Urteil des BVerwG vom 12.03.2008

Befangenheit, Unparteilichkeit, Aufteilung, Überprüfung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 KSt 1010.07 (BVerwG 4 A 1078.04)
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. März 2008
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rojahn,
Gatz und Dr. Jannasch
beschlossen:
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Das Ablehnungsgesuch der Kläger gegen den Vorsitzen-
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow
wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
Das Ablehnungsgesuch ist unbegründet.
Nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO setzt die Ablehnung eines
Richters wegen Besorgnis der Befangenheit voraus, dass ein Grund vorliegt,
der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu recht-
fertigen. Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit setzt nicht voraus,
dass der Richter tatsächlich befangen, voreingenommen oder parteiisch ist. Es
genügt, wenn vom Standpunkt der Beteiligten aus gesehen hinreichende objek-
tive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass
geben, an seiner Unparteilichkeit zu zweifeln. Die rein subjektive Besorgnis, für
die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist,
reicht dagegen zur Ablehnung nicht aus (BVerwG, Urteil vom 5. Dezember
1975 - BVerwG 6 C 129.74 - BVerwGE 50, 36 <38 f.>).
Rechtsansichten und Gesetzgebungsvorschläge, die ein Richter im Rahmen
eines Gesetzgebungsverfahrens in seiner Eigenschaft als Sachverständiger
äußert, rechtfertigen in aller Regel die Besorgnis der Befangenheit in einem
konkreten anhängigen Gerichtsverfahren nicht. Das gilt insbesondere dann,
wenn die Meinungskundgabe nicht in einer äußeren oder inneren Beziehung zu
den Verfahrensbeteiligten, zu dem anhängigen Streitstoff oder zu einer für die
Entscheidung maßgebenden Rechtsauffassung steht (Meissner, in:
Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar, Stand: Oktober 2005,
Rn. 45 zu § 54). Sind diese Grenzen gewahrt, besteht in aller Regel kein be-
gründeter Anlass für die Annahme, dass der Richter sein Amt nicht unvorein-
genommen und im Bemühen um Objektivität wahrnehmen wird. Das gilt im
Grundsatz für sachverständige Äußerungen eines Richters im Rahmen parla-
mentarischer Ausschussberatungen ebenso wie für die Inanspruchnahme sei-
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ner richterlichen Sachkunde und Erfahrungen im Rahmen der Beratungen eines
Gesetzentwurfs auf ministerieller Ebene.
Die Kläger stellen ihr Ablehnungsgesuch im Rahmen des Verfahrens über den
Antrag auf gerichtliche Entscheidung im Kostenfestsetzungsverfahren betref-
fend den Kostenfestsetzungsbeschluss des Gerichts vom 12. Dezember 2007,
der die von den Klägern an die Beigeladene zu 1 erstattenden Kosten im Ver-
fahren BVerwG 4 A 1078.04 festsetzt. Der Kostenfestsetzung liegt die Kosten-
grundentscheidung im rechtskräftigen Senatsurteil vom 16. März 2006 zugrun-
de, das auf die Klage der Kläger gegen den Planfeststellungsbeschluss des
Beklagten vom 13. August 2004 zum Ausbau des Verkehrsflughafens Berlin-
Schönefeld ergangen ist. Die Kläger wenden sich mit ihrer Erinnerung gegen
die im Beschluss vom 12. Dezember 2007 vorgenommene kostenrechtliche
Aufteilung der von der Beigeladenen zu 1 zur Erstattung gestellten Kosten auf
die Gesamtheit aller Kläger in den vom Senat mit Urteilen vom 16. März 2006
entschiedenen Musterverfahren zum Ausbau des Verkehrsflughafens Berlin-
Schönefeld und erheben insbesondere Einwendungen gegen die Erforderlich-
keit der von der Beigeladenen zu 1 eingeholten Sachverständigengutachten
und deren Kostenumfang.
Die Überprüfung des angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschlusses steht in
keinem denkbaren rechtlichen Zusammenhang mit den von den Klägern zur
Begründung ihres Ablehnungsgesuchs angeführten Stellungnahmen, die der
Vorsitzende Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow gemeinsam mit
Herrn Rechtsanwalt Dr. G. zum Entwurf des Fluglärmgesetzes auf parlamenta-
rischer und ministerieller Ebene abgegeben hat. Die materiellrechtlichen Fra-
gen, die Dr. Paetow in diesen rechtspolitischen, auf den künftigen Schutz vor
Fluglärm in der luftverkehrsrechtlichen Planung zugeschnittenen Stellungnah-
men aufgeworfen und beantwortet hat, haben keinerlei rechtlichen Bezug zu
den rein kostenrechtlichen Grundsätzen und Vorschriften, die der zuständige
Kostenbeamte nach dem rechtskräftigen Abschluss der Klageverfahren nach
Maßgabe der §§ 162 ff. VwGO im Kostenerstattungsverfahren anzuwenden hat
und die auch im Verfahren der Kostenerinnerung für das Gericht maßgeblich
sind. Schon aus diesem Grund lässt die Mitwirkung von Dr. Paetow an der Dis-
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kussion über ein neues Fluglärmgesetz auf parlamentarischer und ministerieller
Ebene bei vernünftiger objektiver Würdigung keine Gründe erkennen, die vom
Standpunkt der Kläger aus die Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten
Richters und Zweifel an seiner Unparteilichkeit im Kostenerstattungsverfahren
rechtfertigen könnten. Das vorliegende Ablehnungsgesuch ist aus denselben
Gründen zurückzuweisen, die der Senat in seinem Beschluss vom 4. Oktober
2007 zum Ablehnungsgesuch der Kläger im Kostenerinnerungsverfahren
betreffend den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 8. Juni 2007 (BVerwG 4 KSt
1004.07) ausgeführt hat. Der Senat kann deshalb davon absehen, auf die von
den Klägern geltend gemachten Befangenheitsgründe näher einzugehen.
Prof. Dr. Rojahn
Gatz
Dr. Jannasch