Urteil des BVerwG vom 07.01.2004

Befangenheit, Wehr, Regierung, Menschenrechte

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 PKH 5.03
VGH 14 B 97.47
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. Januar 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H a l a m a und
Prof. Dr. R o j a h n
beschlossen:
Der Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
wird abgelehnt.
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Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtli-
che Kosten werden nicht erstattet.
G r ü n d e :
Der Antrag der Kläger auf Gewährung von Prozesskostenhilfe hat keinen Erfolg. Die
in § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO normierten Bewilligungsvoraussetzungen liegen
nicht vor. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf
Erfolg.
Soweit die Kläger sich dagegen zur Wehr setzen, dass ihnen das Berufungsgericht
die Gewährung von Prozesskostenhilfe versagt hat, können sie weiteren Rechts-
schutz schon deshalb nicht erlangen, weil der Ablehnungsbeschluss der Vorinstanz
vom 24. Juni 2003 nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar ist. Ohne Änderung der
Sach- oder Rechtslage war das Berufungsgericht nicht verpflichtet, erneut vorab über
die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu entscheiden, bevor es zur Hauptsache
eine Entscheidung traf.
Im Übrigen sind die Erfolgsaussichten negativ einzuschätzen, weil sich aus dem Vor-
bringen der Kläger nicht ergibt, dass die Revision aus einem der in § 132 Abs. 2
VwGO genannten Gründe zuzulassen sein könnte.
Die Kläger zeigen keinen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO
auf. Die Rüge nicht vorschriftsmäßiger Besetzung greift nicht durch. Ein Gericht ist
nur dann nicht vorschriftsmäßig besetzt, wenn willkürliche oder manipulative Erwä-
gungen für den als Mangel beanstandeten Vorgang bestimmend gewesen sind (vgl.
BVerwG, Beschlüsse vom 25. September 1987 - BVerwG 9 CB 59.87 - Buchholz 310
§ 133 VwGO Nr. 72 und vom 31. Oktober 1994 - BVerwG 8 B 112.94 - Buchholz 310
§ 54 VwGO Nr. 51). Die Richter Dr. Z., D. und H. waren indes nicht wegen Besorgnis
der Befangenheit daran gehindert, an der angefochtenen Entscheidung mitzuwirken.
Sie waren befugt, bei dieser Gelegenheit selbst über das Ablehnungsgesuch der
Kläger vom 10. September 2003 zu entscheiden. Werden Richter wegen Besorgnis
der Befangenheit abgelehnt, so entscheidet zwar nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 45
Abs. 1 ZPO das Gericht, dem die Abgelehnten angehören, ohne deren Mitwirkung.
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Dieser Grundsatz lässt indes Ausnahmen zu, wenn das Ablehnungsrecht
missbräuchlich in Anspruch genommen wird (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom
28. September 1982 - BVerwG 2 CB 35.80 -, vom 31. Oktober 1994 - BVerwG 8 B
112.94 - und vom 7. August 1997 - BVerwG 11 B 18.97 - Buchholz 310 § 54 VwGO
Nrn. 30, 51 und 57).
§ 54 VwGO und die Bestimmungen der Zivilprozessordnung, die im Verwaltungspro-
zess entsprechend anzuwenden sind, dienen vor allem der Wahrung der Unpartei-
lichkeit der Rechtsprechung und der Gewährleistung eines fairen Verfahrens. Inso-
weit decken sie sich mit dem in Art. 6 EMRK statuierten Recht auf ein unparteiliches
Gericht. Vor dem Hintergrund dieses Schutzzwecks ist eine Richterablehnung als
offensichtlich rechtsmissbräuchlich anzusehen, wenn für sie Gründe ins Feld geführt
werden, die keinen Bezug zu der Person der abgelehnten Richter aufweisen oder
unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet sind, die Besorgnis der Befangen-
heit zu rechtfertigen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 25. September 1987 - BVerwG
9 CB 59.87 - a.a.O. und vom 13. Juni 1991 - BVerwG 5 ER 641.90 - Buchholz 310
§ 138 Ziff. 1 VwGO Nr. 28). Ein solcher Fall muss zwar nicht stets vorliegen, wenn
sämtliche Mitglieder eines Spruchkörpers abgelehnt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom
5. Dezember 1975 - BVerwG 6 C 129.74 - BVerwGE 50, 36; Beschluss vom 3. April
1997 - BVerwG 6 AV 1.97 - Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 55). Der von den Klägern
kritisierte Prozesskostenhilfebeschluss vom 24. Juni 2003 bot aber bei vernünftiger
Würdigung der Umstände keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die mitwirkenden
Richter bei ihrer Entscheidung von unsachlichen Erwägungen hatten leiten lassen,
die auf eine Voreingenommenheit hätten schließen lassen können. Dass die Kläger
die vom Gericht geäußerte Rechtsauffassung nicht teilten, vermochte für sich ge-
nommen noch keine Besorgnis der Befangenheit zu begründen (vgl. BVerwG, Be-
schlüsse vom 7. September 1989 - BVerwG 2 B 109.89 - Buchholz 310 § 54 VwGO
Nr. 41, vom 13. Juni 1991 - BVerwG 5 ER 614.90 - a.a.O. und vom 31. Oktober 1994
- BVerwG 8 B 112.94 - a.a.O.). Ihr gleichwohl eingereichtes Ablehnungsgesuch wur-
de mit der Begründung, es gebe keine Anzeichen, die auf eine objektiv willkürliche
Beurteilung ihres Prozesskostenhilfeantrags hindeuteten, durch Beschluss vom
11. August 2003 abgelehnt. Diese Entscheidung wurde in Anwendung des § 54
Abs. 1 VwGO i.V.m. § 45 Abs. 1 ZPO ohne Mitwirkung der abgelehnten Richter von
den nach der Geschäftsverteilung des Verwaltungsgerichtshofs für den Fall der Ver-
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hinderung zuständigen Richtern des 15. Senats in Kenntnis der dienstlichen Äuße-
rungen der Abgelehnten getroffen. Ungeachtet dieses Beschlusses nahmen die Klä-
ger, ohne neue Gesichtspunkte anzuführen, die Ladung zum Verhandlungstermin
vom 15. September 2003 zum Anlass "die Richter Dr. Z., D. und H. erneut wegen
Verstoß gegen § 47 ZPO durch Anberaumung eines Termins" abzulehnen. Wird
nicht ein einzelner Richter, sondern das ganze Kollegium abgelehnt, so ist das Ge-
richt - jedenfalls bei einer auf unterschiedliche Rechtsansichten gestützten wieder-
holten Ablehnung - in der Besetzung mit den abgelehnten Richtern zu einer Ent-
scheidung über das Ablehnungsgesuch befugt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom
7. Oktober 1987 - BVerwG 9 CB 20.87 - Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 31,
vom 30. Dezember 1993 - BVerwG 1 B 154.93 - Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 50
und vom 7. August 1997 - BVerwG 11 B 18.97 - a.a.O.).
Die Kläger zeigen auch keine Zulassungsgründe im Sinne des § 132 Abs. 2 Nrn. 1
und 2 VwGO auf.
Soweit sie dem Berufungsgericht vorhalten, sich über Entscheidungen des Bundes-
gerichtshofs, des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften und des Europä-
ischen Gerichtshofs für Menschenrechte hinweggesetzt zu haben, kommt eine Revi-
sionszulassung auf der Grundlage des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht in Betracht, da
eine Divergenz im Sinne dieser Bestimmung nur gegeben ist, wenn das Urteil von
einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der
obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht.
Auch für eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO gibt ihr Vorbringen nichts her. Der Senat hätte keinen Anlass, sich in
einem etwaigen Revisionsverfahren mit den angesprochenen Problemen auseinan-
der zu setzen.
Auf die Frage, ob der Widerspruchsbescheid der Regierung von Mittelfranken den
Klägern bereits am 15. oder erst am 17. Oktober 1994 zugestellt worden ist, käme es
nicht an. Das Berufungsgericht hat nicht in Abrede gestellt, dass der Klageschriftsatz
vom 12. November 1994 "am 17. November 1994 noch rechtzeitig innerhalb eines
Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids jeweils an beide Kläger … beim
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Verwaltungsgericht eingegangen" ist (UA S. 11). Wenn es gleichwohl die auf
Erteilung einer Abbrucherlaubnis gerichtete Klage als unzulässig abgewiesen hat,
dann beruht dies darauf, dass sich die Kläger vor Ablauf der Klagefrist nicht im Kla-
gewege gegen die Versagung der Abbrucherlaubnis zur Wehr gesetzt, sondern le-
diglich begehrt haben, dass der Ablehnungsbescheid vom 6. Oktober 1994 um eine
Entschädigungsregelung "ergänzt" werde. Nach der unwidersprochen gebliebenen
Darstellung des Berufungsgerichts haben die Kläger die Aufhebung des Wider-
spruchsbescheids erstmals unter dem 24. Januar 1995 und die Verpflichtung zur
Erteilung einer Abbrucherlaubnis erst mit Schriftsatz vom 14. Februar 1995 bean-
tragt. Zu diesen Zeitpunkten war die insoweit nach § 74 Abs. 2 VwGO maßgebliche
Frist unzweifelhaft abgelaufen. Bei dieser Sachlage würden sich die zur Ausgestal-
tung von Fristenregelungen aufgeworfenen Fragen in dem erstrebten Revisionsver-
fahren nicht stellen.
Die von den Klägern geltend gemachten Formmängel sind ebenfalls nicht geeignet,
der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu verleihen. Dass der Widerspruchsbe-
scheid vom 6. Oktober 1994 dem Schriftformerfordernis entspricht, bedürfte nicht
eigens einer Bekräftigung in einem Revisionsverfahren. Überdies liegt auf der Hand,
dass den Zustellungsvorschriften genügt ist. Der Widerspruchsbescheid wurde, wie
im Berufungsurteil erwähnt (UA S. 11) und durch die bei den Verwaltungsvorgängen
befindlichen Einlieferungsscheine bestätigt wird, in zwei getrennten Ausfertigungen
zur Post gegeben.
Auch im Übrigen lassen die Kläger es damit bewenden, an der angefochtenen Ent-
scheidung Kritik zu üben. Dass sie die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsauf-
fassung aus den von ihnen dargelegten Gründen nicht teilen, lässt sich indes nicht
als Beleg dafür werten, dass Fragen zur Erörterung anstehen, deren Klärung über
den anhängigen Rechtsstreit hinaus von allgemeiner Bedeutung ist.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 1 Abs. 1 GKG, § 166 VwGO und § 118
Abs. 1 Satz 4 ZPO.
Dr. Paetow
Halama
Prof. Dr. Rojahn