Urteil des BVerwG vom 06.04.2004

Park, Begriff, Besuch, Vollziehung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 VR 1.04 (4 A 9.04)
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. April 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H a l a m a und G a t z
beschlossen:
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Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Anordnungsver-
fahrens je zur Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Anordnungsver-
fahren auf 25 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I.
Die Antragstellerinnen wenden sich gegen den Planfeststellungsbeschluss des Re-
gierungspräsidiums Leipzig vom 19. Dezember 2003 für den Bau der Bundesauto-
bahn A 38 - Südumgehung Leipzig - 3. Bauabschnitt zwischen der Bundesstraße 2
und der Staatsstraße 38.
Die Antragstellerin zu 1. ist Eigentümerin der Grundstücke ..., ... und ... in der Ge-
markung ... Die Antragstellerin zu 2. betreibt auf den Grundstücken seit dem Jahr
1993 das Einkaufszentrum "Pösna-Park", in dem über 60 Einzelhandelsgeschäfte
untergebracht sind. Es befindet sich an der S 38 (Leipzig-Grimma), die durch die
Ortschaft Großpösna hindurchführt und zusammen mit der von ihr abzweigenden
S 43 auch als Autobahnzubringer zur Anschlussstelle Naunhof der BAB A 14 dient.
Die BAB A 38 verbindet u.a. die BAB A 9 (Berlin-Nürnberg) mit der BAB A 14 (Mag-
deburg-Dresden). Sie wird südlich von Leipzig um das Stadtgebiet herumgeführt. Der
Abschnitt zwischen der BAB A 9 und der BAB A 14 ist in vier Planungsabschnitte
unterteilt. Der dritte Planungsabschnitt beginnt an der B 2 bei Gaschwitz und endet
an der künftigen S 38a bei Leipzig-Liebertwolkwitz. Die S 38a soll im Ortsteil Meus-
dorf der Stadt Leipzig von der S 38 in Richtung Süden abzweigen, südlich der Wie-
sengrundsiedlung einen Anschluss an die querende BAB A 38 erhalten und zwischen
Güldengossa und Großpösna auf die künftige S 43n stoßen, die, in West-
Ost-Richtung verlaufend, als Ersatz für die Kreisstraße 7923 die S 38a mit der
1,8 km entfernten S 38 verbinden soll. In Richtung Süden findet die S 38a ihre Fort-
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setzung in der vorhandenen Kreisstraße 7925, die bei Espenhain auf die B 95 (Leip-
zig-Borna) trifft.
Die Antragstellerinnen haben am 12. Februar 2004 Klage erhoben und den vorlie-
genden Eilantrag gestellt. Sie sind mit dem Standort der Anschlussstelle A 38/S 38a
nicht einverstanden: Er führe zu einer Umlenkung der Verkehrsströme mit der Folge
eines Kunden- und Umsatzrückgangs zwischen 20 und 23 v.H. Diese Einbuße werde
kurz- bis mittelfristig zum Ruin des Pösna-Parks führen. Sie, die Antragstellerinnen,
hätten im Rahmen der Anhörung einen Alternativvorschlag des Stadtplaners und
Architekten T. vorgestellt, der eine Verschiebung der Anschlussstelle um ca. 1,3 km
in östliche Richtung vorsehe, die wirtschaftlichen Risiken für den Fortbestand des
Einkaufszentrums mindestens reduziere und gleichzeitig die Vorteile der geplanten
Variante sichere. Die Alternative habe sich der Planfeststellungsbehörde als vor-
zugswürdig aufdrängen müssen.
II.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1
VwGO hat keinen Erfolg. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des
angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses überwiegt das private Interesse der
Antragstellerinnen, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens von Vollzugsmaß-
nahmen verschont zu bleiben. Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtsla-
ge bietet die erhobene Anfechtungsklage keine begründete Aussicht auf Erfolg. Nach
dem gegenwärtigen Kenntnisstand des Gerichts verletzt der Planfeststellungs-
beschluss die Antragstellerinnen nicht in ihren Rechten. Insbesondere leidet er nicht
zu ihren Lasten an einem erheblichen (vgl. § 17 Abs. 6c Satz 1 FStrG) Abwägungs-
fehler. In dieser Situation würde es dem mit § 5 Abs. 2 Satz 1 VerkPBG verfolgten
Beschleunigungszweck zuwiderlaufen, der Planfeststellungsbehörde die ihr vom Ge-
setzgeber eingeräumte Möglichkeit der sofortigen Vollziehung allein mit Rücksicht
darauf zu entziehen, dass sich die Antragstellerinnen im Klagewege gegen das Vor-
haben zur Wehr setzen.
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Den Antragstellerinnen steht keine gefestigte Rechtsposition auf eine ihren Vorstel-
lungen entsprechende Anordnung der Anschlussstelle A 38/S 38a zu. Sie müssen es
im Grundsatz hinnehmen, wenn die umstrittene Planung eine Verschlechterung der
für den Pösna-Park bestehenden Verkehrslage herbeiführt. Nach ständiger Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist ein etwaiges Vertrauen in den Bestand
oder Fortbestand einer bestimmten Markt- oder Verkehrslage regelmäßig kein für die
Fachplanung unüberwindlicher Belang (vgl. Beschluss vom 9. November 1979
- BVerwG 4 N 1.78, 4 N 2-4.79 - BVerwGE 59, 87 <102 f.>; Beschluss vom 11. Mai
1999 - BVerwG 4 VR 7.99 - Buchholz 407.4 § 8a FStrG Nr. 11; Urteil vom 28. Januar
2004 - BVerwG 9 A 27.03 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).
Dies bedeutet nicht, dass die Anliegerinteressen der Antragstellerinnen rechtlich
nicht zu Buche schlagen. Sie sind, sofern sie nicht als geringfügig ausnahmsweise
außer Betracht zu bleiben haben, in die Abwägung einzustellen. Die Planfeststel-
lungsbehörde hat dies in einer Weise getan, die jedenfalls im Eilverfahren zu Bean-
standungen keinen Anlass gibt.
Die Antragstellerinnen machen als Abwägungsfehler geltend, dass die Planfeststel-
lungsbehörde die wirtschaftlichen Auswirkungen auf den Betrieb des Einkaufszent-
rums "Pösna-Park" unterschätzt habe. Die Behörde habe verkannt, dass der geplan-
te Standort der Anschlussstelle A 38/S 38a eine Existenz vernichtende Umlenkung
der Verkehrsströme zur Folge haben werde. Die Annahme im Planfeststellungsbe-
schluss, die Verminderung des Verkehrsaufkommens auf der S 38 führe nur zu ei-
nem Rückgang in der Kundenzahl, der keine Existenz gefährdenden Ausmaße an-
nehme, sei unzutreffend. Nach der von ihnen bei Prof. M. in Auftrag gegebenen Ver-
kehrsuntersuchung vom 30. Mai 2003 sei mit einer Reduzierung des Kundenstroms
und einem entsprechenden Umsatzrückgang von mindestens 23 v.H. an Wochenta-
gen und 21 v.H. an Sonnabenden zu rechnen. Existenz gefährdend seien bereits
Umsatzverluste von 10 bis 20 v.H.
Die von den Antragstellerinnen befürchteten Einbußen an Kundschaft und Einnah-
men erscheinen in der behaupteten Dimension nicht plausibel. Für eine Abnahme
des Zielverkehrs sieht der Senat keinen greifbaren Anhalt. Der Begriff des Zielver-
kehrs erfasst die Gruppe derjenigen Kunden, die den Pösna-Park ansteuern und
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nach einer mehr oder minder langen Verweildauer wieder in die Ausgangsrichtung
zurückfahren. Für den Zielverkehr ändert sich durch den Bau der geplanten An-
schlussstelle nichts. Das sieht Prof. M. für den Verkehr aus Richtung Grimma ge-
nauso, gilt entgegen seiner Einschätzung aber auch für den Verkehr aus Richtung
Leipzig. Die Teilnehmer an diesem Verkehr können nach wie vor die S 38 benutzen
und sind nicht auf den längeren und angeblich etwas zeitraubenderen Umweg über
die S 38a/43n angewiesen. Die Erwartung, für sie werde sich auch die Fahrzeit auf
der S 38 mit der Folge verlängern, dass andere Einkaufsmöglichkeiten bevorzugt
würden, beruht auf der Prämisse von Prof. M., nach Inbetriebnahme der S 38a werde
der Abschnitt der S 38 in der Ortslage Liebertwolkwitz verkehrsberuhigenden
Maßnahmen zugeführt. Im Planfeststellungsbeschluss heißt es dazu, es gebe für
solche Maßnahmen keine Anhaltspunkte. Dem treten die Antragstellerinnen nicht
entgegen.
Ein nennenswerter Rückgang des Kundenaufkommens ist nach derzeitiger Ein-
schätzung auch nicht im Bereich des gebrochenen Durchgangsverkehrs zu erwarten.
Mit dem Begriff des gebrochenen Durchgangsverkehrs wird die Gruppe derjenigen
Kunden (namentlich Pendler) beschrieben, die ihre Fahrt für einen Besuch des Pös-
na-Parks unterbrechen und anschließend ihre Fahrt zu ihrem Ziel fortsetzen. Der
Kundenstrom auf der S 38 aus dem Raum Grimma wird durch die vorgesehene An-
schlussstelle nicht beeinflusst. Gleiches gilt für Kunden aus Richtung Leipzig, die
hinter Großpösna weiterhin die S 38 befahren und nicht in die S 43 einbiegen, um zur
Anschlussstelle Naunhof der A 14 zu gelangen. Dass Kunden verloren gehen
können, die, aus Leipzig kommend, bislang die S 38 und S 43 als Zubringer zur A 14
nutzen, ist vom Antragsgegner in Rechnung gestellt worden. Für sie ist die neue
Verbindung in der Tat eine Alternative. Es ist allerdings nicht damit zu rechnen, dass
sich bisherige Kunden in einer signifikanten Anzahl davon abhalten lassen, an Ta-
gen, an denen Einkäufe anstehen, ihre alte Route zur A 14 zu nehmen und auf ihrer
Fahrt einen Abstecher in den Pösna-Park zu machen; denn da die Verbindungen zur
A 14 über die S 38a/A 38 einerseits und die S 38/S 43 andererseits in etwa die glei-
che Streckenlänge aufweisen, kann die Wahl des neuen Zubringers nur einen Zeit-
gewinn mit sich bringen. Dass dieser nicht zu einer nachhaltigen Verlagerung der
Verkehrsströme führt, leitet der Senat aus der Äußerung in der Verkehrsuntersu-
chung von Prof. M. ab, "die Probleme (lägen) nicht bei der A 38". Prof. M. sieht die
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wirtschaftlichen Nachteile für den Pösna-Park primär in der Verlagerung des Nord-
Süd-Verkehrs auf die S 38a/K 7925. Seine Befürchtung, die bisherige Laufkundschaft
werde "weiträumig" am Pösna-Park vorbeigeleitet, liegt freilich eher fern. Die S 38a
stellt zusammen mit der K 7925 eine relativ gradlinige Verbindung zwischen Leipzig
und der B 95 bei Espenhain her. Sie dürfte keinen Kraftfahrzeugverkehr binden, der
bislang auf der S 38 am Pösna-Park vorbeiführt. Kraftfahrer aus Leipzig, die den
Raum Grimma ansteuern wollen, werden weiterhin den direkten Weg über die S 38
und nicht den Umweg über die S 38a und diverse Kreisstraßen wählen; Kraftfahrer
aus Leipzig mit dem Fahrziel Espenhain/B 95 (und umgekehrt) werden, wenn sie
nicht ohnehin die gut ausgebaute B 2 nutzen, sich schon jetzt für Straßenverbin-
dungen abseits des Pösna-Parks entscheiden, nämlich entweder für die Route
K 6523/K 7923/K 7925 oder für die Strecke K 6525/K 7925. Im Übrigen würde die
von den Antragstellerinnen gewünschte Verschiebung der Anschlussstelle in östliche
Richtung nicht verhindern können, dass Kraftfahrer zwischen Leipzig und Espen-
hain/B 95 die S 38 meiden; denn auch das Konzept des Architekten und Stadtplaners
T. sieht eine Verknüpfung der S 38a mit der K 7925 südlich der Wiesengrundsiedlung
vor.
Nach Angaben der Antragstellerinnen handelt es sich bei den Kunden, die dem Ziel-
verkehr und dem gebrochenen Durchgangsverkehr zuzurechnen sind, um Stamm-
kunden. Ihren Anteil am gesamten Kundenaufkommen beziffern die Antragstellerin-
nen mit 97 v.H. Das bedeutet, dass nur ein geringer Prozentsatz der Kundschaft aus
"Zufallskunden" besteht. Soweit es sich dabei nicht um Personen handelt, die ohne-
hin die S 38 als Fahrtweg wählen, werden diese Kunden im Wesentlichen Durchrei-
sende sein, die auf dem Weg von oder zur Anschlussstelle Naunhof der A 14 das
Gelände des Pösna-Parks passieren. Mit diesem Kundenkreis wird der Pösna-Park
zukünftig nicht mehr rechnen können. Das dürfte aber mehr an der Existenz der A 38
und weniger am Standort der Anschlussstelle liegen. Deren von den Antragstellerin-
nen favorisierte Lage mag allenfalls Kraftfahrer ansprechen, die, von der A 14 kom-
mend, im Vorbeifahren auf den Pösna-Park aufmerksam werden, und ihre Entschei-
dung für einen Besuch von der Entfernung der nächsten Abfahrt abhängig machen.
Ihre Anzahl wird gering sein.
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Vorbehaltlich anderweitiger Erkenntnisse im Verfahren zur Hauptsache geht der Se-
nat mit der Planfeststellungsbehörde davon aus, dass die Verortung der Anschluss-
stelle A 38/S 38a keinen wesentlichen Einfluss auf die für den wirtschaftlichen Erfolg
des Pösna-Parks maßgeblichen Verkehrsströme hat und die im Planfeststellungsbe-
schluss als wahr unterstellten Umsatzeinbußen keine Existenz gefährdenden Aus-
maße annehmen. Der Verzicht auf die Verschiebung der Anschlussstelle zur Verrin-
gerung der Verluste in einer realistischen Größenordnung begründet keinen Abwä-
gungsfehler. Im Planfeststellungsbeschluss sind die Gesichtspunkte, die für und ge-
gen die in das Verwaltungsverfahren eingebrachte Alternativplanung der Antragstel-
lerinnen sprechen, mit vertretbarem Ergebnis gewichtet und gegeneinander abge-
wogen worden (S. 295 f.). Mit der erst im Eilverfahren vorgestellten weiteren Pla-
nungsvariante lässt sich die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses nicht
in Frage stellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1
ZPO und die Streitwertentscheidung auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 20 Abs. 3 GKG.
Dr. Paetow
Halama
Gatz