuz im Jahr 2010 3 000
Arbeitsplätze entstanden sein werden, noch hat sie angenommen, dass sich ein ein-
kommensinduzierter Nachfrageeffekt von 242 Mio. € einstellen wird. Vielmehr hat sie
mit der P. AG die Studie des isw einer kritischen Würdigung unterzogen, die Werte
des isw als wohl "deutlich" überhöht angesehen und ihrer Entscheidung eine pessi-
mistischere Einschätzung der Entwicklung zu Grunde gelegt (PFB S. 161). Auf kon-
krete Zahlen brauchte sie sich nicht festzulegen. Es reicht aus, dass die ungefähre
Größenordnung erkennbar wird, von der die Planfeststellungsbehörde ausgegangen
ist.
Keinen Bedenken unterliegt es, dass die Planfeststellungsbehörde aufgrund eigener
Einschätzung und ohne Absicherung durch ein Gutachten die Erwartung hegt, schon
die bloße Existenz eines Frachtverkehrszentrums am Flughafen Leipzig/Halle werde
den gesamten regionalen Wirtschaftsraum in ökonomischer Hinsicht aufwerten und
ein positives Geschäfts- und Investitionsklima mit entsprechenden Beschäftigungsef-
fekten schaffen. Sie durfte sich - mit der Einschränkung einer nicht vollen Übertrag-
barkeit der Verhältnisse - an der Entwicklung am Flughafen München orientieren,
dessen Fertigstellung in einer einst abgelegenen Region nahezu zur Vollbeschäfti-
gung geführt hat. Auch durfte sie die Aussage im Gutachten der P. AG, namhafte
Unternehmen der Luftverkehrsbranche schätzten den Verkehrsflughafen Leipzig/
Halle als interessanten Standort ein, dessen Entwicklung man sehr genau beobach-
te, als Fingerzeig dafür werten, dass die Ansiedlung eines oder mehrerer Fracht-
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dienstleister andere Unternehmen der Luftverkehrs- bzw. supplementärer Branchen
nach sich zieht, und auf das Beispiel der Stadt Leipzig verweisen, in der die Errich-
tung zweier Automobilwerke den Zuzug von Zulieferbetrieben zur Folge hat(te).
bb) Die Planfeststellungsbehörde hat nicht verkannt, dass nach Durchführung des
planfestgestellten Vorhabens die östlich des Flughafens gelegenen Ortschaften, in
den die Antragsteller leben, mit einem nicht unerheblichen Anstieg der Fluglärmbe-
lastung insbesondere zur Nachtzeit zu rechnen haben (PFB S. 360 - 362). Dieser
Umstand hat sie aber nicht bewogen, die beantragte Planfeststellung zu versagen
oder zu Gunsten der Lärmbetroffenen wenigstens ein Nachtflugverbot zu verhängen.
Sie hält die verkehrlich und wirtschaftlich begründeten öffentlichen Interessen am
Ausbau des Flughafens einschließlich der damit verbundenen Notwendigkeit eines
nächtlichen Frachtflugbetriebs für so gewichtig, dass sie den Antragstellern zumutet,
sich mit passivem Lärmschutz zu begnügen. Das wird der gerichtlichen Kontrolle
voraussichtlich standhalten.
Die Planfeststellungsbehörde hat die Festsetzung eines Nachtflugverbots erwogen,
davon jedoch mit der Begründung abgesehen, ein solches Verbot würde dem Pla-
nungsziel, den Flughafen Leipzig/Halle so auszubauen, dass er die Funktion eines
auch für die stark expandierenden Express-Frachtdienstleister geeigneten Luft-
frachtknotenpunktes übernehmen könne, diametral entgegen stehen, weil die Luft-
verkehrsgesellschaften, die Expressfrachtverkehr durchführten, existenziell auf
durchgehende Betriebszeiten angewiesen seien (PFB S. 676). Diese Erwägung hat
der Senat hinzunehmen, weil sie sich im Rahmen des planerischen Gestaltungs-
spielraums hält. Ob die Nachfrage nach Nachtflugmöglichkeiten einem berechtigten
Anliegen der Frachtdienstleister und ihrer Kunden entspringt, liegt jenseits richterli-
cher Kontrolle. Eine Bedürfnisprüfung etwa in dem Sinne, dass zu fragen wäre, ob
längere Transportzeiten, die sich bei einer Verlegung der Nachtflüge in die Tages-
randzeiten oder einer Güterbeförderung auf der Straße oder der Schiene ergäben,
den von der Nachtfluggenehmigung Begünstigten zugemutet werden könnten, findet
nicht statt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. April 2005 - BVerwG 4 C 18.03 - zur Veröf-
fentlichung in BVerwGE vorgesehen).
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Keiner Abschätzung bedarf vorliegend, ob das von der Planfeststellungsbehörde
entwickelte und von den Antragstellern für unzulänglich gehaltene Konzept des pas-
siven Lärmschutzes der Überprüfung im Hauptsacheverfahren standhalten wird.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteile vom
7. Juli 1978 - BVerwG 4 C 79.76 - BVerwGE 56, 110 <133> und 18. April 1996
- BVerwG 11 A 86.95 - Buchholz 316 § 78 VwVfG Nr. 6 ; Beschluss vom
30. Juni 2003 - BVerwG 4 VR 2.03 - Buchholz 407.4 § 1 FStrG Nr. 10 ) be-
steht im Fall unzureichender Lärmvorsorge grundsätzlich kein Anspruch auf Plan-
aufhebung, sondern allein auf Planergänzung. § 80 Abs. 5 VwGO knüpft an die Er-
folgsaussichten der Anfechtungsklage an, während die Möglichkeit von Planergän-
zungen, die grundsätzlich nur im Wege der Verpflichtungsklage durchsetzbar sind,
eine Planaufhebung und mithin auch eine Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
nach § 80 Abs. 5 VwGO ausschließt (BVerwG, Beschluss vom 29. Oktober 2001
- BVerwG 4 VR 17.01 - n.v.). Insoweit besteht die Gefahr einer Verkürzung des
Rechtsschutzes nicht; durch den vorläufigen Vollzug des Planfeststellungsbeschlus-
ses können vollendete Tatsachen nicht geschaffen werden, weil der Beschluss auch
nachträglich um weitere Lärmschutzauflagen ergänzt werden kann.
Eine Planaufhebung und damit vorläufiger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO
kämen allerdings - ausnahmsweise - in Betracht, wenn die von den Antragstellern
beklagten Lärmschutzdefizite so gravierend wären, dass sie die Ausgewogenheit der
Planung insgesamt in Frage stellen würden. Dafür tragen die Antragsteller nichts vor.
Da ihre Grundstücke im Nachtschutzgebiet liegen, haben sie einen Anspruch auf
Schallschutzvorrichtungen an Schlafräumen und ggf. auf Belüftungseinrichtungen,
die den im Planfeststellungsbeschluss (S. 23) genannten Anforderungen genügen
müssen. Die Antragsteller halten die Anforderungen für zu gering. Sollten sie damit
im Hauptsacheverfahren Gehör finden, könnte ihren Beanstandungen durch schärfe-
re Auflagen zu Lasten der Beigeladenen abgeholfen werden.
c) Im vorliegenden Eilverfahren besteht keine Veranlassung, in die von den An-
tragstellern angesprochene Schadstoffproblematik einzusteigen. Die Antragsteller
leiten aus ihrem Vortrag, die Belastung der Luft mit Ruß werde im Prognosejahr 2015
nicht - wie im Planfeststellungsbeschluss angenommen (S. 472) - bei maximal
1,44 µg/m³ liegen, sondern möglicherweise über dem als maßgeblich angesehen
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Grenzwert von 1,5 µg/m³, keinen Anspruch auf Aufhebung des Planfeststellungsbe-
schlusses ab, sondern meinen, es sei erforderlich gewesen, "Maßnahmen zur Ver-
ringerung der flughafeninduzierten Rußbelastung in den Blick zu nehmen" (Antrags-
begründung S. 189). Dieses Vorbringen zielt auf die Ergänzung des Planfeststel-
lungsbeschlusses um betriebliche Regelungen nach § 8 Abs. 4 Satz 1 LuftVG. Ihm
braucht hier schon deshalb nicht nachgegangen zu werden, weil Ansprüche auf
Planergänzung in Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht in den Blick zu nehmen
sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO und die Streit-
wertentscheidung auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.
Dr. Paetow Gatz Dr. Philipp
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Luftverkehrsrecht
Fachpresse:
ja
Fachplanungsrecht
Rechtsquellen:
GG
Art. 14
LuftVG
§ 8 Abs. 1 Satz 2
Stichworte:
Planfeststellung; Flughafen; Verkehrsflughafen; Luftfrachtverkehr; Frachtdrehkreuz;
Fracht-Hub; Parallelbahnsystem; Planrechtfertigung; Bedarf; Bedürfnisprüfung;
Prognose; Alternativstandorte; Abwägung; Nachtflugverbot; Lärmschutz; passiver -;
Planergänzung.
Leitsätze:
Der Ausbau eines Verkehrsflughafens zu einem Frachtdrehkreuz und die Zulassung
eines unbeschränkten Nachtflugbetriebs können mit einem bestehenden Bedarf nach
Nachtflugbewegungen im Frachtflugverkehr gerechtfertigt werden. Ob sich die
Planrechtfertigung mit dem Einwand in Frage stellen lässt, andere Flughäfen kämen
vorrangig als Frachtdrehkreuz in Betracht, bleibt offen.
Ob die bestehende Nachfrage nach Nachtflugmöglichkeiten einem berechtigten Inte-
resse der Frachtdienstleister und ihrer Kunden entspringt, liegt jenseits richterlicher
Kontrolle.
Beschluss des 4. Senats vom 19. Mai 2005 - BVerwG 4 VR 2000.05